Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

Kommen Sie bitte zum Ende der Rede.

Es klingt nicht sehr populistisch, aber wir brauchen einen Zweiklang zwischen einer soliden Haushaltspolitik und einer Wachstumspolitik. Nur mit beidem zusammen geht es. Wir brauchen Haushaltsdisziplin und eine Politik, die die sozialen Grundfesten in Europa nicht zertritt oder auseinanderreißt. Das ist ein ganz wichtiger und zentraler Punkt der politischen Stabilität in Europa.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Schmitt. – Als nächster Redner hat sich Herr Noll von der FDP-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Noll.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmitt, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen.

(Zurufe von der SPD)

Das bin ich eigentlich eher von mir selber gewohnt. In der Hitze des Gefechts mag das aber erklärbar sein.

Der Fiskalpakt hat zwei wichtige Aspekte. Der eine ist die Haushaltskonsolidierung, der andere das Wachstum. Beides schließt sich nicht aus, wie ich Ihnen an anderer Stelle noch zeigen werde. Es ist richtig: Europa braucht mehr

Wachstum; denn nur eine neue wirtschaftliche Dynamik versetzt die Menschen wieder in die Perspektive, eine bessere Zukunft im Rahmen der Finanzkrise zu haben und diese Krise zu überwinden.

Ich finde es deswegen erfreulich, dass die SPD – wieder – und die GRÜNEN – erstmals – das Thema Wirtschaftswachstum entdeckt haben. Wir als Liberale brauchten dieses Thema nicht zu entdecken, denn wir haben es immer als einen Bestandteil unserer Politik gesehen. Insofern ist für uns das Thema Wachstum nicht neu zu entdecken.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere daran, dass wir über Jahre hinweg – als es in diesem Land Demonstrationen für Nullwachstum und für die Grenzen des Wachstums gab – diejenigen waren, die das Thema Wachstum aufrechterhielten. Wachstum sorgt dafür, dass in einer Volkswirtschaft Schulden vermieden oder abgebaut werden können. Aus dieser Überlegung heraus war für uns das Wachstum immer ein zentraler Punkt unserer Politik.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Es ist zutreffend, dass im Rahmen der Verhandlungen um die Zustimmung zu diesem Fiskalpakt Ergebnisse erzielt worden sind. Ein Ergebnis ist die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Bevor Sie jetzt aber in allgemeinen Jubel ausbrechen nach dem Motto „Endlich kommt sie“, sollten Sie nicht verschweigen, dass es für die Einführung der Finanztransaktionssteuer glücklicherweise Rahmenbedingungen gibt, die mit verhandelt worden sind. Es ist ein Erfolg der Regierungsparteien, Sie von Ihrem Überschwang befreit und ein wenig mehr Realismus in das Thema Finanztransaktionssteuer gebracht zu haben. Die Einführung der Finanztransaktionssteuer darf nämlich auf keinen Fall zu einer Schwächung des Wirtschafts- und Finanzstandortes Deutschland – und des Wirtschafts- und Finanzstandortes Frankfurt – führen und auf keinen Fall die Auswirkung haben, dass Kleinsparer, Anleger und alle anderen, die die Produkte der Finanzwirtschaft für ihre Vermögensgestaltung benötigen, am Ende die Leidtragenden sind.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Jetzt werden die vorgeschoben!)

Wenn es den Mechanismus geben soll, den Sie mit der Finanztransaktionssteuer propagieren, nämlich die sogenannten Schuldigen an der Finanzkrise an den Kosten der Krise zu beteiligen – das ist ein legitimes Interesse –, dann ist für diese Steuer die klare Rahmenbedingung erforderlich, dass ausschließlich dieser Aspekt mit dieser Steuer verbunden wird. Wir werden noch darüber reden müssen, wie das im Rahmen einer solchen Steuer erreicht werden kann.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ein wesentlicher Aspekt für das Wachstum und für das Gelingen eines solchen Paktes ist, dass die Menschen wieder Vertrauen in ihre Länder finden. Vertrauen schafft man nur durch eine klare Konzentration der Wirtschaftsund Finanzpolitik auf den Schuldenabbau in den einzelnen europäischen Staaten; denn die Schulden sind letzt endlich die Ursache dafür, dass es zu dieser eklatanten Finanzkrise gekommen ist. Wenn wir es nicht schaffen, un

