Protokoll der Sitzung vom 28.04.2010

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist bedrückend, mitzuerleben, wie Sie das Unrechtssystem der DDR mit unserem demokratischen Rechtsstaat vergleichen. Herr Kollege van Ooyen, das ist unerträglich.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben von Diskussionen über den Anspruch der DDR gesprochen, aber Sie haben die Wirklichkeit – Frau Kollegin Schulz-Asche hat sie hier vorhin vorgetragen – leider vergessen und mit keinem Wort erwähnt: 170.000 bis 200.000 Verfolgte, Misshandelte, Gefolterte, Getötete. Meine Damen und Herren, wir hätten erwartet, dass Sie sich als legitimer Nachfolger der Täterorganisation SED hier ans Rednerpult stellen und sich bei den Opfern entschuldigen. Das wäre angemessen gewesen, Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege van Ooyen, die Tatsache, dass Sie noch einmal dargestellt haben, dass Sie für die Überwindung der Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse in diesem Lande stehen – das haben Sie gerade gesagt –, macht uns noch einmal deutlich, dass wir bei Ihnen hochgradig aufpassen müssen. Sie haben die Gefährlichkeit Ihrer Organisation hier noch einmal unter Beweis gestellt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen.Der Kollege Al-Wazir hat vorhin dazwischengerufen: „Was ist mit den Opfern?“ Ja, meine Damen und Herren, wie sollen

sich denn die Opfer vorkommen? Wie gehen wir mit den Opfern um? In diesem demokratisch gewählten Parlament präsentieren sich die legitimen Rechtsnachfolger der Täterorganisation den Opfern. Die LINKEN, die legitimen Rechtsnachfolger der SED, nehmen in Parlamenten Platz, werden an Regierungen beteiligt – das hat in Hessen gedroht und wird in Nordrhein-Westfalen gerade vorbereitet.Wie kommen sich die Opfer da am Ende vor?

(Zurufe von der LINKEN)

Herr Kollege Beuth, Sie müssen zum Schluss kommen.

Sie kommen sich am Ende wie Opfer vor. Herr Kollege van Ooyen, die Opfer hätten mehr Respekt verdient. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der LINKEN)

Meine Damen und Herren, als Nächster spricht Herr Sürmann für die FDP-Fraktion.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! – Ich denke, das Thema ist zu ernst, als dass wir die Reden mit Zwischenrufen beginnen sollten.

Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Herrschaft haben die Väter unseres Grundgesetzes in Art. 1 geschrieben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wenn wir das ernst nehmen, müssen wir 20 Jahre nach dem Mauerfall darüber nachdenken, dass es noch zu viele Opfer des SED-Unrechtsstaates gibt, denen ihre Würde noch nicht zurückgegeben worden ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Auch wenn wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass die Würde nie vollständig zurückgegeben werden kann,so sind wir doch in der Pflicht, nach 20 Jahren aufzuarbeiten und unseren jungen Menschen darzustellen, was in der DDR passiert ist. Ich darf ein bisschen mitreden, weil ich als Student während der DDR-Zeit im Umfeld der Universität Jena miterleben konnte, dass man keine Chance hatte, offen miteinander zu sprechen, ohne Angst haben zu müssen, am nächsten Tag möglicherweise eingesperrt zu werden. Ich habe Menschen erlebt, die versucht haben, im kleinen Kreise offen zu reden, und nach unserer Ausreise eingesperrt wurden. Ich kann deswegen mitreden, weil ich diese Menschen nach dem Mauerfall wieder getroffen habe und weiß, dass das, was diesen Menschen zugefügt wurde, nie vollständig rehabilitiert werden kann. Deswegen ist es falsch, nationalsozialistisches Unrecht und sozialistisches Einheitsunrecht in irgendeiner Weise und in einer Schärfe in die Diskussion zu bringen, die Jugendliche in die rechte oder linke Ecke treibt.

Wir sind nämlich dafür verantwortlich, dass wir uns in Deutschland nicht zum dritten Mal in einem Parlament über Opferentschädigungen unterhalten müssen. Dafür

müssen wir kämpfen. Das ist auch die Aufgabe dieses Antrags.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen danke ich ausdrücklich den Kolleginnen und Kollegen, die an der Ausarbeitung dieses Antrags mitgewirkt haben; denn das beinhaltet nicht nur das Zugehen auf die Opfer, sondern auch die Aufgabe, den Menschen vor Augen zu halten, was in Deutschland zweimal geschehen ist.

Wir müssen das immer wieder aufarbeiten, auch in den Schulen. Das ist enorm wichtig. Leider Gottes haben wir in der Anhörung auch erfahren müssen, wie wenig die Jugendlichen darüber wissen, was vor noch nicht einmal 20 Jahren brutale Realität war. Deswegen müssen wir das machen.

Daher möchte ich dem Minister für Arbeit, Familie und Gesundheit ausdrücklich dafür danken, dass er schon im Vorfeld dafür gesorgt hat, dass beim Regierungspräsidium Gießen entsprechende Beratungskapazitäten vorgehalten werden und man dort einen Arzt eingestellt hat. Ich denke, es darf einmal gesagt werden, dass die Stellen dort mit herausragenden Persönlichkeiten besetzt wurden und dass wir jetzt ergänzend eine Beratung anbieten, sodass die Opfer in der Lage sind, trotz ihrer seelischen Belastungen ein niedrigschwelliges Angebot wahrzunehmen.

