Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Wir meinen, dass sich die künftige Organisation des SGB II aus der Sicht der Erwerbslosen und der Hilfebedürftigen an folgenden Prämissen messen lassen muss.Alle Erwerbslosen, nicht nur die Arbeitslosen, werden gefördert. Die ihnen zustehenden Leistungen sind schnell, unbürokratisch, aus einer Hand, und ohne dass dauernd Widerspruch eingelegt werden muss, zu erbringen. Die Betroffenen müssen ständig einen kompetenten und direkt erreichbaren Ansprechpartner haben. Die Arbeitsvermittlung muss nach individuellen Merkmalen erfolgen. Dazu sind auf die Personen zugeschnittene Integrations- bzw. Beschäftigungsangebote auf dem örtlichen, zumindest aber auf dem regionalen Arbeitsmarkt zu unterbreiten – aber auch überregional.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei allen Maßnahmen gilt das Prinzip der Freiwilligkeit.

Aus der Sicht der Kommune sollte Folgendes gelten. Die Kommunen müssen Handlungs- und Entscheidungsspielräume erhalten, die eine Verzahnung der kommunalen Sozialpolitik mit der aktiven Beschäftigungs- und Strukturpolitik ermöglichen. Dabei sind die positiven Erfahrungen lokaler Arbeitsmarktpolitik vor der Einführung der Hartz-IV-Gesetze einzubeziehen. Die Kommunen dürfen wirtschaftlich aber nicht weiter belastet werden.

Aus der Sicht der Beschäftigten gilt Folgendes. Die Beschäftigten müssen unbefristete Arbeitsverträge erhalten. Es sind Möglichkeiten der Qualifizierung zu schaffen. Sie brauchen positive Ermessensspielräume, um im Interesse der Betroffenen Entscheidungen treffen zu können. Die Zahl der zu betreuenden Erwerbslosen je Beschäftigten muss verringert werden. Es muss für alle Beschäftigten eine einheitliche tarifliche Entlohnung geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus der Sicht des Bundes: Es sind Wege zu finden, die Leistungserbringung abzusichern und zentrale arbeitsmarktpolitische Ziele realisierbar zu machen,die eine Beschäftigungs- und Strukturpolitik und einen Ausgleich zwischen den Regionen ermöglichen.

Die gegenwärtigen Widersprüche und Auseinandersetzungen zeigen, dass mittelfristig die Bundesagentur in ihrer Gesamtheit reformiert werden muss, auch hinsichtlich ihrer Demokratisierung. Es geht um die Wiederbelebung und Neubestimmung der Selbstverwaltung. Entscheidungen über die konkreten Ausgestaltungen der Politik der BA müssen das Ergebnis eines offenen Dialogs sein, in den alle betroffenen Gruppen einbezogen werden. Kurzfristig gilt es, die Verwaltung aufrechtzuerhalten und die Beschäftigten zu schützen,bis eine politische Einigung gefunden worden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Frau Schott. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Rock das Wort.

(Günter Rudolph (SPD): Jetzt etwas zur sozialen Gerechtigkeit, Herr Kollege!)

Das überlasse ich Ihnen, Herr Kollege. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden hier, wie so oft, über das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, kurz „Hartz IV“ genannt. Es geht wieder um die Umsetzung dieses Gesetzes. Wir haben uns sehr lange und intensiv darüber ausgetauscht. Ich glaube, die Grundhaltungen sind hier bekannt. Sie gehen auch gar nicht so weit auseinander.

Ich habe mir sicherheitshalber meine alten Reden durchgelesen, damit ich nicht so leicht erwischt werden kann, wenn ich mich äußere.Ich habe konsequent immer wieder gesagt: Hartz IV ist ein richtiger Schritt. Aber es ist nicht das, was wir wollen. Unser Ziel ist es, am Ende ein Bürgergeld zu schaffen.

Wir haben dazu im Koalitionsvertrag das Ziel definiert, die Zuverdienstmöglichkeiten zu verbessern,was aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt in dem Gesamtprozess ist, Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wir haben uns heute das Thema vorgenommen, wie wir die Umsetzung vor Ort organisieren können.Aber wir haben etwas weiter ausgeholt, um darzustellen, was bei dieser Umsetzung wichtig ist. Ein zentraler Punkt dabei ist – jedenfalls ist es mir immer so vorgekommen – die gemeinsame Aufgabenerledigung. Das war ganz zentral und immer ganz wichtig.

