Protokoll der Sitzung vom 16.09.2009

Vielleicht sollte man auch einmal der Bundeskanzlerin ein altes Sprichwort sagen, das mir als Seglerin gut gefällt: Wer nicht weiß,in welchen Hafen er segeln will,für den ist kein Wind der richtige.– Das ist von Seneca,und ich finde, das ist in solchen Fällen äußerst passend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Horst Klee (CDU): Das gilt aber auch für andere! – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Seneca war ein toller Segler! – Horst Klee (CDU): Vorwärts, es geht zurück!)

Frau Kollegin Fuhrmann, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident, auf der Stelle. – Zusammenfassend möchte ich Folgendes feststellen.Wir brauchen Sicherheit für die Organisationsreform. Wir brauchen Fort- und Weiterentwicklungen. Wir wollen alle Instrumente auf den Prüfstand stellen und weiterentwickeln. Die Arbeit in den Jobcentern muss optimiert, verbessert werden, der Personalschlüssel muss eingehalten werden.

Wir wollen, dass sich Menschen vor und hinter dem Schreibtisch auf Augenhöhe begegnen, nicht als Gegner. Deswegen noch ein Wort zu dem Sanktionsmoratorium. Wenn 60 % nicht erscheinen, dann ist das inakzeptabel. Dieses Moratorium ist mir zwar sympathisch, sympathischer als zu sagen, das seien alle arbeitsunwillige Faulenzer. Allerdings glaube ich, es gibt keinen Weg zurück in eine gute alte Zeit, sondern nur einen Weg voran.

(Glockenzeichen des Präsidenten)

Der muss möglichst gerecht und fair für die Menschen auf jeder Seite des Schreibtischs sein. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Fuhrmann. – Das Wort hat Staatsminister Banzer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es lohnt sich manchmal, die Anträge dieses Hauses, insbesondere Anträge vonseiten der Fraktion DIE LINKE, tatsächlich zu Ende zu denken und zu überlegen, was wäre denn, wenn man sich darauf einließe: Würde denn irgendetwas verbessert werden, wenn man es so machen würde, wie sie es fordern?

(Janine Wissler (DIE LINKE):Wenn Sie das bei Ihren eigenen Anträgen auch einmal machen würden!)

Glauben Sie denn wirklich, es gäbe einen Bezieher von Hartz IV weniger, wenn Ihr Antrag durchkäme?

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Aber die Leute hätten mehr Geld!)

Glauben Sie, die Hartz-IV-Bezieher sind glücklich über ihre Lage?

(Willi van Ooyen und Janine Wissler (DIE LINKE): Nein!)

Wenn Sie das nicht glauben – insoweit sind wir uns ja einig –, dann muss es doch unsere Aufgabe sein, zu überlegen, wie wir Menschen unterstützen, damit sie aus dieser Form der staatlichen Abhängigkeit wegkommen.

(Zuruf des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Denn dies ist doch Teil unseres Menschenbildes und unseres Verfassungsverständnisses – dass wir Menschen wollen, die selbstbestimmt leben, nicht in abschließender Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dafür brauchen wir Arbeitsplätze!)

Dafür brauchen wir aktivierende Unterstützung.

Es ist nun einmal so, dass dafür an der einen oder anderen Stelle Spielregeln aufgestellt werden müssen – Spielregeln, die eine Gesellschaft verlangen kann, die auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung aufbaut.

Deswegen ist es legitim und notwendig, ja sogar für das Gerechtigkeitsgefühl dieser Gesellschaft unverzichtbar, darauf zu bestehen:Wenn der Staat Hilfe gewährt – die er anderen, die arbeiten, nicht gewährt –, dann kann er auch ein Mitwirken, ein Mitverhalten der betroffenen Personen verlangen und muss das auch durchsetzen können.

Deswegen sind Sanktionen genauso notwendig wie Hartz IV. Nur beides zusammen ergibt eine vernünftige Konzeption, die für diese Gesellschaft akzeptabel ist.

Eine andere Diskussion zu diesem Thema finde ich sehr viel interessanter. Das ist die, die Kollege Bocklet angesprochen hat. Es ist eine spannende Frage, warum so viel Geld für Eingliederung nicht ausgeschöpft wird. Darüber zu diskutieren würde sich lohnen. Wir würden relativ schnell darauf kommen, dass dies auch eine Frage der Konditionen ist, insbesondere auch derer, die die Bundesagentur für Arbeit aufstellt.

Von den Kommunen,den Argen wie den Optionskommunen, wird das oft als ein Übermaß an Bürokratie, Vorbe

halten, Regressdrohungen, Bedenken und Überlegungen empfunden.Das hält Kommunen davon ab,in diesen Dingen investiv zu werden. Mit anderen Worten: Das, was man sich auch von Hartz IV versprochen hat – nämlich die Kommunen, die ganz nah an dem Thema Arbeitslosigkeit dran sind,dazu zu bewegen und einzusetzen,kreativ Maßnahmen zu ergreifen, die helfen,Arbeitslosigkeit zu überwinden –, wird durch eine sehr restriktive, sehr bürokratische Konzeption nachhaltig erschwert. Ich glaube, das ist eine wichtige Aufgabe für die kommende Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Ich füge hinzu: Das ist eine Aufgabenstellung, der wir uns auch in Hessen in intensiven Gesprächen mit den Argen und Optionskommunen widmen werden.Wir werden diskutieren,an welchen Stellen wir die Probleme und Erschwernisse für diese Eingliederungsmaßnahmen lösen können, um an dieser Stelle noch effizienter zu werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Schott hat noch einmal das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe hier gehört: „Nur 4 % der Hartz-IV-Empfänger sind betroffen.“ Das ist für mich ein Kleinreden, denn das sind immerhin fast 800.000 Menschen und ihre Familien. Da müssen wir nicht so tun, als ob das fast niemand wäre.

