Protokoll der Sitzung vom 28.02.2013

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Sehr richtig!)

Aber wenn das alles im Einzelfall nichts nützt, dann muss das Instrument der Nichtversetzung auch als pädagogische Einzelfallmaßnahme erhalten bleiben, und zwar nicht als Sanktion, sondern als eine Chance, in einer neuen Klasse, in einer neuen Umgebung, mit neuen Lehrkräften – das kann auch einmal entscheidend sein – einen neuen Anfang zu machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das kann z. B. für jemanden, der lange gefehlt hat, bedeuten, dass er einfach versäumten Stoff in Ruhe nachholen kann.

In der Tat, wir dürfen Nichtversetzung nicht als traumatisierendes Stigma verstehen – ich vertrete das auch überall –, sondern als Chance zu einem erfolgreichen Neustart. Gerade die erfolgreichen Biografien von vielen sogenannten Sitzenbleibern – da gibt es eine lange Liste, die man zusammenstellen könnte – zeigen, dass es da keinen zwangsläufigen Zusammenhang gibt.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sollen jetzt mehr Leute sitzen bleiben?)

Schließlich, meine Damen und Herren: Was wäre denn die Alternative? Die Schülerinnen und Schüler durchversetzen, am Ende mit der Garantie auf ein Abschlusszeugnis, unabhängig von den Leistungen? Was machen wir denn z. B. mit einem notorischen Schulschwänzer, schieben wir da das Zeugnis unter der Tür durch?

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Da muss man schon vorher etwas machen!)

Wie soll ein Kind lernen, dass es eben nicht immer automatisch weitergeschoben wird, egal ob es etwas kann, etwas tut, sich anstrengt oder eben nicht?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Wollen wir alle Frustrationserlebnisse, die das Leben nun einmal bereithält, auf die Phase der Berufsausbildung oder, noch schlimmer, der Berufsausübung, auf später verschieben?

(Judith Lannert (CDU): Und dann erleiden sie Schiffbruch!)

Das wäre keine gute Idee. Schule soll ein Schutzraum sein, ja. Aber wenn man sie von allem löst, was draußen in der Welt vor sich geht, dann erweist man unseren Kindern einen Bärendienst.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich habe im „Tagesspiegel“ am letzten Sonntag eine schöne Kolumne gelesen; die will ich Ihnen zum Abschluss nicht vorenthalten:

Hans Magnus Enzensberger

er hat nicht die Kolumne geschrieben, das war Harald Martenstein; aber er wird zitiert –

hat in der vergangenen Woche in der „FAZ“ eine endgültige Lösung für die Probleme der deutschen Bildungspolitik vorgeschlagen: Jedem Staatsbürger wird an seinem 18. Geburtstag automatisch der Doktortitel in einer Disziplin seiner Wahl verliehen.

Der Journalist des „Tagesspiegels“, der das zitiert hat, fügt noch etwas hinzu. Jetzt kommt der eigentliche Clou. Meine Damen und Herren, hören Sie doch einmal zu. Das war nur der Aufhänger für die Kolumne. Er setzt fort – und Ihre Reaktion zeigt mir, dass das völlig richtig ist –:

Ich weiß, dass die Bildungspolitiker es nicht merken, deshalb erwähne ich ausdrücklich, dass es sich um einen satirischen Vorschlag handelt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind zwar auch Bildungspolitiker, aber wir haben das gemerkt, und deswegen werden wir uns auch nicht an diesem Unsinn beteiligen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Prof. Lorz. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Das heißt, die Aktuelle Stunde der CDU betreffend Leistung belohnen – Defizite beheben, Drucks. 18/7040, ist damit abgehalten worden, und wir treten hiermit in die Mittagspause ein. Wir sehen uns wieder um 14:50 Uhr.

(Unterbrechung von 13:50 bis 14:51 Uhr)

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung.

Eingegangen und an Sie verteilt ist zu Tagesordnungspunkt 44, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Handeln im Interesse von Hessen – Klage gegen den Länderfinanzausgleich ist der richtige Weg zu mehr Gerechtigkeit, Drucks. 18/7017, ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 18/7076.

(Günter Rudolph (SPD): Was machen wir damit, Herr Präsident?)

Das ist ein Änderungsantrag, Herr Kollege. Zu Tagesordnungspunkt 44.

Ferner eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Ordnungsrahmen der europäischen Wasserversorgung transparent und rechtssicher gestalten – Interessen der Verbraucher und Kommunen schützen, Drucks. 18/7077. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 70 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 54 aufgerufen werden.

Gleichzeitig hat die SPD-Fraktion ihren Antrag zum gleichen Thema, der unter Tagesordnungspunkt 34 steht, zurückgezogen.

Außerdem eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Konsequenzen aus Skandal um als Rindfleisch deklariertes Pferdefleisch, Drucks. 18/7078. Wir die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 71 und kann, wenn nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 36 aufgerufen werden.

