Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Das Rentensystem muss aber auch den gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen. So müssen sich nach Auffassung der FDP die Auf- und Abschläge an der Zahl der Beitrittsjahre orientieren, nicht aber an einem starren Renteneintrittsalter. Das ist entscheidend.

Das sind die Fragen,die im Zusammenhang mit der Rente anstehen. Das „Alles ist in Ordnung“-Gerede, mit dem uns die SPD hier kommt, hilft nicht weiter. Seit 1998 haben sich die Arbeitsminister in der Rentenpolitik an eine einzige Systematik gehalten. Das sind die ständigen Eingriffe: Symptombekämpfung anstelle einer nachhaltigen Lösung, Schönreden der Perspektiven.

Damit tun Sie den Menschen aber keinen Gefallen.Wenn Sie in der Politik Verantwortung übernehmen wollen, müssten Sie den Menschen eigentlich die Wahrheit sagen und ihnen erklären, dass sie private Altersvorsorge betreiben müssen. – Danke.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurz vor der Bundestagswahl entdeckt die SPD die Rente wieder. Im letzten Wahlkampf lautete das Versprechen – ich zitiere aus Ihrem Wahlprogramm –:

Unser Ziel ist es, das faktische Renteneintrittsalter an das gesetzliche Eintrittsalter von 65 Jahren heranzuführen.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD)

Herr Spies, daraus wurde nach der Wahl die Rente mit 67 Jahren. Diesmal verspricht die SPD, dass die Renten nicht gekürzt werden, und es gibt, nach jahrelangen Nullrunden, noch vor der Wahl eine Rentenerhöhung. Allerdings ist das in der SPD nicht unumstritten, was die Einhaltung des Versprechens nicht wahrscheinlicher macht.

Thilo Sarrazin, der immerhin bis vor zwei Wochen SPDFinanzsenator war,

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In welcher Koalition eigentlich, Frau Kollegin? Wer hat denn den Herrn Sarrazin gewählt? – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): DIE LINKE hat ihn gewählt!)

äußerte im „Stern“, die Deutschen müssten sich auf sinkende Renten einstellen. Langfristig müssten die Renten – ich zitiere – „auf das Niveau einer Grundsicherung sinken“. Die bevorstehenden Rentenerhöhungen im Juli beurteilt er als eine „völlig unsinnige Maßnahme“. Dadurch würden die Altersbezüge übermäßig erhöht. Das sagt ein Mann, der als Senator 46 Nebentätigkeiten ausübte.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Gewählt von der Linkspartei!)

Heute beklatschen Sie eine Rentenpolitik, die für die Menschen größere finanzielle Belastungen und ein höheres Risiko der Altersarmut bedeutet. Weder in den Gewerkschaften noch im Rest der Bevölkerung hat sich die Zustimmung zu Ihren Rentenkürzungen der vergangenen Jahre erhöht. Gerade in der Finanzkrise zeigt sich, es ist

eben irrsinnig, dass die Menschen ihre Vorsorge für das Alter an den internationalen Finanzmärkten treffen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viele Riester-Sparer, viele Rentner und viele Kleinanleger haben im Zuge des Zusammenbruchs des Finanzsystems ihre Ersparnisse verloren.

Die Teilprivatisierung der Rente verstärkt das Risiko der Altersarmut. Der DGB und die Wohlfahrtsverbände sind dieser Meinung. Die Deutsche Rentenversicherung hat vorgerechnet, dass das Riestern der Mehrzahl der heutigen Sparer nichts einbringen wird. Herr Spies, ich freue mich sehr, dass die hessische SPD – offensichtlich in Opposition zur Bundes-SPD – das genauso sieht.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands wird das Durchschnittsrentenniveau im Jahr 2022 unter das Niveau der Grundsicherung fallen. Anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und sinkende Löhne führen bei immer mehr Erwerbstätigen zu wachsenden Lücken in ihrer Erwerbsbiografie und zu fehlenden Beitragszeiten.

(Unruhe)

Frau Kollegin Wissler, entschuldigen Sie bitte kurz. – Ich darf Sie bitten,sich im Saal etwas ruhiger zu verhalten und Ihre Gespräche einzustellen. Das ist gerade sehr störend für die Rednerin.Vielen Dank.

Die Rednerin hat das Wort.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das können wir in der nächsten Runde besprechen, Frau Wissler!)

Die Versicherten sollen diese Kürzungen bei den gesetzlichen Renten durch mehr private Vorsorge, also durch das Riestern, ausgleichen. Aber ich frage Sie: Was ist mit den Erwerbslosen? Was ist mit den Geringverdienern? Wie sollen die das denn machen?

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es droht eine massenhafte Wiederkehr der Altersarmut. Hartz IV verschärft das noch; denn durch Hartz IV werden die Menschen gezwungen – völliger Irrsinn –,ihre private Altersvorsorge aufzulösen, bevor sie einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen können.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Was schlagen Sie denn konkret vor?)

Sie begründen das immer mit der demografischen Entwicklung. Die sagt aber über die finanzielle Tragfähigkeit der Sozialversicherung gar nichts aus. Die Beiträge werden nämlich nicht nach der Zahl der Köpfe erhoben, sondern auf der Grundlage sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.Arbeitsproduktivität,Beschäftigungsstand und Lohnentwicklung sind die maßgeblichen Faktoren.

