Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Herr Bocklet, so etwas darf man einen Juristen nicht fragen.

(Allgemeine Heiterkeit)

Es ist doch völlig logisch, wie er antworten muss: Es kommt darauf an.– Es kommt wirklich sehr darauf an.Ich sage es noch einmal. Die Rechtsaufsicht ist nicht der Hofhund, der reflexartig auf jeden losstürzt, der sich nicht ganz korrekt verhält.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich verstanden! Ich will aber wissen, was für ein Tier sie ist!)

Rechtsaufsicht muss dort eintreten, wo Fehlentwicklungen entstehen und wo die Sorge besteht, dass Normsetzungen, die z. B. dieser Landtag mit seinen Gesetzen getroffen hat, offensichtlich nicht beachtet oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden. Man muss auch sagen: Wenn allgemeiner Schlendrian einzieht, auch dann muss an der einen oder anderen Stelle daran erinnert werden, dass Gesetze einzuhalten sind.

Ich glaube aber nicht, dass Rechtsaufsicht eine Sache ist, in der sich Ministerrambos bewähren können und die deutliche, die klare Kante zeigen. Vielmehr glaube ich, dass sich ein vernünftiges Verfahren, ein vernünftiger Umgang mit den Behörden – es geht in der Regel um Behörden, die Aufgaben auszufüllen haben – im Ergebnis als wirksam erweist.

Das Schwierigste ist, wenn eine rechtsaufsichtsführende Behörde immer nur schweigt. Aber es gibt auch andere Wege, als sofort das härteste Mittel zu verwenden. Hinweise, Nachfragen – man glaubt gar nicht, wie viel Wirkung man schon mit dem Anfordern eines Berichts erzielen kann. – Ich habe jetzt diese Gelegenheit benutzt, das vorzutragen. Das ist unser Konzept, wie wir in solchen Fragen vorgehen.

Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene ein Prüfungsauftrag, keine Entscheidung, aber ein Prüfungsauftrag vorgesehen ist, ob es klug sein kann, KdU künftig zu pauschalieren.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? – Herr Kollege Müller.

Herr Minister,sind Ihnen Gemeinden bekannt,von denen Frau Schott gesprochen hat, die bewusst und vorsätzlich Gelder falsch auszahlen?

Nein. Das wäre genau der Punkt, an dem wir eingreifen müssten,wenn eine Kommune bewusst Hartz IV oder alle Ideen, die damit zusammenhängen, missachten würde. Dann wäre das selbstverständlich ein Grund zum rechtsaufsichtlichen Eingreifen. Das gibt es aber nicht. Ich kann es mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, da ich das Engagement der Kommunen in dieser Frage kenne. Warum haben wir denn so heftige Diskussionen bei der Umsetzung von SGB II und SGB XII? Weil ungewöhnlich viel Engagement in den Kommunen vorhanden ist. Ich habe gar keinen Zweifel, dass dort sehr vernünftig und verantwortlich agiert wird.

(Beifall bei der CDU)

Schönen Dank, Herr Minister.

Es ist vorgesehen, den Antrag dem Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit zu überweisen. – Das ist so.

Dann fahren wir in der Tagesordnung fort, und ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:

Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Investitionshemmnisse für Breitbandtechnologie abbauen – Drucks. 18/1793 –

Tagesordnungspunkt 39:

Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Hessen ans Breitband: Moderner Wirtschaftsstandort benötigt leistungsfähige Datenautobahnen – Drucks. 18/1819 –

Für die antragstellende Fraktion hat sich Herr Lenders zu Wort gemeldet. Die Redezeit beträgt zehn Minuten pro Fraktion. Es darf auch kürzer sein.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns hier alle einig über die große Bedeutung der Verfügbarkeit von Breitband-Internetanschlüssen. Es besteht kein Zweifel, wir brauchen die Datenautobahn,und wir brauchen sie vor allem auch im ländlichen Raum.

Für die Entwicklung von Unternehmen, aber auch für die beruflichen Chancen, für die Möglichkeit zur Nutzung von Bildungsangeboten unserer Bürger ist es von großer Bedeutung, über schnelles Internet zu verfügen. Schnelle Datenautobahnen sind ein knallharter Standortfaktor für die Gewerbegebiete genauso wie für die Attraktivität von Wohnorten.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren,vor allem im ländlichen Raum fehlen Breitbandanschlüsse. Hier gibt es entweder keine oder nur unzureichende Versorgung. Uns droht deshalb eine digitale Spaltung zwischen Land und Ballungsräumen. Diese Spaltung müssen und werden wir auf jeden Fall verhindern. Ich freue mich sehr, dass die Hessische Landesregierung sich auf den Weg gemacht hat, die Versorgungslücken in Hessen schnell und zügig zu beseitigen. Bis 2011, also schon im nächsten Jahr, wollen wir alle hessischen Regionen mit einer bedarfsgerechten Breitbandversorgung ausstatten. Die Landesregierung wird 5,2 Millionen c in die Verbesserung der Breitbandversorgung investieren.

