Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

(Holger Bellino (CDU): Ja!)

Wir alle tun gut daran, gleich zu Beginn einer Debatte klarzustellen, worum es geht und worum es nicht geht; denn wenn man sich als Politiker den Fragen von Kirche und Glauben nähert, ist man immer in der Gefahr, Menschen in ihrem Glauben zu verletzen, oder es entsteht der Eindruck, man wolle die Kirche infrage stellen. Um all das geht es in dieser Debatte nicht, und darum darf es auch nicht gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wenn wir über die Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirchen und der kirchlichen Einrichtungen der Diakonie sprechen, tun wir das mit Respekt vor den Leistungen, die die Kirchen in diesem Land erbringen; mit Respekt vor den Menschen, die gläubig sind; mit Respekt vor dem, was Kirche und Diakonie zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen; und mit Respekt davor, was für ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft eben dies ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Kirchen haben in unserem Land eine besondere Stellung, auch was das Verhältnis des kirchlichen Arbeitgebers zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angeht. Herr Kollege Schaus hat darauf hingewiesen, dass das in der Verfassung so geregelt ist.

Jetzt könnte man sagen, das geht die Politik gar nichts an. Diese Auffassung teilen wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich nicht. Wer in unserer Gesellschaft be

sondere Rechte hat, dem erwächst aus diesen Rechten nämlich auch eine besondere Verantwortung im Umgang damit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ja, die Kirchen haben die Möglichkeit, das Verhältnis zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu regeln. Ich würde sagen, in Bezug auf die innere Kirchenverwaltung ist es durchaus sinnvoll, dass man erklären kann: Wir erwarten von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr und anderes als von normalen Beschäftigten. – Wenn man in einem Betrieb arbeitet, der sich mit Glaubensfragen beschäftigt, ist es nun einmal so, dass von einem verlangt wird, sich mit dem zu identifizieren, wofür diese Glaubensgemeinschaft bzw. diese Kirche steht.

Politik darf dennoch den Dialog mit Kirchen suchen, wie weit diese Vorgaben für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen, ob man das, was konstitutiv für den Glauben der Kirche ist, tatsächlich auch anwenden muss bis hin zur Sekretärin, zum Sekretär in einem Büro oder bis hin zu einer Haushaltshilfe in einem Pfarrhaus, oder ob irgendwann der Punkt erreicht ist, wo man sagt: Diese Menschen haben nicht unmittelbar etwas mit dem Glauben dieser Kirche zu tun. Also haben diese Menschen auch ein Anrecht darauf, so zu leben, wie sie es wollen, ohne hundertprozentig mit den Vorstellungen der Kirche übereinzustimmen. – Diese Debatte gehört auch dazu, Stichwort: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Hier lohnt die Debatte mit den Kirchen, ob das wirklich alles so absolut sein muss, wie das die Kirchen im Moment handhaben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Es lohnt auch, den Dialog mit den Kirchen in Respekt vor den Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich zu führen. Herr Kollege Schaus, da dürfen wir aber nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Die Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich sind teilweise nicht sehr gut. Wir haben einen riesigen Kostendruck in dem sozialen Bereich. Wir haben eine sehr merkwürdige Schieflage in unserer Gesellschaft, dass ausgerechnet die Dienstleistungen und die Tätigkeiten, die unmittelbar mit den Menschen zu tun haben, in dieser Gesellschaft nicht sehr hoch geschätzt und nicht sehr gut bezahlt werden. Herr Kollege Schaus, dafür ist die gesellschaftliche Entwicklung ursächlich. Deshalb dürfen wir hier Ursache und Wirkung nicht verwechseln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Die Diakonie bewegt sich in diesem Markt, so schwierig dieser Begriff ist, wenn es um die unmittelbare Hilfe für Menschen geht. Die Diakonie ist diesem Marktdruck und diesem Kostendruck ausgesetzt. Meine Damen und Herren, sie sollte sich aber nicht an diesem Kostendruck beteiligen. Deshalb lohnt auch hier das Gespräch mit den Kirchen, ob die Kirchen wirklich alles tun, um auf das gesellschaftliche Problem auch im Sinne der Kirche hinzuweisen. Denn wir wissen das von der Kirche und den Spitzen der Diakonie: Der Sinn ist, Menschen in Notsituationen zu helfen. Der Sinn ist auch, den Menschen, die Hilfe leisten, einen vernünftigen Arbeitsplatz zu bieten. Ich glaube, hier gibt es ein gemeinsames Interesse von Kirche, Politik und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zu besseren Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich zu kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Frage, die Politik auch stellen darf und vielleicht auch stellen muss, ist: Wie weit geht das Recht der Kirchen, sich besonders zu organisieren, und welchen Sinn macht ein Recht, sich besonders zu organisieren, in Bereichen der Diakonie, die zu 100 % fremdfinanziert sind, also wo die Kirche keine eigenen Mittel verwendet, wo die Kirche quasi ein Anbieter wie andere auch ist? – Diese Debatten lohnen: Warum gelten bei der Diakonie in Bereichen, die ihr Geld zu 100 % von woanders bekommen, andere Bedingungen als bei anderen Arbeitgebern? Ich finde, auch diese Debatte kann man in Respekt mit den Kirchen führen. Man muss es aus meiner Sicht auch tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Lo- thar Quanz (SPD) – Minister Stefan Grüttner: Ich möchte ein Beispiel für zu 100 % Finanzierte sehen, ohne Kirchen!)

Bitte? Herr Minister, da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen. Wenn Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirche reden würden, würden Sie diese Beispiele auch kennen.

Herr Staatsminister, bitte keine Zwischenrufe.

(Zurufe von der FDP: Oh! – Alexander Bauer (CDU): Nennen Sie eines! Arroganz!)

