Protokoll der Sitzung vom 19.03.2013

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Schork für die CDUFraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu dem, was die Kollegin Habermann gesagt hat, stelle ich fest, dass sich die Regelungen, die wir im Schulgesetz im Zusammenhang mit der Inklusion getroffen haben, bewährt haben und die Inklusion in Hessen und die inklusive Beschulung bei Weitem nicht gescheitert sind.

(Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Es wurde noch nicht einmal angefangen!)

Die Zahlen, die uns in der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses und auch schon davor als Antworten auf verschiedene Berichtsanträge vorgelegt wurden, belegen dies eindeutig. – Frau Kollegin, hören Sie zu; denn Sie haben gesagt, die Zahl hätten wir nicht genannt bekommen: In 378 Fällen ist nach Beratung die Entscheidung der Eltern so gefallen, dass die Kinder sofort und direkt in die Förderschule gegangen sind und dort den Unterricht aufgenommen haben.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Die Zahlen können Sie der Antwort auf den Berichtsantrag, die uns vorgelegt wurde, entnehmen. In 204 Fällen haben die Staatlichen Schulämter eine Entscheidung zugunsten der inklusiven Förderung getroffen, obwohl im Förderausschuss in dieser Frage keine Einstimmigkeit vorhanden war. In 1.942 Fällen wurde einstimmig entschieden, eine inklusive Beschulung zu ermöglichen. Das heißt, insgesamt wurde in dem genannten Schuljahr in 2.146 Fällen eine Entscheidung zugunsten der inklusiven Beschulung getroffen. Da zu sagen, die Inklusion sei gescheitert, ist schlicht und einfach falsch.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben ausgeführt, dass in Ihrem Gesetzentwurf kein Ressourcenvorbehalt enthalten ist. Schauen wir uns die einzelnen Bestimmungen an. Es fällt auf, dass insbesondere in dem § 50 von Ressourcen und Erfüllung des Auftrags der inklusiven Beschulung die Rede ist. Bezeichnenderweise werden über einen Bedarf an Personal- und Sachmitteln überhaupt keine Ausführungen gemacht.

In demselben Paragrafen führen Sie aus, dass regionale Förderbudgets gebildet werden sollen. Es gibt keine Aussage, wie sich die regionalen Förderbudgets zusammensetzen oder zusammensetzen sollen. Auch da ist klar, wenn dies zwischen zwei Beteiligten passiert, dass es dort einen Haushaltsvorbehalt geben muss. Damit ist auch klar, dass es dort einen Ressourcenvorbehalt gibt.

Dasselbe Problem taucht in Ihrem § 55 auf, in dem Sie im letzten Satz sagen:

Hierbei kann geregelt werden, dass die inklusive Beschulung in der allgemeinen Schule von einer angemessenen räumlichen Ausstattung abhängig gemacht werden kann.

Auch das ist klar und eindeutig ein Ressourcenvorbehalt. Sie widersprechen mit Ihrem vorgeschlagenen Text dem, was Sie in der Begründung dargelegt haben.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben angesprochen, dass Sie die Schulen mit Förderschwerpunkt Lernen zu einem bestimmten Zeitpunkt auslaufen lassen wollen und dort keine neuen Schülerinnen und Schüler mehr aufgenommen werden sollen. Es wird Sie nicht verwundern, dass wir das ablehnen. Sie widersprechen sich insbesondere, wenn Sie dann in § 49 Abs. 2 sagen:

Dem Wunsch der Eltern auf sonderpädagogische Förderung in Förderschulen in ihren verschiedenen Formen ist zu entsprechen.

Was gilt? Gilt § 49 Abs. 2, oder gilt: „Die Schulen mit Förderschwerpunkt Lernen laufen aus“? Was machen Sie, wenn Eltern sagen: „Wir wollen unsere Kinder weiter in die Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen schicken“? Lassen Sie dann die Schulen auslaufen? Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, weil das der Ausgangspunkt dessen war, was ich ausgeführt habe: Mit Ihrem vorgeschlagenen Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs gehen Sie auf die alte Regelung zurück, wie sie vor unserer Neuregelung war. Sie machen ein Gutachten obligatorisch, und Sie bilden den Förderausschuss ohne die Schulleitung der allgemeinbildenden Schulen. Damit negieren Sie die positiven Erfahrungen, die wir mit unserer Gesetzesregelung gemacht haben. Ich habe ausgeführt, dass sich die neue Zusammensetzung des Förderausschusses und die abschließende Entscheidung durch das Staatliche Schulamt sehr bewährt haben.

Das mag an dem späten Dienstagabend als erste Stellungnahme zu Ihrem Gesetzentwurf genügen. Wir sehen dort keine Verbesserungen zu den bisherigen Regelungen. Wir werden in den Ausschussberatungen sehr intensiv weiter über diesen Gesetzentwurf diskutieren. Aber ich kann Ihnen schon jetzt signalisieren, dass aus unserer Sicht dieser Gesetzentwurf nicht weiterhilft und wir ihm deswegen negativ gegenüberstehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Zu einer Kurzintervention erteile ich Frau Kollegin Habermann das Wort.

Herr Schork, ich hätte mich mit einer Zwischenfrage begnügt. Aber so muss ich Ihre Zeit noch einmal hier vorne in Anspruch nehmen. Wir haben uns beide auf den Bericht bezogen, den das Kultusministerium im Ausschuss vorgelegt hat. Wenn Sie den genau gelesen hätten und wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie mitbekommen, dass auch ich von den 378 Kindern gesprochen habe, die nach der Entscheidung des Förderausschusses in die Förderschule gekommen sind. Die Kinder, die nicht erfasst sind – weswegen diese Zahlen auch nicht vergleichbar sind –, sind diejenigen Kinder, die nach dem neuen Schulgesetz sofort, ohne vorherige sonderpädagogische Überprüfung,

in der Förderschule angemeldet worden sind. Von diesen rede ich. Von denen wissen wir im Moment nicht, wie viele es sind und mit welcher Begründung die Eltern dies tun.

Sie müssen uns schon erklären, wie Sie diese Zahlen vergleichen können, wenn das Kultusministerium selbst sagt, diese Zahlen sind zum derzeitigen Zeitpunkt nicht vergleichbar. Das heißt, die vermeintlichen Erfolge sind noch nicht nachweisbar und evaluierbar. Das sollten Sie bitte ehrlicherweise hier vorne auch zugeben.

Herr Schork, alles Weitere werden die Ausschusssitzung und auch die Anhörung ergeben. Dann werden wir darüber reden, ob andere in diesem Land, die sich mit Inklusion beschäftigen, in diesem Gesetzentwurf Verbesserungen sehen oder nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Ergebnis anders ausfallen wird, als Sie hier prognostizieren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Nächste Wortmeldung, Frau Abg. Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Ich freue mich, dass wir noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz beraten können, das versucht, die groben Fehler des Schulgesetzes der Landesregierung da zu korrigieren, wo sie sich auf die schulische Inklusion beziehen. Daher erst einmal ein großes Lob. Allerdings muss ich gleich Wasser in den Wein gießen, weil es meines Erachtens kein großer Wurf ist und ich mir gewünscht hätte, dass die Chance genutzt wird, gleich einen wirklich guten Gesetzentwurf vorzulegen. In einigen Punkten läuft er unseres Erachtens sogar der UN-Behindertenrechtskonvention zuwider. Ich nehme an, dass so ähnlich auch der Tenor der Stellungnahmen mancher Anzuhörender sein wird.

Wie ist die eherne Regel für Rückmeldungen? – Man fängt mit dem Positiven an. Das tue ich gerne, nicht nur aus taktischen Gründen, weil man dann die folgende Kritik besser verknusen kann, sondern auch, weil es gegenüber dem jetzigen Gesetz wirklich ein großer Fortschritt für uns alle wäre, wenn dieses Gesetz, jedenfalls in Teilen, zur Anwendung käme.

Ich will die positiven Veränderungen kurz aufzählen. Am wichtigsten ist der Wegfall des Ressourcenvorbehalts. Wir wissen, dass er der Knock-out für eine verantwortungsbewusste integrative Arbeit ist, gerne als Ausrede für eine mangelnde Veränderungsbereitschaft dient und bei den Veränderungsbereiten und Befürwortern der Inklusion auch zur Selbstausbeutung führt, ebenso wie er die Verantwortung für eine Verweigerung auf die Schulen, Schulträger und Kommunen abwälzt. Also nix wie weg damit.

Dann die Neuordnung der Zusammenarbeit in der Region und die regionalen Förderbudgets. Diese ist wirklich dringend überfällig, allerdings sollte sie ergänzt werden durch eine Neuordnung der Zusammenarbeit der involvierten Ministerien, vor allem des Kultus- und des Sozialministeriums.

Ebenso ist es positiv, dass es endlich eine klare zeitliche Orientierung gibt, wann die Sonderschulen für Schülerin

nen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen beginnen auszulaufen, auch wenn wir denken, dass man da etwas anspruchsvoller hätte sein können. Warum erst in zwei Jahren beginnen, keine Schülerinnen und Schüler mehr einer Schulform zuzuweisen, die im Ausland völlig unbekannt ist?

Weiter ist es überfällig, dass die Eltern künftig einen Anspruch darauf haben, die Gutachten der Förderausschüsse ausgehändigt zu bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schließlich ist es ebenfalls sinnvoll, dass Förderausschüsse für den weiteren Bildungsweg der Schüler verantwortlich bleiben – so interpretiere ich jedenfalls das Wort „begleiten“.

In die richtige Richtung geht sicherlich auch die Regelung, dass Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht mehr gegen den Willen der Eltern am Förderort Sonderschule beschult werden dürfen – wobei ich da gleich mit der Kritik ansetzen muss: Wir sehen es so, und sind uns da mit dem Institut für Menschenrechte einig, das den Umsetzungsprozess in Deutschland kontrolliert, dass der individuelle Rechtsanspruch des Kindes auf Nichtdiskriminierung, auf gemeinsames Lernen, auf Inklusion, absolute Gültigkeit hat und nicht relativiert werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Rechtsanspruch des Kindes kann unseres Erachtens auch mit einem Wahlrecht der Eltern auf Sonderbeschulung ihres Kindes, auf Exklusion also, nicht ausgehebelt werden – zumal dieser Elternwunsch auf Nachfrage in der Regel damit begründet wird, dass die Eltern Angst haben, ihre Kinder wären an den allgemeinen Schulen schlechter aufgehoben und würden schlechter gefördert.

Inklusion ist jetzt aber ein einklagbares Menschenrecht für jedes Kind, nicht nur für das mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen. Das bedeutet auch, jedes Kind lernt gemeinsam mit seinen Freunden und Nachbarskindern in der allgemeinen Schule. Zugleich sind ihm angemessene Vorkehrungen zur Verfügung zu stellen, damit es sich entsprechend seinen Möglichkeiten entfalten kann.

Die Orientierung auf das Wahlrecht der Eltern ist unseres Erachtens ein ganz grundlegender Fehler. Eltern haben als Sachwalter ihres Kindes, als diejenigen, die für das Wohl ihres Kindes zuständig sind, genau diesen Anspruch auf gemeinsames Lernen durchzusetzen. Das tun in vorbildlicher Weise bereits viele Eltern, die sich in regionalen Elternvereinigungen in Wiesbaden, Offenbach, Frankfurt und Gelnhausen – um nur einige in Südhessen zu nennen – zusammengeschlossen haben, um sich gegenseitig im Kampf gegen die Ausgrenzung ihrer Kinder zu unterstützen.

Da haben wir wieder einen der vielen grundlegenden Unterschiede zwischen unserer Fraktion und den anderen Fraktionen, auch in der Bildungspolitik: Schwarz und Gelb wollen Sondereinrichtungen erhalten und Sonderschulzuweisungen gegebenenfalls auch gegen den Willen der Eltern durchsetzen. GRÜNE und SPD wollen Sondereinrichtungen erhalten und begründen das mit dem Elternwahlrecht auf Sonderbeschulung. Nur wir, das kleine gallische Dorf, wollen wieder mal ganz etwas anderes, nämlich die Durchsetzung des Rechts auf inklusive Beschulung für alle Kinder – allerdings unter Gewährung all dessen, wessen sie bedürfen, um sich gut zu entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Was Sie, meine lieben Sozialdemokraten, liebe Heike, da vorlegen, das ist gleichbedeutend mit einem Bestandsschutz für das Sonderschulwesen, und das können wir nicht unterstützen – da tröstet auch das Auslaufen der im europäischen Ausland völlig unbekannten Sonderschulen für den Förderschwerpunkt Lernen nicht; schließlich ist das nur das absolute Minimum einer Veränderung. Einer Partei, die sich die soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, ist ein solcher Entwurf unseres Erachtens nicht würdig.

Auf unserer Inklusionstagung vor einem Vierteljahr hatten wir viele Betroffene zu Gast, die betonten, Inklusion begänne in den Köpfen und wäre ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Dieser Prozess, dieses grundsätzliche Umdenken kann aber nur Fuß fassen, wenn es auch ein gesamtgesellschaftliches Ja zu gemeinsamem Lernen und damit keine Sonderschulen mehr gibt.

Es gibt noch weitere Gründe, aus denen wir dem Gesetzentwurf in dieser Fassung jedenfalls nicht zustimmen könnten. Ich nenne sie nur kurz, ohne sie groß auszuführen; das können wir dann im Ausschuss besprechen:

Ungute Entwicklungen werden unseres Erachtens zementiert, z. B. dadurch, dass die in der inklusiven Beschulung tätigen Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen keine Lehrerinnen und Lehrer der allgemeinen Schulen sind; z. B. dadurch, dass es weiter eine Konzentration von Kindern mit Verhaltensstörungen in Kleinklassen geben wird; z. B. dadurch, dass weiterhin eine nicht zielgleiche Unterrichtung den Anspruch auf Beschulung in einer allgemeinen Schule einschränkt, usw.

Ich denke sogar, dass der Entwurf auch Verschlechterungen gegenüber der jetzigen Situation bewirken kann, nämlich da, wo er ermöglicht, dass Förderschulen sogar in der Form von eigenen Klassen an allgemeinen Schulen geführt werden können. Wir wollen den Einfluss der Sonderbeschulung doch einschränken und nicht ausweiten. Da ist dann die Schulleitung für die ganze Schule, bis auf eine Klasse, zuständig? Das kann es doch wohl nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

All diese Punkte zeigen – es gibt, wie gesagt, noch weitere –: So geht es nicht. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Das ist ein insgesamt enttäuschender, unausgegorener Entwurf, auch mit Schritten nach vorne, aber zum Teil auch nicht akzeptabel oder zukunftstauglich, jedenfalls nicht, wenn man ihn an den Anforderungen der auch bei uns geltenden UN-Behindertenrechtskonvention misst.