Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Die Ministerin sagt – nicht zufällig – auf die Frage, wenn im Hochschulrat Vertreter aus der Wirtschaft sitzen, die in zentralen Fragen mitentscheiden,ob das nicht die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr bringe:

Das ist nun wirklich nicht zu befürchten.

Ich lasse jetzt einen Satz über das Präsidentenamt aus.

Grundsätzlich ist es abgesehen davon richtig, stärker als bisher auf anwendungsorientierte Forschung zu setzen.

An dieser Stelle wird eine politische Debatte, die zentral darüber entscheidet, wie sich die Hochschule aufstellt – ob wir wollen, dass die deutschen Hochschulen Schwerpunkte in der Grundlagenforschung bilden, ob sie zur anwendungsorientierten Forschung übergehen sollen –, einfach an die Hochschulen delegiert. Das ist aber eine Anforderung der Gesellschaft.

Ich nenne einmal das Beispiel, auch wenn ich das Ergebnis nicht mag: Die Atomenergie wäre in Deutschland nicht in der Intensität erforscht worden, wie das geschehen ist, ohne dass der Staat dort Anforderungen gestellt und – das nebenbei – Milliarden darin investiert hätte.

Das heißt, das Recht einer Gesellschaft, in bestimmten Situationen Anforderungen an die Hochschulen zu formulieren, muss erhalten bleiben und kann nicht allein an die Hochschulen delegiert werden. Das Gleiche gilt für die Klimaforschung. Das, was wir in Deutschland an Klimaforschung haben,ist staatlich induziert.Es kann aber nicht sein, dass wir öffentliche Institutionen finanzieren, ohne dass wir als demokratische Öffentlichkeit an der Frage beteiligt werden,worüber sie forschen sollen.Auch an dieser Stelle scheitert das Gesetz an den Ansprüchen einer Hochschule in einer demokratischen Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich komme zu meiner letzten Grundsatzfrage. An dieser Stelle bitte ich die Landesregierung, einmal das von ihr selbst in Auftrag gegebene Gutachten zu lesen. Dort heißt es zur Frage der Wissenschaftsfreiheit:

Anders könnte der Fall zu beurteilen sein, wenn dem Hochschulrat oder seinem Vorsitzenden weitere Kompetenzen bezüglich der Wahl, Abwahl oder personalrechtlicher Fragen hinsichtlich des Präsidenten zuerkannt würden, die nicht Gegenstand dieses Gutachtens sind.

Wir sind beim Einfluss des Hochschulrates bereits an der äußersten Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen. Selbst diejenigen, die für die Landesregierung die Gutachten schreiben, sagen:Wir sind hier in einem problematischen Bereich. – Trotzdem wird dieser Weg weiter beschritten. Ich glaube,Autonomie braucht Demokratie.

Mit Blick auf die Redezeit werde ich jetzt einige Dinge weglassen müssen.

Autonomie braucht auch Beteiligung der Gesellschaft und der Studierenden. Dieses Gesetz jedenfalls ist zur Steuerung einer demokratischen Hochschule nicht geeignet, sondern verabschiedet die Hochschule ins Niemandsland. Dort gehört sie nicht hin. Das haben die Hochschulen nicht verdient – und die Politik, mit Verlaub, auch nicht.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Reißer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach einer sehr guten Vorbereitung halten wir heute im Hessischen Landtag die zweite Lesung des TUD-Gesetzes und des Hochschulgesetzes ab. Es liegt Ihnen vor.

Wir haben sehr viele intensive Gespräche geführt und dabei viele Anregungen und Bedenken aufgenommen. Ich darf auf den Redebeitrag meines Kollegen Dr. Herr von heute Vormittag bezüglich Bachelor und Master hinweisen. Um diesen Sachverhalt werden wir uns auch kümmern müssen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Der hat darüber nachgedacht!)

Das gehört zum Thema Hochschulen. Das betrifft nicht die vorliegenden Gesetzentwürfe, aber auch darum müssen wir uns kümmern. Wir haben Verständnis dafür, dass diese Kritik geäußert wurde. Der müssen wir uns annehmen.

