Protokoll der Sitzung vom 31.01.2013

Jetzt reden wir über die Gymnasien, die zu G 9 zurückkehren wollen und die für die Klassen 5 und 6 den Wechsel wollen, aber die ab der Klasse 5 kein G 8 mehr anbieten wollen. Die haben eine relativ einfache Möglichkeit: Sie müssen in den Schulversuch und müssen ihn beantragen. – Dann müssen sie logischerweise, wie es im Schulversuch vorgesehen ist, für eine dreijährige Zeit in der Klasse 5 noch G 8 anbieten. Dann ist ein Wechsel möglich.

Der kritische Punkt ist doch, dass im Zweifel diejenigen, die diese Petition initiiert haben, sagen, sie wollen das nicht. Sie wollen zwar für die Klassen 5 und 6, dass sie in G 9 zurückkehren, aber sie weigern sich strikt, G 8 für die Klasse 5 anzubieten. Das ist der kritische Punkt. Unterhalten Sie sich mit den Schulleitern und schauen Sie, wie die Schulkonferenzen entscheiden und die Eltern, die die Petition nicht unterschrieben haben, sich entscheiden. Im Zweifel ist es doch so, dass die Schulleitungen sagen: Dieser Schulversuch wäre eigentlich das Richtige für uns.

Unter dem Strich: Wir haben mit unserer Entscheidung im Dezember sichergestellt, dass jeder den gymnasialen Bildungsgang, den er für sich, für seine Kinder haben möchte, problemlos in jeder Region in Hessen wählen kann.

Herr Kollege Schork, Sie müssen zum Schluss kommen.

Das ist Wahlfreiheit, das ist gute Politik, und bei dieser guten Politik werden wir bleiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Schork. – Das Wort hat Frau Abg. Cárdenas, DIE LINKE.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In vier von fünf kreisfreien Städten gibt es kein G 9! Das nennt ihr Wahlfreiheit?)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben es heute mit einem ganz bemerkenswerten Vorgang zu tun, und zwar, um mit einem Kinderreim zu sprechen: im Landtag, am Landtag und um den Landtag herum. – Wir alle wissen, wovon ich spreche.

Die SPD hat eine Petition zu G 8 zum alleinigen Thema ihrer Aktuellen Stunde gemacht. Gut so, sonst hätten wir es gemacht. Wir haben den Bogen in unserer folgenden Aktuellen Stunde etwas größer gespannt, aber der Kern ist wieder die Ignoranz der Landesregierung gegenüber Anliegen der Bürgerinnen und Bürger, eine Bevormundung, als befänden wir uns noch im Mittelalter, wo eine Regierung auf Lebenszeit nach Gutdünken mit den ihr Anbefohlenen umging. Aber dahin wollen wir nicht wieder zurück, und ich bin sicher, wir gehen im kommenden Jahr auch ganz schräg in die andere Richtung.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was ist das Besondere dieser Petition, die wir mit unserer Pressekonferenz am Dienstag ganz ausdrücklich unterstützt haben, obwohl wir darüber hinausgehende Ziele haben? Da gibt es Eltern, viele Eltern an den verschiedensten Gymnasien, die sich um ihre Kinder sorgen. Sie stellen eine Petition auf und sammeln dafür in kürzester Zeit über 20.000 Unterschriften. Sie haben sich bewusst reduziert auf eine bescheidene Forderung und argumentieren inhaltlich: Ihr ermöglicht doch schon in eurem Schulversuch, eurem Y-Modell, was wir nun lediglich auch für unsere Kinder fordern. Wir fordern Gleichbehandlung, das gleiche Recht für unsere Kinder, die gerade in den 5. und 6. Klassen an Gymnasien unterrichtet werden, die sich von G 8 abgewandt haben. Alles andere käme einer Bestrafung gleich. Zugleich anerkennen wir das Recht auf Bestandsschutz der Eltern, die weiter G 8 wollen, sagen sie.

