Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

(Axel Wintermeyer (CDU): Die Wahrheit ermüdet nie!)

Daher werde ich diesmal nicht mehr so ausführlich wie früher über unsere Position der DDR gegenüber sprechen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Darauf sind wir aber gespannt!)

Sie können nämlich alles in den Reden nachlesen, die von Frau Wissler und von mir – von jedem von uns – gehalten worden sind. Sie können das auch in den Internetauftritten der Bundestagsfraktion und unserer Bundespartei nachlesen, in denen ausführlich über unsere Sicht dieses widerspruchsvollen Kapitels der deutschen Geschichte berichtet wird.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): „Widerspruchsvoll!“? Verbrecherisch! Es gibt überhaupt keine Widersprüche! Das ist die Realität!)

Herr Irmer, angesichts unserer besonderen Verantwortung begrüßen wir es wieder einmal ausdrücklich, wenn die CDU-Fraktion dafür Sorge tragen will,dass profundes Wissen über die DDR vermittelt wird und dass Demokratieerziehung und Toleranz gefördert werden, wie es in Ihrem Antrag steht.

(Peter Beuth (CDU): Sie werden wir nicht fragen!)

Von daher sind die Punkte 1 und 4 Ihres Antrags für uns völlig unproblematisch. Sie könnten von uns mitgetragen werden.

Was Punkt 2 betrifft, so vermuten wir, dass die von Ihnen verwendete Formulierung „jede Form von Extremismus“ nicht auf den Islamismus abzielt, sondern der von Ihnen bevorzugten Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus den Weg bereiten soll. Wie Sie wissen, haben wir

dazu eine differenziertere Einstellung und können daher diesen Punkt nicht mittragen.

Auch Punkt 3 wird von uns in dieser Form nicht mitgetragen werden.

Wir unterstützen den von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Antrag, zusätzlich die Rolle der Blockparteien zu beleuchten.Dies ist unbedingt notwendig, um ein realistisches Bild der DDR und ihres Herrschaftssystems vermitteln zu können, und es wird dem Klischee, das Sie hier gebetsmühlenartig wiederholen, nämlich dass allein die SED für das ganze Unrecht verantwortlich zu machen sei, ein Gegengewicht gegenüberstellen. Was ist mit Stanislaw Tillich und Dieter Althaus?

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: Das tut schon weh!)

Aber das reicht nicht. Wie wir immer wieder ausführen, muss dem Alltag in der DDR endlich ein Gesicht gegeben werden, und es muss auf unterschiedliche Biografien differenziert geschaut werden. Die DDR lässt sich nicht auf die Mauertoten und die politisch Verfolgten reduzieren. Wir müssen versuchen, die Menschen unter dem ideologischen Müll wiederzufinden und ihre Verstrickungen, ihre Zivilcourage sowie ihren Einsatz für die sozialistische Demokratie, aber auch ihre Unschuld, ihre Naivität und ihre Furcht offenzulegen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das hat aber nicht die SED unterstützt!)

Sonst wird die Erinnerungsarbeit von vielen ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern der DDR sowie von Schülerinnen und Schülern, deren Eltern in der DDR gelebt haben, nicht angenommen, sondern als ideologisch gefärbt zurückgewiesen werden.

(Axel Wintermeyer (CDU): Die Erfahrung machen wir ständig!)

Solange die Lebensleistungen der ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürger nicht gewürdigt werden – das werden sie nach 20 Jahren immer noch nicht –, wird es keine innere Versöhnung und kein gemeinsames Bild der DDRJahre geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir den differenzierten Dringlichen Antrag der Fraktion der SPD unterstützen, der die historische Tatsache enthält, dass die DDR eine Folge des Faschismus war. Wir möchten auch ausdrücklich Herrn Quanz für seine gute Rede danken.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ein paar letzte Worte möchte ich sagen.Wir LINKE werden lebendige Erinnerungsarbeit immer toten Bauten wie Gedenkstätten und Museen vorziehen. Da gibt es spannende Ansätze und Erfahrungen, die Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen sollten.

(Zuruf von der CDU: Da kann Herr Gysi berich- ten!)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. – Das Wort erhält nun Herr Abg. Döweling für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Schulz-Asche, ich glaube, diese Debatte hat gezeigt, wie zerrissen wir in Deutschland und in Hessen in unserer Erinnerungskultur sind und warum wir dringend eine einheitliche Erinnerungskultur in Deutschland brauchen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte noch einmal eines ausdrücklich sagen. Darauf zielt auch der Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP ab. Wir gedenken in diesen Tagen zum 20. Mal der Ereignisse, die den Sommer und den Herbst des Jahres 1989 geprägt haben. Begonnen hat es mit zahlreichen Ausreiseanträgen der Bürgerinnen und Bürger der DDR, die nach etwas verlangten, was uns heute geradezu selbstverständlich erscheint, nämlich die Freiheit, dorthin zu reisen, wohin man möchte. Dieser Forderung nach Freiheit, sei es im Sinne der Reisefreiheit, im Sinne der Versammlungsfreiheit oder gar im Sinne der Freiheit, seine Meinung gegen bestehende Ungerechtigkeiten kundzutun, wie sie damals in der DDR artikuliert wurde, sollten wir uns immer bewusst sein, wenn wir an die Ereignisse des Jahres 1989 denken.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Was bedeutet uns heute Freiheit, gerade in Zeiten, in denen viele junge Menschen geradezu bedenkenlos bereit wären, Freiheiten aufzugeben, oder sich gar nicht mehr an Systeme wie das der DDR mit seiner Unfreiheit erinnern können? Das ist eigentlich die Frage, die uns leiten muss, wenn wir über das Gedenken an die friedliche Revolution in der DDR reden. Denn dazu dienen das öffentliche Gedenken und die Erinnerungskultur. Es ist für die Sinnstiftung unserer Demokratie und unseres politischen Systems geradezu notwendig, dass wir uns darüber Gedanken machen.

