Protokoll der Sitzung vom 09.12.2009

Auf die Straße sollten die Menschen auf jeden Fall gehen, damit sie sich bewegen, Herr Klee. Das ist ganz wichtig.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Ja, ich bin mir da treu. Ich fahre nach Kopenhagen, um zu demonstrieren. Das ist für jemanden wie mich selbstverständlich; denn ich glaube, dass nur der Druck der Öffentlichkeit die Politik verändern kann – nicht eine Situation, wie Sie sie mit diesem Haushalt erzeugt haben.

(Zurufe von der CDU)

Der Haushalt, dem sich dieses Haus stellen muss, ist ein Haushalt der Scheinheiligkeit und des Wankelmuts. Er öffnet dank zukünftiger schwarz-gelber Steuergeschenke für Vermögende und Großunternehmen kommenden Sozial- und Bildungskahlschlägen Tür und Tor. Es ist doch absurd, dass CDU und FDP angesichts der historisch höchsten Neuverschuldung Hessens in diesem Hause weiterhin über ausgeglichene Haushalte fabulieren, an kommenden Schuldenbremsen arbeiten – also Kreditverbote einführen wollen –, während sie in Berlin an der Spitze der Schuldenbeschleunigungsbewegung marschieren. Es ist absurd, dass die hessischen Koalitionspartner für den Berliner Burgfrieden Haus und Hof sowie den letzten ökonomischen Sachverstand verscherbeln – trotz aller Kritik aus der Wissenschaft, des Bundesrechnungshofs und der eigenen Landesminister und Ministerpräsidenten. Was soll eigentlich noch passieren, damit dieser Steuerunsinn ein Ende hat? Ich schlage vor, wir LINKEN richten einen Marx-Lesekurs zum dritten Band des „Ka

pitals“ ein, damit Sie eine gründlichere Analyse der gegenwärtigen Wirtschaftskrise vornehmen können.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Der Mann ist schon im vorletzten Jahrhundert gescheitert! – Weitere Zurufe von der CDU)

Herr Bellino, ich muss Ihnen noch sagen: Ich bin noch kein Opa, weil meine revolutionären Jugendlichen noch keine Kinder zur Welt gebracht haben.

(Holger Bellino (CDU): Apo-Opa! – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das hat nichts mit Alter zu tun!)

Nein, es war die Frage, ob ich reale Enkelkinder habe.

(Zurufe von der CDU)

Wir sind sehr dankbar für die Studie des DGB HessenThüringen zu den Auswirkungen der Schuldenbremse auf den hessischen Landeshaushalt und stellen uns jetzt die Frage, wie der Finanzminister und die Landesregierung diese Anfrage beantworten wollen. Beim Betrachten dieser Studie wird jedem klar, auf welch wackeliges Abstellgleis sich die Propagandisten eines Kreditverbots zubewegen. Die zentrale Feststellung dieser Studie ist, dass die Schuldenbremse und die schwarz-gelbe Steuersenkungspolitik das Land Hessen bis 2020 bis zu 800 Millionen c pro Jahr kosten werden. Dem jetzigen strukturellen Defizit von durchschnittlich 1,2 Milliarden c werden also weitere 800 Millionen c draufgepackt. Dies muss über kurz oder lang durch Giftlisten aus dem Finanzministerium abgetragen werden. Dass Sie dies verschweigen, Herr Finanzminister,zeigt,wie Sie es bei der Schuldenbremse mit der Wahrheit halten und wie CDU und FDP die Probleme vor sich herschieben.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns LINKE steht fest: Wer einen modernen und leistungsfähigen öffentlichen Dienst haben möchte, wer vernünftige Schulen und Kindergärten haben will und wer mehr Investitionen in Soziales und in die Umwelt einfordert, muss dafür auch etwas leisten. Genau deshalb fordern wir, wieder eine aufgabenorientierte zukunftsweisende Finanzpolitik zu betreiben, statt weiteren milliardenschweren Steuergeschenken hinterherzusparen oder Steueroasen für Großaktionäre, Großbanken und Millionäre zu schaffen, wie Sie von CDU und FDP dies mit ihren Steuerplänen beabsichtigen.Die Regionalisierung der Erbschaftsteuer,das Hinterfragen der Gewerbesteuer,die Aufweichung der Zinsschranken – all das sind Dinge, die noch in Ihren Giftschränken lauern.