Ich denke, wir haben gemeinsam einen guten Antrag geschaffen und können am Ende sagen: Dies wird und soll ein Beispiel für die anderen Bundesländer sein. Ich darf diesbezüglich die Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zitieren:

Die Bereitschaft, sich auch 20 Jahre nach der Vereinigung mit der Frage auseinanderzusetzen, was das Land Hessen für Verfolgte der SED-Diktatur tun kann, zeichnet das Land vor anderen aus.... Damit setzt Hessen ein Zeichen dafür, dass die Demokratie in Deutschland durch die friedliche Revolution und den Widerstand gegen die Diktatur entscheidende Traditionen gewonnen hat, die helfen können, die Liebe zu Freiheit und Demokratie zu stärken und auch in der jungen Generation zu wecken.

Wenn das die Landesbeauftragte eines benachbarten Bundeslandes sagt, bedeutet das, dass wir alle, gemeinsam mit den demokratischen Parteien, auf dem richtigen Weg sind. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Kollege Sürmann. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich noch einmal Frau Kollegin SchulzAsche gemeldet. Sie haben noch 4 Minuten und 20 Sekunden Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei den Kollegen Sürmann und Franz ausdrücklich für ihre Beiträge zu dieser Debatte bedanken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der FDP)

Ich hatte gehofft, dass die Debatte über das Thema „Umgang mit den Opfern des SED-Regimes in Hessen“ nicht zu einem unwürdigen Schauspiel führen würde. Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil die Debatte kurz davor ist, zu einem unwürdigen Schauspiel zu werden.

Ich möchte mich zunächst an den Kollegen van Ooyen werden. Sie haben gesagt, dieser Antrag atme den Geist des Kalten Krieges. Dagegen möchte ich mich ausdrücklich verwahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der FDP)

Ich habe während der ersten 30 Jahre meines Lebens in Westberlin gewohnt und den Geist des Kalten Krieges in einer Art und Weise eingeatmet,wie es sich Menschen,die der DKP oder der SEW nahestanden, nicht nachvollziehen können. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen. Deswegen bin ich damals zu den GRÜNEN bzw. zur Alternativen Liste gegangen. Einige der schlimmsten Gegner, die ich getroffen habe, waren der Vertreter derjenigen, die das DDR-System unterstützt haben.

Herr Kollege van Ooyen, deshalb finde ich, dass Sie auf zwei Ebenen nacharbeiten müssen. Bei der einen Ebene geht es um die politischen Perspektiven, die Ihre Partei hat: Welche politischen Systeme verbinden Sie mit den Begriffen „Kommunismus“ und „Sozialismus“? Genau das sind die Begriffe, die die Grundlage des DDR-Systems gebildet haben. Ich finde, da haben Sie historisch noch viel aufzuarbeiten. Dem sind Sie bisher nicht nachgekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der FDP)

Herr Kollege van Ooyen, man muss auch persönlich Verantwortung übernehmen und Fehler eingestehen,wenn es um eine Organisation geht, die von der DDR offensichtlich Geld bekommen hat. Ich finde, Sie hätten hier einmal persönlich Verantwortung übernehmen und sich entschuldigen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU und der FDP)

Herr Kollege Caspar und Herr Kollege Beuth, nun zu Ihnen. Es gab auch andere Parteien, die das DDR-System am Laufen gehalten haben.Wir bezeichnen sie als „Blockparteien“.Auch hier wäre es angemessen gewesen, eigene Fehler einzugestehen.

Die Gelegenheit, über die Situation der SED-Opfer in Hessen zu beraten, sollte nicht für solch ein politisches Spektakel genutzt werden, wie Sie es hier veranstaltet haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich habe in meiner ersten Rede ausdrücklich nicht darauf hingewiesen, wie es ursprünglich zu diesem Antrag kam. Ich arbeite jetzt seit über einem Jahr an diesem Thema, weil Menschen auf mich zugekommen sind und sich darüber beklagt haben, dass gerade in Hessen oft über mehrere Instanzen geklagt werden muss, um überhaupt Leistungen zu erhalten, dass es keine Beratung gibt und dass die Landesregierung seit Jahren taub für diese Beschwerden ist. Das war der Grund, weswegen wir diese Initiative ergriffen haben. Ich möchte noch einmal allen Politikern

dafür danken, dass wir es geschafft haben, gemeinsame Empfehlungen zu formulieren.

Aber dass das in dieser Art und Weise ausgenutzt wird, ist des Themas unwürdig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vor diesem Hintergrund möchte ich mich ausdrücklich dagegen aussprechen, dass die Opfer in diesem Hause erneut politisch instrumentalisiert werden. Wir alle stehen in der Verantwortung, den Opfern solche Formen der Instrumentalisierung zu ersparen. Mir ist das ausgesprochen peinlich, und ich hoffe – auch im Sinne der Opfer, die die heutige Debatte besonders aufmerksam verfolgen –, dass diese Debatte noch einen würdigen Abschluss findet. Ich muss ehrlich sagen, ich bin wirklich betroffen von der Art und Weise, wie das heute abgelaufen ist, und ich hoffe, dass das nicht dazu beiträgt, dass die Politikverdrossenheit zunimmt. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche. – Als Nächster spricht Herr Staatsminister Banzer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte es für eine erfreuliche Entwicklung unseres Rechtsstaates, dass die Opferperspektive mehr und mehr als Teil einer rechtsstaatlichen Behandlung von Straftaten – von Unrechtstaten – in den Mittelpunkt rückt. Das gilt sowohl für individuelle Opfersituationen und Verletzungen als auch für systemimmanente bzw. systematische.