Protokoll der Sitzung vom 17.11.2009

Ja, das mag für Sie alle kein Thema sein. Für uns Liberale ist es ein Thema, dass Landfriedensbruch und Hausfriedensbruch in unserem Bundesland mittlerweile als Kavaliersdelikt gesehen werden. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Deshalb sage ich, alle Demokraten sollten hier gemeinsam handeln.

Jetzt will ich noch eines klarstellen: Ich kann nichts dafür, dass der Landtag heute eine Sitzung einberufen hat, dass also unten Menschen demonstrieren und wir hier oben unseren Job machen. Es können gern Leute nach unten gehen. Ich habe nichts dagegen; das kann sogar sinnvoll sein, und ich bedanke mich bei der Kollegin Faeser dafür. Aber ich frage an der Stelle, ob es sinnvoll ist, dass man die Verletzung der Bannmeile noch dadurch honoriert, dass man, während das passiert, unten mit den Demonstranten diskutiert.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD):Was ist denn mit Herrn Blum? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist nicht die Art, wie wir einen konstruktiven Dialog führen wollen.Wer Rechtsbruch begeht, diskreditiert sich als Teilnehmer eines offenen Dialogs.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich kann allen nur sagen: Wer mit uns reden will, hat jederzeit die Möglichkeit dazu. Er hat jederzeit die Möglichkeit, mit den Liberalen und mit den Mitgliedern anderer Fraktionen in diesem Haus ein Gespräch zu führen. Wir stehen einem Gespräch offen gegenüber. Aber wir lassen uns nicht durch einen Rechtsbruch zu einem solchen Gespräch bringen. Das wird es mit uns nicht geben.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD):Was ist mit Herrn Blum? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Schulz-Asche, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich rege mich nicht künstlich auf, sondern ich rege mich wirklich auf über so etwas!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rentsch, ich glaube, der Popanz, den Sie gerade hier aufgebaut haben, nützt der Demokratie wirklich nichts. Wir wissen – es ist auch gesagt worden –, dass Herr Kollege Blum ebenfalls nach unten gegangen ist, um mit den Demonstrierenden zu sprechen. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es das Interesse dieses Hauses sein muss, bestimmte politische Konflikte zu entschärfen, und dazu gehört der Dialog.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich danken, die sich diesem Dialog stellen und damit dazu

beitragen, dass dieses Land demokratisch und in Freiheit weiterregiert werden kann. Zum Umgang mit der Bannmeile gehört auch, dass man den Dialog mit den Demonstrierenden sucht.

Herr Kollege Rentsch, es wäre vielleicht von Anfang an besser gewesen, wenn Sie sich dem Thema gewidmet hätten, über das wir gerade reden.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Regierungserklärung!)

Ich darf alle noch einmal daran erinnern,worüber wir hier gerade reden; denn im Gegensatz zu dem, was von Ihnen gerade provoziert wurde, reden wir über ein Thema, das die Menschen draußen sehr wohl sehr stark beschäftigt. Ich finde, sie haben auch ein Recht darauf, dass sich der Landtag ernsthaft mit solchen Themen befasst. Ich danke ausdrücklich für die Regierungserklärung und die bisherige Diskussion über die Inhalte.

Meine Damen und Herren, wir haben seit April 2009 ein neues Grippevirus, H1N1 – besser bekannt als Schweinegrippe –, das um die Welt geht und inzwischen Deutschland, also auch Hessen, erreicht hat: in einem Ausmaß, dass im Moment niemand mehr exakt sagen kann, wie viele Menschen an dem Virus erkrankt sind. Wir haben eine steigende Zahl von Todesfällen zu verzeichnen – inzwischen 21 –, und wahrscheinlich werden weitere Menschen sterben.

Herr Kollege Rentsch,es ist die Aufgabe von uns allen,dafür zu sorgen, dass verantwortungsvoll und fachlich fundiert alles getan wird,um Menschen vor Erkrankungen zu schützen und Todesfälle möglichst zu verhindern.