Wir haben im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Herrn Scholz sehr intensiv darüber diskutiert, dass die ZAGs – die Zentren für Arbeit und Grundsicherung – aus unserer Sicht keine optimalen Lösungen wären, weil sie die Gefahr in sich bergen würden, dass es zu einer stärkeren Zentralisierung käme, was den Einfluss der Arbeitsagentur erhöhen würde.

Wenn wir uns im Plenum schon ein bisschen mit der Vergangenheit auseinandersetzen,will ich feststellen,dass die GRÜNEN am 06.05.2008 einen Antrag eingebracht haben. In diesem Antrag betreffend künftige Trägerschaft im Sozialgesetzbuch II haben die GRÜNEN z. B. dargestellt, der Landtag halte „nur solche Modelle einer künftigen Trägerschaft für geeignet, die folgende inhaltliche Kriterien erfüllen: Leistungen für die betroffenen Menschen aus einer Hand...“. Es wurde die übliche Palette aufgeführt. In diesem Antrag heißt es, das von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz vorgeschlagene „kooperative Jobcenter“ werde diesen Anforderungen nicht gerecht.

Dieser Antrag stand hier zur Abstimmung. Diesem Antrag haben die Fraktionen der FDP und der CDU in diesem Haus zugestimmt.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Frau Fuhrmann, die SPD hat diesem Antrag damals nicht zugestimmt. Daran möchte ich Sie nur einmal erinnern. Schauen Sie ins Protokoll, und überlegen Sie sich, warum Sie nicht zugestimmt haben.

Aus meiner Sicht beschäftigt sich der Antrag der GRÜNEN mit einem wichtigen und zentralen Thema. Ich glaube, jeder, der mich kennt, weiß, wie ich aufgestellt bin und was ich für richtig halte.Wir, die FDP, sind immer für die Optionskommunen eingetreten. Wir halten die Option für die richtige Variante.

Wir haben gelernt, dass manche Kommunen die Arge wollen und versuchen, damit über die Runden zu kommen. Die Option halten wir für die bessere Alternative, weil sie mit einer klareren Zuweisung verbunden ist.Von daher ist die Tatsache, dass zumindest die Optionskommunen im Koalitionsvertrag gesichert sind, ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Die Hessen haben Glück gehabt, dass so viele hessische Gebietskörperschaften bereit waren, die Option zu wählen.Wir haben noch das Glück gehabt,dass sich zumindest bei der Hälfte der Gebietskörperschaften nicht gleich etwas verschlechtern wird.

(Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Aber Sie können jetzt erklären – damit möchte ich noch einmal auf das zentrale Thema zu sprechen kommen –: Was sagt der Kollege Rock da? Er spricht sich eigentlich für eine Verfassungsänderung aus.

(Petra Fuhrmann (SPD): Ja!)

Es ist meine Meinung – ich denke, das ist auch in der Diskussion, die wir letztes oder vorletztes Jahr geführt haben, klar geworden –, dass sich die FDP, wenn es zu einer Öff

nungsklausel bei den Optionskommunen gekommen wäre, dem nicht verschlossen hätte. Ich glaube, das ist überall nachzulesen.Wer das will, kann es machen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wenn wir Ursachenforschung betreiben, müssen wir uns einmal fragen,wie es eigentlich zu dem Thema gekommen ist.Am 20.12.2007 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass eine Mischverwaltung nicht zulässig ist. Auf die Urteilsbegründung brauche ich hier wohl nicht mehr im Einzelnen einzugehen. Das Gericht hatte der damaligen Bundesregierung eine Frist bis zum 31.12.2010 gesetzt.

Jetzt möchte ich noch ein bisschen auf die Rolle des Landes Hessen an dieser Stelle eingehen. Das Land Hessen war mehr als aktiv; es war bestimmt aktiver als viele andere Bundesländer.

(Beifall bei der FDP)

Im Juli 2008 haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass es an der Stelle zu einer Verfassungsänderung kommen soll. Das war ein Zeitfenster. Ich denke, eine Verfassungsänderung ist nichts, was man nebenbei macht. Es ist auch gut so, dass das nichts ist, was man nebenbei macht. Für solche Überlegungen hat man vielleicht nicht immer eine politische Mehrheit, und eine solche politische Mehrheit ist vielleicht auch nicht immer aufrechtzuerhalten.

