Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Wenn jetzt schon die liberalen Hochschulgruppen vor der wirtschaftlichen Ausrichtung der Hochschulen warnen, dann sollte es doch spätestens Zeit sein, aufzuhorchen und hinzusehen, was an unseren Hochschulen los ist. Insbesondere der Plan der Landesregierung, den Hochschulrat von einem Beratungs- zu einem Entscheidungsgremium zu machen, wurde in der Anhörung von nahezu allen Anzuhörenden einhellig abgelehnt, und dies aus gutem Grund. Denn gerade in einer autonomen Hochschule müssen die wesentlichen Entscheidungen gemeinsam ausgehandelt, fortentwickelt und entschieden werden. Die Ausweitung der Macht der Hochschulräte aber schürt das Misstrauen untereinander, beispielsweise zwischen dem Senat und der Hochschulleitung oder zwischen den Studierenden und der Hochschulleitung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rafael Reißer (CDU):Wo denn?)

Meine Damen und Herren, dass die Hälfte der Hochschulratsmitglieder vom Ministerium benannt wird, ist kein Zeichen souveräner Abgabe von Autonomie an die Hochschulen, sondern erinnert an die strenge Überwachung der preußischen Hochschulaufsicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Reißer, wir haben heute gehört, dass Sie bei der Anhörung wirklich auf einer ganz anderen Veranstaltung gewesen sein müssen als der Rest der Wissenschaftslandschaft. Das belegt auch ein Zitat von Ralf Euler in der „FAZ am Sonntag“, in der er zu Ihnen sagt:

Gerade war die geplante Neufassung des Hochschulgesetzes in einer Expertenanhörung nahezu unisono abgelehnt worden, da formulierte er [Rafael Reißer] eine Pressemitteilung, in der er auf die Argumente der Kritiker mit keinem Wort einging. Im Gegenteil: Hessen werde das „freiheitlichste und modernste Hochschulgesetz“ erhalten, lobte Reißer die schwarz-gelbe Landesregierung. Dass das nicht einmal die Konferenz Hessischer Universitätspräsidenten gemerkt hat, macht den CDUMann nicht stutzig.

Da zeigt sich doch, dass Sie in einer vollkommen anderen Welt leben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Siebel (SPD) – Zuruf des Abg. Rafael Reißer (CDU))

Ich finde es wirklich ärgerlich, dass die Landesregierung hier wieder sämtliche Kritik ignoriert und sich noch nicht einmal für Kompromisse offen zeigt. Ich habe in der letzten Woche sowohl an die Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann als auch an die Obleute von CDU und FDP einen Brief geschrieben und sie aufgefordert, wenigstens auf diese massive Ausweitung der Befugnisse der Hochschulräte an den Hochschulen zu verzichten oder sie den Hochschulen freizustellen. Gerade weil sich alle Beteiligten der Anhörung zum Hessischen Hochschulgesetz so einig sind und diesen Machtzuwachs der Hochschulräte ablehnen, wären die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen wirklich gut beraten, dies ernst zu nehmen. Der Regierung schwebt nämlich bei ihrem Modell von autonomen Hochschulen vor, dass sie wie Unternehmen geführt werden sollen.Die Hochschulräte sollen dabei die Rolle des Aufsichtsrats einnehmen.

Meine Damen und Herren, Hochschulen – das habe ich von diesem Pult aus schon öfter versucht, zu erklären – funktionieren aber nicht wie Unternehmen, und das ist auch gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Denn eine Hochschule ist ein Ort, an dem alle an Wissenschaft und Forschung Beteiligten ein Mitspracherecht haben sollten. Genau das braucht Wissenschaft, um nach vorne zu denken, um auch einmal um die Ecke denken zu können. Eine Hochschule, deren Entwicklung allein von einer Handvoll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geleitet und im Wesentlichen von wirtschaftlich ausgerichteten Menschen kontrolliert wird,verliert an Ideen,an Neugier und an Kreativität. Das sollten Sie sich wirklich einmal überlegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der vorgelegte Gesetzentwurf hat überhaupt kein Konzept, wohin sich die Hochschulen entwickeln sollen. Er hat überhaupt keine Antwort auf all die Probleme in der Wissenschaftslandschaft, die, das kann man sagen, zurzeit ja förmlich auf der Straße liegen. Es geht hier um den Begriff der Autonomie. Frau KühneHörmann, Sie verstehen Autonomie nur als eine Abgabe von Verantwortung in der Form, dass Ihnen egal ist, was an diesen Hochschulen dann passiert.Sie verleugnen,dass Sie hier überhaupt einen Gestaltungsanspruch haben.