Meine Damen und Herren, das ist bemerkenswert. Diese Initiative sagt: Es geht uns nicht um die politische Forderung: „G 8 muss weg“, es geht uns um unsere Kinder, darum, wie sie ihre Jugend durchlaufen können. G 8 wäre vermutlich durchaus zu schaffen für unsere Kinder. Aber wie würden sie das schaffen?

Die Eltern fürchten eine Umkehr des Subjekts. Nicht mehr das Kind schafft G 8, sondern G 8 schafft die Kinder.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das nimmt ihnen ihre Jugend, und das wollen sie nicht. – Genau deshalb unterstützen wir als LINKE diese Eltern. Jedes Kind, das G 8 durchlaufen muss, ist ein Kind zu viel.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir kämpfen darum, dass jedes Kind zu G 9 zurückkehren kann. Wir kämpfen aber auch dafür, dass G 8 keinem Kind mehr zugemutet werden muss.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich hörte kürzlich auf einer Demo:

Wir sind hier, wir sind laut, weil G 8 uns die Jugend klaut!

Recht haben sie.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Uiuiuiuiui!)

Ganz wichtig für uns ist: G 8 vertieft die vorhandene Spaltung in unserer Gesellschaft

(Unruhe bei der CDU)

hören Sie doch bitte einmal zu, Herr Bellino –, indem es bildungsnahen Familien einen klaren Vorsprung gibt. Aus so einer Familie komme ich und kommen vermutlich die meisten von uns, was einen bestimmten Blick auf die sogenannte Volksnähe unseres Parlamentes wirft. In solchen Familien werden akademische Bildungsabschlüsse quasi vererbt. Dort wird der sogenannte elaborierte Code gesprochen, der untrennbar mit dem gymnasialen Habitus verbunden ist, der es einfacher macht, im Gymnasium zu überleben. Das wissen wir, dazu gibt es Studien. Das sind Familien, die sich auch die teure Nachhilfe leisten können, falls der Sprössling doch einmal strauchelt und die Erwartungen über längere Zeit nicht erfüllt.

Diese Petition und die breite Diskussion, die dadurch wieder angestoßen worden ist, belehren diejenigen eines Besseren, die immer wieder mehr oder weniger offen gesagt haben: Gegen G 8 wehren sich nur die, die zu dumm dafür sind. – Über Jahre waren Eltern, die ihr Kind wegen G 8 auf eine Gesamtschule mit G 9 schickten, unterschwelligen, selten laut ausgesprochenen Vermutungen ausgesetzt, ihr Kind sei zu dumm oder zu faul, die Eltern zu bildungsfern, um ihre Kinder bei den Hausaufgaben zu unterstützen, zu egoistisch und karrieregeil, um den Kindern ausreichend Zeit widmen zu wollen, zu arm, um Nachhilfe einkaufen zu können.

Jetzt treten Eltern ganz offen auf und sagen: Wir sind verantwortlich für das Wohl und die Entwicklung unserer Kinder. Deshalb wollen wir G 9 für unsere Kinder, auch für die in den jetzigen 5. und 6. Klassen, hier und jetzt.

Als ich gestern noch mit verschiedenen Abgeordneten der CDU- und der FDP-Fraktion über die Petition sprach, zeigten einige durchaus Verständnis für die Forderung. Aber sie sagten: Erstens verlieren wir das Gesicht, wenn wir noch weiter zurückweichen. Zweitens ist uns das einfach zu teuer, das können wir uns nicht leisten. – Eben ging es in die gleiche Richtung.

Ich hoffe, dass die Petition dennoch Erfolg hat und dass die Landesregierung sich noch etwas bewegt; denn die Hoffnung stirbt zuletzt.

