Protokoll der Sitzung vom 25.09.2012

Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steige ab. – Frau Kultusministerin, da ich selbst reite, kann ich Ihnen versichern: Es nützt nichts, die Sporen zu verwenden und laut „Hü“ zu rufen. Dieser Gaul bleibt tot. G 8 in Hessen in der Mittelstufe ist gescheitert.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hugh, ich habe gesprochen!)

Ich darf Frau Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kultusministerin, zunächst einmal ist es erfreulich, dass Sie sich in den letzten Wochen eines Problems annehmen, das von Ihrer Fraktion jahrelang als Erfolg verkauft wurde. Jahrelange umfangreiche Kritik von vielen Seiten haben Sie ignoriert und nicht wahrnehmen wollen.

Frau Ministerin, als Sie versprachen, das G-8-Modell eingehend prüfen zu wollen, haben Sie damit Erwartungen geweckt. Wohin diese Erwartungen gehen, möchte ich Ihnen nun erneut kurz darstellen.

Laut einer Umfrage von Edutiv ist unter 122 Nachhilfeanbietern die Einführung von G 8 der Grund für den sprunghaften Anstieg des Nachhilfebedarfs. Eine Umfrage der Landeselternvertretung des Saarlands hat ermittelt, dass 22,3 % der G-8-Schülerinnen und -Schüler kommerzielle Nachhilfe in Anspruch nehmen; von den G-9-Schülerinnen und -Schüler sind es dagegen nur 13,7 %. – Auch das ist uns zu viel.

(Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Dies sind die tatsächlich in Anspruch genommenen Nachhilfequoten. Der wirkliche Bedarf ist hier nicht erfasst. Denn Nachhilfe ist teuer und kann nur von finanziell gut gestellten Elternhäusern gestemmt werden. Fächerabhängig kosten Nachhilfestunden bis zu 30 € pro Stunde.

Laut einer Studie des Allensbach-Instituts sind 71 % der befragten Eltern für eine Rückkehr zu G 9 – so wie wir und die GEW. Auf die bundesweite zweite Jahresstudie, deren Ergebnisse gerade erst veröffentlicht wurden, ist Frau Habermann schon eingegangen. Auch sie hat eine weitere Steigerung ergeben: Es sind noch mehr, die generell zu G 9 zurück wollen.

Meine Damen und Herren, das lässt Gutes für die Wahlen hoffen. Frau Ravensburg, da können Sie noch so sehr behaupten, die Eltern wollten nicht mehrheitlich G 9.

Umso überraschender war es, als Sie in einer Nacht-undNebel-Aktion in der letzten Woche eine Pressekonferenz zu diesem Thema einberufen haben. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass keine der Oppositionsfraktionen dazu eingeladen worden ist. Der Verdacht, über Nacht plötzlich einen Gesetzentwurf aus dem Ärmel gezaubert zu haben, liegt auf der Hand. Auslöser war sicherlich die Äußerung des Ministerpräsidenten vom Vortag. Das erklärt auch, warum das in der vorigen Woche noch ein reiner Fraktionsentwurf war.

Inhaltlich ist dieser Gesetzentwurf abzulehnen. Begründen werde ich dies gleich. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass ein solches Vorgehen nicht dafür spricht, dass Sie sich ausreichend Zeit für Gespräche genommen haben – wie Sie das einmal angekündigt hatten. Frau Beer, zu Beginn dieser Debatte hatten Sie genau das angekündigt. Ich möchte, dass Sie darauf noch einmal eingehen.

Betroffene mit einem Gesetzentwurf zu überfahren, um Ihre Koalitionsprobleme zu lösen, weckt nicht nur bei mir wenig Vertrauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber schauen wir uns das Ergebnis einmal an.

In einem Modellversuch soll eine äußerst überschaubare Anzahl von Gymnasien berechtigt sein, sowohl G 8 als auch G 9 anzubieten. Davon abgesehen, dass damit an der gleichen Schule ein Zweiklassenabitur geschaffen wird – soweit ich weiß, hat das nicht nur Frau Geis, sondern auch jemand vom Philologenverband gesagt –,

(Zurufe der Abg. Norbert Schmitt (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

ist das eigentliche Problem des Turboabiturs damit gar nicht behandelt worden. Und Sie sprechen hier von der Wahlfreiheit der Eltern? – Dazu zwei Punkte.

