Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

Es gibt nur ein Problem an der Stelle: Die Beratungsstellen sind unterfinanziert. Das ist ein Problem, bei dem wir auf der Landesebene ansetzen müssen. Dort kommen wir allerdings nur sehr bedingt mit einer solchen Arbeitsgruppe weiter.Vielmehr ist das ein Problem, über das auf einer anderen Ebene verhandelt werden muss. Es ist eine Frage der politischen Entscheidungen.

Es gibt jetzt schon Maßnahmen zur Fortbildung von Fachkräften. Ich bin Vorsitzender eines Trägers, der – gemeinsam mit einem anderen Träger aus Mittelhessen – genau das macht. Ich habe schon vor einigen Monaten in einer Landtagsdebatte darauf hingewiesen, dass wir dergleichen auch für die Schulen dringend brauchen.

Da stellt sich aber die Frage:Wie schaffen wir es, dass die Lehrerinnen und Lehrer – die Mitarbeiter an den Schulen allgemein – so qualifiziert werden, dass sie das leisten können, was wir in den Kindertagesstätten zu vermitteln versuchen? Es geht um die Vermittlung von Fachkenntnissen und darum, dass man sensibel für Anzeichen wird, dass man darauf aufmerksam wird und sich überlegt,ob es sich hierbei um einen Fall von sexuellem Missbrauch handeln könnte, und dass man dann abgestimmte Aktionspläne für jede einzelne Einrichtung,in diesem Fall für jede einzelne Schule, entwickelt.

Es ist darüber zu diskutieren, ob man das nicht – unter Einbeziehung der Träger – lieber von vornherein mit den schulischen Behörden macht: vom Kultusministerium über die Staatlichen Schulämter sowie die Schulleiterinnen und Schulleiter bis zu den Beratungskräften, die es in den Schulen gibt.

Ich komme darauf zurück:Wir haben in der Tat eine ganze Reihe von konkreten Fragen zu beantworten. Zum Beispiel wäre über die Heimaufsicht zu diskutieren. Im Moment gibt es auch eine Debatte über den Landesjugendhilfeausschuss, bei der es um die Richtlinien für die Anerkennung geht. Wie heißt das genau, Herr Minister? Sie wissen es; sie werden es nachher sagen. Diejenigen, die im Landesjugendhilfeausschuss sitzen, wissen, was ich meine.

Es geht darum, auf den einzelnen Maßnahmentyp hinzuarbeiten.

Wir, die SPD-Fraktion, sind für die Debatte im Ausschuss offen und schauen, was sich als der bessere Weg erweist. Wir glauben aber – darin stimme ich Ihnen ebenfalls zu –, dass ein Handeln in der Tat dringend erforderlich ist und dass wir energischer vorgehen müssen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Abg. Bocklet, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zielsetzung ist völlig richtig. Aber wir haben im Anschluss an die Debatte,die wir hier vor einigen Wochen geführt haben,ein großes Problem feststellen können:Wir brauchen jetzt eine konzeptionelle und ganzheitliche Aufarbeitung der Problematik sexuelle Gewalt. Zu dieser Aufarbeitung gehört natürlich auch die Frage: Was bedeutet das für die jeweiligen Handlungsfelder? Wir brauchen auch konkrete Handlungsempfehlungen.

Mir ist allerdings bei der Recherche aufgefallen, dass es schon eine Fülle von Gruppen, Organisationen und Institutionen gibt, die daran arbeiten. Ich nenne nur den Landespräventionsrat. Auch im Sozialministerium gibt es bereits eine Gruppe, die sich damit befasst.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich komme dazu. – Wir haben den Landesjugendhilfeausschuss. Das Kultusministerium hat dankenswerterweise schon sehr umfassend darüber berichtet, was es plant.

Es gibt einen großen Handlungsauftrag auf verschiedenen Handlungsfeldern. Es gibt einige Felder, über die für meine Begriffe noch zu wenig debattiert wird.

Dazu möchte ich erwähnen, dass wir im Zusammenhang mit der Odenwaldschule einen, wie ich finde, unerträglichen Zustand haben: Alle elf Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Täter mussten eingestellt werden, weil die Taten verjährt sind. Ich halte das aus moralischer und ethischer Sicht für einen unerträglichen Zustand. Wir müssen sagen:Juristisch ist das wohl korrekt;aber aus moralischer und ethischer Sicht ist das ein unerträglicher Zustand.

Wir müssen auch mit den Vertretern des Justizministeriums und den Rechtspolitikern noch einmal darüber diskutieren, wie wir dort weiter verfahren. Es kann nicht sein,dass wir aufgrund der Aussagen von 107 Opfern zwar feststellen, dass die Täter diese Delikte begangen haben, sie aber straffrei davonkommen. Ich finde, das ist ein unerträglicher Zustand.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Was die Innenpolitik betrifft, werden wir über die Frage diskutieren müssen, ob wir die Strafen verschärfen, und was die Justizpolitik betrifft, müssen wir uns fragen, wie wir mit den Verfahren umgehen.Wir werden mit den Vertretern des Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit darüber diskutieren müssen, wie wir eine stärkere

Verzahnung zwischen Schulen und Jugendämtern schaffen, und wir werden mit den Vertretern des Kultusministeriums darüber reden müssen, wie insbesondere Internate noch schneller und stringenter arbeiten können.

Was die Prävention betrifft, werden wir über die Frage diskutieren: Wie viel ist uns die Prävention wert, und wie viele Mittel werden wir zusätzlich bereitstellen müssen, um Beratungsstellen zu finanzieren? In Frankfurt beispielsweise arbeitet die Beratungsstelle Wildwasser bisher nur ehrenamtlich. Nach diesem Ansturm können sie das in der Form nicht mehr leisten.

All das ist, wie ich finde, eine Aufgabe der Regierung. Ich habe große Sympathien für den Antrag. Wir werden im Ausschuss vielleicht noch einmal ein fachliches Gespräch darüber führen.

Ich bin der Meinung, dass die Landesregierung gut beraten wäre, wenn sie eine koordinierte Stelle einrichten würde, wenn es etwa ein federführendes Ministerium gäbe, das das, was anliegt, sozusagen in alle anderen Ministerien hineinfunkt. Diese Stelle müsste auch kontrollieren, wie weit die Handlungsempfehlungen tatsächlich umgesetzt werden.

Mein Zwischenfazit ist:Bisher ist in allen Fraktionen noch der politische Wille vorhanden, dort deutlich mehr zu machen als bisher. Man will tatsächlich auch ans Kleingedruckte gehen und konkrete Maßnahmen entwickeln. Ich befürchte, dass im Moment tatsächlich viel nebeneinanderher läuft. Einige arbeiten hoch motiviert, einige arbeiten etwas unkoordiniert, und einige haben ihre Arbeit noch nicht begonnen.

Ich empfehle der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass das unter der Federführung einer bestimmten Stelle und koordiniert vonstattengeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte mir gewünscht, dass wir vielleicht einen Prüfungsauftrag beschließen, dass wir die Landesregierung bitten, das zu tun und uns zu sagen, in welcher Form sie das am klügsten tun kann, damit das sichergestellt ist.

Bei welchem Ministerium soll das sein? – Ob das jetzt in der Staatskanzlei angesiedelt wird oder beim Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, ist mir relativ wurscht. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich.

Wichtig wäre, dass wir tatsächlich verfolgen und evaluieren können, wie es weitergeht. Wir müssen das Netz immer dichter werden lassen. Es muss immer mehr Prävention geben. Es muss immer weniger möglich werden, dass die Täter davonkommen. Es müssen immer mehr Menschen mit dem Problem aufmerksam umgehen. Das alles würde ich mir wünschen.

Frau Schott, der Antrag wird dem Ausschuss überwiesen werden. Sie haben gehört, dass viele Rednerinnen und Redner Sympathie geäußert haben. Ich würde mich gerne noch einmal darüber unterhalten, was das geeignete Gremium ist. In Bayern wurde eine Kinderkommission eingerichtet.

Es könnte auch sichergestellt werden, dass die Öffentlichkeit noch mehr daran beteiligt wird. Wir würden so diskursive Auseinandersetzungen über den besten Weg bekommen.

Wir sehen Ihren Antrag mit großem Wohlwollen. Die Zielrichtung ist klar. Wir müssen weiterhin nachhaltig daran arbeiten, wir dürfen nicht in die Gefahr laufen, nur

Sonntagsreden gehalten zu haben.Es muss uns tatsächlich mit der Politik gelingen, sexuelle Gewalt auf ein Mindestmaß zu reduzieren. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Manfred Görig (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die nächste Wortmeldung stammt von Frau Abg. Wiesmann für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Erst vor wenigen Monaten haben wir hier in großer Einigkeit, für die ich noch heute dankbar bin, über die erschütternden Fälle des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen debattiert. Wir haben damals gesagt: In den Dimensionen Aufklärung, Ursachenforschung, Sanktion und Prävention muss gehandelt werden. Den bisherigen Debattenbeiträgen ist zu entnehmen, dass wir das alle immer noch so sehen.

Dabei ist eine Vielzahl unterschiedlichster Akteure gefragt. Nur manche von ihnen können befehligt oder angewiesen werden, dieses oder jenes so oder anders zu handhaben. Das ist durchaus eine Schwierigkeit. Gleichwohl sind alle gefordert, in Abstimmung und im Wissen voneinander verantwortlich zu handeln.

Behutsamkeit ist also gefragt. Es geht nicht um Stillstand oder Aussitzen, es muss da aber auch Behutsamkeit geben.

In unseren Augen folgerichtig hat das Bundeskabinett einen Runden Tisch eingerichtet, der sich unter dem Vorsitz der drei beteiligten Bundesministerinnen mit dieser Thematik auch innerhalb der Familien befasst. Ich denke, das ist eine gute Maßnahme, weil die Möglichkeit besteht, ein schwieriges, ein vielschichtiges, ein viele Ebenen und viele Teile des Landes und viele Beteiligte betreffendes Thema umfassend zu erörtern.

Der Runde Tisch kann die Arbeit der Regierung und der Parlamente nicht ersetzen.Aber er kann sie erfolgreicher machen.

Erste Vorschläge liegen vor. Sie wurden teilweise auch schon angesprochen,jedoch ist die Debatte insgesamt keineswegs abgeschlossen. Vielmehr hat sie in den letzten Wochen und Monaten sehr viele verschiedene Anregungen hervorgebracht.

Die Vergabe staatlicher Fördermittel könnte künftig an bestimmte Standards und freiwillige Verpflichtungen der Einrichtungen gebunden werden. Über Verjährungsfristen, Führungszeugnisse und eine generelle Anzeigepflicht, aber auch materielle Entschädigungen für die Betroffenen wird gesprochen.

In den Ministerien wurden Arbeitsgruppen eingesetzt. Zwei haben getagt. Das Tagen der dritten steht an.

Nach dem, was wir wissen, arbeitet die Hessische Landesregierung ihrerseits an der Bekämpfung des Missbrauchs in seinen verschiedenen Facetten. Das Hessische Kultusministerium hat uns in der Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses am 12. Mai 2010 – das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen – umfassend über die Aktivitäten hinsichtlich der Aufklärung und der Ursachenforschung in

den Angelegenheiten der Odenwaldschule, der HeleneLange-Schule und der Diltheyschule berichtet. Sie hat auch über die Aktivitäten zur Überprüfung sämtlicher hessischer Internatsschulen und über die Aktivitäten zur Stärkung der Prävention an hessischen Schulen berichtet. Ich war von diesem Bericht durchaus beeindruckt.

Mehrere Erlasse sind in Vorbereitung. Das erweiterte Führungszeugnis für neu einzustellende Lehrkräfte ist beschlossen.

Auch die Kultusministerkonferenz hat einen umfangreichen Empfehlungskatalog vorgelegt,den wir nun auf Hessen umlegen müssen. Das Hessische Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit prüft präventive Ansätze. Zum Beispiel kann die Betriebserlaubnis für Kindereinrichtungen an das Vorhandensein eines Präventionsplans geknüpft werden. Das Hessische Ministerium der Justiz geht den rechtspolitischen Aspekten nach.

Vor diesem Hintergrund lautet die Empfehlung meiner Fraktion: Lassen wir den Runden Tisch in Berlin arbeiten. Denken und arbeiten wir mit. Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist kein hessenspezifisches Problem.Vielmehr handelt es sich offenkundig um ein tief greifendes gesellschaftspolitisches Problem, das zu Recht gemeinschaftlich, zu Recht ressortübergreifend und zu Recht auch länderübergreifend angegangen wird.

Zweitens. Lassen Sie die Landesregierung weiterhin arbeiten. Wir sollten aber auch weiterhin unsere parlamentarischen Gremien nutzen, um zum Erfolg beizutragen.

Frau Kollegin Schott, mit Verlaub: Der Kulturpolitische Ausschuss ist eines der ständigen Gremien, in denen Fortschritte eingefordert werden, Kritik angebracht wird und Vorschläge eingebracht werden können. In den anderen Ausschüssen wird genauso agiert.

Wir werden über Ihren Vorschlag diskutieren, eine zusätzliche Arbeitsgruppe beim Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit einzurichten. Das schafft vielleicht noch mehr Beschäftigung mit der Thematik.Das beantwortet aber keine der wichtigen themenübergreifenden Fragen. Sie zu beantworten sind andere Stelle berufen. Sie nehmen diese Verantwortung auch wahr. Wie ich beschrieben habe, nehmen sie die intensiv wahr.

Die Aufarbeitung der uns bekannt gewordenen Missbrauchsfälle auf der einen Seite und die Bekämpfung des gesellschaftlichen Phänomens Kindesmissbrauch auf der anderen Seite müssen mit einem Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein und Sorgfalt geschehen. Für die Landesregierung stellt sich natürlich die wichtige Aufgabe, aus den vielen Vorschlägen eine kohärente und effektive Strategie zur Bekämpfung des Missbrauchs und zum Schutz der Kinder in Hessen zu destillieren und umzusetzen. Begleiten wir sie bei dieser Aufgabe engagiert, kritisch und konstruktiv in den parlamentarischen Strukturen und Prozessen, die dafür da sind.