Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Wer sagt das denn?)

Das lässt nicht viel Hoffnung aufkommen. – Herr Irmer, ich komme gleich zu Ihnen. Ich will Sie als lobendes Beispiel erwähnen.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Hans- Jürgen Irmer (CDU): Ich fürchte, dann habe ich etwas falsch gemacht!)

Herr Irmer, es geschehen noch Zeichen und Wunder.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Dann möchte ich doch einmal wissen, was ich falsch gemacht habe!)

Mit unserem Antrag wollen wir einen Punkt aus der damals durchgeführten Anhörung wieder aufgreifen und im Dialog mit den Schulen vertiefen. Dabei geht es um die Organisation der gymnasialen Oberstufe. Im Lichte der Turbulenzen des April wollen wir auch eine Diskussion um das Zentralabitur und wollen die Erfahrungen und Anregungen aus den Schulen kennenlernen.

Ich erwarte,dass dieses Haus diesen Antrag annimmt,und setze in diesem Fall eher auf Herrn Irmer als auf Herrn Greilich. Denn Herr Irmer hat in der Plenardebatte vom 9. April 2008 Folgendes gesagt. Ich möchte das zitieren. Herr Irmer, das tue ich bei einer Rede von Ihnen wahrlich zum ersten Mal.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Sie hören mir so selten zu!)

Sie sagten damals:

Ich gestehe freimütig ein, dass man Fehler macht, dass es vielleicht auch Veränderungen und Entwicklungsprozesse gibt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Deshalb stimmen wir heute auch zu! Ich weiß nicht, was Sie wollen!)

Ich glaube, dass es der Politik insgesamt parteiübergreifend gut ansteht, auch zu sagen: Jawohl, wir haben gelernt; wir haben gesehen, es hat Fehlentwicklungen gegeben; wir sind bereit, Fehlentwicklungen zu korrigieren.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie sollten mich öfter zitieren!)

Herr Irmer, da will ich Sie jetzt beim Wort nehmen. Um solche Veränderungen und Entwicklungsprozesse hinsichtlich der Themen Zentralabitur und Oberstufe diskutieren zu können, wollen wir die beantragte Anhörung im Kulturpolitischen Ausschuss durchführen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich weiß gar nicht, was Sie wollen! Wir stimmen doch zu! Aber wenn ihr so weitermacht, stimmen wir dagegen!)

Herr Irmer, Sie können mir jetzt noch ein bisschen zuhören, wo ich Sie doch so lobe.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist in Ordnung, gut!)

Im vergangenen Jahr gab es vom Philologenverband über den Verband Bildung und Erziehung bis hin zur Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,dem Landeselternbeirat und der Landesschülervertretung Zustimmung zu dem Vorschlag der SPD-Fraktion, die individuelle Schulzeitverkürzung in die Oberstufe zu legen und ein Modell zu entwickeln, das dem einzelnen Schüler die Möglichkeit gibt, selbst zu bestimmen, ob er zwei oder drei Jahre bis zum Abitur in der Oberstufe lernt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir reden alle über die individuelle Förderung. Dann müssen wir als Erstes akzeptieren,dass es auch ein individuelles Lerntempo gibt.Warum sollte es nicht möglich sein, Schülerinnen und Schüler innerhalb einer Schulform nach ihrem eigenen Tempo lernen zu lassen und sie selbst über die Belegung der einzubringenden Kurse entscheiden zu lassen? Damit entscheiden sie dann auch darüber, ob sie ihre Prüfung ein Jahr früher oder später ablegen. In der gültigen Oberstufenverordnung wird es ausdrücklich zugelassen, unter bestimmten Bedingungen jahrgangsübergreifende Kurse zu bilden. Es heißt dort:

Didaktische und methodische Probleme müssen in diesem Fall durch zusätzliche Planung und Abstimmung gelöst werden.

Es ist des Nachdenkens wert,zu ermitteln,ob und wie dieser Ansatz auch in der Fläche verwirklicht werden kann. Dazu brauchen wir die Gedanken und die Einschätzungen aus der Praxis.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Vereinbarung der Kultusministerkonferenz wäre nicht davon betroffen, wenn sich Hessen auf den Weg machen würde, eine Oberstufe zu entwickeln, die mit der Individualisierung der Lernprozesse und der Vorbereitung auf ein eigenverantwortliches Studium Ernst macht.

