Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Wenn Sie mit Islamkunde begonnen hätten, dann hätten wir schon seit drei Jahren ein Angebot an hessischen Schulen für muslimische Schülerinnen und Schüler gehabt. Stattdessen hat sich die CDU-Fraktion – leider, muss ich sagen – vor den Karren des FDP-Ministers spannen lassen, um eine Lösung zu finden, die verfassungsrechtlich die einzig gangbare Lösung sei. Damit haben Sie sich auf die integrationspolitische Geisterfahrt des Herrn Hahn eingelassen. Das bedauere ich, meine Damen und Herren vor allem der CDU.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kurz zur Historie. Seit 2009 besteht der Runde Tisch und tagt mit Verbänden und Vereinen aus der muslimischen Gemeinde. Seitdem versucht er, ernsthafte Schritte zu gehen. Dieser Runde Tisch hat ein Curriculum erstellt. Das heißt, wir haben jetzt ein Kerncurriculum, auf dessen Grundlage Unterricht erteilt werden kann. Dieser Runde Tisch hätte auch überlegen können, ob in Hessen eine Beiratslösung für einen Übergangszeitraum infrage käme, wie es in Niedersachsen der Fall ist. Stattdessen hat diese Landesregierung – ganz gezielt Herr Minister Hahn – einzelne Verbände ermuntert, einen Antrag zu stellen, wie die DITIB und die Ahmadiyya.

Sie haben auch Gutachten in Auftrag gegeben. Diese Gutachten haben nach Aussage von Ministerin Beer Ende Juli 2012 ausgesagt, dass diese beiden Verbände als Kooperationspartner infrage kämen. Das heißt, den Kooperationspartner, den Sie bisher gesucht haben, müssten Sie eigentlich gefunden haben. Ein Kerncurriculum liegt Ihnen auch vor. Der ewige Islamkritiker – das ist zu einfach –, der ewige vor dem Islam Angst schürende bildungspolitische Sprecher, Herr Irmer, hat auch noch seinen Posten niedergelegt. Das heißt, Hürden haben Sie eigentlich keine mehr. Was hindert Sie daran, endlich die Einführung des islamischen Religionsunterrichts umzusetzen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist viel zu einfach, wenn Sie uns erzählen, dass jetzt die Gutachten geprüft werden müssen. Die Gutachten haben geprüft, so dachten wir, ob die Antragsteller überhaupt eine Religionsgemeinschaft im Sinne unserer Verfassung sind. Obwohl all diese Dinge geprüft sind, wollen Sie jetzt noch einmal prüfen und prüfen und prüfen. Sie sagen diesem Landtag nicht, bis wann Sie prüfen wollen. Sie sagen diesem Landtag auch nicht, ob mit diesem Unterricht realistischerweise überhaupt noch 2013/2014 gerechnet werden kann.

Meine Damen und Herren, Sie täuschen die Bürgerinnen und Bürgern in Hessen. Sie versuchen, den Menschen zu suggerieren, dass Sie ernsthaft an einer Lösung interessiert seien. Das sind Sie mitnichten. Sie wollen sich nur profilieren. Die CDU-Fraktion hat nicht versucht, Herrn Hahn in dieser Frage zu stoppen. Der Einzige, den Sie gestoppt haben, ist der Herr Irmer. Ich bin gespannt, ob jetzt immer noch die Ewiggestrigen das Sagen haben oder ob endlich die Reformer in dieser Koalition zum Vorschein kommen. Das ist eine spannende Frage. Wir werden das beobachten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, wir wollen einen islamischen Religionsunterricht auf der Grundlage unserer Verfassung. Nichts anderes kann diskutiert werden, und nichts anderes ist überhaupt jemals diskutiert worden. Von daher verstehe ich Ihren Antrag nicht. Ihr Antrag enthält Punkte, die Sie prüfen wollen, die unserer Meinung nach längst geprüft sein müssten. Deswegen stellen wir uns die Frage: Sind Sie überhaupt ernsthaft an der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts interessiert? Ich muss das leider bezweifeln. Schauen wir uns an, wie langsam Ihre Schritte sind und wie sehr Sie versuchen, in den Grabenkriegen zwischen dem Islam und dem Westen zu provozieren: Das ist meiner Meinung nach nicht haltbar. Daher würde ich bitten, dass die Reformer in den Koalitionsfraktionen, beispielsweise Herr Mick und Herr Bauer, versuchen, Personen wie Herrn Irmer Einhalt zu gebieten.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was habt ihr für ein Demokratieverständnis?)

Denn was hat er uns noch im August erzählt? Vor dem Islam müsste man Angst haben. Der Islam würde die Menschen täuschen. Der Islam würde versuchen, in der Taqiyya die Andersgläubigen zu täuschen. Meine Damen und Herren, das entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Durch die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen würden wir den Kindern, die in Hessen geboren und aufgewachsen sind, die Möglichkeit geben, religiös mündig zu werden. Wir würden ihnen die Möglichkeit geben, sich endlich in deutscher Sprache mit ihrer Religion auseinanderzusetzen und von den Lehrerinnen und Lehrern, die in Deutschland ausgebildet sind, über den Islam zu lernen und etwas über ihre Religion zu erfahren.