Was ist daran arrogant, wenn ich erwähne, dass es diese Beispiele gibt

(Alexander Bauer (CDU): Weil Sie kein Beispiel nennen können!)

und dass wir darüber das Gespräch suchen sollten?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die Regierung wird ganz schön nervös! – Wolfgang Greilich (FDP): Fällt Ihnen keines ein? – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich habe wirklich versucht, dem Thema angemessen und ruhig zu reden. Ich hoffe, das wird die letzten zwei Minuten vonseiten CDU und FDP auch noch gelingen.

(René Rock (FDP): Sagen Sie doch auch einmal etwas zum Thema! Sie sagen überhaupt nichts zum Thema!)

Ich sage die ganze Zeit etwas zu dem Thema. Doch, ich sage etwas zu dem Thema. Ich sage etwas zu dem Kostendruck, den wir im sozialen Bereich haben, dem wir uns gemeinsam stellen sollten. Herr Kollege Rock, dazu habe ich sehr viel gesagt.

Ich glaube, es lohnt auch das Gespräch mit den Kirchen beispielsweise über Kindertagesstätten, wo die Kirchen ein wichtiger Träger sind, wo sie einen wesentlichen Teil des Angebots an der Kinderbetreuung leisten. Auch da lohnt das Gespräch, ob es wirklich dauerhaft durchzuhalten sein wird, dass hier teilweise die Arbeitsbedingungen und die Lohnstruktur von Erzieherinnen und Erziehern deutlich von anderen Trägern in diesem Bereich abweichen, und

zwar im Interesse der Mitarbeiter wie im Interesse der Kirche. Denn irgendwann wird es die Situation geben, dass man schlicht und ergreifend in diesem Bereich nicht mehr genug Menschen findet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es lohnt sich also, nachdenklich in diesem Bereich zu sein. Es ist nicht für Klassenkampfrhetorik geeignet.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich habe noch niemanden angegriffen. – Es gehört zur Wahrheit dazu, dass auch die Gewerkschaft ver.di in diesem Bereich nicht frei von eigenen Interessen agiert. Deshalb sollten wir eine ruhige und angemessene Debatte führen, ein Gespräch mit den Kirchen, und sollten versuchen, gemeinsam mit den Kirchen etwas gegen die wirklich nicht guten und nicht hinnehmbaren Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich zu tun. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Utter von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Herr Kollege Utter, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich kann der Hessische Landtag über alles reden, und wenn das Thema auch noch Bezug zu unserem Bundesland hat, ist es besonders gut. Das ist nicht immer der Fall. Ich finde aber, dass wir uns mit dem vorliegenden Antrag der LINKEN keinen Gefallen tun.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Nicht so verklemmt!)

Finden Sie, ich bin verklemmt?

(Zurufe der Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) und Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

Danke. – Das, was der Herr Wagner von den GRÜNEN gesagt hat, ist genau richtig: in solchen Fragen einen Dialog mit den Kirchen zu führen. Aber wenn wir hier einen Antrag beraten, ihn verabschieden oder ablehnen, dann ist das eben nur ein Dialog unter uns und kein Dialog mit den Kirchen.

(Holger Bellino (CDU): So ist es!)

Die eigentliche Debatte über den „Dritten Weg“ gehört nämlich in erster Linie nicht in den Landtag, sondern in die kirchlichen Gremien. Dort wird die Debatte auch geführt, strittig geführt. So hat z. B. die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland nach einer langen und ernsthaften Debatte im November 2011 beschlossen, am „Dritten Weg“ festzuhalten.

Der aktuelle hessische Bezug ergibt sich aus der Absicht des Diakonischen Werkes Hessen-Nassau und des Diakonischen Werkes Kurhessen-Waldeck, zu fusionieren. Dieses Thema beschäftigt zurzeit die Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Dort gehört auch vieles von dem hin – Herr Kollege Wagner hat es schon angesprochen –, aber leider können heute sechs Synodale,

die diesem Landtag angehören oder für diesen Landtag arbeiten, wegen der zeitlichen Überschneidung nicht an den Beratungen in Frankfurt teilnehmen.

Doch bereits in vorigen Synodentagungen wurde über dieses Thema debattiert. Dort war auch ich anwesend. Die Frage nach den Arbeitnehmerrechten war dabei der Schwerpunkt der Diskussion, und es hat auch schon Änderungen in den Vorlagen gegeben, die jetzt der Kirchensynode vorliegen, gerade was die Arbeitnehmerrechte angeht.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Minimale Änderungen!)

Ich selbst hatte als Vorsitzender des Dekanatssynodalvorstandes des Evangelischen Dekanats Wetterau, oder kurz Präses Wetterau, mehrere Gespräche mit unserer Mitarbeitervertretung genau zu diesem Thema. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, von dem auch Sie schon gesprochen haben, vom vergangenen Dienstag bestätigt eine Position, die ich in der innerkirchlichen Debatte schon länger vertrete.

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Grundsätzlich wurde die Rechtmäßigkeit des „Dritten Weges“, des eigenständigen kirchlichen Arbeits- und Tarifrechts, bestätigt. Es wird damit anerkannt, dass sich das jahrzehntelange dialogische und geschwisterliche Konzept der besonderen Dienstgemeinschaft innerhalb der Kirche bewährt hat und dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen staatlicherseits geachtet wird.

Auf der anderen Seite wurde aber auch deutlich, dass vereinzelte Missstände in Bereichen des kirchlichen Arbeitsrechtes, zum Teil durch Lohndumping und der Ausweitung von Leiharbeit und Outsourcing hervorgerufen, genau dieses Selbstverständnis der diakonischen Gemeinschaft im Kern gefährden und somit dringend abgestellt werden müssen.