Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte es für eine erfreuliche Entwicklung unseres Rechtsstaates, dass die Opferperspektive mehr und mehr als Teil einer rechtsstaatlichen Behandlung von Straftaten – von Unrechtstaten – in den Mittelpunkt rückt. Das gilt sowohl für individuelle Opfersituationen und Verletzungen als auch für systemimmanente bzw. systematische.
Wenn wir uns allerdings fragen, wie wir uns in solchen Situationen fühlen, müssen wir einräumen, dass in unseren Reaktionen immer ein Stück weit Hilflosigkeit gegenüber den Opfern mitschwingt: Es kommt bei jeder Einzelnen bzw. jedem Einzelnen zu einem Trauma, wenn gewaltsam – totalitär – in ihre bzw. seine Individualität eingegriffen wird. Der Mensch wird durch die Gewalt des Unrechts, dem er ausgesetzt ist, zumindest erschüttert und leider oft auch gebrochen.Wir stehen vor der Herausforderung, wie wir danach diese Traumatisierung lindern oder sogar heilen können.
Wir haben dazu zum einen die materielle Entschädigung. Ich glaube, dass viele Opfer diese oft nur mit Bitternis zur Kenntnis nehmen und sich dabei denken, dass das, was ihnen widerfahren ist, durch einen finanziellen Ausgleich nicht geheilt werden kann. Ich glaube aber, dass die Genugtuung sowie das Verständnis dafür und die Anerkennung, dass Unrecht geschehen ist, ebenso wichtig sind. Das ist bei solchen Fragestellungen ganz zentral.
In diesem Sinne bedanke ich mich ausdrücklich für die Arbeit der Mitglieder des Unterausschusses und für diesen Antrag, der viele Anregungen gibt und den wir in unserem Ministerium auch nicht als Kritik an dem verstehen, was bisher stattgefunden hat.Vielmehr sehen wir das als Ermutigung an. Er gibt die Anregung, an der einen oder anderen Stelle noch einmal genau hinzuschauen und sich mit der Frage zu beschäftigen, ob man noch etwas verbessern oder optimieren kann.
Wir wissen, dass diese Aufgabenstellung in Hessen natürlich rein quantitativ nicht den Umfang haben kann, wie es in den neuen Bundesländern der Fall ist. Wir wollen uns aber doch um jeden Einzelfall kümmern. Denn man muss wirklich aufpassen, dass im Rahmen der Opferentschädigungsanträge keine zusätzliche erneute Traumatisierung durch das stattfindet, was ein Rechtsstaat tun muss, wenn er die Anerkennung prüft. Er muss nämlich abwägen und schauen, ob das behauptete Geschehen wirklich nachvollziehbar ist.
Dabei müssen wir nun einmal die Regeln des Rechtsstaats auch hinsichtlich der Beweiserhebung und der Dokumentation anwenden. Das empfinden die Opfer natürlich oft als eine weitere Verletzung und als Zumutung. Deswegen kommt es dabei darauf an, dass wir ausgesprochen sensibel vorgehen und dass wir Personen ganz gezielt für diese Aufgabenstellung schulen,
damit es für die Opfer wenigstens nicht notwendig ist, dem Gegenüber erst einmal die Gesamtsituation darzustellen. Denn die Kenntnis der Gesamtsituation ist natürlich zum Verständnis des einzelnen Antrags notwendig. Deswegen ist auch der Hinweis auf den Besuch der Gedenkstätten und all dieses hilfreich und notwendig.
Ich glaube, dass es auch richtig war, dass wir für diese die Anträge bearbeitenden Stellen zwei besondere Spezialisten abgestellt haben. Das können wir uns leisten. Denn die Zahl der Fälle ist übersichtlich. Das sind keine Tausende. Im letzten halben Jahr sind 62 Anträge eingegangen. Die können wir ordentlich und ordnungsgemäß abarbeiten. Hinsichtlich des Versorgungsgesetzes sind es im vergangenen Jahr sogar nur sechs Fälle gewesen.
