Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

In Nordrhein-Westfalen haben Wolfgang Clement und Christian Lindner ein beeindruckendes Papier mit den Fragen vorgelegt, welchen Herausforderungen die Industrie in den Jahren 2020 bis 2030 begegnen wird und was der Staat jetzt unternehmen muss, damit diese Industrie nicht weiter ins Ausland abwandert. Es müssen vielmehr Rahmenbedingungen gesetzt werden, damit diese Industrie in Deutschland bleibt. Das sind doch die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich erlebe es immer wieder – das geht doch den Kollegen genauso –, dass von Unternehmerseite sehr viele Fragen gestellt werden.

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Da gibt es doch gar keinen Dissens. Natürlich ist Hessen in einer wirtschaftlich hervorragenden Lage. Das haben wir uns auch hart erarbeitet. Das haben sich vor allem die Unternehmen und ihre Mitarbeiter hart erarbeitet. Wir haben den Rahmen dafür gesetzt. Es gibt aber Herausforderungen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte: bei der Frage der Binnenkonjunktur anderer europäischer Länder, bei der Frage der Staatsschuldenkrise. Es gibt auch Hausaufgaben, die wir hier zu erledigen haben, bei der Frage: Wie teuer ist unser Strom, und wo kommen unsere Fachkräfte her? Ist die regionale Gesetzgebung so, dass nicht jedes Unternehmen ins Ausland getrieben wird? Dazu haben wir Hausaufgaben zu machen. Dazu hätte ich heute von Ihnen gerne Rezepte gehört, wie wir mit diesen Hausaufgaben umgehen. Nichts, Fehlanzeige. Absolute Fehlanzeige.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der hat seine Rolle noch nicht verstanden! Er fragt die Opposition nach Konzepten! – Gegenruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Deswegen kann ich für die Kollegen von der Union und für uns sagen: Für uns ist eine moderne Industriepolitik eine Politik, die einen Rahmen dafür setzt, dass sich die Industrie gut entwickeln kann, ob das Pharma-, Chemie-, Metall- oder Elektroindustrie, Automobilindustrie bis hin zur – wie ich jetzt bei einigen nicht dem bürgerlichen Lager zugehörigen Vertretern gelesen habe – „schmutzigen Industrie“ ist. Das sind Unternehmen, die produzieren, z. B. Reifenindustrie oder chemische Industrie, die vor Ort wegen ihrer Produktion diskreditiert werden. Das sind die realen Fragen, um die wir uns kümmern müssen. Deswegen ist die moderne Industriepolitik, die wir für Hessen brauchen, eine Politik, die diesen Unternehmen eine Heimat und einen politischen Ansprechpartner bietet, der seine Hausaufgaben erledigt. Darum geht es.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Bevor ich zur konkreten Frage komme, was wir alles unternehmen werden, möchte ich noch einmal auf eine Geisteshaltung hinweisen. Natürlich leitet sich vieles aus

einer Geisteshaltung ab, die sich auch in politischen Taten niederschlägt. Es gab in dieser Woche im „Focus“ einen beeindruckenden Kommentar. Dieser Kommentar hat sich mit der Frage beschäftigt, wie es eigentlich zu der Entscheidung in München kommen konnte, dass die Startbahn nicht gebaut wird. Das ist eine Entscheidung, die wir respektieren, die den Standort Frankfurt sicherlich nicht schädigt.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Das ist übrigens ein Flughafen, der anders als unser Flughafen wirklich nur über die Luft zu erreichen ist, weil er so weit außerhalb des Ballungsraums liegt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da führt noch nicht einmal eine Straße hin!)

Michael Miersch schreibt im „Focus“ dazu:

Großbauten und technischen Fortschritt finden die Saturierten überflüssig. Die Folgen dieser Haltung spürt erst die kommende Generation.... Doch jenseits der konkreten Projekte werden die Bürgerinitiativen von einer gemeinsamen Mentalität getragen. Sie führen Abwehrkämpfe gegen die Zumutungen der Moderne. Veränderung wird als Bedrohung wahrgenommen. Aus dem Land der Erfinder und Gründer wurde ein Hort der Selbstzufriedenheit.

Wir kämpfen in Hessen dafür, dass das nicht passiert.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn es uns nicht gelingt, dieser innovationsfeindlichen Wachstumsskepsis entgegenzuwirken, dann droht uns eine schleichende Deindustrialisierung. Das ist das, was wir nicht wollen.