Die „Zeit“ hat in der letzten Woche ihren Artikel über die Schweinegrippe mit dem Titel „Der Preis der Freiheit“ versehen. Ich finde, dies ist in vieler Hinsicht ein sehr passender Titel, was die Bewertung des bisherigen Verlaufs und des Umgangs mit der Schweinegrippe betrifft.

Es ist der Preis der Freiheit, dass wir dank der Mobilität unserer Gesellschaft in unserer globalen Welt zunehmenden Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind. Wo Menschen, Tiere und Waren um die Welt reisen, sind auch unerwünschte Begleiter dabei, und wir müssen uns darauf einstellen, dass Pandemien in Zukunft häufiger auftreten und dass damit Pandemien immer wieder eine Rolle spielen werden.

Von daher können wir froh sein, dass die Erkrankung, die durch das Virus H1N1 verursacht wird, auch im Vergleich zur saisonalen Grippe bisher eher harmlos verläuft. Man darf sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sich ein extrem tödliches Virus, wie das Ebolavirus, in ähnlich rasanter Weise ausgebreitet hätte. Da niemand weiß, wie sich ein spezielles Virus verbreitet oder ob es eventuell mutiert, sind wir aufgefordert, die Bevölkerung so weit wie möglich zu schützen.

Wenn wir uns die Freiheit der weltweiten Mobilität erhalten wollen, müssen wir einen besseren Umgang mit Pandemien erlernen, als es bis jetzt der Fall ist. Deswegen lohnt sich ab und zu auch ein kritischer Rückblick auf das, was man in der Vergangenheit hätte besser machen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben im Juni dieses Jahres im Landtag schon einmal über dieses Thema diskutiert und dabei vor allem über Präventionsmaßnahmen, wie etwa das Händewaschen, gesprochen. Das ist heute schon erwähnt worden. Wie so

oft in Deutschland ist gerade in Bezug auf Aufklärung und Information viel zu wenig passiert.

Lassen Sie mich ein ganz kleines Beispiel nennen: Tausende von Urlaubern trinken jedes Jahr auf einer ganz bestimmten Insel mit Strohhalmen Sangria aus Eimern.Was hätten im Vorfeld für Möglichkeiten bestanden, aufzuklären; denn es gab die erste große Welle dieser Erkrankung, als die Urlauber, die nicht ausreichend aufgeklärt und informiert worden waren, von dieser Insel zurückkamen. Ich denke, das ist z. B. ein Punkt, aus dem man für die Zukunft durchaus lernen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland bei Information und Aufklärung Defizite, und deswegen können wir nur bedauern,dass wir seit Juni eine Phase hatten, in der diese Aufklärungsarbeit – meiner Meinung nach – nicht in ausreichendem Maße stattgefunden hat; denn alle warteten bereits auf den Impfstoff.Das hat überhaupt erst den Raum für Spekulationen, Missverständnisse, Widersprüchlichkeiten und unterschiedliche Interpretationen geschaffen – an denen allerdings auch unsere ehemalige Bundesministerin und unser jetziger Bundesminister mit relativ unklaren Äußerungen beteiligt waren.

Nun ist Impfen sicherlich ein wichtiges Mittel der Prävention. Aber es ist auch ein Arzneimittel mit Zulassungsbedingungen und Nebenwirkungen. Wir haben hier von Frau Fuhrmann schon entsprechende Fragen gehört.

Impfungen haben vier wichtige Ziele. Das erste Ziel ist die regionale oder auch weltweite Ausrottung von bestimmten Infektionskrankheiten. Bei allen vielleicht auch berechtigten Ängsten vor Impfungen: Wir haben die Pocken weitgehend ausgerottet. Die Masern stellen zumindest in unseren Regionen kein großes gesundheitliches Problem mehr dar. In Afrika dagegen sind die Masern immer noch eine der Hauptursachen für das Sterben von Kindern. Auch die Kinderlähmung ist ein Beispiel. Das heißt, wir haben gute Erfahrungen mit Impfungen gemacht, gerade wenn es darum geht, Krankheiten global auszurotten oder zumindest weitgehend auszurotten. – Das ist das eine Ziel der Impfungen.