Meine Damen und Herren, Hessen könnte im Gegenteil in dieser Bundesrepublik wieder einmal zum Vorreiter in der Bildungspolitik werden.

(Beifall bei der SPD)

Zu diskutieren ist auch, wie die Einschränkung der Wahlmöglichkeiten bei den Fächerkombinationen eine Schwerpunktsetzung der Oberstufenschüler behindert und erschwert. Interesse für bestimmte Fachrichtungen kann man nur frühzeitig durch gute und motivierende Angebote wecken und nicht verordnen. Eine breitere Wahlmöglichkeit, die auch den Schwerpunkten einer Schule

entgegenkommt, fördert auch die bewusste Auseinandersetzung der jungen Menschen mit ihren angestrebten beruflichen Perspektiven.

Schließlich will die SPD-Fraktion nach drei Jahren Zentralabitur von der Schule wissen, ob die viel zitierte Vergleichbarkeit erreicht ist, da die Abiturprüfungen lediglich 35 % des Gesamtergebnisses eines Abiturs ausmachen.

Kollegin Habermann, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme sofort zum Schluss. – Es gibt Fragen: Gibt es Alternativen zur zentralistischen Steuerung der Prüfungsinhalte? Welche Konsequenzen müssen aus der Organisation des Abiturs gezogen werden? Diese Fragen würden wir gern mit denjenigen diskutieren, die in der Schule sind und in den Schulen lernen und unterrichten.Wir bitten Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herzlichen Dank, Frau Habermann. – Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Dr. Herr zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Habermann, ich habe eben die Luft angehalten, als Sie ansetzten, den Herrn Irmer so zu loben. Ich dachte, jetzt wird es ganz hinterhältig.

(Lachen bei der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nicht nur Sie!)

Aber ich kann Ihnen versichern, die Anhörung werden wir mitmachen. Das haben wir angekündigt. Ich muss allerdings sagen, die erste Einleitung, die Sie eben gebracht haben, hat mit dem Thema gar nichts zu tun. In Ihrem Antrag ist eine Reihe von Fragen gestellt, die Sie zum Glück nicht beantwortet haben. Die gehören in den Kulturpolitischen Ausschuss und in die Anhörung hinein.

Zu Beginn will ich nur einige wenige Bemerkungen machen. Sie haben in Punkt eins das Verhältnis zwischen Pflicht- und Wahlkursen angesprochen. Das ist vor nicht allzu langer Zeit einmal neu geregelt worden. Ich denke, es hat einen Sinn gemacht, es so zu regeln, wie es jetzt ist. Man könnte sagen, die Wahlfreiheit ist ein bisschen eingeschränkt worden. Aber das macht halt die Vergleichbarkeit umso sicherer.

Der zweite Punkt, den Sie erwähnt haben, ist die Dauer der Oberstufe. Darüber kann man diskutieren. Andere Bundesländer haben das anders – im Osten eine zweijährige Oberstufe.Aber ich will nur einmal andeuten, es geht dabei um die Durchlässigkeit. Wir müssen an die Schülerinnen und Schüler denken, die einen mittleren Bildungsabschluss haben. Die müssen an die Oberstufe herangeführt werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann innerlich eine gewisse Sympathie für die Frage aufbringen, ob die Mittelstufe verkürzt werden muss. Das löst ja viel Unmut aus. Aber wenn wir sagen, die Oberstufe soll verkürzt werden und die Mittelstufe soll bleiben, dann ist das eigentlich nichts anderes, als das Tor für die mit mittlerem Abschluss ein Stück zugemacht. Das wollen wir nicht unbedingt.

Worum es eigentlich geht – das haben Sie jetzt nicht gesagt –, ist, Pannen zu vermeiden. Mit Panne meine ich das, was mit dem Matheabitur passiert ist. Das soll in Zukunft vermieden werden. Das ist höchst ärgerlich – ich will gar nicht drum herumreden –, und zwar für die betroffenen Schüler, aber auch für die Politik. Das zu verhindern, darum geht es eigentlich.

Frau Habermann, aber die Reaktion hat auch gezeigt, dass es so schlecht um das Landesabitur gar nicht bestellt ist, sonst hätte es diese Reaktion nämlich nicht gegeben. Ob es überhaupt möglich sein wird, Pannen generell zu vermeiden, vor allem, wenn es die zentralen Elemente des Abiturs nicht gäbe und es wie früher wäre, das möchte ich sehr bezweifeln. Warum bezweifle ich das? – Wer in der Schule war, wird – dessen bin ich mir sicher – festgestellt haben, dass wir früher Pannen gehabt haben. Nur haben die nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

Wenn eine einzelne Schule betroffen ist, weil die Schule für die Durchführung des Abiturs selbst zuständig ist, passieren solche Fehler;nur den anderen interessiert es nicht. Beim Landesabitur ist das natürlich ganz anders. Da ist ganz Hessen betroffen. Ein Einzelfall an einer Schule konnte in der Summe sogar mehr Fälle als das ergeben, was wir gegenwärtig erlebt haben. Bei einer zunehmenden Zahl an Prüfungsaufgaben steigt auch das Risiko der Pannen. Das muss man auch wissen. Und das ganz auszuschließen – allein ein Tippfehler kann dazu führen –, wird auch zukünftig nicht möglich sein. So viel zu diesem Punkt.

Es geht um noch etwas ganz anderes. Man kann Stimmen vernehmen, die sagen: Weil das so gewesen ist, muss das Landesabitur abgeschafft werden. – Diesen Schritt gehen wir nicht. Das will ich deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Warum gehen wir diesen Schritt nicht? – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man muss wissen, wie das früher gewesen ist – zum Teil eine schreiende Ungerechtigkeit. Es wurden in der Weihnachtszeit Abiturfragen mit einem Erwartungshorizont erstellt. Das wurde – wenn überhaupt – beim RP geprüft, bei manchen RPs ganz hart, aber nur sektoral für gewisse Schulamtsbezirke, bei anderen nicht. Dann hat man z.B.für 50 % des Erwartungshorizonts eine ausreichende Note bekommen, in einer anderen Stadt oder einem anderen Bezirk aber für 40 %.

Da die Kollegen diesen Schlüssel auch noch in der Zwölften angewendet haben, habe ich einmal nachgerechnet, dass bei gleicher Leistung die Note – das ist vorgekommen – durchaus eine ganze Notenstufe schlechter ausfallen konnte. Daran hingen dann die Studienplatzvergaben. Warum das keine Klagen hervorgerufen hat, hat mich sehr gewundert.

Das hat mich wirklich sehr gewundert, weil ich damals einen vergleichbaren Aufschrei wie jetzt nicht gehört habe. Wir haben am Dienstag diskutiert, was alles bei dem Staatsexamen hinter dem Komma zählt. Da geht es auch um Sein oder Nichtsein, aber beim Abitur und der Studienplatzvergabe auch.

Ich kann mich genau erinnern, dass wir damals zusammen mit dem Kollegen Irmer gefragt haben. Herr Holzapfel war noch Minister. Wir wollten einmal die Abiturdurchschnittsnoten haben. Er hat die gehabt. Er hat uns die im Ausschuss nicht vorgelegt. Warum wohl? Die Frage können Sie sich selbst beantworten.Weil er genau wusste, was da an Ungerechtigkeiten herausgekommen wäre.

Ich will noch eines erwähnen. Das Wort „Leistung“ wird auch mit dem Zentralabitur oder dem Landesabitur verknüpft. Bei Ihnen haben manche zu schlucken, wenn sie überhaupt das Wort „Leistung“ hören. Das ist zu einem Unwort und totgetrampelt worden. Wir haben diese Schwierigkeiten nicht. Ein bisschen Vergleichbarkeit mit Leistung gleichzusetzen – darüber kann man geteilter Meinung sein.Aber ich bin mir sicher, dass in der Öffentlichkeit der Anspruch, das Abitur zu machen, sehr wohl mit einem solchen Begriff verbunden wird.

Deswegen kann ich Ihnen sagen: Eine Abschaffung des Landesabiturs wird es – Anhörung hin oder her,da mögen Sie recht haben – mit uns jedenfalls nicht geben.