Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und bei Ab- geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Ministerin Eva Kühne-Hörmann)

Ich finde, dass Sie die Probleme konsequent wegreden. Das haben Sie im Ausschuss gemacht, und das tun Sie jetzt auch hier. Sie sollten in dieser Situation nicht beschwichtigen, sondern Sie sollten die Situation ernst nehmen, entsprechend handeln und bedarfsgemäß Studierendenwohnheimplätze schaffen. Das ist Ihre Aufgabe als Ministerin, und nicht, hier etwas von blühenden Landschaften zu erzählen, die es an der Stelle überhaupt nicht gibt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Wir sind am Ende der Debatte.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Sie können gerne noch etwas dazu sagen, Frau Ministerin!)

Frau Kollegin Wissler, wir sind am Ende der Debatte. Ich bitte, das zu akzeptieren. Sonst bekommen Sie mit mir Krach. Das würde ich Ihnen nicht raten.

Es wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Ausschuss für Wissenschaft und Kunst, federführend, und an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, mitberatend, zu überweisen. – Kollege Wagner, bitte.

Herr Präsident! Das war der Vorschlag der Kollegen der FDP. Wir haben hier im Landtag den Brauch, dass das Ministerium, das zu einem Antrag Stellung nimmt, das federführende Ministerium ist. Deshalb müsste auch der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst federführend sein.

(Jürgen Lenders (FDP): Das hat er doch gesagt!)

Herr Kollege Wagner, ich habe gesagt: Der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst ist federführend.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Okay! – Minister Jörg-Uwe Hahn: Manchmal sollte man zuhören! – Gegenrufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es kann einmal passieren, dass wir uns falsch verstehen. Jetzt verstehen wir uns ja wieder, Kollege Wagner.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, würden Sie mir bitte zuhören? Alle Scharmützel bitte später.

Der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst ist federführend, der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr ist mitberatend. Sind wir uns einig? – Dann wird so überwiesen.

Ich unterbreche die Sitzung bis 14:15 Uhr.

(Unterbrechung von 13:12 bis 14:18 Uhr)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 50 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend der „Dritte Weg“ dient zur Lohnabsenkung – gemeinsame tarifliche Standards für den sozialen Bereich – Drucks. 18/6379 –

Das ist der Setzpunkt der Fraktion DIE LINKE. Vereinbarte Redezeit: zehn Minuten je Fraktion. Als erster Redner hat sich Herr Schaus für die Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

(Minister Stefan Grüttner: Sie ziehen den Antrag zu- rück!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! – Mitnichten ziehen wir den Antrag zurück, Herr Minister, und ich werde Ihnen gleich darlegen, warum nicht.

Zum Jahresende sollen die derzeit noch selbstständigen Diakonischen Werke Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck zusammengeschlossen werden. Durch diese Fusion wird der wohl größte Wohlfahrtsverband des Landes mit mehr als 30.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 1,6 Milliarden € entstehen.

Synergien sollen genutzt werden, um den Verband noch erfolgreicher zu machen. Dabei sollen sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Rechte der Mitarbeitervertretungen verschlechtert werden. Die Gewerkschaft ver.di und die Mitarbeitervertreter haben sich deshalb an uns gewandt und um Unterstützung gebeten.

In den vergangenen Wochen haben sich bereits die Beschäftigten in über 50 diakonischen Betrieben in Hessen und Nassau in Urabstimmungen mit großen Mehrheiten für Tarifverträge und gegen den sogenannten „Dritten Weg“ ausgesprochen. Das aktuelle Zwischenergebnis ist eindeutig. 96 % der Beschäftigten sprechen sich für den Abschluss von Tarifverträgen aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Verdeutlichung, was der „Dritte Weg“ ist, was hieran problematisch ist und wie er sich im Sozialbereich auswirkt: Der „Dritte Weg“ ist ein eigenes kirchliches Ar