Zweites Thema: Bologna. Herr Reißer, jetzt haben Sie noch einmal wiederholt, was die Frau Ministerin immer sagt. Gerade weil der Bologna-Prozess so danebengeht, die Ziele überhaupt nicht erreicht werden, wäre es Aufgabe eines Hochschulgesetzes, das aktuell vorgelegt wird, sich genau diesen Problemen zu widmen und diese Probleme strukturell in die Hand zu bekommen und die Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Aber nein, die Ministerin sagt wiederholt, sie sehe angesichts der Proteste – ich zitiere aus der „HNA“ – vor allem die Hochschulen in der Pflicht, die für die organisatorische Umgestaltung der Bachelor- und Masterstudiengänge zuständig seien. Dementsprechend müssten die Hochschulen nachsteuern. – Am Dienstag waren 10.000 Studierende,Schülerinnen und Schüler auf der Straße,unter anderem weil sie Angst haben,in welche Richtung sich unsere Hochschulen entwickeln, in welche Richtung sich unsere Ausbildungsinstitutionen entwickeln.

(Beifall der Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf von der CDU: Nicht so laut!)

Es ist schon spät am Abend. Ich dachte, Sie werden ein bisschen wach, wenn ich lauter bin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben nichts anderes zu tun, als diese Verantwortung abzugeben. Genauso ist es mit der Chancengerechtigkeit. Alle reden davon, dass sich unsere Bildungsinstitutionen öffnen müssen,dass sie chancengerechter werden müssen. Das ist doch ein Problem, um das Sie sich kümmern müssten. Warum ist z. B. für die Bachelor- und Masterstudiengänge kein Recht auf Teilzeit festgeschrieben, damit sich auch die Studierenden,die weniger Geld in der Tasche haben oder deren Eltern weniger Geld in der Tasche haben oder die beispielsweise neben dem Studium Kinder erziehen müssen, sich auch ein Studium leisten können?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Leider sehe ich meine Redezeit dahinschwinden. Deshalb sei mir gestattet, noch auf eine Sache hinzuweisen, die ich wirklich jämmerlich finde.

Frau Kollegin,das mit dem Dahinschwinden war nicht nur richtig, sondern eigentlich war schon das Ende Ihrer Redezeit erreicht.

Herr Präsident,ich habe es gesehen.Ein letzter Satz.– Wir haben Nachricht von einer Reihe von Hochschulgremien bekommen, sowohl von Studierenden als auch von wissenschaftlichen Mitarbeitern, die versucht haben, eine Diskussion zum HHG in den Hochschulen zu führen.Von allen wurde gesagt, die Ministerin, aber auch niemand aus der CDU-Fraktion stehe für eine Diskussion zur Verfügung. Dass Sie sich hier über die Studierenden aufregen, die demonstrieren, aber diese Ängste nicht ernst nehmen und noch nicht einmal gesprächsbereit sind, das ist wirklich jämmerlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus dem Debakel im Kultusministerium nichts gelernt! Alte Parallelgesellschaft CDU! – Gegenruf der Ministerin Eva Kühne-Hörmann)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Dr. Büger für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den letzten Wochen musste man wirklich manch Sonderbares lesen und hören, zum Teil auch über diese Novelle des Hochschulgesetzes, über die wir heute sprechen. Die Hochschulen hätten zwar mehr Rechte. Diese würden aber an angeblich undemokratische, unverantwortliche Hochschulräte übergeben, die, anstatt zu „raten“, jetzt auch noch entscheiden wollten. Gleichzeitig würden angeblich die Studentenvertretungen abgeschafft, und insgesamt wolle eigentlich niemand in den Hochschulen diesen Gesetzentwurf. – Meine Damen und Herren, diese Aussagen sind genauso platt, wie sie falsch sind. Das will ich Ihnen an drei Punkten darstellen.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da sind wir gespannt!)

Frau Sorge, bevor ich zu diesen drei Punkten komme, noch ein Punkt direkt an Sie. Interessant fand ich, als Sie sagten, das sei der einzige Satz der Liberalen Hochschulgruppe gewesen – es ist schön, dass Sie auch die Stellungnahme der Liberalen Hochschulgruppe lesen –, der Ihnen im Gedächtnis geblieben ist.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das wundert mich im Übrigen nicht, denn diesen Satz, Frau Sorge, hat die Liberale Hochschulgruppe gar nicht gesagt.Den Satz haben Sie selbst gesagt.Dass Sie sich hier selbst zitieren, dass Sie sich an Ihren eigenen Satz erinnern, ist hochinteressant.

(Zurufe der Abg. Sarah Sorge und Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Insoweit ist im Übrigen auch wichtig, dass dieser Punkt – Frau Sorge,bitte sehr – völlig aus dem Zusammenhang gerissen war und überhaupt nicht im Zusammenhang mit diesem Hochschulgesetz stand.

Universität war für uns immer etwas Universales.

(Zurufe der Abg. Angela Dorn und Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das galt natürlich auch für diese Präambel, in der dieser Satz steht. – Aber jetzt, nachdem sich hoffentlich auch die Aufregung bei Ihnen etwas gelegt hat, wieder direkt zum Hochschulgesetz.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Gegenteil! Sie haben gerade zugegeben,dass Sie noch nicht einmal die Anhörungsunterlagen der Liberalen Hochschulgruppe gelesen haben!)

Ich habe diese Anhörung selbst geleitet. Ich weiß, wie das abgelaufen ist.Lieber Herr Al-Wazir,im Gegensatz zu Ihnen war ich dabei.

Erster Punkt. Mehr Autonomie bedeutet mehr Rechte für die Hochschulen und weniger für das Ministerium. Das gilt insbesondere bei der strategischen Entwicklungsplanung. Bei dieser Entwicklungsplanung hatte nämlich bislang das Ministerium die Erwartungen von außen an die Hochschulen widergespiegelt. Erwartungen, die von außen kommen, kann man nur widerspiegeln, wenn man diese Aufgabe an jemanden delegiert, der ebenfalls von außen kommt. Deswegen kann diese Aufgabe nur der Hochschulrat wahrnehmen. Dasselbe gilt bei der Nominierung des Präsidenten. Denn in einer autonomen Hochschule soll der Präsident nicht mehr nur verwalten, sondern er soll aktiv leiten.

An diesem Hochschulrat ist im Übrigen auch überhaupt nichts undemokratisch. Es gibt ähnliche Hochschulräte in ganz vielen anderen Ländern, auch Hochschulräte, die entscheiden. Auch da hat es nie den Aufstand gegeben, den Sie an dieser Stelle machen. Die Hochschulräte werden zur Hälfte von den Hochschulen und zur Hälfte vom Ministerium ausgewählt. Im Übrigen wird die Hälfte, die von dem Ministerium ausgewählt wird – das war uns sehr wichtig –, sogar im Benehmen mit der Hochschule ausgesucht.

Am Rand: das Kuratorium der Evangelischen Fachhochschule.Wir haben uns erst in diesem Jahr darauf geeinigt, dass wir die Arbeit der Evangelischen Fachhochschule über alles schätzen. Deren Kuratorium übt seit Jahren ganz ähnliche Funktionen wie unser Hochschulrat aus. Es wird ganz allein vom Träger nominiert, ohne dass sich hier je ein Widerspruch erhoben hätte.Auch dies ist hochinteressant.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich stelle damit schlicht fest: Ein Legitimationsproblem gibt es nicht.

Berechtigt – darauf hat der Kollege Reißer schon hingewiesen – sind die Fragen zur Transparenz der Arbeit. Deshalb haben wir als Ergebnis der Anhörung darauf hingewirkt, dass der Hochschulrat im Jahresbericht über seine Arbeit informiert und sie damit auch gegenüber der Öffentlichkeit darstellt.

Zweiter Punkt. Das, was wir im Hochschulgesetz in Bezug auf die Struktur der Hochschulen vorsehen,von der Autonomie bis hin zum Hochschulrat, ist im Wesentlichen gar nicht neu. Es wird bereits seit Jahren gelebt, nämlich von der Stiftungsuniversität Frankfurt und von der TUD. Beide Universitäten – auch das gehört zur Wahrheit, die Sie,Frau Sorge,an der Stelle unterschlagen haben – haben in der Anhörung äußerst positiv über diese Struktur berichtet.

(Beifall bei der FDP – Florian Rentsch (FDP):Aha! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir hatten bislang eine Hochschulstruktur der zwei Geschwindigkeiten, nämlich Frankfurt und Darmstadt auf der einen Seite, die quasi schon zwei Schritte nach vorne gegangen sind, und die restlichen Hochschulen, die zunächst nur einen Schritt nach vorne gegangen sind. Interessant ist, dass alle Hochschulen, ausnahmslos, mit ihrem Zustand zufrieden waren.

(Zuruf des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das würde ich an dieser Stelle zunächst einmal nicht negativ bewerten. Keine einzige Hochschule hat z. B. gesagt, dass ihr die bisherige Funktion des Hochschulrats, sei es rein beratend oder als Entscheidungsgremium, unangenehm gewesen wäre. Im Gegenteil, man habe von diesem Hochschulrat sogar profitiert, und man möchte ihn nicht missen.

Deswegen sage ich:Wundert es denn, dass diejenigen, die gut mit der ersten Stufe gefahren sind und die zweite Stufe noch nicht kennen,nicht sofort rufen:„Ja,wir möchten sofort die zweite Stufe haben“? Ich denke, das wäre übermenschlich. Aber politisch klar ist auch: Weil die Stufe zwei offensichtlich erfolgreich war, werden wir bei der Ausgestaltung der Autonomie nicht dauerhaft auf Stufe eins stehen bleiben, sondern die anderen Hochschulen nachziehen lassen. Genau das tun wir mit dieser Novelle. Deshalb ist sie der richtige Schritt zur richtigen Zeit.