Weiterhin eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Verhalten von Rot-Rot-Grün im Bundesrat schadet Hessen – „Scheinheilige“ Argumentation zulasten der Bürgerinnen und Bürger, Drucks. 18/ 7079. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 72, und die Redezeit beträgt fünf Minuten pro Fraktion.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 56 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Entwurf zum Hessischen Kinderförderungsgesetz zurücknehmen – Drucks. 18/7043 –

Zehn Minuten Redezeit. Zu Wort gemeldet hat sich Frau Schott. Bitte schön, Frau Schott.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Dass die Regierung das Volk vertrete, ist eine Fiktion, eine Lüge“, schreibt Leo Tolstoi in seinen Tagebüchern, 1898. Ich habe den Eindruck, diese Regierung ist ganz häufig damit beschäftigt, nachzuweisen, dass Tolstoi recht hat.

(Zuruf von der CDU: Jetzt aber vorsichtig!)

Wir haben uns lange überlegt, ob wir diesen Antrag, dass der Gesetzentwurf zurückzuziehen sei, tatsächlich vor der Anhörung einbringen sollten; denn wir sind der Meinung, jedes Gesetz, egal, wie schlecht es ist, verdient eine Anhörung.

Aber schon seit Längerem liegen uns die Anhörungsunterlagen vor, und wir erleben den Protest im ganzen Land, sozusagen tagtäglich: Wiesbaden, Hanau, Berkatal, Eschwege, Wetzlar, Kassel, Gießen, Treysa, Darmstadt, um nur einige der Städte zu nennen, in denen es Veranstaltungen, Kundgebungen oder Demonstrationen gegeben hat. Wettwickeln für Politiker ist eine der Veranstaltungen, zu denen noch eingeladen wird. Sie sind alle aufgefordert, einmal auszuprobieren, wie das funktionieren kann. Es gibt ein Elternbündnis gegen das KiföG bei Facebook. Es gab einen landesweiten stillen Protest auf allen Dorf- und Marktplätzen gegen das geplante Kinderförderungsgesetz. Ich wüsste nicht, wann die Bevölkerung – egal, ob im städtischen oder ländlichen Bereich – mehr auf den Barrikaden war als in diesem Fall. Und das mit Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dafür braucht es nicht die Opposition, um – so, wie Sie es darzustellen versuchen – die Bevölkerung aufzuhetzen, sondern im Gegenteil ist es so, dass wir Einladungen bekommen, denen wir gar nicht mehr nachkommen können und – an die FDP gerichtet – zum Teil wohl auch gar nicht nachkommen wollen. Ich erlebe ganz viele Orte, wo schlicht niemand von der FDP vertreten ist, um sich den Protest der Menschen anzuhören.

Der Minister hat vorhin gesagt, die Oppositionsfraktionen würden die Bevölkerung und die Erzieherinnen und Erzieher aufhetzen. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt Informationsveranstaltungen, zu denen alle eingeladen sind, darzustellen, was sie darüber denken. Ich verstehe nicht, warum Vertreter der Regierungsfraktionen dort nicht erscheinen, um den Menschen zu erklären, wie gut ihr Gesetz ist. Es wäre doch Ihre Aufgabe, dies zu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das können sie nicht!)

Eben. Da sie es nicht können, kommen sie lieber gar nicht erst.

Zu diesem Dilemma kommt, dass wir in der Situation, in der sich die Gemeinden befinden, überall über Gebührenerhöhungen diskutieren oder sie schon haben, beispielsweise in Bad Homburg mit großen Protesten, Frankfurt, Bad Sooden-Allendorf, Dietzenbach, Hanau, Kassel – auch hier könnte man endlos aufzählen.

Dann wird sinnlos Geld für so etwas Unnützes wie das Betreuungsgeld verschwendet, das im Grunde nur dafür da ist, das Problem mit der Betreuung in Einrichtungen abzufedern. Nichts anderem dient es doch; denn es schafft doch nicht Wahlfreiheit, von der immer die Rede ist.

Zum Inhalt. Zu der Diskussion darüber, wer mitarbeiten darf und was eine Fachkraft ist, hat der Minister heute Morgen gesagt, er bekomme viele Briefe, warum z. B. eine Psychologin nicht mitarbeiten darf, was nunmehr endlich möglich würde. – Das mag ja so sein und das mag auch gut sein, dass eine Psychologin in einer Kita gut eingesetzt ist. Dann soll man doch den Katalog derer, die dort arbeiten dürfen, auf solche Fachkräfte ausweiten. Dagegen hat niemand etwas. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine Psychologin, die im Durchschnitt wohl eher 4.000 € verdient, sich für weniger als 2.000 € in einer Kita verdingt, ist doch nicht so hoch.

(Gerhard Merz (SPD): Das gilt auch für Förster!)

Wenn Sie höher qualifiziertes Personal haben wollen, dann schreiben Sie das. Dann hätten Sie auch keinen Protest heraufbeschworen.

(Beifall bei der LINKEN)