Jetzt kommen wir zum wahren Kern der Debatte. Da gibt es ein schönes Beispiel, das sitzt in Frankfurt-Höchst, nämlich Sanofi. Dort ist durch viel Forschung und Entwicklung ein Diabetes-Medikament erfunden worden, das heute dort produziert wird und in einem Patent geendet ist, einem Diabetes-Pen, der nur dort produziert wird. Sanofi hat 8.000 Mitarbeiter. Die wahre Wertschöpfung findet nicht in der Forschung und Entwicklung statt, sondern zum Schluss in der industriellen Produktion. Deshalb müssen wir sie hier halten. Die Steuereinnahmen, die Sie so gerne ausgeben, werden dort erwirtschaftet. So einfach ist das.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Gernot Grumbach (SPD))

Diese vernunftgeleitete Industriepolitik, die wir wollen, mit einer Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Techniken, z. B. Gentechnik, Naturwissenschaften und Technologie, hat auch Gefahren. Für diese Gefahren sind Sie mitverantwortlich.

(Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Ich habe es aufgegeben, die GRÜNEN zu belehren. Es ist ja der grüne Duktus, andere zu belehren. Aber ich wende mich konkret an die Sozialdemokraten.

(Günter Rudolph (SPD): Das sagt der Richtige!)

Herr Kollege Rudolph, wir haben doch vorhin gemeinsam festgestellt, dass wir eine Industriepolitik brauchen, die unser Land nach vorne bringt. Das sollte doch für Sozial

demokraten auch gelten. Sie haben in der Regionalversammlung Frankfurt Rhein-Main einen Koalitionsvertrag geschlossen, aus dem möchte ich einmal zitieren. Wenn Sie immer sagen, Sie wollten eine moderne Industriepolitik, dann wäre es auch schön, Sie würden durchgängig so handeln und nicht vor Ort das Gegenteil machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Neben der Präambel, dass Sie sich eine klimaneutrale Dienstleistungsregion wünschen, sind folgende – –

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, was denn sonst?)

Herr Al-Wazir, Sie entlarven sich immer selbst mit Ihren Zwischenrufen. Ich kenne niemanden, der sich so entlarvt wie Sie.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Folgende Forderungen sind enthalten: 100-prozentige Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2028, Zwang zu klimaneutralen Energiesystemen, Verbot zusätzlicher Emissionen von Luftschadstoffen und Feinstäuben, genereller Vorrang für den Ausbau des ÖPNV, keine zusätzlichen Investitionen mehr ins Straßennetz. – Das, was Sie dort machen, ist das Gegenteil von Industriepolitik. Deswegen werden wir Sie auch immer entlarven, wenn Sie so einen Unsinn aufschreiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Ein Teil guter Industriepolitik ist, solche Sachen zu verhindern. Ich will mich gar nicht an die GRÜNEN wenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie Industriepolitik machen wollen, müssen Sie solche Koalitionsverträge verhindern. Da zählt es, dagegen muss man sich einsetzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir wollen nicht, dass aus diesem Land ein Land der Fortschrittsskeptiker wird. Wir wollen ein Land, in dem Erfinder noch eine Heimat haben. Ich will Ihnen konkret sagen, wo wir auch Probleme sehen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Landesregierung als Ausbildungscamp für Wahlkämpfer!)

Wir wollen ein industrie- und forschungsfreundliches Umfeld. Das trifft übrigens auch für das Thema Gentechnik zu.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir wollen nicht, dass solche Forschungsbereiche ins Ausland abwandern.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Flori forscht!)

Wir wollen nicht, dass diese Forschung im Ausland getätigt wird, wir wollen sie hier haben. Dann können wir sie auch kontrollieren. Alles, was wir vertreiben, passiert ohne unsere Kontrolle.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Wir wollen – Kollege Pentz hat es gesagt – die Verbindung von Forschung, Lehre und Industrie. Forschung, Lehre

und Industrie sind kein Selbstzweck, sie haben einen wesentlichen gesellschaftlichen Grund.

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Diese Verbindung, die wir in der „House of“-Reihe begonnen haben – hier ein ganz großes Lob an die Wissenschaftspolitik dieses Landes, weil sie dafür sorgt, dass Wirtschaftspolitik überhaupt erst auf diesem Niveau stattfinden kann –, hat dazu geführt, dass wir diese ideologischen Gräben überwunden haben. Dass Forschung und Lehre mit Industrie zusammenarbeiten, wird mittlerweile auch von anderen Ländern übernommen. Da haben wir ein Erfolgsrezept geschaffen. Herr Kollege Pentz, wir werden das genau so fortsetzen, wie Sie es gerade dargestellt haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Neben anderen Maßnahmen wie den MINT-Programmen, der Änderung des Ingenieurgesetzes, der Umsetzung von EU-Richtlinien mit sehr gesundem Menschenverstand, kommen wir zu zwei zentralen Feldern, die die Industrie wirklich besorgt machen. Das sind die Themen Fachkräftemangel und Energie. Bei dem Thema Energie ist es eben so, dass schon drei oder vier Jahre

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))