Im Jahr 1800 ernährten drei Bauern einen Städter. – Schade, dass Herr Heidel nicht anwesend ist. – Heute ernährt ein Bauer mindestens 70 Menschen. Das hat etwas mit der steigenden Produktivität zu tun. Deutschland hat

eine der höchsten Produktivitätsraten. Die Produktivität steigt weiter, sogar schneller als Löhne und Gehälter. Es werden also immer weniger Menschen gebraucht, um immer mehr Güter herzustellen, und deshalb muss es möglich sein, die wöchentliche und die Lebensarbeitszeit zu verringern und gleichzeitig den Lebensstandard zu halten.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei 4 Millionen Arbeitslosen, hoher Jugendarbeitslosigkeit und angesichts der Tatsache, dass viele Menschen über 50 Jahre leider kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, erhöhen Sie das Renteneintrittsalter. Was für ein Irrsinn. Die Rente mit 67 Jahren stellt eine weitere Rentenkürzung dar. Ein Arbeitnehmer, der mit 63 Jahren nicht mehr arbeiten kann und in Rente geht, muss heute einen Abschlag in Höhe von 7,2 % hinnehmen. Künftig müsste er einen Rentenabschlag von 14,4 % hinnehmen.

Ihr Ziel ist es offensichtlich, die gesetzliche Rente so weit zu kürzen, dass die Menschen gezwungen sind, privat vorzusorgen.Sie machen eine Politik zugunsten der Versicherungskonzerne und der Unternehmer.

(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo ist der Vorschlag der LINKEN?)

Jetzt loben Sie einen Generationenvertrag, den Ihre Bundesregierung nach Kräften zermürbt hat.Wer ein Leben lang gearbeitet hat, muss im Alter in Würde leben können. Deshalb müssen die Renten wieder steigen.

Eine gesetzliche Rente könnte funktionieren. Wir brauchen endlich wieder eine Reallohnsteigerung und damit höhere Beiträge.Wir brauchen eine gesetzliche Rente, die sich auf alle Erwerbstätigen erstreckt, auch auf die Selbstständigen, auf die Beamten sowie auf die Politikerinnen und Politiker; denn wir sind nicht von dem betroffen, was hier beschlossen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Wissler, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz. – Auf diese Weise würde mehr Geld in die Rentenversicherung eingezahlt werden. Das könnte gerechter verteilt werden,damit kein Mensch im Alter gezwungen ist, von weniger als 800 c im Monat zu leben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Banzer das Wort.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Woher kommt das Geld, das ihr verteilen wollt? Auch von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In einer sehr unübersichtlichen wirtschaftlichen Situation ist es ein wahrer Segen, dass die Sozialversicherungssysteme halten. Das ist nicht selbstverständlich. Es ist aber ein Grund, froh zu sein.

Ich glaube, es ist richtig, das den Menschen gerade in solchen Zusammenhängen deutlich zu machen: den 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern,die wissen,dass sie von der Rente abhängig sind. Sie wissen, dass sie nicht noch einmal anfangen können. Sie wissen, dass sie an ihren Bezügen nichts ändern können, indem sie noch einmal ins Arbeitsleben einsteigen. Sie wissen, das ist ihr genau definierter Anspruch auf finanzielle Unterstützung für den Rest ihres Lebens.

Das macht sie in einer gewissen Weise von unseren Entscheidungen abhängig. Es macht sie auch hilfloser als andere Teile der Bevölkerung. Deswegen glaube ich, dass man über dieses Thema sehr verantwortlich diskutieren und sich genau überlegen muss, wie man sich dazu einlässt.

Ich glaube, dass wir in Deutschland Grund haben, auf unsere Sozialversicherungssysteme stolz zu sein und darauf, dass wir mit ihnen solch schwierige Herausforderungen bewältigen können.

Aber wir müssen einsehen, dass ein Generationenvertrag dann angepasst werden muss, wenn sich das generative Verhalten ändert. Man kann diesen Teil der gesellschaftlichen Entwicklung nicht einfach als unveränderlich voraussetzen. Wir können nicht einfach verlangen, dass das System unter diesen Umständen – ceteris paribus, wie die Wirtschaftswissenschaftler sagen – stabilisiert wird.

Deswegen müssen immer wieder an der richtigen Stelle behutsame Anpassungen erfolgen. Denn jede Anpassung, die die Leistung betrifft, wird nicht von jenen gezahlt, denen diese Leistung zugutekommt, sondern von der jetzt arbeitenden Generation. Deswegen werden bei jeder Änderung der Rentenversicherung immer sofort die Fragen gestellt: Ist das gerecht? Werden die Betroffenen – das sind die Zahler, die später auch einmal Leistungsempfänger sein werden– und die jetzigen Leistungsempfänger gleich behandelt, gleich belastet und gleich unterstützt?

Herr Minister, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie kurz unterbreche. – Es ist nach wie vor eine ziemliche Unruhe im Saal. Ich darf Sie bitten, dem Redner Aufmerksamkeit zu schenken und die Gespräche einzustellen. Herzlichen Dank.

Deswegen werbe ich dafür, dieses Thema im Bundestagswahlkampf nicht zu einer der großen politischen Auseinandersetzungen zu machen. Eine Rentenerhöhung hat es in jedem Jahr gegeben,in dem es sich rechnerisch als möglich erwiesen hat. Diese Rentenerhöhung als wahlkampforientiert zu diffamieren, sorgt auch wieder für Verunsicherung.