Damit gehen wir beim Ausbau des Breitbandinternets auch im Vergleich der deutschen Flächenländer voran. Wir haben gezielt und mit großem Interesse eine Anhörung der Experten im Landtag durchgeführt. Wir wollten eine aktuelle und umfassende Analyse des Istzustandes und eine breite Diskussion darüber, wie wir die Breitbandversorgung schnell, effektiv und vor allem zukunftssicher realisieren können. Die Anhörung hat noch einmal die bestehenden Probleme sehr deutlich gemacht. Sie hat aber auch klare Handlungsempfehlungen zutage gefördert.

Meine Damen und Herren, bei dem Ziel, die Breitbandversorgung zu verbessern, sind sich so ziemlich alle noch einig. Schwieriger wird es schon, wenn es um die Einschätzung des Istzustandes geht. Noch weiter fallen die Meinungen auseinander, wenn es darum geht, festzulegen, auf welchem Weg der Ausbau erfolgen soll und wie die Kosten für den Ausbau zu verteilen sind.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Ausgangssituation ist klar. Weil vor allem im ländlichen Raum eine Reihe von Telefonanschlüssen von Teil

nehmern mehr als 5 km von der nächsten Vermittlungsstelle entfernt ist, kann aus physikalischen Gründen keine Breitbandversorgung über die bestehende Infrastruktur erfolgen. Technische Alternativen zur Versorgung über Telefonleitungen, über das Kabelnetz oder auch funkgestützte Lösungen, sind möglich. Für all diese Alternativen gibt es aber ein Grundproblem. Der technische Ausbau kostet viel Geld.

Investitionen in den Ausbau lohnen sich – egal, welchen Anbieter Sie auch fragen – nur dort, wo der Kostenaufwand in einem vertretbaren Verhältnis zum möglichen Ertrag steht. Private Anbieter, ob Deutsche Telekom, Kabelbetreiber oder Mobilfunkanbieter, nehmen nur Geld in die Hand, wenn es sich für sie lohnt.

Aber auf dem Land haben wir bekanntlich die Situation, dass im Verhältnis zu den Ballungsräumen weniger Menschen in einem bestimmten geografischen Korridor wohnen und dass die Nutzung neuer Kommunikationstechnologien im Verhältnis geringer ist. Der Aufwand, einen Kunden auf dem Land zu erreichen, ist also höher als in der Stadt. Der Kunde auf dem Land fragt die Bandbreite im Durchschnitt auch weniger nach als der Stadtbewohner. Diese beiden Faktoren – höhere Ausbaukosten und eine geringere Ertragserwartung – führen am Ende dazu, dass eine Wirtschaftslücke in der Kalkulation entsteht.

Meine Damen und Herren, hier scheiden sich die Geister. Die einen halten uns vor, technische Dinosaurier zu sein, weil wir nicht den letzten Aussiedlerhof mit Glasfaser versorgen.

Wieso ist es eigentlich Aufgabe des Staates,mit Steuergeld jedem z. B. den Zugang zu digitalem Fernsehen zu ermöglichen? Schließlich war das beim Kabelfernsehen auch nicht der Fall. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wahrheit liegt wohl, wie so oft, irgendwo dazwischen.

Es gibt sicher noch eine Reihe begleitender Probleme beim Ausbau des Breitbandinternets. Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass wir, historisch bedingt, in der Fläche keine echte Wettbewerbssituation im Bereich der Infrastruktur der Kommunikationstechnik haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Regulierungsbehörde versucht zwar,den Wettbewerb zwischen der Deutschen Telekom als ehemaligem Monopolanbieter und anderen Unternehmen in Gang zu setzen. Die grundsätzlichen Probleme, der Streit über die Infrastrukturkosten, konnte bisher aber nicht zufriedenstellend gelöst werden.

Ein weiteres, ganz profanes Problem besteht in der Bedarfsermittlung und in der Koordination der Investitionsplanung. Es ist sehr schwierig, zuverlässige und standortgenaue Informationen über den Istzustand der Breitbandversorgung zu gewinnen. Genauso schwer ist es, die Ausbauplanungen der verschiedenen Akteure in ein Gesamtbild einzufügen. Das führt zu Unsicherheiten, vor denen Investoren oftmals zurückschrecken; denn gerade im ländlichen Raum ist in der Regel die Refinanzierung verschiedener Infrastrukturangebote nicht darstellbar.

Das soll heißen: Wenn sich z. B. ein privater Anbieter auf den Weg macht, einen Ortsteil mit WLAN zu versorgen, dann macht er das nur, wenn er sich halbwegs sicher sein kann, dass die Deutsche Telekom oder ein anderer Anbieter nicht kurz darauf ein eigenes Angebot macht – oder umgekehrt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen im Telekommunikationsmarkt müssen also so sein, dass alle

Akteure Planungssicherheit haben. Private Investitionen in die Infrastruktur werden auch dadurch erschwert, dass Banken z. B. Glasfaserleitungen nicht als Sicherheit akzeptieren, da die Weiterverwertungschancen hier sehr gering sind. Die Wirtschaftswissenschaften haben hierfür den Begriff „versunkene Kosten“ geprägt.

Meine Damen und Herren, ein Problem stellt auch die Akzeptanz von Übertragungstechniken in der Bevölkerung dar. Das betrifft vor allem den Bereich funkgestützter Systeme.Aber gerade die kurz- und mittelfristige Versorgung ländlicher Regionen, abgelegener kleiner Ortsteile, wird ohne den Einsatz funkbasierter Systeme nicht machbar sein. Aufgrund der technischen Gegebenheiten ist der Aufbau einer Funkinfrastruktur im Niederfrequenzbereich wie bei der digitalen Dividende besonders attraktiv,

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

weil mit den einzelnen Funkmasten deutlich größere Flächen abgedeckt werden können.Um es klar zu sagen:Niemand sollte erwarten, dass wir mit öffentlichem Geld, mit Steuergeld, eine DSL-Leitung zu jedem Bauernhof legen werden.

Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen,wenn wir zeitnah endlich auch die unversorgten Gebiete abdecken wollen, dann brauchen wir einen integrierten Ansatz.Je nach geografischer Lage, je nach Bedarf und Möglichkeit müssen wir standortgenaue Lösungen entwickeln. Dazu gehört ein Mix technischer Lösungen. Die Anhörung hat gezeigt: Ein Problem stellt dabei die öffentliche Hand selber dar. Weil sich die verschiedenen Ebenen, von der EU bis zur Kommune, das Thema Breitbandinternet auf die Fahne geschrieben haben, gibt es zwar eine Menge Fördermöglichkeiten, diese sind aber in der Praxis nicht leicht zu handhaben und nicht leicht zu koordinieren. Deshalb bitten wir die Landesregierung, zu prüfen, welche Genehmigungsverfahren zu vereinfachen sind, damit wir schneller zum Ziel kommen und praktikable Lösungen erreichen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Um für Hessen ein zukunftsfähiges Breitbandinternet sicherzustellen, müssen wir das Glasfasernetz ausbauen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Kosten für Erdarbeiten und Kabelverlegungen. Um die Kosten zu senken und Synergien zu heben, wollen wir deshalb die Verlegung von Leerrohren bei Erdarbeiten unterstützen und fördern.

Der Ausbau des Breitbandinternets ist ein zentraler Baustein für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Die Hessische Landesregierung hat dieses Ziel klar benannt und investiert in erheblichem Umfang.Der Hessische Landtag sollte die Regierung auf diesem Wege unterstützen und sich klar zu den Zielen unseres Antrags bekennen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Klose das Wort. Bitte schön, Herr Klose.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf zunächst die Gelegenheit nutzen, mich ausdrücklich für die interessante, sehr kompetent besetzte und sehr engagiert geführte Anhörung zu bedanken, an der wir teilhaben durften und die allseits sachlich geführt wurde. Also: ein Dank an die Sachverständigen, an die Kolleginnen und Kollegen und ganz besonders an den Ausschussvorsitzenden, der die Anhörung sehr souverän geleitet hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

In der Sache will ich zunächst feststellen: Der Aufbau eines leistungsfähigen Breitbandnetzes ist heute Teil der Daseinsvorsorge. Er sorgt für wichtige ökonomische Impulse, und er ist auch eine zentrale Voraussetzung für die zukünftige Prosperität. Ich glaube, darüber gibt es in diesem Hause keinen Dissens. Die Nutzung digitaler Breitbandkommunikation hat die Art und Weise, wie wirtschaftliche Prozesse organisiert werden, wie sich die Verbraucherinnen und Verbraucher verhalten, nicht zuletzt auch die Art und Weise, wie staatliche Stellen operieren, fundamental verändert.

Im Wirtschaftssektor hat die Breitbandnutzung nicht nur die Produktivität gesteigert und Innovationen erleichtert, sie hat auch eine völlig neue Generation von Unternehmen und Geschäftsmodellen hervorgebracht. Einige der größten Erfolgsgeschichten der zu Ende gegangenen Dekade, beispielsweise iTunes, Skype und YouTube, wären ohne Breitband niemals möglich gewesen. Es herrscht nach wie vor eine ungeheure Dynamik in diesem Sektor. Erst gestern ist in Köln eine Studie der Unternehmungsberatung Arthur D. Little vorgestellt worden, die nachweist, dass die Unternehmen der deutschen Internetwirtschaft im Jahre 2008 einen Umsatz von 46 Milliarden c erwirtschaftet haben. Es ist doch kein Zufall, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Grad der Breitbandversorgung und der Höhe des Bruttoinlandsprodukts festgestellt worden ist.