Nur so können wir den Islamisten in dieser Gesellschaft, den dschihadistischen Salafisten in dieser Gesellschaft, den selbst ernannten Predigern, wie Pierre Vogel, Einhalt gebieten. Sie müssen sich fragen, ob Sie weiterhin die Verantwortung dafür tragen können, dass Sie jungen Menschen kein Angebot machen und stattdessen versuchen, sich parteipolitisch zu profilieren. Ich finde, das ist eine Vernachlässigung der Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Wer nicht an die Generation von heute denkt, der wird auch in der Zukunft keine Chance haben. Ich habe das Gefühl, Sie haben den Gestaltungswillen aufgegeben. Ich vermute, das wird Ihnen spätestens bei der Wahl quittiert werden.

Schauen Sie sich die Islamvideos und die Ausschreitungen an. Das macht deutlich, dass es wichtig ist, dass man einen

modernen, toleranten Islam fördert, den es längst gibt. Der gehört zu Hessen. Der gehört zu uns. Je eher Sie das akzeptieren, desto besser ist es auch für diese Gesellschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Als nächster Redner hat sich Kollege Merz von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Kollege Merz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir hatten in den vergangenen Jahren seit Beginn der Legislaturperiode sehr viel Anlass zu Debatten über die Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes und der Hessischen Verfassung. Ich habe die Hoffnung, dass dies die letzte Debatte vor der endgültigen Einführung eines solchen Unterrichtsangebots an den Schulen des Landes Hessen sein könnte. Allerdings will ich gleich hinzufügen, dass meine Hoffnung nach wie vor ein wenig gedämpft ist. Ich komme darauf zurück.

Anlass der Debatten im Landtag waren in aller Regel weniger Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition oder zwischen den Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Anlass waren in der weit überwiegenden Zahl der Fälle die tief greifenden Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierungskoalition. Das ist auf besondere, fast schon unnachahmliche Art und Weise vom Kollegen Irmer, aber nicht nur von ihm, verkörpert worden und wird nach wie vor von ihm verkörpert werden.

Aber in der CDU-Fraktion gibt es noch mehrere, die seines Geistes waren und sind; denn sonst hätte sich dieser Mann nicht so lange mit seinen – ich will es vorsichtig ausdrücken – ressentimenterfüllten Positionen zu Integrationsfragen, zur Rolle des Islams in der Bundesrepublik und eben auch zum islamischen Religionsunterricht in einer führenden Position in der CDU-Landtagsfraktion halten können. Übrigens hält er sich ja auch weiterhin in einer führenden Position in der CDU-Landtagsfraktion;

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

denn er bleibt stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Und nicht nur das: Er bleibt – obwohl er nicht mehr der bildungs- und schulpolitische Sprecher ist – Sprecher aller schulpolitischen Sprecher aller CDU-Landtagsfraktionen. Ich will das nur noch einmal anfügen, falls es jemandem entgangen sein sollte.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Nein, ich habe mich da auch nicht einzumischen, ich halte es nur fest. Ich halte vor allen Dingen fest, lieber Herr Kollege Irmer, dass Sie nicht allein das Problem waren, sondern dass das Problem insofern in allererster Linie die CDU-Fraktion in diesem Landtag ist. Es ist eine CDUFraktion, die sich in ihrer Mehrheit nicht von diesen Tiraden distanziert hat – schon gar nicht öffentlich –, sondern die diese Tiraden offensichtlich mehrheitlich aus tiefstem Herzen teilt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Es ist nicht so – das habe ich hier schon einmal gesagt und wiederhole es –, dass die hessische CDU nicht die Kraft hätte, Herrn Irmer in die Schranken zu weisen, sondern sie hat gar nicht den Willen dazu, weil sie die Notwendigkeit dafür nicht sieht.

(Beifall bei der SPD)

Die Wahrheit ist und bleibt, dass Herr Irmer Fleisch vom Fleisch der hessischen CDU ist, dass er hessisch-christlich im christlich-demokratischen Mainstream ist und nicht irgendein obskures Randphänomen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Deshalb ist diese CDU-Landtagsfraktion nicht mit ihm fertig geworden. Sie ist auch noch nicht mit ihm fertig. Der Kollege Irmer hat jetzt das Problem auf seine Art und Weise angepackt, nach dem Motto: Euch aus dem Elend zu erlösen, das kann ich nur selber tun.

(Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Können Sie vielleicht auch einmal zum Thema kommen?)

Es rettet euch kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun – um es einmal vollständig zu haben.