Gerade die mittelfristige Finanzplanung beweist, dass das Latein des Finanzministers schon jetzt zu Ende geht und das Land in den Jahren 2011 bis 2013 mit ungedeckten Schecks und Kreditaufnahmen gegen die Regelung des Art. 141 der Hessischen Verfassung verstoßen wird. Es ist für den Geist Ihrer Koalition schon bezeichnend, dass die Mehrheit in diesem Hause lieber Privatschulen und Eliteschmieden wie die EBS mit Millionenbeiträgen sponsert, statt für Lehrerinnen und Lehrer, den Ausbau von Ganztagsschulen und eine bessere sozialpädagogische Betreuung zu sorgen.

(Holger Bellino (CDU): Es hat noch nie so viele Lehrer gegeben wie jetzt!)

Statt in dieser historischen einmaligen Wirtschafts- und Beschäftigungskrise aktive Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, werden die Arbeitsmarktpro

gramme des Landes für Ältere gestrichen, wird die öffentliche Ausbildungsquote der Landesverwaltung gesenkt und die Landesförderung für Altbewerber am Ausbildungsmarkt drastisch gekürzt. Statt durch zusätzliche Steuerfahnder für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen, verweigert sich das Finanzministerium der kostenneutralen Aufstockung der Zahl der Steuerfahnder.

Die Finanznot der Gemeinden ist von den Kollegen Schmitt und Kaufmann schon deutlich angesprochen worden.Mit Blick auf die desaströse Haushaltssituation vieler Kommunen ist jetzt schnelles Handeln gefordert.

Bereits heute stehen die Kreise und die kreisfreien Städte – in dem Antrag der GRÜNEN wird die Oberbürgermeisterin, Frau Roth, ausführlich zitiert – finanziell mit dem Rücken zur Wand. Einigen Kreisen droht akut die Zwangsverwaltung.

Aufgrund des Millionenlochs in den kommunalen Haushalten und der weiterhin drohenden Rotstiftorgie – denken Sie an die geplante Kürzung des Kommunalen Finanzausgleichs um 400 Millionen c im Jahr 2011 – stehen vor allem soziokulturelle Projekte und viele Beschäftigungsverhältnisse vor dem Aus. In den Kommunen müssen die Bürgerinnen und Bürger mit einer drastisch steigenden Abgabenlast rechnen.

Jetzt, im Jahr 2009, drohen bundesweit Defizite wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik: von plus 8 auf minus 3 Milliarden c – also ein finanzieller Absturz für die Kommunen um über 10 Milliarden c. Dies geschieht trotz zusätzlicher Aufgaben und Ausgaben. Denken Sie nur an die Unterdeckung, die aufgrund der erhöhten Arbeitslosigkeit durch die Leistungen für Hartz-IV-Empfänger bei einem geringeren Zahlungsausgleich durch den Bund entsteht. Ich muss leider darauf hinweisen, dass es eine der letzten Amtshandlungen von Bundesarbeitsminister Scholz war, dies auf den Weg zu bringen.

Dennoch ist das Wegbrechen der Einnahmen die eigentliche Ursache der Finanzkrise der Kommunen. Insbesondere SPD und CDU – aber auch die GRÜNEN – schieben sich den Schwarzen Peter zu und tun so, als hätten sie mit der Steuerpolitik des Bundes nie etwas zu schaffen gehabt.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb ist es für die FDP ein Leichtes,die begonnene Politik einfach fortzusetzen. In der Antwort auf unsere Anfrage vom 15.Juli,die Ende Oktober bei uns einging,teilte uns Herr Staatssekretär Dr. Schäfer mit – ich zitiere –:

Grob gerechnet... ergeben sich für die hessischen Kommunen damit steuerrechtsbedingte Steuermindereinnahmen von rund 230 Millionen c 2009, von rund 450 Millionen c 2010 und von rund 480 Millionen c 2011.

Der Neoliberalismus in der Bundesrepublik – von RotGrün über Schwarz-Rot bis zu Schwarz-Gelb – weist eine Kontinuität auf, die durchbrochen werden muss. Deswegen setzen wir auf die Lernfähigkeit von SPD und GRÜNEN und werden ihren Anträgen zustimmen,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir setzen auf eure Lernfähigkeit!)

auch im Sinne eines Vorschusses auf zukünftiges Handeln unter anderen politischen Mehrheitsverhältnissen.

(Zurufe von CDU und FDP: Oh!)