Wir haben ein zweites Ziel von Impfungen, das gerade in dem Fall, über den wir hier reden, von Bedeutung ist. Man kann auch die seuchenhafte Ausbreitung von Infektionskrankheiten verhindern. Das ist das Ziel, das Herr Banzer bereits im Juni erwähnt hat. Wir müssen wirklich sagen, dass uns das bei der Schweinegrippe nicht gelungen ist. Das lag natürlich auch daran, dass wir nicht bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt einen Impfstoff hatten.

Dann gibt es einen dritten Grund für die Impfung: Man kann Personen impfen, die in einem Kontakt mit Personen stehen, die nicht geimpft werden können, z. B. chronisch Kranke oder sonst besonders gefährdete Gruppen. Außerdem geht es um den Schutz jedes Einzelnen. Auch das ist letztendlich ein Argument, um sich impfen zu lassen.

Sich impfen zu lassen, ist immer und vorrangig eine ganz individuelle Entscheidung. Aber diese Entscheidung hat auch eine soziale Komponente. Denn je mehr Menschen geimpft sind, umso größer ist auch der Schutz aller vor einer Infektion.

Es ist der Preis der Freiheit, dass wir, zum Glück, keine Impfpflicht und keine Gesundheitspolizei haben. Vielmehr muss jeder, hoffentlich gut fundiert, die Entscheidung fällen: impfen, ja oder nein? – Es ist auch der Preis

der Freiheit, dass wir mit einer Vielzahl Informationen, Gegeninformationen, Theorien und Verschwörungstheorien überschüttet werden.

Ich finde, das muss man schon feststellen: Wir haben in den letzten Monaten ein Kommunikationsdesaster erlebt. Das betrifft auch die politische Ebene. Das zeigte, wie wenig wir wirklich auf solche Pandemien vorbereitet sind. Wer zahlt für die Impfung, und wie viel? Braucht es eine Impfung, oder braucht es zwei Impfungen? Wie transparent sind die Entscheidungen, die da gefällt wurden? Wie stark ist der Einfluss der Pharmaindustrie?

All das hat dazu geführt, dass wir in der Bevölkerung eine große Verunsicherung haben.Trotz des Interesses,aus den Fehlern zu lernen, kann das nicht in unserem Interesse sein, auch wenn wir bedenken, dass wir weiterhin von Pandemien bedroht sein werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine Damen und Herren, deswegen müssen wir alle daran arbeiten, dass es in Zukunft nicht mehr so viele verunsicherte Bürgerinnen und Bürger geben wird.Vielmehr muss es die Möglichkeit einer selbstbestimmten Entscheidung auf der Grundlage guter und möglichst objektiver Informationen geben.

Ich finde, umso wichtiger ist es, dass es rechtzeitige, klare und transparente Entscheidungen unabhängiger Institutionen gibt.Wir haben da zwei Institutionen.Wir haben – das wurde schon angesprochen – das Robert Koch-Institut. Das ist dem Bundesministerium zugeordnet. Es handelt sich um eine staatliche Institution, die für die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung insbesondere von Infektionskrankheiten zuständig ist. Wir haben das PaulEhrlich-Institut. Auch hierbei handelt es sich um eine staatliche Institution, die unter anderem biomedizinische Arzneimittel, wie es Impfstoffe für Menschen und Tiere sind, prüft und zulässt. Wir haben die beim Robert KochInstitut angesiedelte Ständige Impfkommission, die Empfehlungen für die Art und die Durchführung der Impfungen gibt.

Meine Damen und Herren, einige von Ihnen wissen, dass ich lange in der HIV-Aids-Arbeit tätig war. Da handelt es sich um eine andere Infektionskrankheit. Ich kann nur sagen, dass meine Erfahrungen mit diesen beiden Instituten sehr gut waren. Ich kann nur jeder Bürgerin und jedem Bürger empfehlen, sich anzuschauen, was dort bundesweit empfohlen wird, wenn sie oder er sich darüber informieren will, was im Moment zur Schweinegrippe gesagt wird.

Die Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission, die am 12. Oktober 2009 veröffentlicht wurde, ist da relativ eindeutig. Sie gilt bis heute unverändert. Demnach sollen entsprechend der Verfügbarkeit des Impfstoffes folgende Gruppen prioritär geimpft werden. Zu den Ersten gehören alle Beschäftigten, die Kontakt mit kranken Patienten haben und die in der Wohlfahrtspflege arbeiten. In Hessen sind die Polizei und die Feuerwehren mit einbezogen worden. Die zweite Gruppe besteht aus allen Personen, die älter als sechs Monate sind und die bestimmte Vorerkrankungen, besonders chronische Erkrankungen, haben.

Auch das wurde schon angesprochen. Bei der dritten Gruppe handelt es sich um eine, zu der das Robert KochInstitut und auch die Ständige Impfkommission inzwischen sagen, es handele sich um ein hochkomplexes Thema. Das betrifft die Impfung der Schwangeren und

der Wöchnerinnen. Auch dazu gibt es eine Empfehlung des Paul-Ehrlich-Institutes und des Robert Koch-Institutes, wie damit umzugehen ist, bis der Impfstoff, der jetzt für November und Dezember 2009 angekündigt ist, vorrätig ist.

Die Empfehlung ist ganz eindeutig.Ich weiß gar nicht,warum auch heute wieder in der „Frankfurter Rundschau“ steht, es gebe keine bundesweiten eindeutigen Empfehlungen. Die Empfehlung lautet: Solange dieser Impfstoff nicht verfügbar ist, soll es eine persönliche Risikoabwägung der Schwangeren geben. Das heißt: Diejenigen, die einem besonders hohem Risiko ausgesetzt sind, die z. B. schon drei Kinder haben, die alle in die Schule gehen und deswegen dort besonders schnell mit dem Virus in Berührung kommen können, sollten sich eher impfen lassen. Diejenige, die vielleicht ihr erstes Kind bekommt und sich hauptsächlich zu Hause aufhält, hat ein sehr viel geringeres Risiko und sollte sich eher nicht impfen lassen.

Das sind doch alles Empfehlungen, die bundesweit vorliegen. Mich erstaunt es immer ein bisschen, dass wir zwei so anerkannte Institutionen haben, aber sowohl die Presse als auch viele Ärzte, also Hausärzte und Kinderärzte, so tun, als gäbe es diese bundesweit geltenden Empfehlungen nicht.

Es gibt dann eine Übersetzung für die normalen Bürger, die wir auf der Seite des Sozialministeriums finden. Wir haben bundesweit geltende Empfehlungen. Mir ist nicht klar, warum auch auf der politischen Ebene – das war bei Frau Schmidt nicht ganz klar, bei Herrn Rösler ist es das sowieso nicht – die Empfehlungen nicht so angenommen werden, wie das eigentlich normal sein sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Lothar Quanz und Petra Fuhrmann (SPD))

Lassen Sie mich aber auch anmerken, dass es natürlich wichtig ist, die Transparenz der Entscheidung des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts – bei der Ständigen Impfkommission muss das sowieso gegeben sein – erkennen zu können. Solche Entscheidungen müssen auch kritisch begleitet werden. Zum Beispiel müssen die Mitglieder der Ständigen Impfkommission ständig mitteilen, welche Interessenkollisionen vorliegen könnten.Das muss veröffentlicht werden.Sicherlich kann es da aber noch mehr Transparenz geben.Ich finde es auch richtig, dass da mehr Transparenz eingefordert wird.