Meine Prognose ist deshalb, dass das Grundproblem bestehen bleiben wird. Beispielsweise gibt es neben dem Kollegen Irmer den Kollegen Tipi. Den Kollegen Tipi, der auf der einen Seite den islamischen Verbänden treuherzig versichert, dass er in der Frage des islamischen Religionsunterrichts auf ihrer Seite stehe und sie intensiv unterstütze, und der sich dann auf einer CDU-Veranstaltung hinstellt und den anwesenden CDU-Leuten erklärt, warum genau diese Verbände, mit denen die Landesregierung verhandelt, als Gesprächspartner gar nicht infrage kommen, weil sie nämlich vom türkischen Staat abhängig seien.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

Lieber Herr Kollege Irmer, Sie haben neulich von Taqiyya gesprochen. Wenn Sie sich einmal ein besonderes Beispiel von Taqiyya ansehen wollen, dann gehen Sie einmal diesem Sachverhalt nach.

Das Problem war und ist – neben der CDU-Fraktion in ihrer Gänze – auch ein Koalitionspartner einschließlich des diesem Koalitionspartner angehörenden Integrationsministers Hahn, der diesem Treiben in diesem Landtag niemals öffentlich und laut und unmissverständlich widersprochen hat.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ihr Problem ist die CDU!)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Landtagsfraktion nehme ich in Anspruch, dass wir das richtige und wichtige Anliegen der Einführung des islamischen Religionsunterrichts in seiner strikten verfassungskonformen Ausprägung als bekenntnisorientiertem Unterricht – im Gegensatz zu manch anderem in diesem Hause, der lange noch von Islamkunde oder Ethik mit islamkundlicher Unterweisung oder ähnlichen Modellen oder Übergangsmodellen gesprochen hat; da waren wir immer anderer Meinung als die Kollegin von den GRÜNEN, Frau Öztürk hat es gera

de wieder vorgetragen – von vornherein und ohne Wenn und Aber geteilt haben. Wir haben für dieses Anliegen und diese Vorgehensweise in vielen Gesprächen mit den islamischen Verbänden und anderen Beteiligten und an diesem Weg Interessierten für die Beteiligung am Runden Tisch und auch für Vertrauen und Geduld in die Ehrlichkeit der Absicht sowie die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens geworben.

Gerade diese Aufgabe – nämlich das Werben um Vertrauen in die Ehrlichkeit der Absicht und für den entschlossenen Willen im Vertrauen, das tatsächlich zu wollen – ist angesichts der permanenten Querschüsse gerade des Kollegen Irmer und anderer nicht einfach gewesen.

Zur Sache selbst. Was ist der Stand der Debatte?

(Zurufe von der CDU: Na endlich!)

Ja, natürlich gehört auch dies alles zur Sache. Die Frage, warum wir erst heute da sind, wo wir sind – und Gott sei Dank weiter als vor vielen Jahren –, hat sehr viel mit dem zu tun, worüber ich die ganze Zeit geredet habe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Darum geht es Ihnen doch gar nicht! – Weitere Zurufe von der CDU)

Aber zum inhaltlichen Ertrag. Im Laufe der langen Debatte sind wir immer von folgenden Grundpositionen ausgegangen. Diese scheinen mir – mit den bekannten Ausnahmen – mittlerweile auch unstreitig zu sein:

Erstens, dass es unter verfassungsrechtlichen Aspekten – also unter Aspekten des Art. 7 Abs. 3 GG und der Art. 57 und 58 der Hessischen Verfassung – geboten ist, einen bekenntnisorientierten Unterricht auch für Kinder muslimischen Glaubens zu ermöglichen.

Zweitens, dass dies vor allem unter dem Aspekt der Gleichbehandlung aller Religionen durch den Staat und der religiösen Neutralität des Staates gegenüber einzelnen Religionen und Weltanschauungen geboten ist.

Drittens, dass die Voraussetzungen für einen solchen Unterricht über den Staat einerseits und durch die Religionsgemeinschaften andererseits zu schaffen sind und dass dazu dauerhafte Organisationen auf der einen Seite und gesicherte vertragliche Grundlagen auf der anderen Seite gehören.

Viertens, dass es insofern viel mehr um eine verfassungsund staatskirchenrechtliche Frage geht als um eine Frage der integrationspolitischen Zweckmäßigkeit. – Ich will diesen Punkt ausdrücklich noch einmal hervorheben, weil es in der Debatte immer munter durcheinandergeht. Ich sage: Hier geht es um eine verfassungs- und staatskirchenrechtliche Frage und erst in zweiter Linie um eine integrationspolitische Frage.

Fünftens, dass gleichwohl die Einführung eines solchen Unterrichts auch Ausdruck und Anerkennung der Tatsache wäre, dass muslimisches religiöses Leben mittlerweile zur Alltagsrealität in der Bundesrepublik und auch in Hessen gehört und dass dies auch von Gesellschaft und Politik anerkannt wird, dass also der Islam unstreitig zu Deutschland gehört. – Dieses wäre das integrationspolitische Signal, das von der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts ausginge.