Ich glaube, dass wir darauf vernünftig eingehen können. Ich glaube auch, dass wir die Stelle der Medizinerin, die wir dafür neu besetzt haben, mit der richtigen Person besetzt haben. Sie wird sehr sensibel auf diese Fragestellungen eingehen.
Ich hoffe, dass das von den Betroffenen und von den Opfern auch als ernsthafter Versuch unserer Gesellschaft verstanden wird, Verständnis für die Situation aufzubringen und einen gewissen Beitrag zur Entschädigung zu leisten,obwohl wir wissen,dass solche totalitären Systeme im Ergebnis eigentlich alle Bürgerinnen und Bürger ihres Landes, vielleicht mit Ausnahme der Exekutoren des Systems, zu Opfern gemacht haben. Das macht dann auch noch einmal die Unterscheidung so schwierig.
Ich glaube, dass dieser eine Teil der Aufgabe, nämlich der, dass wir uns um die Person im Einzelnen kümmern müssen,mit etwas anderem einhergehen muss,damit die Menschen nicht an anderer Stelle leiden, nämlich mit einem verantwortlichen Umgang mit diesem Teil der deutschen Geschichte. Ich halte das für richtig, was im Kultusministerium hinsichtlich der Erarbeitung von Materialien geschieht.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass das in unserer schnelllebigen Zeit für die Schülerinnen und Schüler kein unmittelbares Erleben mehr ist.Vielmehr handelt es sich um Geschichte, die gelernt werden muss. Denn es konnte nicht durch tägliches Erfahren in den Nachrichten erlebt werden.
Wir müssen versuchen, die Betroffenheit, die zugleich die beste Therapie gegen eine Wiederholung darstellt, mehr noch in den Herzen als in den Hirnen der jungen Men
schen wachzuhalten. Ich glaube, dass dies insbesondere durch die Vermittlung verantwortlicher Inhalte in der Schule geschieht.
Wir Menschen leben nun einmal von Eindrücken und nicht nur davon, was man in den Zeilen der Bücher nachliest. Deswegen glaube ich, dass die Gedenkkultur an den Gedenkstätten von zentraler Bedeutung ist.
Ich glaube, dass es kaum einem aus diesem Haus anders geht, wenn er an einer unserer hessischen Gedenkstätten steht. Dann kommt die Erinnerung ganz unmittelbar wieder zurück. Er wird dadurch auch ein Stück mehr dazu motiviert, seinen Beitrag dazu zu leisten, dass sich so etwas in unserem Land nicht wiederholt.
Ein sehr sensibler und kompetenter Umgang mit den Opfern, verantwortliche Beiträge in der Schule und bei der Bildung und schließlich eine würdige und engagierte Gedächtniskultur sind das, was wir den Opfern schulden. Dafür wollen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Ministeriums gerne weiterhin engagiert einsetzen.
Herr Minister Banzer, vielen Dank. – Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Debatte zum Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Beratung von Opfern des SED-Regimes in Hessen weiter verbessern, Drucks. 18/2178, angelangt. Es ist vorgesehen, direkt abzustimmen und den Antrag nicht zu überweisen.
Ich komme deshalb zur Abstimmung.Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind die Mitglieder der Fraktionen der CDU, der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD. Wer stimmt dagegen? – Das tut niemand. Wer enthält sich der Stimme? – Bei Enthaltung der Mitglieder der Fraktion DIE LINKE ist der Antrag somit angenommen.
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Steuerkonzept der FDP belastet Normalverdiener und Familien und treibt Land und Kommunen in den Ruin – Drucks. 18/2236 –
Es handelt sich um den Setzpunkt der SPD-Fraktion. Zu Wort hat sich der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Schäfer-Gümbel, gemeldet. Bitte schön.
Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Laut einer aktuellen Umfrage von „Spiegel online“ wird die FDP nach ihrem Bundesparteitag als die klassische Umfallerpartei angesehen.
60 % der Befragten erklärten, dass die neuen Steuerpläne der FDP nichts anderes als eine Wählertäuschung und Wahlbetrug seien.