Diese Petition sollte auch diejenigen eines Besseren belehren, die gedacht haben: Indem wir die öffentliche Übergabe von Petitionen im Landtag durch den Landtagspräsidenten oder einen von ihm bestimmten Vertreter untersagen, haben wir diese unliebsamen Themen, die die Petenten vorbringen wollen, nicht mehr so nahe bei uns.

Meine Damen und Herren, die Rechnung geht nicht auf. Wohlgemerkt: Ich spreche als Obfrau und Abgeordnete und nicht als Ausschussvorsitzende. Ich bin sicher, wir werden uns als Parlament zunehmend den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger stellen und direkt mit ihnen ins Gespräch kommen müssen, und zwar hier im Landtag,

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

und nicht nur das Gespräch suchen mit ausgewählten Repräsentanten des Volkes in Parteiversammlungen in Hinterzimmern.

(Günter Schork (CDU): Ist das bei Ihnen so? – Norbert Kartmann (CDU): Das sind doch die gleichen Personen!)

In diesem Sinne freue ich mich zum einen, dass die Petentinnen und Petenten sich nicht abschrecken lassen, Herr Schork.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ein letzter Satz. – Ich hoffe auch darauf, dass sich das Parlament endlich zu einer würdigen Behandlung von Petitionen entschließt, Onlinepetitionen zulässt und ein Verfahren für öffentliche Übergaben im Landtag findet, das das En

gagement der Petenten würdigt, und sich als bürgernahes Parlament präsentiert. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Kartmann (CDU): Nach Gutsherrenart!)

Vielen Dank. – Das Wort hat die Frau Staatsministerin Beer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir als Hessische Landesregierung und gerade ich persönlich begrüßen jede Form von Elternengagement, weil es wichtig ist, dass Eltern sich für ihre Kinder einsetzen und konstruktiv mit den Schulen und den dortigen Lehrkräften für das Wohl ihrer Kinder zusammenarbeiten. Von daher ist es gut, egal in welcher Form sich Eltern engagieren, ob über Petitionen – online oder schriftlich – oder in anderer Art und Weise.

Meine Damen und Herren, richtig ist aber auch, dass wir als Hessische Landesregierung – und ich meine, auch der Hessische Landtag – das Wohl aller Kinder in unseren Schulen im Auge haben müssen. Es sind dann eben nicht nur 22.000, sondern 850.000, die in unsere Schulen gehen.

(Beifall bei der CDU)

Und das bedeutet für mich, dass es bei allem respektvollen und zu respektierenden Engagement von Eltern auch gilt, dass nicht der spezifische Wille einer Gruppe alle anderen dominieren darf.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es darf auch nicht der Eindruck erweckt werden, als ob man über Mausklicks einen außerparlamentarischen Alleinvertretungsanspruch erwerben würde. Frau Habermann, Herr Wagner, ich kann ja verstehen, dass Sie hier heute ein Problem haben. Sie haben – ausgehend von einem Matschhosenhersteller, der genau 216 Bürgerinnen und Bürger aus Hessen befragt hat – versucht, einen Popanz aufzubauen, indem Sie behauptet haben, 90 % aller Eltern wollten flächendeckend zurück zu G 9.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich nie behauptet, aber macht ja nichts!)

Heute wissen wir, dass Eltern wesentlich differenzierter entscheiden, dass sie in ihren Schulgemeinden zusammen mit den Lehrerinnen und Lehrern, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern wesentlich differenziertere Diskussionen führen und dass rund ein Drittel der hessischen Gymnasien jetzt den Weg zum nächsten Schuljahr zurück zu G 9 gewählt hat – also schon einmal eine ganz andere Dimension, meine Damen und Herren.

(Heike Habermann (SPD): Die Schulen und nicht die Eltern!)

Herr Wagner, wir geben in Hessen ganz explizit diese Wahlfreiheit. Wir wollen auch diese Wahlfreiheit, während in anderen Bundesländern, z. B. im grün-rot regierten Baden-Württemberg, diese Wahlfreiheit nicht besteht.