Wenn man dann davon ausgeht, dass die gegenwärtige Impfaktion weltweit rund 20 Milliarden US-$ kostet, frage ich mich allerdings: Wer berät hier wen zu wessen Gunsten?
Würden wir uns eine unabhängige Forschung leisten, dann könnten wir jetzt sicher sein, dass politische Entscheidungen nicht von den Interessen der Pharmaindustrie beeinflusst würden. Dafür hätten wir in der Vergangenheit Geld ausgeben müssen, aber jetzt bestünde die Möglichkeit, dieses Geld wieder einzusparen. Wir wären viel sicherer. Darum geht es mir, um die Sicherheit. Ich fühle mich an dieser Stelle nämlich nicht mehr sicher.
Wir wären viel sicherer, dass die Entscheidungen, die wir treffen müssen, wirklich nur der besten medizinischen Versorgung der Menschen dienen, nicht den besten Gewinnmargen der Industrie.
Wir brauchen umgehend eine vollständige Entflechtung der Institute von den Einflüssen der Industrie, und wir brauchen ein Drittmittelverbot an unseren Universitäten.
Forschung muss frei und unabhängig sein. Nur so kann sie sich in allen Richtungen entfalten und ist unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit.
Wir kennen dieses Phänomen aus vielen Bereichen. Für die Medizin sei hier nur die Medikamentenversorgung kranker Kinder genannt.
Herr Banzer, wenn Sie im Zusammenhang mit möglichen Erkrankungen von einem zu erwartenden Rückgang des Bruttoinlandsprodukts sprechen, finde ich das mehr als makaber. – Danke.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahl der neu an A/H1N1-Grippe erkrankten Menschen hat sich innerhalb weniger Tage fast verdoppelt. Nach Angaben des Präsidenten des Robert Koch-Instituts Prof.Hacker am 2.November wurden in der Woche zuvor 3.000 Neuinfektionen registriert; zuletzt lag die wöchentliche Rate bei 1.600.
Damit haben sich von April bis Anfang November in Deutschland 30.000 an der neuen Grippe angesteckt; die heutige Zahl beträgt 50.000 bis 60.000. Diese Anzahl könnte höher liegen, da eine unspezifische und oft wenig intensive Symptomatik nicht immer zur Diagnose und zur ärztlichen Behandlung führt.
Gott sei Dank ist die Zahl der Todesfälle sehr gering.Aber jüngst traten auch in Deutschland erste Todesfälle bei Patienten ohne Grunderkrankung auf.
Anfangs war die Impfbereitschaft in der Bevölkerung gering. Die Information über Nutzen und Risiken der Impfung war auch aus der Ärzteschaft und in der Presse widersprüchlich. So äußerten sich im Sommer die Fachgesellschaft der Kinderärzte negativ und der Vizepräsident der Bundesärztekammer zurückhaltend.
Als jetzt die Bevölkerung vermehrt nach Impfungen nachfragte, traten vorübergehend Lieferschwierigkeiten des Impfstoffs auf. Darauf werde ich nachher noch näher eingehen.
Bei dieser Ausgangslage stehen die Beteiligten – Ministerien, Gesundheitsämter, Ärzte,Apotheken und Impfstoffhersteller – zwei Herausforderungen gegenüber: Die Impfmotivation der Bevölkerung darf auf keinen Fall nachlassen, und alle Bürger, die sich impfen lassen möchten, müssen innerhalb eines kurzen, absehbaren Zeitraumes hierzu die Gelegenheit bekommen.
Eine Impfung ist zunächst eine prophylaktische Maßnahme für das Individuum. Es ist zu erwarten, dass die Verläufe dieser Grippe bei Erkältungen in der nasskalten Jahreszeit und bei einer Schwächung des Immunsystems intensiver und gefährlicher werden.
Genauso wichtig für die Gemeinschaft ist die Prophylaxe gegen eine Mutation des Virus. Eine Mutation ist eine Veränderung der Virusstruktur durch die Wirtszellen oder andere Viren wie das saisonale Grippevirus oder das Vogelgrippevirus. Auf diese Weise kann das Virus für den Menschen sehr viel gefährlicher werden, und insbesondere kann es gegen antivirale Medikamente resistent werden.
