Protokoll der Sitzung vom 17.11.2009

Es ist entscheidend, wieder Vertrauen herzustellen, um Verschwörungstheorien gegen die Impfung in der Bevölkerung überhaupt keine Chance zu geben. Frau SchulzAsche hat darauf in ihrem Beitrag auch hingewiesen. Das Auftreten von Verschwörungstheorien ist ein psychologisches Phänomen, das wir nicht verhindern können, auch nicht deren Verbreitung durch E-Mails. Wir müssen aber etwa die Vorstellung einer Journalistin, die Impfung sei ein geplanter Genozid, entsprechend einordnen können.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es!)

Unüberlegte Äußerungen von Medizinern will ich keineswegs mit solchen Wahnvorstellungen gleichsetzen. Sie sind dennoch grenzwertig und problematisch. Eine Allgemeinmedizinerin aus Frankfurt verbreitete über Massenmails die Behauptung, dass der Zusatzstoff Squalen erwiesenermaßen eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises und eine posttraumatische Störung, das Golfkriegssyndrom, auslöse. Squalen ist ein natürliches Zwischenprodukt des Cholesterinstoffwechsels und ist Bestandteil von Olivenöl und Lebertran. Als Adjuvans fand es bereits vierzigmillionenfache Anwendung im Impfstoff gegen die saisonale Grippe. Ich erwähne dies hier, da diese Mails auch Abgeordnete erreichten. Gemäß der Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts ist da überhaupt nichts dran. Vielleicht kann ein Gespräch der Ärztekammer mit der Ärztin diesen Fall klären.

Dramatisch sind aber die wiederholten Äußerungen eines Arztes, des Kollegen Dr.Wodarg aus Kiel, der für die SPD im Bundestag sitzt. Er veröffentlichte am 07.08.2009, die Angst vor einer Pandemie sei eine Inszenierung der Pharmaindustrie. Weiterhin behauptete er, der Impfstoff der Firma Novartis erhöhe das Risiko,an Krebs zu erkranken. Prof. Klenk, Institut für Virologie, Marburg, widersprach dem umgehend. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Prof. Löwer, kommentierte:

Ich finde es unverantwortlich, eine Krebsangst zu erzeugen, für die es keinen Anlass gibt.

Nun hat der Kieler Gesundheitspolitiker keine eigenen Erkenntnisse und sicherlich auch nicht den vollständigen Überblick über seriöse wissenschaftliche Studien, sondern bezieht sich einzig und allein auf die Publikation „Arzneimittel-Telegramm“. Er hat in den vergangenen Monaten seine Kenntnisse auch nicht sonderlich erweitert. In einer aktuellen Stellungnahme zur H1N1Grippeimpfung beginnt er wörtlich:

Man braucht sich diesen, auch mithilfe der WHO inszenierten Rummel... nur noch einmal vor Augen zu führen...

Dann führt er weiter aus. – Ich rege an, dass die fachkundigen Gesundheitspolitiker der Sozialdemokratie hier einmal in doppelter Hinsicht ein kollegiales Gespräch führen.

Es geht hier nicht um das Abwürgen einer wissenschaftlichen Diskussion,sondern darum,dass hier nicht verunsichert und die Reputation eines Mediziners missbraucht wird. Ich glaube im Allgemeinen auch nicht, dass ein einzelner Mediziner eine grundsätzliche Nutzen-Risiko-Abwägung einer Impfung treffen kann. Hier sollten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission und des Paul-Ehrlich-Instituts Richtschnur für ärztliches Handeln sein. Davon unberührt bleiben natürlich das Recht eines Mediziners, eine bestimmte Behandlung, so auch Impfung, nicht durchzuführen, und die Pflicht, eine individuelle Bewertung vorzunehmen.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle drei ganz kurze Sätze zum Stellenwert von Erkrankungen, die durch Mikroorganismen ausgelöst werden, in der medizinischen Forschung und Praxis. Als ich Anfang der Achtzigerjahre ins Berufsleben eintrat, schienen virale und bakterielle Erkrankungen ein Problem der technischen Routine zu sein, das durch die Entwicklung eines neuen Impfstoffes oder der nächsten Antibiotikageneration gelöst wird. Dann folgten die Erkenntnisse des Zusammenhangs von Aids und HIV, von Magen-Darm-Geschwüren durch Bakterien, weiblichem Genitalkrebs durch HP-Viren und Leberversagen nach Hepatitis-C. Falls nun die Hypothese, dass Gefäßverkalkungen auch durch den Mikroorganismus Chlamydien ausgelöst werden können, bewiesen würde, würde die Prophylaxe gegen mikrobielle Erkrankungen einen ganz neuen Stellenwert bekommen, dem wir uns dann auch als Gesundheitspolitiker stellen müssten.