Zunächst einmal stellen Sie die meisten Eltern vor die Wahl, immense Schulwege auf sich zu nehmen, um ihr Kind an einem der etwa 30 Gymnasien in Hessen, für die dieser Modellversuch ja gelten soll, beschulen zu lassen. Je nach Anmeldezahlen werden Eltern aber überhaupt keinen Einfluss darauf haben, ob ihr Kind eine solche Schule besuchen darf. – Das ist der eine Schwindel Ihrer Wahlfreiheit.

Der nächste Schwindel besteht darin, dass Eltern überhaupt nicht das abschließende Wort haben, in welcher der Klassen – G 8 oder G 9 – ihre Kinder zum Abitur kommen. Das, so wollen Sie es – jedenfalls habe ich Sie so verstanden –, liegt bei der Schule bzw. den Pädagogen, die das anbieten wollen. An diesem Punkt frage ich mich wieder: Was verstehen Sie da unter Wahlfreiheit? Wollen Sie uns da für dumm verkaufen?

All dies ist aber im Grunde nebensächlich, denn eigentlich geht es um Folgendes: Selbst Sie haben erkannt, dass G 8 gescheitert ist. Doch anstatt dies endlich mit erhobenem Kopf zuzugeben, pfuschen Sie weiter in der hessischen Schullandschaft herum und hoffen wahrscheinlich, nicht allzu viel an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Das aber funktioniert nicht. Darauf sind wir schon ausführlich eingegangen. G 8 ist und bleibt eine Fehlentscheidung zum Leid der betroffenen Schülerinnen und Schüler, ihrer Lehrerinnen und Lehrer und ihrer Eltern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben bereits ein sehr stark differenziertes Schulwesen. Eine weitere Differenzierung der Schülerschaft, nun auch auf dem direkten Weg zum Abitur, macht die Lage nur noch schlimmer. Dieses Vorgehen beantwortet auch nicht die Frage nach dem Sinn von G 8. Glauben Sie denn wirklich, Schülerinnen und Schüler seien für die vielfältigen Berufsfelder besser qualifiziert, wenn sie während ihrer Entwicklung permanentem Leistungsdruck ausgesetzt sind? Dieser wird doch nicht dadurch geringer, dass an manchen Schulen Schülerinnen und Schüler aussortiert werden, weil sie ihm nicht standhalten, während andere diesen unsinnigen Leistungsdruck besser aushalten können.

(Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- sitz.)

Um den Bedürfnissen von Kindern und Heranwachsenden gerecht zu werden, darf dieser Leistungsdruck unseres Erachtens erst gar nicht entstehen. Es kann doch politisch nicht wirklich gewollt sein, die Entwicklung junger Menschen aufgrund eines unsinnigen Koalitionsgeschachers

weiterhin negativ zu stören. Wir bleiben daher dabei: G 8 schadet den Kindern und Heranwachsenden und stiehlt ihnen die Zeit, die zur Persönlichkeitsentwicklung notwendig ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Gesetzentwurf ist Unfug. Niemand braucht ihn. Er dringt nicht auf den Grund der Probleme vor. Er ist eine Verschlimmbesserung und daher abzulehnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Abg. Döweling, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn ganz deutlich klarstellen: Die FDP-Fraktion in diesem Hause hält die verkürzte gymnasiale Schulzeit, G 8, nach wie vor für eine sehr gute Option auf dem Weg, in Hessen das Abitur zu erlangen.

(Zurufe von der LINKEN)

G 8 ist für uns ein sehr erfolgreiches und sehr richtiges Modell.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der LINKEN)

