Protokoll der Sitzung vom 22.06.2010

Meine Damen und Herren, insofern bitte ich Sie, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Er ist der bessere Gesetzentwurf. Geben Sie sich einen Ruck. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Hofmann. – Ich darf Herrn Paulus für die FDP-Fraktion das Wort erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich heute kurz fassen; denn vor gut einem Monat haben wir uns an dieser Stelle bereits sehr ausführlich in zweiter Lesung mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung zur Schaffung und Änderung hessischer Vollzugsgesetze befasst. Vorausgegangen war eine sorgfältige und genaue Gesetzesberatung in einem gründlichen parlamentarischen Verfahren, das ich gerne kurz skizzieren will:

Am 24. Juli 2009, also vor fast einem Jahr, hat der hessische Justizminister diesen Gesetzentwurf der Landesregierung der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 19. November 2009 hat der Hessische Landtag in erster Lesung darüber beraten. Im Anschluss folgten insgesamt fünf Beratungen im Rechts- und Integrationsausschuss sowie im Unterausschuss Justizvollzug. In beiden Ausschüssen fand eine öffentliche Sachverständigenanhörung statt.

Die Kollegen der SPD haben bereits im Herbst vergangenen Jahres vollmundig angekündigt, einen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Thema einbringen zu wollen. Dabei will ich dahingestellt sein lassen, aus welchem Grund man es für erforderlich hielt, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen, wenn bereits ein Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren ist, auf dessen Grundlage man beraten kann. Aber Sie werden hoffentlich wissen, was Sie tun.In diesen Wochen und Monaten ist man für jeden inhaltlichen Beitrag, der von Ihrer Seite kommt, dankbar; denn davon gibt es nur sehr wenige.

(Beifall bei der FDP)

Wie schwer Ihnen inhaltliche Beiträge fallen, sieht man daran, dass es von einer Ankündigung im Herbst des letzten Jahres bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Ihr Gesetzentwurf tatsächlich vorlag, fast ein halbes Jahr gedauert hat. Das ist schon sehr bemerkenswert.

(Zuruf der Abg. Heike Hofmann (SPD))

So groß unsere Vorfreude auch war, so enttäuschend war dann das Ergebnis: altbackene Plattitüden, keine neuen Ideen. SPD-Arbeit im Jahre 2010:

(Günter Rudolph (SPD): Blasen Sie die Backen nicht so auf!)

viel Krawall und wenig Substanz, Herr Rudolph.

(Beifall bei der FDP)

Jedenfalls haben wir wegen Ihnen den Beschluss der neuen hessischen Vollzugsgesetze noch einmal vertagt. Wir haben ein weiteres Mal die Ausschüsse damit befasst und stehen jetzt wegen Ihnen vier Wochen später erneut hier.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, inhaltlich gibt es meinen Ausführungen von vor vier Wochen nichts hin

zuzufügen. Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist sowohl für den Erwachsenenstrafvollzug als auch für den Untersuchungsstrafvollzug eine rechtlich sehr gut gelungene Grundlage, mit der wir die richtigen Akzente setzen.

Herr Paulus, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Hofmann?

(Günter Rudolph (SPD):Angst hat er auch noch!)

Vor Ihnen nicht, Herr Rudolph.

(Heike Hofmann (SPD): Aber vor mir offensichtlich!)

Wir stärken die Resozialisierung und verbessern die Haftbedingungen. Mit der Festschreibung des geschlossenen Vollzugs als Regelvollzug passen wir die Rechtslage der Realität an, nach der 85 bis 90 % aller Gefangenen ohnehin im geschlossenen Vollzug untergebracht sind.

Die Resozialisierung hat für uns weiter oberste Priorität. Dabei werden wir die Gefangenen auch selbst aktiv mit in die Pflicht nehmen. Dies gilt sowohl für eine direkte Ladung in den offenen Vollzug,die nach wie vor möglich sein wird,als auch für den Täter-Opfer-Ausgleich,den wir erstmals im Gesetz festschreiben.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, all das haben wir in unserem Gesetzentwurf vorgesehen. Damit wird der Strafvollzug in Hessen modernisiert. Der Weg ist richtig,und deswegen sollten Sie dem Gesetzentwurf der Landesregierung heute in dritter Lesung zustimmen und den SPD-Entwurf ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Günter Ru- dolph (SPD): Dann lasst es eben!)

Vielen Dank, Herr Paulus. – Als Nächster spricht Herr Dr. Jürgens für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Staatssekretär Dr.Rudolf Kriszeleit fährt das Red- nerpult herunter.)

Vielen Dank, Herr Dr. Kriszeleit. Es ist nett, dass Sie das machen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich finde, es ist immer gut, wenn die Regierung etwas Gutes tut! – Gegenruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn: Das ist ein relativ überflüssiger Satz von Ihnen, Herr Kollege!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus dieser Geste des Staatssekretärs zu folgern, dass es mit der Landesregierung abwärtsgeht, wäre sicherlich übertrieben.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es stimmt trotzdem!)

Also wende ich mich lieber dem Thema zu. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, den wir heute in dritter Lesung beraten – ich habe das schon in erster Lesung gesagt –, hat nichts Liberales an sich. Die Zeiten, in denen sich Liberale in der FDP – die soll es auch einmal gegeben haben – für einen humanen Strafvollzug einsetzten, sind längst vorbei. Heute folgen Rechtspolitiker in der FDP nur noch dem konservativen Rückfall ins vollzugspolitische Vorgestern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als deutliches Symbol dafür gilt nach wie vor der Verzicht auf jedes Vollzugsziel in Ihrem Gesetzentwurf. Die Resozialisierung, die im Bundesstrafvollzugsgesetz als Vollzugsziel seit über 30 Jahren ausdrücklich festgehalten ist, wird von Ihnen nicht mehr als Vollzugsziel genannt, sondern zu einem sogenannten Eingliederungsauftrag herabgestuft. Damit kapitulieren Sie vor den bekannten Problemen im Vollzug.

Natürlich gibt es Gefangene, die nicht resozialisierungswillig sind. Es gibt viele Rückfalltäter und viel vergebliches Bemühen der engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug.Aber das Recht darf doch hiervor nicht kapitulieren, sondern muss sich dieser Herausforderung gerade stellen. Wir müssen das Ansinnen an die Straftäter richten, sich gefälligst zu resozialisieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Sie aber formulieren in Ihrem Gesetzentwurf einen im wahrsten Sinne des Wortes ziellosen Strafvollzug. Dann stellen Sie den immerhin noch verbliebenen Eingliederungsauftrag auch noch auf eine Stufe mit dem Sicherungsauftrag, der ohne Zweifel auch im Vollzug vorhanden ist. Ich zitiere hierzu erneut – das habe ich schon in der zweiten Lesung getan – die Stellungnahme des Kommissariats der Katholischen Bischöfe: „Ausgehend von der Personenwürde eines jeden Gefangenen sollte jedoch dem Eingliederungsauftrag eine stärkere Bedeutung zugesprochen werden.“ Genau so ist es auch aus unserer Sicht. Das Vollzugsziel der Resozialisierung soll vor allem dazu dienen, nach dem Vollzug zu wirken, wenn die Gefangenen wieder in Freiheit sind. Es soll sie davon abzuhalten, weitere Straftaten zu begehen, und dadurch auch die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten.

(Zuruf des Abg.Alfons Gerling (CDU))

Die Sicherung der Gefangenen während des Strafvollzugs ist ebenfalls ein wichtiger Auftrag, kann aber nicht gleichrangig sein mit der Resozialisierung.

Auch hinsichtlich der künftigen Marginalisierung des offenen Vollzugs – das hatte ich schon in der ersten und in der zweiten Lesung kritisiert – haben fast alle Sachverständigen unsere Kritik bestätigt.Vor der zweiten Lesung haben Sie noch eine Änderung vorgenommen.Aber auch danach bleibt es dabei: Der offene Vollzug ist nach Ihrem Entwurf keine eigenständige Vollzugsform mehr. Die eigenständige Vollzugsform des offenen Strafvollzugs ist abgeschafft.

Herr Hahn hat übrigens in der zweiten Lesung – ich konnte darauf nicht mehr reagieren – wieder das Märchen aufgetischt, es ginge uns, den GRÜNEN und auch der SPD, um den offenen Vollzug als Regelvollzug. Das war der untaugliche Versuch, unsere Kritik als realitätsfern zu diskreditieren. Die Wahrheit ist: Schon in unserem eigenen Entwurf für ein Jugendstrafvollzugsgesetz in der 16. Wahlperiode hatten wir den offenen Vollzug und den

geschlossenen Vollzug als eigenständige Vollzugsformen vorgesehen. Welche Vollzugsform die geeignete ist, sollte dann jeweils im Einzelfall entschieden werden. Da mag die eine oder andere als Regel, rein rechnerisch gesehen, herauskommen. Aber den geschlossenen Vollzug als Regelvollzug und den offenen nur als vollzugsöffnende Maßnahme festzulegen, wie im Entwurf der Landesregierung, ist eine ideologisch motivierte Entwertung einer Vollzugsform, die aus unserer Sicht durch nichts gerechtfertigt ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben heute auch die zweite Lesung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion. Frau Hofmann hat es schon gesagt. Dieser Entwurf wird von den Sachverständigen in weiten Teilen als wesentlich sinnvoller eingestuft als derjenige der Landesregierung: systematischer vom Aufbau her usw.

Der Hessische Richterbund hat dies in einer uns übersandten Stellungnahme an verschiedenen Punkten deutlich gemacht. Ich bedauere, dass dieser Entwurf wegen seiner späten Einbringung nicht in die Anhörung im Ausschuss einbezogen werden konnte. Das wäre sicherlich interessant gewesen. Deshalb können wir ihn auch nicht abschließend beurteilen. Da er aus unserer Sicht ebenfalls einige Probleme hat, werden wir uns hierbei enthalten.

Ich hatte in der zweiten Lesung darauf hingewiesen, dass die Sicherungsverwahrung im Entwurf der Landesregierung völlig unzureichend geregelt ist. Sie widmen der Sicherungsverwahrung ganze drei Paragrafen. Das wird nach Beurteilung einiger Sachverständiger nicht den Anforderungen gerecht, die das Bundesverfassungsgericht an eine verfassungskonforme Regelung der Sicherungsverwahrung formuliert hat. Hier sind die Regelungen im Entwurf der SPD-Fraktion deutlich konkreter und damit wohl auch besser geeignet. Allerdings bleiben wir bei unserer Auffassung, es wäre sinnvoller, dies zunächst einmal aus diesem Gesetzentwurf herauszunehmen und einem eigenen Gesetzentwurf zu überlassen.

Wir haben gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über die Sicherungsverwahrung neue bundesgesetzliche Regelungen zu erwarten, die im Einzelnen aber durchaus noch umstritten sind. Herr Staatssekretär Dr. Kriszeleit hat in der letzten Sitzung des Unterausschusses Justizvollzug über das Problem der Sicherungsverwahrten in Hessen berichtet, die aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte demnächst möglicherweise freigelassen werden müssen. Es gibt durchaus unterschiedliche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, die man also noch nicht als gefestigt bezeichnen kann. In dieser Situation eine fragwürdige Regelung zur Sicherungsverwahrung zu schaffen, die den Makel einer möglichen Verfassungswidrigkeit trägt, ist aus unserer Sicht grob fahrlässig. Wir sollten keinerlei Risiko eingehen, dass in Hessen eine Sicherungsverwahrung nicht konform vollstreckt werden kann und dann weitere Straftäter freigelassen werden müssen.Ich verstehe,ehrlich gesagt, nach wie vor nicht, warum CDU und FDP dieses Risiko sehenden Auges eingehen wollen.

Ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich auch schon mehrfach angesprochen habe. In Hessen sollte eigentlich als wesentlicher Maßstab für den Strafvollzug gelten, was in der Hessischen Verfassung steht. Ein einfacher, aber sehr bemerkenswerter Satz: „Alle Gefangenen sind menschlich zu behandeln.“ Das unterscheidet den Behandlungsvollzug von der bloßen Vergeltung. Das unter

scheidet den Strafvollzug von den Taten der Gefangenen, und das unterscheidet den Rechtsstaat vom Willkür- und Unrechtsstaat.

An manchen Stellen fragt man sich aus unserer Sicht schon: Wo bleibt eigentlich die menschliche Behandlung im Vollzug? Die Landesregierung sieht z. B. einen Anspruch der Gefangenen auf Besuch in einem zeitlichen Umfang von lediglich einer Stunde pro Monat vor. „Mindestens“ steht im Gesetz.Aber das ist das, worauf sich der Gefangene berufen kann: „mindestens eine Stunde im Monat“.Man wird verstehen können,dass in einer Stunde pro Monat Kontakte nach draußen in keiner Weise aufrechterhalten werden können. Eine Eingliederung wird hierdurch aus unserer Sicht unnötig erschwert.