Meine Damen und Herren, die Strategie des hessischen Gesundheitsministeriums gegen die Ausbreitung der Influenza A/H1N1 erwies sich als richtig und vorausschauend. Es war richtig, nach nur einer Woche nach dem Impfstart für zunächst Gesundheitspersonal, Feuerwehr, Polizei und chronisch Kranke möglichst allen Personen die Impfmöglichkeit anzubieten. Die Aufteilung, dass der öffentliche Gesundheitsdienst und Betriebsärzte Gesundheitspersonal, Polizei und Feuerwehr impfen und Hausärzte chronisch Kranke und alle anderen Bürger impfen, war ebenfalls strategisch richtig. Die Flexibilität vieler Gesundheitsämter, nach kurzer Zeit auch andere Bürger zu impfen, wo der Hausarzt keinen Impfstoff hatte, ist anzuerkennen. Damit ist in Hessen die Priorisierung weniger streng und wird von den Bürgern nicht so intensiv wahrgenommen.

Die kontinuierliche Information des Gesundheitsministeriums bleibt für den Erfolg der Impfaktionen entscheidend. Dies betrifft besonders Mitteilungen zu Impfungen von Kleinkindern und Schwangeren. Die weiterentwickelte Positionierung des hessischen Berufsverbandes für Kinder- und Jugendmedizin, dass eine Impfung auch für Kinder von sechs Monaten bis drei Jahren empfohlen wird, ist kommuniziert. Dies gilt auch für die Erkenntnis, dass auch gesunde Schwangere zu den Risikogruppen gehören und geimpft werden sollten. Ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft wird die Impfung angeraten. Die Konferenz der Gesundheitsminister beschloss, Spaltimpfstoff ohne Adjuvantien zu bestellen, der im Dezember geliefert wird. Stellt sich die Frage einer dringenderen Impfung bei Schwangeren mit chronischen Erkrankungen, können die hessischen Universitätskliniken individuell beraten.

Es ist zu befürworten, dass in Abhängigkeit vom Bedarf an Impfärzten auch Fachärzten, zumindest mit Bezug zu Atemwegserkrankungen, das Impfen im Rahmen der Vereinbarung gestattet wird.

Abschließend möchte sich die CDU-Fraktion für das Engagement und die Mehrarbeit der Bediensteten im Ministerium bedanken.Weiterhin gilt der Dank den mitwirkenden Ärzten und Apotheken.Wir werden die Landesregierung auf diesem Weg weiter unterstützen, und wir werden auch darauf achten und hinwirken, dass die Impfstoffhersteller möglichst bald ihren Verpflichtungen nachkommen. – Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Danke sehr,Herr Dr.Bartelt.– Zu einer Kurzintervention hat sich Frau Schott von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Herr Dr. Bartelt, Sie haben am Anfang Ihres Redebeitrags gesagt, in Berlin hätte unter anderem deshalb nicht pünktlich begonnen werden können, zu impfen, weil sich die Berliner Landesregierung geweigert habe, einen Vertrag abzuschließen, in dem sie Regressansprüche an die Firma ausschließt. Erstens frage ich mich: Wenn eine Firma einen guten Impfstoff hat und der durchgetestet ist, warum will sie solche Verträge haben? – Zweitens. Heißt das im Umkehrschluss, dass das Land Hessen alle Regressansprüche übernommen hat?

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Schott. – Herr Dr. Bartelt, Sie haben Gelegenheit zur Antwort. Ihnen stehen zwei Minuten zur Verfügung.

Ich habe gesagt, dass die Gesundheitssenatorin in Berlin nicht das ausreichende Verhandlungsgeschick hatte, einen entsprechenden Vertrag auszuhandeln.Offensichtlich war sie damit überfordert gewesen. Es gab überhaupt keine Annäherung zwischen den von den Ärzten der KV geforderten 7,10 c und den angebotenen 5 c.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Dieses Missgeschick führte dazu, dass für das Bundesland Berlin alles viel teurer geworden ist.

(Marjana Schott (DIE LINKE):Ich habe Sie zu Regressansprüchen gefragt!)