beitsrecht, das in seiner jetzigen Form seit den Fünfzigerjahren existiert. Die Kirchen berufen sich hier auf einen Verfassungsgrundsatz, der den Kirchen ein Selbstorganisationsrecht einräumt. Die Kirchen nutzen dies aber nicht nur, um ihre innere Organisation durchzuführen, sondern sie haben für ihre bundesweit 1,3 Millionen Beschäftigten ein eigenes Arbeitsrecht etabliert, das schlechter ist als das für sonstige Beschäftigte: schlechtere Bezahlung, kaum Mitbestimmungsrechte, und den Angestellten wird sogar das Streikrecht vorenthalten. Dabei handelt es sich aber ebenfalls um Verfassungsgrundsätze, die jedem Menschen zustehen. In anderen Ländern gelten für die Angestellten der Kirche die Arbeitnehmerrechte in vollem Umfang.

Dabei gibt es viele Unterschiede, sowohl zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche als auch innerhalb der Kirchengliederung. Es geht aber um mehr als nur um die Beschäftigten, denn geringere Lohnkosten und Mitbestimmungsrechte bei einem Teil der Kirchen wirken als Preisdrücker für alle Einrichtungen im Sozialbereich. Die durch den „Dritten Weg“ erzeugten Dumpinglöhne sind ein Wettbewerbsvorteil der kirchlichen Unternehmen in einem heftig umkämpften Markt – zulasten aller.

Die ver.di-Gewerkschaftssekretärin Saskia Heyer sagte auf einer Pressekonferenz am Montag im Landtag, damit ziehe die Diakonie „die gesamte Sozialbranche im Lohngefüge nach unten“.

Durch die bevorstehende Fusion der Diakonischen Werke in Hessen ist mit weiteren Verschlechterungen für die Beschäftigten zu rechnen. Denen, die jetzt sagen, all das falle unter die Tarifautonomie, das gehe uns gar nichts an, will ich gleich entgegnen, dass es um weit mehr geht, denn durch diesen Zusammenschluss erhält die Diakonie Hessen alleine schon aufgrund ihrer Größe eine zentrale, quasi marktbeherrschende Stellung im sozialen Bereich. Dabei geht es mir nicht nur um die Beschäftigten, sondern gerade auch um die Qualität der Leistungen, z. B. in Altenheimen, Kindertagesstätten und Sozialberatungsstellen. Das geht uns als Landtag sehr wohl etwas an.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn wenn die tarifgebundenen Anbieter der gleichen Leistungen, wie die Caritas, der öffentliche Dienst, die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz und auch Private, durch die Diakonie unterboten werden, müssen sie ihre Leistungen und Angebote reduzieren, um mithalten zu können.

Mit der Einführung der KDAVO, der Kirchlich-Diakonischen Arbeitsvertragsordnung, im Jahre 2005 leitete das Diakonische Werk Hessen-Nassau bereits eine bewusste Abwendung vom öffentlichen Dienst ein und liegt seitdem kontinuierlich 10 % unter dem Gehaltsniveau der Caritas, der Arbeiterwohlfahrt, des Roten Kreuzes und des öffentlichen Dienstes. Seit dieser Zeit sitzen beim sogenannten „Dritten Weg“ – im Gegensatz zu den üblichen Tarifverhandlungen – ausschließlich Beschäftigte ihren eigenen Arbeitgebern in einer sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommission gegenüber. Die Zusammensetzung bestimmt allein der Arbeitgeber. Freie und gleichberechtigte Tarifverhandlungen werden hierdurch ausgeschlossen.

Die „Unternehmensdiakonie“, wie sich der diakonische Arbeitgeberverband – man höre und staune – selbst nennt, nutzt die rechtliche Sonderstellung der Kirchen bewusst aus, um durch scheindemokratische Strukturen Löhne und Gehälter zu drücken. Auch vor Leiharbeit und 1-€-Jobs

wurde nicht haltgemacht. Wohlgemerkt: Ich spreche von diakonischen Unternehmen, die, wie der in Frankfurt ansässige Konzern AGAPLESION mit bundesweit 17.000 Beschäftigten, auf dem Markt agieren. Es geht also nicht um die Gemeindeämter, die Kirchengemeinden und die Kirchenverwaltungen.