Deshalb begrüßen wir die Ankündigung der Kultusministerin, das bestehende G-8-Angebot im Sinne einer Qualitätsoffensive zu optimieren, wie sie es direkt nach ihrem Amtsantritt in dem ersten Interview, das sie im neuen Amt gegeben hat, versprochen hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, unser Wort gilt auch in diesem Bereich.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Kollege Al-Wazir, da brauchen Sie gar nicht zu lachen. – Wir sehen hier noch einige Potenziale durch eine bessere Umsetzung der Möglichkeiten, die die Schulen bereits jetzt haben, die wir ihnen unter anderem mit dem neuen Hessischen Schulgesetz geben, was die Unterrichtsgestaltung angeht, was die Rhythmisierung des Unterrichtsangebots über den Tag angeht, was die Weiterentwicklung der alten Lehrpläne hin zu einem Schulcurriculum angeht. Das ist ein Prozess, bei dem es parteiübergreifend Einigkeit in diesem Hause gibt, diese Möglichkeit zu forcieren und so das bestehende, sehr gute und gut angenommene G-8-Angebot an einigen Gymnasien weiter zu verbessern und noch attraktiver zu gestalten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ein Teil dieser Verbesserungen liegt in der Entzerrung des Schultages. Aus unserer Sicht sollte es das Ziel sein, zu erreichen, dass die Schüler Zeit haben, neben der Schule Hobbys zu pflegen, sich in Sportvereinen, in Kirchengemeinden, in Pfadfindergruppen, in der Jugendfeuerwehr zu engagieren. Es gibt sicherlich noch eine ganze Menge anderer Hobbys; ich möchte nicht alles aufzählen, was wir für die Schüler bereithalten. Deswegen sage ich ganz klar: Auch in ländlichen Gebieten, wo weite Fahrwege in Kauf

zu nehmen sind, muss es auch bei Ganztagsbeschulung, die wir ebenfalls fraktionsübergreifend in diesem Hause unterstützen, möglich sein, dass die Schüler, wenn sie nach einem interessanten und langen Schultag nach Hause kommen, noch Zeit haben, ihren Hobbys nachzugehen. Da gibt es leider gelegentlich Probleme.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich gibt es die. Wir alle sind ja im Gespräch mit den Menschen in diesem Land. – Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Ministerin angekündigt hat, dass hier über eine Beratung des Ministeriums entsprechend nachgesteuert wird, damit wir dort, wo es Probleme gibt, eingreifen können, an den Schräubchen drehen können, um das Angebot für die Menschen vor Ort noch attraktiver zu machen. Wir haben nämlich ein sehr gutes Schulangebot in Hessen. Das muss man immer wieder festhalten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir wollen eine neue Lehr- und Lernkultur an hessischen Schulen. Wir wollen eine Bewegung hin zu Bildungsstandards, zu Schulcurricula, und wir wollen adäquat ausgestattete und adäquat arbeitende Schulen.

Kollegin Habermann führte an, die Ministerin habe sich „an die Spitze einer Bewegung gestellt“. Es gibt bei diesem Thema keine Bewegung.

(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der SPD: Wie wahr! – Janine Wissler (DIE LINKE): Stillstand!)

Die christlich-liberale Koalition in Hessen spricht bei diesem Thema mit einer Zunge und arbeitet in eine Richtung. Es gibt keine „Bewegung“, an deren Spitze man sich stellen kann, aber es gibt ein ganz klares Konzept. Deswegen respektieren wir den Wunsch vieler Gymnasien, ein G-9-Angebot zu machen und – gerade im ländlichen Raum – möglicherweise zu G 9 zurückzukehren, weil beispielsweise weite Fahrwege zu gewärtigen sind. Die Gespräche mit Schülern, Eltern und Lehrern haben uns gezeigt, dass wir hier eine Wahlmöglichkeit eröffnen sollten. Wir sind alle nur Menschen. Deshalb springen wir über unseren Schatten und schaffen diese Möglichkeit, wie wir es vorher angekündigt haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin im Übrigen sehr gespannt auf die Reden und auf das Abstimmungsverhalten der GRÜNEN, die das ja immer gefordert haben. Kollege Wagner kann dazu gleich Stellung nehmen.

Wie es seitens der Landesregierung angekündigt war, haben wir über dieses Verfahren jetzt die Möglichkeit, den Schulen bereits zum nächsten Schuljahr die Möglichkeit der Rückkehr zu G 9 zu geben und sie damit den kooperativen Gesamtschulen gleichzustellen. Es gibt hierbei eine kleine, aber entscheidende Änderung. Wir haben uns aufgrund der Erfahrungen, die es nach der Öffnung des Angebots für die kooperativen Gesamtschulen gab, entschlossen, keine Rückkehr im laufenden Schuljahr möglich zu machen. Es kam in diesem Zusammenhang nämlich zu einigen sehr unschönen Situationen, da die Eltern nur einstimmig entscheiden konnten, eine Rückkehr zu