Denn die individuellen Abmachungen mit den einzelnen Ärzten waren dann viel teurer geworden. Das Honorar für die einzelnen Ärzte war dann weitaus höher gewesen. Das war also eine Vergeudung von Steuermitteln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zweitens. Es war richtig, dass die Bundesländer die Haftung übernommen haben, dass sehr schnell eine Einigung über Haftungsfragen erzielt werden konnte. Dies war Voraussetzung dafür, dass sehr kurzfristig ein solcher Ver

trag zustande gekommen ist, dass hier die Impfaktion läuft. Berlin hat als einziges Bundesland seine Aufgabe dort nicht erfüllt.Darauf wollte ich einfach nur hinweisen, um die Wertigkeit, den Erfolg unserer Landesregierung, unseres Ministeriums richtig einzuordnen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Bartelt. – Für die Landesregierung hat sich Herr Staatsminister Banzer zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Prinzip der Immunität, das für jeden Landtagsabgeordneten gilt, schützt ihn davor, für seine Aussagen die Verantwortung zu übernehmen, aber nicht davor, die moralische Verantwortung für das zu übernehmen, was er hier sagt. Frau Schott, was Sie hier gesagt haben, müssen Sie moralisch verantworten. Die Fragezeichen, die Verdachtsmomente, dieses Zweifelsäen, diese Verunsicherung der Bevölkerung in vielen Bereichen, das müssen Sie gegenüber den Menschen verantworten, die Sorge haben, die Angst haben,

(Marjana Schott (DIE LINKE): Sie haben die Frage nicht beantwortet!)

die befürchten, dass die Schweinegrippe sie ganz existenziell gefährden kann, weil sie Menschen mit einem geschwächten Immunsystem sind. Ich finde, dass man sich überlegen muss, was man im Landtag sagt und was man formuliert.

Ich versuche, mir auszumalen, in welcher Welt man leben muss, dass man die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, einer UNO-Organisation, des Paul-EhrlichInstituts, des Robert Koch-Instituts, der Ständigen Impfkommission, all das, als einen weltweiten Komplott der Pharmaindustrie darstellt. In welcher Welt muss man da leben? Wie sehr ist man in seine bornierten, ideologischen Feindbilder verliebt, wenn man eine solche Position vertritt?

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Haftungsfrage beim Vertrag mit den Impfherstellern ist sehr hochgespielt worden. Allerdings ist dabei übersehen worden, dass die Haftungsverteilung schon durch die Impfgesetze festgelegt ist. Das Infektionsschutzgesetz definiert das. Es ist sowieso klar, dass für Impfungen, insbesondere wenn sie bundesweit empfohlen werden, derjenige, der sie empfiehlt, die Haftung übernimmt. Ich glaube, das ist ein Prinzip, an dem wir nicht rütteln können.

Das tut natürlich hin und wieder weh. Denn es ist nicht zu verhindern, dass es bei den vielen Impfungen in der einen oder anderen Situation auch negative Wirkungen haben kann. Sie sind für 99,9999 % der Bevölkerung gut; aber für dieses eine Tausendstel- oder Zehntausendstelprozent kann es auch negative Wirkungen haben.Denn Menschen sind verschieden, und der Organismus der Menschen ist verschieden. In dem Moment, in dem der Staat das empfiehlt, wird er auch dafür einstehen müssen. Ich glaube,

dass diese Haftungsverteilung logisch ist, weil wir sonst solche Impfempfehlungen gar nicht mehr vertreten und verantworten können. Das ist ein wesentlicher Teil der Haftungsverteilung zwischen Impfherstellern und den staatlichen, den Landesorganisationen.

Wir haben an verschiedenen Stellen schon Haftungen aus früheren Impfungen zu übernehmen gehabt, weil es immer wieder passiert. Das wird sicherlich auch bei dieser Impfaktion passieren. Ich finde, das muss man auch ganz offen und klar sagen. Der Impfhersteller haftet für grobe Fahrlässigkeit. Er haftet für alle Fehler, die im Rahmen des richtigen Funktionierens und Überwachens von Produktionsabläufen passieren. Aber er haftet nicht für die Folgen einer bundesweiten, einer nationalen Impfaktion. Das ist übrigens auch die Haftungsverteilung gegenüber den Ärzten.Auch da halte ich das für richtig. Es war auch eine Bedingung dafür, dass die Ärzte gesagt haben: Wir sind bereit, für 5 c und für 6,50 c zu impfen, wenn ihr uns von diesem generellen Risiko freistellt.