Dann habe ich hier eine Darstellungsweise gehört – dass Leute einfach Termine nicht wahrnehmen – die man so nicht im Raum stehen lassen kann. Das sind keine Menschen, die gestern arbeitslos geworden sind und die ab morgen ihre Termine nicht wahrnehmen, weil sie keinen Bock haben, zu arbeiten. Das sind Menschen, die seit Jahren arbeitslos sind. Das sind Langzeitarbeitslose, die wiederholt bei der Agentur erscheinen, erscheinen müssen, denen nichts angeboten werden kann, keine geeignete Fortbildung, kein Arbeitsplatz, und das über viele Jahre. Sie sind es irgendwann leid, sie sind irgendwann müde. Sie sind irgendwann demoralisiert und frustriert. Das ist ein erheblicher Teil der Menschen, die nicht mehr hinkommen und die anschließend dafür bestraft werden, dass sie nicht mehr hinkommen.Vielleicht sollte man einmal über die Sinnhaftigkeit der Einbestellungen nachdenken, vor allem in den Fällen, wo man ohnehin nichts, aber auch gar nichts anzubieten hat.

Herr Banzer, wenn wir uns schon darüber einig sind, dass Hartz-IV-Empfänger nicht glücklich sind, dann müssen wir doch nicht auch noch dazu beitragen, dass es ihnen noch schlechter geht, indem wir sie sanktionieren. Schon deswegen, weil es gar nichts hilft, sollten wir es lassen. Wenn man Sanktionen und Hartz IV nicht will,dann heißt das nicht: zurück in gute alte Zeiten. So gut waren sie nicht. Es heißt vielmehr: vorwärts in bessere Zeiten. Wir können gemeinsam überlegen, wie man etwas anderes machen kann.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Dieses Modell ist nicht gelungen. Es ist gescheitert. Es ist auf breiter Basis gescheitert, weil es Menschen eben nicht in Arbeit bringt,

(Judith Lannert (CDU): Sie verstehen absolut nichts!)

weil es dafür sorgt, dass sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern, weil es dafür sorgt, dass der Druck auf die Menschen erhöht wird, weil die Menschen immer niedrigere Löhne in Kauf nehmen, weil die Menschen immer schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen,

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

weil dieses System einfach nur drückt. Davon muss man weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen.Tagesordnungspunkt 43, Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucks. 18/1072. Wer stimmt zu? – DIE LINKE. Dagegen? – CDU, FDP und GRÜNE. Enthaltungen? – SPD. Damit abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 76, Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 18/1105. Wer stimmt zu? – GRÜNE. Dagegen? – CDU, FDP und LINKE. Enthaltungen? – SPD. Ebenfalls abgelehnt.

Nun kommen wir zu dem Tagesordnungspunkt 77, dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 18/1107. Es ist gebeten worden, absatzweise abzustimmen. – Herr Kollege Wintermeyer, zur Geschäftsordnung.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rudolph, wir werden einer solchen Bitte nicht Rechnung tragen können. Ich möchte Ihnen das auch eindeutig klarmachen.Zunächst einmal haben wir hier einen Antrag mit Fließtext. Der Antrag enthält keine Ziffern. Normalerweise stimmen wir hier ziffernweise ab. Das ist Ihnen bekannt. Herr Kollege Rudolph, gelegentlich haben wir davon auch schon Ausnahmen gemacht.Aber dann lagen die Anträge nicht erst an dem Tag vor, an dem über sie abgestimmt werden sollte. Der Kollege Dr. Bartelt hat Sie darauf hingewiesen, Sie daraufgehoben, den Antrag an den Ausschuss zu überweisen, um sich mit ihm intensiv zu beschäftigen. Über den Antrag können wir hier nicht getrennt abstimmen, weil wir die gesamten Strukturen, die in dem Antrag enthalten sind, so schnell und einfach nicht erfassen können.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Torsten Warn- ecke (SPD) – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er fließt aus in den letzten Absatz. Ich finde, dass das Verhalten, das Sie von uns fordern, der Sache nicht gerecht wird.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Der Antrag ist wirklich schwer zu lesen!)

Deswegen werden wir den Antrag nur in toto und nicht in einzelnen Absätzen abstimmen können.

Ansonsten biete ich Ihnen an: Schicken Sie den Antrag in den Ausschuss. Da kann dann möglicherweise ein anderes Abstimmungsverhalten herauskommen.

(Beifall bei der CDU)

Zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Rudolph.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wintermeyer, Sie haben wieder den Beleg geliefert, dass Juristen zu vielem fähig sind. Ich hätte Ihnen intellektuell zugetraut, dass Sie ganze zehn Absätze erfassen können. Der Kollege Bartelt hat angekündigt, dass es in unserem Antrag gute, nachvollziehbare inhaltliche Argumente gibt.