Das am Dienstag verkündete Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist ein Meilenstein für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der kirchlich Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. Die Klagen, die übrigens aus den Reihen genau dieser „Unternehmensdiakonie“ eingereicht wurden und zum Ziel hatten, das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen zu bestätigen, wurden klar zurückgewiesen. Damit wurde eindeutig klargestellt, dass die Grundrechte nach Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, nämlich die Koalitionsfreiheit, nun auch in allen kirchlichen Einrichtungen Geltung haben. Aufgrund des besonderen Status der Kirchen nach Art. 140 des Grundgesetzes ist das BAG sogar so weit gegangen, den Kirchen eine Art Einlassungsverpflichtung auf Verhandlungen mit den Gewerkschaften aufzuerlegen.

Sicherlich muss die genaue Urteilsbegründung abgewartet werden. Aber eines ist jetzt schon klar: Dieses Urteil gilt für alle christlichen Kirchen gleichermaßen und schließt damit auch die Bereiche der verfassten Kirche, also die unmittelbar bei der kirchlichen Verwaltung Beschäftigten, in vollem Umfang ein. Auf jeden Fall aber sichert es den Gewerkschaften einen maßgeblichen Einfluss bei der Regelung der Arbeitsbedingungen zu. Ein „Weiter so“ mit ein bisschen gewerkschaftlicher Beteiligung an den sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen kann es deshalb nicht geben, auch wenn Vertreter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau dies gestern in ihren ersten Reaktionen auf das Urteil so behaupteten.

Für die Landesregierung ist dies jetzt die passende Gelegenheit, um bei den Kirchen für einen gemeinsamen Branchentarifvertrag für den gesamten sozialen Bereich zu werben. Ein einheitliches Tarifsystem im gesamten Bereich der sozialen Dienste würde wesentlich zur Stabilisierung gerade der lange etablierten Träger beitragen, die sich bisher an den Tarifbedingungen des öffentlichen Dienstes orientierten. Hierdurch könnte der Kostenkonkurrenz wirksam entgegengewirkt werden.

Außerdem würde eine Vereinheitlichung der Tarifverträge für mehr Transparenz und Gerechtigkeit zwischen den bei unterschiedlichen Trägern Beschäftigten sorgen. Der Wettbewerb müsste dann vor allen Dingen über die Qualität der Dienstleistungen ausgetragen werden, und dies kommt sowohl den Patientinnen und Patienten als auch den Nutzern sozialer Dienstleistungen zugute.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht also in unserem Antrag um die Schaffung einheitlicher sozialer Standards. Solche einheitlichen Standards sollten seitens der Landesregierung in alle Verhandlungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Träger sozialer Dienstleistungen einbezogen werden. Sie kämen Vergabekriterien gleich, über die wir derzeit auch im Zusammenhang mit dem Vergabegesetz diskutieren.

Einheitliche Standards für den sozialen Bereich sind nur mit den Kirchen möglich. Wenn sie dies mittragen, könnten entsprechende Tarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden und damit Geltung für alle Träger entfalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die Landesregierung dies sowohl bei den Kirchen als auch bei den sozialen Trägern anspricht, stellt keine Verletzung der Tarifautonomie dar, sondern liegt ausschließlich im öffentlichen Interesse an der langfristigen qualitativen Sicherung dieser Dienstleistungen.

Genau jetzt, da bei den evangelischen Kirchen in Hessen die entscheidenden Weichen für einen Zusammenschluss der beiden Diakonischen Werke gestellt werden, ist der richtige Zeitpunkt, dies zu machen. Im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer dieser Einrichtungen und im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im sozialen Bereich sollte die Landesregierung aktiv werden, um zur Sicherung qualitativ hochwertiger sozialer Leistungen beizutragen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Als nächster Redner hat sich Kollege Wagner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Wagner, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn wir im Hessischen Landtag über Fragen der Kirchen und über Fragen des Glaubens reden, tun wir alle sehr gut daran, uns zu Beginn einer Debatte bewusst zu machen, dass das ein sehr sensibles Feld ist.

(Holger Bellino (CDU): Ja!)