Es ist die Frage der zu Impfenden mit Eiweißallergien angesprochen worden. Das ist fast die gleiche Diskussion. Das ist eine nationale Impfung, die nicht für alle Menschen empfohlen werden kann, bei denen es Sondersituationen gibt. Zum einen hat der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts gesagt, man muss es sich im Einzelfall anschauen. Nicht jede Eiweißallergie ist eine Kontraindikation gegen die Impfung,sondern es kommt sehr darauf an, dass das der einzelne Hausarzt überprüft und einschätzt.

Zweitens haben wir aber inzwischen die Situation, dass es eine ganze Anzahl von unterschiedlichen Impfstoffen gibt. Jeder hat Vorteile und Nachteile. Wir bekommen Briefe:Wann kann ich den guten Impfstoff für mein Kind haben? – Das wird jetzt auch bei dem Impfstoff für Schwangere die Diskussion sein. Der Impfstoff für Schwangere ist der richtige für Schwangere. Er ist nicht für jeden der richtige. Man muss sagen, dass jeder Impfstoff Zielgruppen hat, für die er mehr oder weniger gut ausgerichtet ist. Deswegen ist das in der Bewertung insgesamt zu differenzieren.

Herr Banzer, Entschuldigung. Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Fuhrmann?

(Minister Jürgen Banzer: Ja!)

Danke schön, Herr Minister. Sind Sie mit mir der Auffassung, wenn es den normalen Grippeimpfstoff gegen die saisonale Grippe immer auf Eiweißbasis und auf Zellbasis hergestellt gibt, dass man dann auch für den Impfstoff gegen die Schweinegrippe beide Möglichkeiten am Markt haben muss – es gibt sie ja – und auch käuflich erwerben oder bestellen können muss, dass der auch zugelassen werden müsste? Für Allergiker ist er der einzige, der ginge.Auch für Schwangere wird er eher empfohlen.

Wenn Sie überall „müsste“ gesagt hätten, dann hätte ich Ihnen zugestimmt. Aber da war ein paarmal „muss“ und nur einmal „müsste“. Als wir bestellt haben, haben wir schon die zweite Welle kommen sehen. Es war eine Zeit

frage. Novartis hat angekündigt, es werde acht Wochen später.

Diese acht Wochen später, die die Impfung stattfinden würde, waren für uns der Grund, warum wir, obwohl wir als Hessen doch viel lieber beim hessischen Produktionsstandort bestellt hätten, schweren Herzens – wir haben ein paarmal gefragt, ob sie es nicht schneller zusagen könnten – auf Glaxo gegangen sind. Das hat dazu geführt, dass diese Unternehmen ihre Produktionskapazitäten international verteilt haben. Es gibt über 50 Länder, die gegenwärtig überhaupt keinen Impfstoff haben,die an gar nichts herangekommen sind, weil es nur in nationalen Tranchen verteilt wurde.

Die Firma Glaxo hat zusagen müssen, dass sie ihre ganze Kapazität zur Verfügung stellt und nicht einzeln distributiert. Die müssen uns die 16 % geben, und wenn sie mehr hätten, dann müssten sie uns mehr geben, bevor sie es einzeln verteilen. Ähnliche Verträge hat die Firma Novartis, und das ist unser Problem. Wir werden trotzdem versuchen, für die zum Glück überschaubare Zahl von Personen, die das benötigen, über die Apotheken einen Einzelbezug von Medikamenten, die es in einzelnen Impfstofftranchen geben könnte, zu erreichen. Das verhandeln wir gegenwärtig. Das wird sicherlich ein paar Tage dauern. Es ist eigentlich kein gewaltiges Mengenproblem. Deswegen hoffe ich, dass die Firma Novartis an dieser Stelle im Interesse der Betroffenen zu einem entsprechenden Kompromiss in der Lage ist.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Banzer. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Ich darf damit feststellen, dass die Regierungserklärung des Hessischen Ministers für Arbeit, Familie und Gesundheit betreffend „Vorbeugen, vorsorgen und Verantwortung übernehmen – Impfung ist der beste Schutz“ gegeben wurde. Die Aussprache hat stattgefunden und ist beendet.

Wir treten damit in die Gesetzeslesungen ein. Ich darf Tagesordnungspunkt 3 aufrufen: