Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

In Erwägung, dass kein Volk höher steht als der Letzte seiner Bürger, soll der Unterricht allen zugänglich, unentgeltlich und sozial sein.

Speisung der Kinder in den Schulen! Die Erziehung beginnt mit der Speisung: um zu wissen, muss man auch zu essen wissen.

So heißt es in „Die Tage der Commune“ bei Bertolt Brecht. „Um zu wissen, muss man auch zu essen wissen“, dies trifft besonders auf Schülerinnen und Schüler zu, da diese sich noch im Wachstum befinden, aber auch weil sie dank immer höherer Lernbelastungen – ich nenne hier exemplarisch die G-8-Frage – immer öfter immer länger in die Schule gehen.

Das Ziel, dass jedes Kind, das eine Schule, aber zumindest jedes Kind,das eine Ganztagsschule besucht,an einem gemeinsamen unentgeltlichen Mittagessen teilnehmen kann, ist – unabhängig davon, dass das, was Sie Ganztagsschulen nennen, in der Regel gar keine solchen sind – bis heute in Hessen nicht erreicht.

Wenn der Staat aber schon dafür sorgt, dass alle Schülerinnen und Schüler eine warme Mahlzeit bekommen, dann sollte er wenigsten dafür sorgen, dass diese entgeltliche Mahlzeit nicht über Gebühr verteuert wird. Für solche Zwecke sieht das deutsche und europäische Mehrwertsteuersystem die Möglichkeit eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes vor. Angewendet wird dieser gegenwärtig beispielsweise auf Fast Food, das nicht vor Ort verzehrt wird, nicht aber auf Schulessen.

Dieses Problem ist beim Bundesfinanzministerium nicht nur bekannt, sondern von diesem selbst verursacht worden. Denn erst durch ein Rundschreiben, in dem das Bundesministerium der Finanzen seine geänderte Rechtsauffassung bekannt gibt, wird Schulessen mit 19 % belastet. Auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums wird unter der Überschrift „Keine Ungleichheit bei Besteuerung von Fast Food und Schulkantine“ nun behauptet, dass Schulkantinen und Fast-Food-Restaurants bei der Erhebung der Mehrwertsteuer gleich behandelt werden.

Damit widerspricht das Bundesfinanzministerium der Bundesverbraucherschutzministerin Aigner. Mir fällt es in dieser Frage sichtlich leicht, mich auf die Position von Frau Aigner zu stellen; denn sie hat recht. Selbst wenn Schulessen und Fast Food formal gleich behandelt werden, so kann es doch nicht angehen, dass das Mittagessen in der Schulkantine mit einem Mehrwertsteuersatz von

19 % belegt wird, und die Currywurst, die man auf die Hand bekommt, nicht. Das ist absurd.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn wenn man Schülerinnen und Schülern ein gesundes Mittagessen anbieten will, egal wie viel Geld ihre Eltern zur Verfügung haben, dann muss dieses auch für alle erschwinglich sein. Ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz trägt dazu wenigstens etwas bei.Daher fordern wir,diesen Satz gesetzlich festzuschreiben und damit den Zustand wiederherzustellen, den das Bundesministerium der Finanzen mit seinem Rundschreiben vom 16.10.2009 beendet hat.

Aber selbst das Bundesfinanzministerium scheint sich dieser Tatsache bewusst zu sein und gibt den Hinweis,dass Schulessen dann von der Mehrwertsteuer befreit werden kann, wenn es von einem gemeinnützigen Schulträger ausgegeben wird. Ist es das, was Sie unter Bürgergesellschaft verstehen, wenn Bürgerinnen und Bürger die von Ihnen verursachten Probleme ausbaden? Wir fordern Sie auf, im Bundesrat dafür zu sorgen, Schulessen unter den ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu fassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Behandeln Sie die Schülerinnen und Schüler wenigstens nicht schlechter als die Hoteliers, auch wenn von denen keine Spenden dafür zu erwarten sind.

(Beifall bei der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Keine Diskriminierung von Minderheiten!)

Kurz noch eine Bemerkung zu den von SPD und GRÜNEN vorgelegten Anträgen. Der Antrag der GRÜNEN verweist darauf: Die von uns vorgestellte gravierende Ungerechtigkeit in Bezug auf die Mehrwertsteuerregelung geht uns nichts an; wir wollen unabhängig davon jedem Schüler und jeder Schülerin helfen. – Darauf kann ich nur erwidern: Selbstverständlich muss man das eine tun und darf das andere nicht lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen also die Steuerungerechtigkeit überwinden und abstellen. Auch wenn wir dies als Fehleinschätzung betrachten, werden wir den Anträgen zustimmen.

Andersherum bitten wir natürlich um Zustimmung zu unserem Antrag; denn ich glaube, dass wir hier eine breite Mehrheit für ein solches Anliegen erreichen können und auch im Bundesrat dafür eine Mehrheit hätten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Die nächste Wortmeldung stammt von Frau Kollegin Erfurth von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt offenbar zwei Fraktionen in diesem Hause, die ein ganz besonderes Faible für die Mehrwertsteuer entwickelt haben. Das haben wir heute gehört: Das sind zum einen die Kollegen der Linksfraktion und zum anderen die Kollegen von der FDP, auch wenn sie jeweils andere Zielgruppen und andere Lobbygruppen im Auge haben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Vergleichen Sie Schüler mit Lobbygruppen?)

Zielgruppen oder Lobbygruppen, ich glaube, so kann man es ganz gut fassen. – Ich glaube, das macht das Problem deutlich, das wir mit den Ausnahmetatbeständen bei der Umsatzsteuer haben. Es wird immer wieder versucht, entweder aus Lobbyinteressen oder aus vermeintlich guten sozialen Gründen, die ich nicht in Abrede stellen will, einen weiteren Sonderausnahmetatbestand über die Mehrwertsteuer zu regeln. Das Ganze führt dann dazu, dass wir im Mehrwertsteuerrecht inzwischen ein undurchdringliches Dickicht an Ausnahmetatbeständen haben. Ich finde,wir sollten uns hüten,diesem Dickicht jetzt noch eine weitere Schlingpflanze hinzuzufügen. Das tut dem System nicht gut, und das tut der Gradlinigkeit nicht gut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Dabei ist das Ziel klar. Das sagt auch unser Antrag. Unbestritten steht fest: Für Schulkinder insbesondere an Ganztagsschulen – sonst wären es keine vernünftigen Ganztagsschulen – muss es eine kostengünstige, eine gesunde Mahlzeit geben, und alle müssen die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen. Die Frage ist nur: Wie kriegt man es hin? Da sagen wir eindeutig: Über das Umsatzsteuerrecht kann man es nicht hinbekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Wir wären auch für ein kostenloses Mittagessen!)

Wenn wir nun,wie die Kollegen von der Linksfraktion das vorschlagen, diesen Ausnahmetatbestand für das Schulessen schaffen würden – um das zu verstehen, muss man ein bisschen in das Dickicht der Umsatzsteuer eindringen. Der Kern des Problems – Sie haben es kurz angerissen, Willi van Ooyen – ist der Außer-Haus-Verkauf.Das ist der steuertechnische Begriff. Es geht im Kern darum, ob man die Pommes oder den Hamburger mit nach draußen nimmt zum Essen. Dann ist es begünstigt. Wenn man das ganze „Menü“ im Lokal einnimmt, kostet es 19 %. Das ist ein völliger Unsinn. Er öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Dieser Missbrauch passiert auch zuhauf. Sie kriegen den Hamburger oder die Pommes nicht günstiger, wenn Sie sie außerhalb des Lokals essen. Den Gewinn streicht der Unternehmer ein. Das kann auch nicht zielführend sein.

(Minister Karlheinz Weimar: An der Pommesbude, wenn die Tische aufstellen!)

Ja, es gibt ganz viele Ausnahmen. – Um sich diesem Problem zu nähern, muss man wissen – Sie haben es kurz angerissen –, dass Schulessen nur dann den Mehrwertsteuersatz von 19 % hat, wenn ein Unternehmen es anliefert, das es dann auch verteilt. Dann kostet es 19 %. Ich weiß nicht, woher Sie die Gewissheit nehmen, dass der Unternehmer, der das anliefert, den Steuervorteil an seine Kunden weitergibt. Das haben wir in der Hotellerie erfahren. Dort haben wir die Steuersätze gesenkt, und ich habe nicht erlebt, dass meine Übernachtung billiger geworden wäre. Ich glaube nicht, dass die Unternehmen es weitergeben, wenn wir den Steuersatz senken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Dazu muss man auch wissen: Diese Unternehmen beliefern nicht nur Schulen, sondern auch Altenheime und Krankenhäuser. Kommt dann der nächste Antrag, Willi,

dass wir hier auch eine Ausnahme schaffen müssen? Ich habe hier meine Zweifel, dass das zielführend ist.

Die nächste Sache ist: Wenn das Unternehmen anliefert und die Schule die Verteilung selbst organisiert, dann kostet es nur 7 %. Das kann sogar steuerfrei sein, wenn man das in einer bestimmten Gestaltungsform macht.

Ich will deutlich machen: Das löst das Problem nicht. Den ermäßigten Steuersatz auch hierauf anzuwenden löst das Problem nicht. Sie merken, Umsatzsteuer ist immer wieder für eine breite Diskussion gut, aber es tut der Sache nicht gut. Daher sollten wir uns darauf verständigen, solche Dinge, die der Sache nicht guttun, nicht nur um des schönen Scheins willen ins Plenum einzubringen. Das bringt nichts, und das sollten wir auch nicht tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher ist unser dringender Rat, die Verpflegung für Schülerinnen und Schüler, die dringend notwendig ist, nicht über die Umsatzsteuer zu regeln. Deshalb werden wir eurem Antrag auch nicht zustimmen können, weil wir es für den falschen Weg halten. Wir müssen vielmehr – ich sage es noch einmal – mit direkten Zuschüssen für Kinder arbeiten, die es wirklich brauchen und die unserer Unterstützung wirklich bedürfen.

Das ist zielgenau, und das vermeidet Mitnahmeeffekte. Wir dürfen auch nicht aus den Augen lassen, so ein ermäßigter Steuersatz schadet der Staatskasse, da kriegen wir weniger Kohle rein. Mein Vorschlag: Wir sollten diesen Unsinn mit den Ausnahmetatbeständen beenden und den normalen Steuersatz für alles anwenden. Was wir dann einnehmen, setzen wir zielgenau für die Förderung des Schulessens ein. Dann haben wir viel, viel mehr gewonnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Abgeordneter Schork für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE zu dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Schulessen birgt die Gefahr, dass man einen finanzpolitischen Vortrag zu den fiskalpolitischen Auswirkungen der Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Schulessen von 19 % auf 7 % hält. Ich habe allerdings die Befürchtung, wenn man in die Tiefen des Erlasses zur Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken vom 16. Oktober 2008 des Bundesministeriums der Finanzen einsteigt, dass das Interesse nachlässt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt nicht! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Es ist für Haushaltspolitiker schwierig, alles nachzuvollziehen,was dort geregelt ist.Das eine oder andere lässt einem die Haare zu Berge stehen – auch wenn man so wenige Haare hat wie ich –, weil man gewisse Dinge schlicht und einfach nicht versteht und auch nicht nachvollziehen kann. Frau Kollegin Erfurth hat völlig recht, dass der Antrag der LINKEN in der Sache an dem Thema völlig vorbeigeht.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE):Was?)

Die SPD-Fraktion hat es dahin gehend geändert, dass sie den Antrag der LINKEN zum Anlass genommen hat, um sich mit der Frage der Kindertagesstätten und der Schulessensversorgung insgesamt auseinanderzusetzen und ein paar Richtlinien aufzustellen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat beide Themen zu einem Antrag zusammengefasst.

Wir als CDU-Fraktion sind in dem Punkt nicht sehr weit weg von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bezüglich der Frage Schulessensversorgung und Essensversorgung in Kindertagesstätten sind wir auch nicht so weit von dem entfernt,was die SPD in ihrem Antrag geschrieben hat.Es ist völlig klar und in diesem Hause unumstritten, dass Ganztagsunterricht, so wie es die GRÜNEN formuliert haben, nur dann sinnvoll angeboten werden kann, wenn für ein gesundes und preiswertes Schulessen gesorgt ist. Darüber gibt es keinen Streit.

Die Streitigkeiten, die dann geführt werden, gehen um die Frage, was preiswert ist. Ich gehe davon aus, dass wir uns relativ schnell einig sind, was gesund ist. Bei der Frage des Preises reicht die Bandbreite von kostenlos bis X. Das sind die Unterschiede, über die wir in den Fachausschüssen diskutieren können.

Zum zweiten Punkt. Da stimme ich dem Antrag der GRÜNEN zu 100 % zu: Singuläre Eingriffe in das Umsatzsteuerrecht sind nicht geeignet, um eine bessere Schulessensversorgung zu erreichen, und sie sind auch nicht dazu geeignet, zu Vereinfachungen im Umsatzsteuerrecht zu kommen. Das wird nur funktionieren, wenn man sich das Umsatzsteuerrecht insgesamt vornimmt und in einem radikalen Schnitt alle Ausnahmetatbestände, die dort geregelt sind, auf den Prüfstand stellt. Ich habe aber auch gelernt, gewisse Dinge etwas gelassener zu sehen, von denen ich annehme, dass ich sie persönlich nicht ändern kann. Ich bin nicht davon überzeugt, dass es in diesem Haus sehr viele gibt, die davon überzeugt sind, dass man eine radikale Reform des Umsatzsteuerrechts zustande bringt, unabhängig von der parteipolitischen Zugehörigkeit.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Letzte haben Sie gesagt!)

Herr Kaufmann, Sie müssen sich doch nicht aufregen, ich bin doch fast völlig bei Ihnen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich rege mich nicht auf!)

Es macht Sinn, die haushalts- und steuerrechtlichen Fragen im Haushaltsausschuss zu diskutieren und die Frage der Essensversorgung in Kindertagesstätten und in Schulen im Zusammenhang mit Ganztagsangeboten im Kulturpolitischen Ausschuss zu diskutieren. Ich freue mich auf die Diskussion in beiden Ausschüssen, weil ich in beiden Ausschüssen bin, und danke für die Aufmerksamkeit.