Dass das Land Hessen im September 2008 einen Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung vorgelegt und deutlich gemacht hat, wo wir stehen, zeigt sehr klar, wie wir aufgestellt sind und was wir wollen. Ich glaube, an der Stelle kann man noch einmal aus der Rede von Frau Lautenschläger zitieren:

Wir haben auch dazu als Land Hessen einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, weil wir zeigen wollen, dass das, was alle Arbeits- und Sozialminister beschlossen haben, tatsächlich geht... Es liegt uns dazu noch nichts aus dem Hause des Kollegen Scholz vor, das diesen Ansatz auch nur weiterverfolgt und nicht wieder alles auseinanderreißt.

Ich glaube, die SPD trägt eine ganz große Verantwortung dafür, dass die Diskussion am Ende so gelaufen ist, wie sie gelaufen ist, und dass wir heute keine Möglichkeit mehr haben – das ist ein Fakt, den man bedauern kann oder nicht;ich bedauere ihn –,die Verfassung zu ändern,weil es diese Mehrheit nicht mehr gibt. Das ist für uns eine unangenehme Situation, aus der wir aber nicht einfach herauskommen.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

(René Rock (FDP): Ja!)

Herr Kollege Rock, danke schön für die Möglichkeit der Zwischenfrage. – Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass wir schon eine Einigung hatten? Alle 16 Bundesländer haben zugestimmt.Die Einigung auf eine Grundgesetzänderung war vorhanden. Es hätte auch eine Mehrheit gegeben, wenn nicht die CDU-Fraktion plötzlich umgefallen wäre und alles torpediert hätte.

Frau Fuhrmann, mir ist bekannt, dass im Juli 2008 alle Länder und der Bund signalisiert haben – Absichtserklärungen –, dass sie zu einer Verfassungsänderung bereit sind.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meiner Kenntnis nach war die Bundesregierung damals entsprechend aufgestellt. Zu der Entwicklung müssen Sie die Kollegen von der CDU befragen, nicht mich. An der Stelle bin ich überfragt.

Aber ich möchte noch einmal auf den Antrag der GRÜNEN eingehen und auf das, was Herr Bocklet hier dargestellt hat. Ich habe nur darum etwas zur historischen Verantwortung gesagt, damit das hier nicht aus dem Ruder läuft.

Herr Bocklet, Sie haben hier ein Szenario beschrieben, das für mich das schlimmste aller möglichen Szenarien wäre. Ich glaube nicht, dass dieses Szenario wirklich Realität wird, weil die Argen und die Kommunen ein großes Interesse daran haben, dass das so gut wie möglich weiter funktioniert.

Darum glaube ich auch, dass man versuchen muss, eine gesetzliche Lösung zu finden, wenn es tatsächlich so ist, dass man die Verfassung nicht ändern kann. Dafür braucht man eine Mehrheit. Wenn man feststellt, dass es diese Mehrheit nicht gibt, muss man mit der Konsequenz leben und versuchen, das Beste daraus zu machen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wer hat das denn fest- gestellt?)

Ich bin auch nicht der Meinung, dass es an der Stelle hilfreich ist, solche Horrorszenarien zu malen, die aus meiner Sicht nicht kommen müssen. Es wird, wenn man zwei Verwaltungen hat, die unterschiedliche Leistungen zusprechen, unterschiedliche Leistungsverwaltungen geben müssen. Es wird auch unterschiedliche Prüfungen geben. Das ist dann nicht mehr zu verhindern.Aber ob man dann in zwei Behördengebäude laufen muss oder ob es interne Möglichkeiten gibt, diese Strukturen zumindest für den, der die Dienstleistung erhält – die Arbeitslosen –, einigermaßen vernünftig zu organisieren, wird vor allem an den Argen und an den Kommunen liegen und daran, wie man das gemeinsam zu gestalten versucht.

Herr Jung kommt doch aus Hessen.Wir Hessen haben uns ganz intensiv dafür eingesetzt,dass es zu einer solchen Lösung kommt. Anders als bei Herrn Scholz hat man bei Herrn Jung sehr wohl sehr oft den Eindruck, dass er bei der Agentur immer wieder einen anderen Weg gehen will, nämlich den, wie wir ihn hier in Hessen haben wollten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Vielleicht entsteht durch die persönliche Grundeinstellung von dem, der da die Verantwortung trägt, für uns die Chance, die Probleme, die sich aus der Situation ergeben werden, so gering wie möglich zu halten. Da werden alle konstruktiv mitarbeiten müssen, vor allem auch die Stadt Frankfurt, weil dort immerhin 10 % der Menschen Hessens leben.