Statistisch erhöht jede Virusübertragung das Risiko der Mutation. Daher fasste es die Vorsitzende der Weltgesundheitsorganisation, Margaret Chan, so zusammen: Die Gefahr ist nach wie vor die Mutation; die frühzeitige Impfung der Bevölkerung gehört neben hygienischen Maßnahmen und der antiviralen Therapie zu den wichtigsten Maßnahmen der Prävention und Bekämpfung von Influenza.
Daraus folgt,dass die Zahl der Neuansteckungen mit dem H1N1-Virus eingedämmt werden sollte, bevor mit der Verbreitung der saisonalen Grippe zu rechnen ist.
Meine Damen und Herren, das Bundesland Hessen hat sehr frühzeitig Initiativen ergriffen, um die Ausbreitung
des Virus einzudämmen.Durch eine sachliche Aufklärung über die Gefahren dieses Virus – ohne Panik auszulösen – wurden die Menschen für Vorsorge durch Hygiene sensibilisiert.Vielleicht führte schon diese einfache Maßnahme zu einer unterdurchschnittlichen Durchseuchung in Hessen.
Durch Bevorratung von Tamiflu stand dieses antivirale Medikament schon im Sommer für 30 % der Bevölkerung zur Verfügung. Das Land hat sehr schnell Impfstoff für 30 % der Bevölkerung – 3,7 Millionen Dosen – unter der Annahme geordert, jeder müsse zweimal geimpft werden. Die sich jetzt abzeichnende Erkenntnis, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur eine Impfung notwendig ist, führt dazu, dass der georderte Impfstoff für mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausreicht.
Die Hessische Landesregierung hat in der Diskussion über die Finanzierung erreicht, dass Krankenkassen und Bund die Impfkosten für die gesetzlich Versicherten tragen. Die Länder beteiligen sich an den Impfkosten für ihre Bediensteten in Ländern und Kommunen. Die erforderlichen Haushaltsmittel werden eingestellt.
Angesichts der ursprünglichen Finanzierungsvorstellungen sowohl der früheren Bundesgesundheitsministerin als auch der Verbände der Krankenkassen ist dieses Ergebnis aus Ländersicht als Erfolg zu werten.Das Ministerium hat rechtzeitig Gespräche mit den Krankenkassen, den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Ärzten, hier insbesondere mit dem Hausärzteverband, geführt. Durch Honorarvereinbarungen konnte sichergestellt werden, dass hauptsächlich niedergelassene Ärzte die Impfung durchführen. Sie ermöglichen die flächendeckende Impfung und die individuelle Beratung.
Besonders hervorzuheben ist, dass das Ministerium ein Impfhonorar vereinbaren konnte, das unter der Honorierung anderer Impfungen liegt. Angesichts der andauernden Diskussion über Regelleistungsvolumina und eine betriebswirtschaftliche Kalkulation in Arztpraxen ist dies ein Erfolg. In diesen Vereinbarungen wurden auch Haftungsfragen und die Logistik des Impfstofftransports geklärt. An dieser Stelle soll das verantwortungsvolle Handeln von Ärzten und Apothekern gewürdigt werden.
Meine Damen und Herren, nicht in allen Bundesländern konnte eine solche Vereinbarung erreicht werden.
Insbesondere im Bundesland Berlin reichte das Verhandlungsgeschick der Gesundheitssenatorin – sie gehört der LINKEN an – nicht aus, um die Kassenärztliche Vereinigung dazu zu bewegen, diese Impfung für 5 c durchzuführen.Dort forderten die Ärzte weiterhin 7,10 c.Zudem war Berlin nicht bereit, für Impfschäden zu haften. Daher wurde ein Artikel der „Berliner Zeitung“ betitelt: „Berlin impft später“. Verzweifelt hat Berlin dann Impfvereinbarungen mit einzelnen Praxen getroffen – teurer und für die Bürger verwirrender.
Das zweite Bundesland, bei dem es beim Impfstart noch keine Honorarvereinbarung für das Impfen gab, ist Rheinland-Pfalz. Hier war man um 1 c auseinander.
Das zeigt: Diese Erfolge unserer Landesregierung sind nicht von selbst gekommen, sondern waren Ergebnis kluger Verhandlungen.
Zu Beginn der Impfaktion in den letzten Oktobertagen war die Impfbereitschaft der Bevölkerung gering. In
Deutschland gaben nur 14 % der Bevölkerung an,sich auf jeden Fall impfen lassen zu wollen. Der Anstieg der Erkrankungsfälle und die Klarstellungen von Ärztekammern und Fachgesellschaften führten dann ungefähr eine Woche später zu einem erheblichen Anstieg der Impfwilligkeit.Der Aufruf des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in der „FAZ“ vom 08.11.: „Impft die Kleinen!“ trug auch dazu bei.