Ich finde, das Urteil ist zu hart. Denn wenn die FDP etwas gelernt hätte, dann wäre das, so finde ich, nicht zu kritisieren, sondern ein Fortschritt hinsichtlich der Positionierung der FDP.Aber genau das geschieht nicht.
Wie hat die FDP die Bundestagswahl gewonnen? Sie hat die Bundestagswahl damit gewonnen, dass sie das Blaue vom Himmel versprochen hat.
Es sollte eine Entlastung in Höhe von 24 Milliarden c für die Bürgerinnen und Bürger und viele andere Geschenke geben. Das reichte von der Kopfpauschale bis zu sonst irgendetwas.
Das ist gut so. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was die FDP am Wochenende beschlossen hat, wurde im ersten Moment als ein kleiner Schritt in Richtung Realität vermittelt. Das ist es aber nicht.
Jährlich 16 Milliarden c Entlastung, fünf statt drei Stufen – das ist das neue Konzept der FDP. Es wird aus den Reihen der Union begrüßt. Es wird als nichts anderes verstanden – so zumindest im „Wiesbadener Kurier“ –, als die größenwahnsinnigen Vorstellungen von Guido Westerwelle ein bisschen zu erden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorstellungen von Guido Westerwelle und das, was die FDP am vergangenen Wochenende beschlossen hat, sind nicht nur größenwahnsinnig, sondern sie sind unverantwortlich, ökonomisch untragbar und sozial ungerecht.
Wenn man nach der Finanzierung Ihrer Steuerentlastung zu diesem Konzept, das Sie vorgelegt haben, schaut, dann ist das berühmte Stochern im Nebel eigentlich so etwas wie ein Spaziergang bei hellem Sonnenschein. Gegenfinanzierung gibt es nicht. Sie haben keine Antwort auf die zentralen Fragen. Sie sind schlicht ein Zukunftsrisiko für die Entwicklung der öffentlichen Haushalte, für die Belastungen von Bürgerinnen und Bürgern. Dazu will ich jetzt im Detail kommen.
Was schlägt die FDP vor? – Sie schlägt eine Entlastung von 16 Milliarden c in fünf Stufen vor und erklärt, das sei eine Entlastung geringerer und mittlerer Einkommen, weil man Leistung wieder belohnen wolle.
Was ist die Realität im Steuerkonzept der FDP, und was kommt bei den Bürgerinnen und Bürgern an? – So werden Familien mit einem zu versteuernden Einkommen von 20.000 c im Jahresmittel um 72 c entlastet. Familien mit einem zu versteuernden Einkommen von 80.000 c werden hingegen mit über 2.000 c jährlich entschädigt.
Dafür werden die Bezieher geringer Einkünfte bei der neuen Werbungskostenpauschale benachteiligt, denn da
die Arbeitnehmerpauschale derzeit 920 c beträgt, muss man 46.000 c und mehr verdienen, um zukünftig einen Vorteil zu haben. Wer 46.000 c und weniger hat, wird nach dem Vorschlag der FDP, eine Pauschale von 2 % der Einkünfte einzuführen, im Gegenteil belastet. Er hat weniger. Das nenne ich sozial ungerecht.
Die Steuerfreiheit von Lohnzuschlägen aus auch gesundheitlich besonders belasteter Beschäftigung bzw. bei der Nachtarbeit wollen Sie streichen. Deswegen erzählen Sie uns nach Ihrem Parteitag hier nicht, Sie wollten kleine und mittlere Einkommen entlasten und die Belastungen reduzieren. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Der zweite Teil der Steuerpläne hat noch viel mehr Auswirkungen auf das, was wir hier tun. Ihre 16 Milliarden c haben nämlich Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte. Über die will ich gerne reden, weil das jetzt die Frage ist, die ich insbesondere an Herrn Weimar habe: wie er eigentlich angesichts der politischen Begrüßung der Vorschläge mit diesen Zahlen umgehen will.