Deshalb ist es unsere Aufgabe, als Parlamentarier hier und heute darauf hinzuweisen, dass wir in Hessen Orte des Gedenkens an die Teilung haben. Dort kann der Bürger, aber vor allem auch der junge Mensch, die Schrecken dieser Grenze nachvollziehen. Dies sind das Grenzmuseum Schifflersgrund und die Gedenkstätte Point Alpha.

Museen und Gedenkstätten wie die genannten haben einen wichtigen Bildungsauftrag. Es ist allerdings zwischen dem Museum, das mehr einen sammelnden und forschenden Charakter hat, und der Gedenkstätte zu unterscheiden, die über das pädagogische Konzept eines Museums hinausgeht und häufig besonders tragische Anlässe der Geschichte zum Thema hat.

Wir dürfen aber auch an den Schulen nicht in dem Bestreben nachlassen, unseren Schülerinnen und Schülern die leidvollen Erfahrungen der jüngeren deutschen Geschichte zu vermitteln. Dabei darf es aber keine Gleichsetzung der Diktaturen mit Veränderung der Farbgebung geben. Sowohl der Nationalsozialismus als auch die DDR haben spezifische historische Ursachen und spezifische Auswirkungen auf das Leben der Menschen gehabt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das ist auch etwas, bei dem ich der Fraktion der SPD ausdrücklich ein Angebot mache. Wir sollten über diesen Dringlichen Antrag noch einmal im Ausschuss reden.Wir sollten an ihm feilen. Ich denke, das ist ein Punkt, den wir noch besser herausarbeiten sollten. Möglicherweise können wir dann zu einem gemeinsamen Antrag kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, wir brauchen keine reine Betroffenheitspädagogik. Wir brauchen eine gesamtdeutsche Erinnerungskultur, die sich explizit mit den verschiedenen Facetten der deutschen Geschichte auseinandersetzt. Wir müssen erreichen, dass bei den Schülerinnen und Schülern ein emotionaler Zugang zu den Geschehnissen der jüngeren deutschen Geschichte stattfindet. Dabei sollten wir bei den Schulen nicht unbedingt auf Zwang, sondern, wie wir das als FDP immer tun, ganz auf die Eigenverantwortung der Schulen und auf die Eigenverantwortung der jeweiligen Kolleginnen und Kollegen vor Ort setzen.

(Beifall bei der FDP)

Die heutigen Schülerinnen und Schüler wurden erst kurz vor oder schon nach der deutschen Wiedervereinigung in Gänze geboren. Es ist meine Generation, die als letzte im Kindesalter die deutsche Teilung erfahren hat.

Kein Schüler kann sich heute mehr vorstellen, was es eigentlich bedeutet, wenn man Päckchen an die Verwandtschaft aus dem Osten schickt, die mit genauen Inventarlisten versehen sind, damit der Spitzel an der Grenze nachvollziehen kann, was sich eigentlich darin befindet.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es!)

Kein Schüler kann sich heute mehr vorstellen, was es bedeutet, wenn die Verwandtschaft aus dem Osten, weil sie im Rentenalter war, zum ersten Besuch in den Westen reisen durfte. Man sieht sie dann am Bahnsteig stehen und sieht Eltern und Großeltern in Tränen ausbrechen, weil sich diese Menschen nach 30 oder 40 Jahren wiedersehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb dürfen wir nicht nachlassen, der friedlichen Überwindung der Unterdrückung und der Teilung, wie damals in der DDR geschehen, zu gedenken. Deshalb unterstützen die Mitglieder der FDP-Fraktion ausdrücklich die Arbeit der hessischen Lehrerinnen und Lehrer, der Landeszentrale für politische Bildung sowie der Museen und Gedenkstätten und natürlich auch der Menschen, die sich ehrenamtlich in diesem Bereich engagieren. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag.

(Beifall bei der FDP und der CDU sowie bei Abge- ordneten der SPD)

Herr Kollege Döweling, vielen Dank. – Das Wort hat Frau Staatsministerin Henzler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Aufarbeitung des SED-Unrechtsregimes ist ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts an den hessischen Schulen. Sie ist Teil der Lehrpläne in den Jahrgangsstufen 8 und 9 in allen drei Bildungsgängen. Wir werden darauf achten, dass das Thema auch in Zukunft im Zuge der Einführung der Bildungsstandards seinen großen Stellenwert behält, genauso wie das bei der Aufarbeitung der Geschichte des Dritten Reichs der Fall sein wird.

Dass dies im Bezug auf die DDR sehr richtig und wichtig ist, zeigen immer wieder Studien, die sich mit dem Thema beschäftigen. Wir haben vor etwa einem Jahr, nämlich während des Plenums im August 2008, an dieser Stelle über die bedenklichen Ergebnisse einer Studie des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin diskutiert. Die deckte erhebliche Wissenslücken bei den Schülerinnen und Schülern zum Thema DDR auf und machte deutlich: Je weniger die Schüler über den DDRStaat wussten, desto weniger kritisch beurteilten sie ihn – und umgekehrt.

Hessen war zwar an dieser Studie nicht beteiligt, dennoch müssen wir auch hier immer wieder kritisch hinterfragen, wie die Aufklärung am besten geleistet werden kann.