ter diesem Aspekt einen Schwerpunkt beim Abbau von Schulden zu setzen, wird es nicht gelingen, diese Krise zu überwinden. Das ist der wirklich wesentliche Aspekt des Finanzpakts.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ohne Defizitabbau kein Vertrauen, ohne Vertrauen keine Kredite, keine Investitionen und auch kein Konsum. Der Fiskalpakt behindert das Wachstum nicht. Wachstum soll ja nicht in der Richtung generiert werden, dass es nach alten sozialdemokratischen Konzepten eher zu mehr Spielräumen für einen Umverteilungsstaat führt. Nein, Wachstum soll dazu dienen, dass private Investitionen gefördert und freigesetzt werden. Das – und nicht ein vermehrter Steuerumsatz – ist der eigentliche Aspekt, der das Wachstum in die richtige Richtung führt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Schmitt, insofern ist es gut, dass es die SPD geschafft hat, das, was sie jahrelang selbst mit Zweifeln versehen hat, durch eine klare Verhandlungspolitik und durch eine Bestätigung liberaler Wirtschaftsaspekte in diesen Pakt hineinzuverhandeln. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die parteipolitischen und programmatischen Aspekte der FDP in diesen Verhandlungen endlich europaweit festgeschrieben haben. Vielen Dank, Herr Schmitt.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei Abge- ordneten der CDU)

Herr Schmitt, lassen Sie mich zum Thema Griechenland noch etwas sagen. Es ist schon weit hergeholt, wenn Sie an dieser Stelle die griechischen Probleme mit Problemen der Bundesrepublik Deutschland vergleichen. Sie haben richtig erkannt, dass beispielsweise der Aspekt, der vorhin vonseiten der LINKEN eingeworfen wurde, dass es in Griechenland möglich ist, dass Vermögende und ganz Reiche keine Steuern zahlen, ein Zustand ist, der natürlich auch dafür sorgt, dass Steuern, die in diesem Land erhoben werden könnten, gar nicht erhoben werden. Das ist ein Aspekt, den es zu reparieren gilt.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Man bräuchte in Griechenland keine zusätzlichen Steuern, und die EU bräuchte Griechenland nicht zu unterstützen, wenn es dieses Land schaffen würde, die eigenen Steuerquellen richtig auszuschöpfen.

Dazu gilt es, Hilfe zu leisten. Auch dieser Aspekt bedeutet Wachstum in einem Land: die eigenen Steuerquellen zunächst einmal richtig zu erschließen, sie erschöpfend auszunutzen und sie letztendlich für die Abzahlung der Schulden des eigenen Haushalts einzusetzen.

Dabei brauchen diese Länder Hilfe, insbesondere dieses Land. Wir sind in Europa bereit – auch unter Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland –, diese Hilfe zu geben. Ich freue mich, wenn dies gelingt; denn dies ist ein wesentlicher Aspekt bei der Sanierung der europäischen Finanz welt insgesamt.

Ein Aspekt zu dem Thema Kommunen: Beim Fiskalpakt bilden wir alle, nämlich der Bund, das Land und die Kommunen, eine Gemeinschaft.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Eine Schuldnergemeinschaft!)

Es kann nicht sein, dass sich innerhalb des Gebildes Bundesrepublik Deutschland einzelne Ebenen ausklin

ken und eine Haushaltspolitik betreiben, die dem gemeinsamen Ziel möglicherweise nicht entspricht. Das geht nicht. Deswegen ist natürlich auch die Bundesrepublik Deutschland im Verbund mit ihren Ländern angehalten, alles zu unternehmen, um die einzelnen Ebenen ihrer Verwaltungsstrukturen in die richtige Bahn zu lenken.

Damit ist aber auch eine klare Verantwortungsaufteilung im Rahmen des Fiskalpakts erfolgt. Der Bund wird sich um das Thema Sozialversicherungen kümmern, und die Länder werden sich vermehrt um das Thema Kommunen kümmern. Die Länder werden dafür verantwortlich sein, dass die Maßgaben des Fiskalpakts auch auf kommunaler Ebene eingehalten werden. Jedes Land muss, je nach der Struktur der eigenen Kommunen, selbst entscheiden, wie das letztendlich funktioniert. Das Land Hessen hat dazu einiges beigetragen. Ich erinnere z. B. an den Kommunalen Schutzschirm.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende Ihrer Rede kommen.

Das mache ich auch. – Der Bund hat das ebenfalls gemacht – und wird es noch machen –, indem er für Entlastungen bei den Kommunen gesorgt hat. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich bin froh, dass es gelungen ist, die SPD und die GRÜNEN für den vernünftigen Weg des Fiskal pakts zu vereinnahmen

(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

und damit gemeinsame Schritte zur Sicherung des Euros und der Europäischen Union zu gewährleisten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mannomann!)