Nun gab es – wir hoffen: vorübergehend – Lieferengpässe beim Impfstoff. Es zeigte sich, dass der Hersteller GlaxoSmithKline die vereinbarte Impfmenge von 50 Millionen Dosen zumindest nicht termingerecht liefern konnte. Dies muss kritisiert werden.
Mitte Juni wurde von der Weltgesundheitsorganisation die höchste Pandemiestufe ausgerufen. In dieser Zeit bat der Impfstoffhersteller GSK die Bundesländer, den Bedarf an Impfstoff sehr zeitnah mitzuteilen. Es hieß, die Firma brauche Planungssicherheit. Alternativen zu GSK gab es damals nicht, denn nur GSK machte ein konkretes Preisangebot, das sich am Impfstoff gegen die saisonale Grippe orientierte. Dies äußerte kürzlich das Ministerium Thüringens, das damals die Verhandlungen für die Länder koordinierte.
Nach Angaben des Ministeriums aus Baden-Württemberg im Oktober habe GSK damals drei Modellrechnungen vorgelegt, die die Ausbeute des Impfstoffes kalkulierten. Die Voraussagen für das ungünstigste Szenario wurden dann noch deutlich untertroffen.Ich trage das deshalb vor, weil die Firma heute angibt – „FAZ“, 15.11.2009 –, man habe sich nur verpflichtet,einen prozentualen Anteil, 16 %, der Produktion zu liefern. – Das ist richtig. Aber auch beim ungünstigsten Szenario wäre man auf 50 Millionen Dosen gekommen. Dies darf meines Erachtens einem weltweit agierenden und erfahrenen Impfstoffhersteller so nicht passieren.
Auch die Kommunikation ist noch optimierungsfähig. Zwei Beispiele. „Stuttgarter Zeitung“, 30.10.2009:
Von einem Rechenfehler spricht Sonja Luz, Projektleiterin bei GlaxoSmithKline. Es sei niemals so viel Impfstoff versprochen worden. Da müsse ein Missverständnis vorliegen,...
Die Auslieferung des... bestellten Impfstoffs... wird sich nach Angaben des Herstellers GlaxoSmithKline (GSK) bis in das nächste Jahr hinziehen. Bei der Herstellung sei es zu nicht erwarteten Verzögerungen gekommen,...
Hier wäre eine Klarstellung der Führung von GSK doch wirklich wünschenswert, zumal es wichtig ist, vor dem Eintreffen der saisonalen Grippe einen wirksamen Impfstatus zu erreichen, und die sichere Immunität wird erst ca. zwei Wochen nach einer Impfung erreicht.
Diese Situation führte zu Verunsicherungen und Verärgerungen bei Bürgern und Ärzten. In den meisten Hausarztpraxen erhalten die Bürger einen zeitnahen Termin zur Impfung. Es gab aber in den letzten Wochen auch zahlreiche Erfahrungen von Impfwilligen, die keinen festen Termin für eine Impfung erhielten und auf Wartelisten verwiesen wurden. Es gab auch Beschwerden von Praxen über eine zu geringe Zuteilung. Insbesondere Gemeinschaftspraxen beklagten, dass nicht berücksichtigt wurde, dass mehrere Ärzte impfen würden.
Die britische Firma sollte um ihren Ruf bemüht sein. Sie wirbt auf ihrer Homepage damit, im Jahr 2008 Platz 1 im Access-to-Medicine-Index erreicht zu haben, ein Ranking, das das Engagement der Versorgung der Dritten Welt mit innovativer Medizin zu niedrigen Preisen würdigt. Hier gibt es noch einen Nachholbedarf.
Der „Impfgipfel“ im Bundesministerium für Gesundheit war ein notwendiges und richtiges Signal. Neben der Koordination des Bundesministers mit den Ministern der Länder war die Einladung an die GSK wichtig, um zu zeigen, dass es der Politik ernst ist, möglichst viele Menschen durch eine Impfung zu schützen. Die Informationen der GSK – die Lieferung von 10 Millionen bis Ende November und von 20 Millionen bis Ende Dezember – sind sicherlich noch ergänzungsbedürftig.