Aber zurück zu den Gesetzentwürfen. Aufgrund der schriftlichen und mündlichen Anhörungen haben wir als CDU und FDP Änderungsanträge eingebracht. Diese Änderungsanträge – der Herr Kollege Grumbach hat bereits die dritte Lesung beantragt – werden wir in der nächsten Ausschusssitzung miteinander besprechen, auch Ihre Anträge, die dort vorgelegt werden.

Aber auf der Grundlage des TUD-Gesetzes will ich Folgendes sagen: Die TU Darmstadt ist als Modellhochschule gestartet, und das ist ein Erfolgsmodell. Das neue Hochschulgesetz baut auf diesem Erfolgsmodell auf. Das TUD-Gesetz wird weiterentwickelt, das Hochschulgesetz ebenfalls: aufgrund der hervorragenden Ergebnisse, die wir dort bislang erzielt haben.

Wir werden die Autonomie ausweiten. Denn wir sind davon überzeugt, dass dieser Weg richtig ist. Es ist auch gut so, dass wir das machen.

Wir stärken mit den Änderungsanträgen z. B. auch ganz klar den Wissenschafts- und Technologietransfer, weil wir glauben, dass das eine wichtige Aufgabe der Hochschule ist, auch für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Wir werden in den Einzelfragen noch einmal darauf zurückkommen.

Wir wollen beim Übergang der Liegenschaften auf die Hochschulen die Interessen der Studentenwerke – diese waren eine Anhörungspartei – berücksichtigen. Und wir wollen eine familienfreundliche Hochschule haben. Wir haben aufgrund der Anhörung Rücksicht genommen und in dem Gesetz den Nachtteilsausgleich aufgenommen, dass betreuungsbedürftige Kinder und pflegebedürftige Angehörige an dieser Stelle zu berücksichtigen sind. Das ist auch ein sozialer Gesichtspunkt, der eingebracht wurde; und das ist auch gut so.

(Beifall bei der CDU)

Auf der anderen Seite verbreitern wir den Hochschulzugang, und zwar haben wir in Hessen die Regelung, dass auch Meister studieren dürfen. Diese formulieren wir noch einmal präziser,indem wir sagen,dass Aufstiegs- und Fortbildungsabschlüsse, die im Bereich der Meisterausbildung vorhanden sind, auch dazu befähigen, studieren zu

können, sodass wir dies durchaus erweitern.Wir bieten in den ersten zwei Semestern die Möglichkeit, wenn studienbegleitende Prüfungen oder Nachweise zu machen sind, sich auch nachträglich zu qualifizieren. Das ist eine ganz hervorragende Sache, und dies ergibt auch eine Bildungsdurchlässigkeit,die wir ausdrücklich fördern.Es soll eben in der Prüfungsordnung auch stehen, dass nachgeholt werden kann, was dort gefordert wird. Das ist ganz wichtig.

Wir stärken die Rolle des Hochschulrats, weil wir davon überzeugt sind, dass das ein richtiges Mittel ist, um eine vernünftige und starke Arbeit in der Hochschule zu gewährleisten.Wir haben aber auch hineingeschrieben, dass wir diese Arbeit ein Stück weit transparenter aufzeigen wollen. Deswegen steht in unseren Anträgen eine entsprechende Formulierung drin,damit man nachvollziehen kann, was dort gemacht wird, um in diesem Bereich eine wirkliche Transparenz zu haben.

Gleichzeitig legen wir noch einmal besonderen Wert darauf, was der Modellcharakter der TU Darmstadt ist. Das ist eine Erfolgsstory;das konnte man auch ganz klar in der Anhörung hören. Es gab dort niemanden, der in irgendeiner Weise das, was dort gemacht wird, kritisierte, sondern es wurde ausschließlich gelobt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wo waren Sie während der Anhörung?)

Bei der Anhörung, Frau Kollegin. – Die Rolle des dortigen Hochschulrats bleibt erhalten, weil wir davon überzeugt sind, dass es richtig ist. Wir sehen darin eine Befruchtung innerhalb der Hochschule. Deswegen wollen wir dies erhalten.

Frau Kollegin, wir geben auch der Studentenvertretung im Rahmen der Autonomie die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren, in dem Maße, dass wir gesagt haben: Wenn wir die Autonomie ernst nehmen,dann muss es auch möglich sein, dass sich die Studentenvertretung selbst organisiert. Wie sie das machen will, bleibt ihr überlassen. Dazu gehört auch die 25-%-Regelung bei der Wahlbeteiligung. Dazu haben wir mit der Universität Frankfurt Erfahrungen gemacht. Das war ein gutes Modell, und deswegen wird das auch in dieser Weise eingeführt.

Wenn man nun betrachtet, was wir in den ersten Beiträgen gehört haben, dann ist festzustellen, dass von der Opposition wenig Produktives beigetragen wurde. Wenn man sich den SPD-Antrag ansieht, stellt man fest, dass sich dieser in Details verliert und dass dort einfach Reformrückschritte festzustellen sind. Herr Kollege Grumbach, Sie haben keine moderne Antwort auf das, was gefragt wird. Deswegen müssen wir ganz klar sagen: Das, was Sie hier anbieten, ist ein Rückschritt und kein Fortschritt. Damit sind wir nicht einverstanden.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Wir müssen den Hochschulen bestmögliche Freiheit geben; wir sollten sie nicht an der kurzen Leine halten. Herr Kollege, davon halten wir nichts, das ist nicht zukunftsfähig, sondern wir müssen sie weiterentwickeln.

Der Entwurf der LINKEN ist nicht mehr als Sommer, Sonne, Sozialismus. Das reicht einfach nicht, lieber Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Universitäten brauchen nicht mehr Gängelungen, sondern mehr Freiheit und weniger Gängelung. Das ist ganz wichtig.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wer braucht mehr Freiheit?)

Freiheit für eine fortschrittliche Zukunft, das ist die Grundregel, die wir dort beachten müssen.

Das Hochschul- und das TUD-Gesetz sind insgesamt gewaltige Schritte nach vorne. Wir möchten, dass die Hochschulen auch in Zukunft richtungweisend sind. Das sieht man daran, dass das TUD-Gesetz im Prinzip in vielen Bundesländern nachgefragt ist und eigentlich auch einen Exportschlager darstellt. Darauf können wir ein Stück weit stolz sein, weil wir den richtigen Weg eingeschlagen haben, den wir nun weitergehen wollen.

Hochschulen brauchen mehr Selbstständigkeit und keine staatliche Bevormundung. Damit wächst aber auch ihre Verantwortung vor Ort. Selbstbestimmung ist unsere Kernbotschaft für die gute Arbeit der hessischen Hochschulen. In Hessen entstehen Hochschulen der Zukunft, nicht der Vergangenheit.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Eieiei!)

Deswegen freue ich mich auf die weiteren Beratungen, auf die Anträge, die Sie noch stellen werden, und sehe der dritten Lesung entspannt entgegen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Nächste Wortmeldung, Frau Abg. Sorge für die GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um Ihnen zu verdeutlichen, in welche Richtung die vorliegende Novelle des Hochschulgesetzes geht, möchte ich Ihnen gern einen Satz aus den Anhörungsunterlagen zitieren, der mich wirklich sehr beeindruckt hat. Er lautet:

Weiter bemängeln wir eine zu starke Ausrichtung der Universitäten auf eine Art Ausbildungsfließband für die Wirtschaft.

Meine Damen und Herren, dieser Satz stammt vom Landesverband Liberaler Hochschulgruppen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt doch noch Liberale!)

Wenn jetzt schon die liberalen Hochschulgruppen vor der wirtschaftlichen Ausrichtung der Hochschulen warnen, dann sollte es doch spätestens Zeit sein, aufzuhorchen und hinzusehen, was an unseren Hochschulen los ist. Insbesondere der Plan der Landesregierung, den Hochschulrat von einem Beratungs- zu einem Entscheidungsgremium zu machen, wurde in der Anhörung von nahezu allen Anzuhörenden einhellig abgelehnt, und dies aus gutem Grund. Denn gerade in einer autonomen Hochschule müssen die wesentlichen Entscheidungen gemeinsam ausgehandelt, fortentwickelt und entschieden werden. Die Ausweitung der Macht der Hochschulräte aber schürt das Misstrauen untereinander, beispielsweise zwischen dem Senat und der Hochschulleitung oder zwischen den Studierenden und der Hochschulleitung.