Danke schön, Herr Kollege Noll. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann spricht vonseiten der Landesregierung Herr Staatsminister Schäfer. Bitte schön, Herr Schäfer.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst für die Landesregierung feststellen, dass es für die Bewältigung der aktuellen krisenhaften Situation rund um die europäische Wirtschaft und die europäische Staatsfinanzierung, aber auch die europäische Währung ein gutes und richtiges Signal ist und war, dass es innerstaatlich in einem beträchtlichen zeitlichen Abstand zu dem Punkt, an dem es notwendig wird, eine Entscheidung zu treffen, zu einer Einigung über die Zustimmung sowohl zum ESM als auch zum Fiskalpakt gekommen ist.

Ich wage nicht, mir auszumalen, wie es ausgesehen hätte, wenn es notwendig gewesen wäre, eine Nacht der langen Messer zu organisieren, weil wenige Stunden vor den entscheidenden Abstimmungen noch nicht klar gewesen

wäre, dass Deutschland seine auf internationaler Ebene eingegangenen Verpflichtungen am Ende auch einlöst. Es war richtig, vernünftig und notwendig, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu schließen, auch wenn diese die jeweils einen Kompromiss schließenden Parteien, Fraktionen und staatlichen Institutionen nicht in jeder Facette zu 100 % zufriedenstellen. Aber das ist nun mal das Wesen eines Kompromisses.

Ich glaube, dabei wurde niemals bestritten, dass am Ende die ökonomische Zukunftsfähigkeit Europas und damit die Erhaltung der gemeinsamen Währung immer – sogar zuvörderst – davon abhängen, dass wir auf Dauer eine geordnete und gesicherte ökonomische Wachstumsperspektive für die europäischen Staaten haben und diese auch fördern. Egal, wie man es dreht und wendet: Die Bewältigung der Schuldenkrise der europäischen Staaten kann nur funktionieren, wenn am Ende eine Kombination aus dauerhaft gesicherter Wachstumsperspektive und einer Beschränkung der Ausgabenbegehrlichkeiten entsteht.

Das war unbestritten. Wenn es nun durch eine Umgruppierung bereits bestehender europäischer Programme in Richtung einer stärkeren Fokussierung auf die Wachstumsunterstützung gelungen ist, einen weiteren Beitrag dazu leisten, ist das sicher ein richtiger Schritt gewesen.

Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht unter dem Gesichtspunkt der Wachstumsförderung einige zentrale politische Konfliktfelder zukleistern, die aus unserer Sicht der Entscheidung harren. Wachstumsförderung hat nicht nur damit etwas zu tun, für einen begrenzten Zeitraum staatliche monetäre Mittel in die Hand zu nehmen, um Anschübe zu geben.

Deshalb waren die Konjunkturprogramme, die wir zur Bewältigung der letzten Krise aufgelegt haben, richtig; denn sie haben staatliche Anschübe gegeben, wobei die Wahrscheinlichkeit relativ hoch war, dass sie auf eine funktionierende Struktur trafen, die auf der Basis dieser Anschübe selbstständig Wachstumskräfte freigesetzt hat. Wir müssen aber dafür sorgen, dass in allen Teilen Europas – auch in allen Teilen unseres Landes – eine Basis dafür geschaffen wird, dass, wenn durch europäische oder nationale Anstrengungen Impulse gegeben werden, diese nicht einfach verpuffen, sondern möglichst nahtlos in selbst organisierte, selbst finanzierte private Initiativen übergehen.

(Norbert Schmitt (SPD): Was?)

Kollege Schmitt, damit bin ich aber an einem neuralgischen Punkt angelangt. Das heißt nämlich für alle Staaten, dass sie ihre inneren Strukturen anpassen und ihre Hemmnisse für Wachstum und Beschäftigung abbauen müssen.

Da passt es nicht so richtig ins Bild, dass in einem großen Land Europas, dessen demografische Probleme vielleicht minimal geringer sind als unsere – jedenfalls ist die Geburtenrate in Frankreich nicht signifikant besser als unsere –, derjenige, zu dem die drei Wettbewerber um den Oppositionsvorsitz im Deutschen Bundestag der nächsten Legislaturperiode hingepilgert sind, am Ende als eine der ersten Maßnahmen das Renteneintrittsalter mit 60 Jahren wieder einführen will.