Wer in dieser Situation dem Entwurf für ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz zustimmt, will – in vollem Bewusstsein der Folgen –, dass sich in diesem Land die Zunahme der Armut beschleunigt. Die Kommunen sollen in den kommenden Jahren die neuen Hartz-IV-Empfänger werden. Dagegen werden wir in ganz Hessen Widerstand mobilisieren.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von den GRÜ- NEN)

Alle Jahre wieder wird die Ungerechtigkeit des Länderfinanzausgleichs beschworen. Neu ist, dass SPD und GRÜNE bedauerlicherweise mit einstimmen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Worum geht es? Mit dem Länderfinanzausgleich sollen die Herstellung und die Wahrung gleicher Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands gewährleistet und wirtschaftliche Benachteiligungen ausgeglichen werden. Vorweg gesagt: Unsere Fraktion lehnt den zunehmenden Wettbewerbsföderalismus, wie er in den Reihen von CDU, CSU und FDP gefordert wird, strikt ab.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Sie haben auch mehrere Bezirke!)

Die zunehmende Konkurrenz zwischen wirtschaftlich stärkeren und wirtschaftlich schwächeren Bundesländern läuft dem grundgesetzlichen Auftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zuwider.

Wir sehen natürlich das Problem und erkennen an, dass dem Land Hessen 2,5 bis 3 Milliarden c verloren gehen. Jedoch führt diese Regelung auch dazu, dass sowohl für die finanzschwachen Bundesländer als auch für die sogenannten Geberländer nur wenige Anreize bestehen, höhere Steuereinnahmen zu erzielen. Eine praktische Lösung dieses Problems bestünde darin, dass die Finanzmittel für Steuerfahndung und Betriebsprüfung in Abzug von der Ausgleichsmasse gebracht würden, sodass die erzielten Steuermehreinnahmen mehr zur Geltung kämen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Umsetzung der Maßnahmen, die wir fordern, könnten Steuerausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe vermieden werden.Das wäre mehr als genug,um die dringendsten Finanzierungsprobleme der Länder solidarisch und kooperativ zu bewältigen.Vielleicht gelänge es so, zu vermeiden, dass die mögliche Steuerquote bewusst nicht ausgeschöpft wird, um den ansässigen Unternehmen zusätzliche Steuervorteile zu verschaffen.

Herr Blum und Herr Milde klagen darüber, dass die Bundesländer eigenständig über ihre Einnahmen entscheiden. Am liebsten würden sie in jedes Landesparlament einen hessischen Beamten setzen, der die Verteilung der hessischen Euros überwacht. Herr Weimar unterschlägt dabei aber, dass die hessischen Euros mit Rendite nach Hessen zurückfließen.

Beispielsweise erwirtschaften die 1,8 Millionen Menschen, die von Ostdeutschland in den Westen abgewandert sind – vor allem nach Süddeutschland und nach Hessen –, pro Jahr ein Bruttoinlandsprodukt von rund 80 Milliarden c.Ohne diese qualifizierten jungen Fachkräfte hätte Hessen schon den Notstand ausrufen müssen. Wer, wie Sie von CDU und FDP, nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist, könnte zum Schluss selbst zu Schaden kommen.

Wir, die LINKE, bevorzugen einen solidarischen Föderalismus. Eine Entsolidarisierung wird letztlich sowohl für arme als auch für reiche Länder sehr viel teurer.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade angesichts der Vereinbarung des Solidarpakts II im Jahr 2001, der bis 2019 Bestand hat, sollten die Verträge zwischen den Ländern eingehalten werden, statt dass man sie sabotiert.

Deswegen lehnen wir auch die Vorschläge von SPD und GRÜNEN ab, sich aus dem Solidarzusammenhang zu entfernen.

(Zuruf von den GRÜNEN:Tun wir nicht!)

Gerade emanzipatorische Parteien mit einem linken Weltbild sollten sich davor hüten, wohlstandschauvinistische Debatten zu bedienen, wie sie von CDU und FDP immer wieder geführt werden.Oder wollen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in Bremen, in Thüringen und im Saarland erklären, wo Sie überall kürzen wollen?

Stattdessen sollten gerade wir immer wieder deutlich machen, dass die Qualität staatlichen Handelns im Wesentlichen eine Frage der leistungs- und aufgabengerechten Finanzierung ist.Ganz konkret:Der seit Kohl andauernde Steuersenkungswettbewerb muss beendet werden, damit gerade die Vermögenden und das Kapital wieder stärker an der Finanzierung des öffentlichen Gemeinwesens beteiligt werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr von Ooyen. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatsminister Weimar.