Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

gegen den drohenden Atomtod aktiv, besonders in der Region Osthessen. Zunächst ging es gegen die Atomminenschächte in Grenzbereichen der Rhön, die wir nächtlich symbolisch zuzementierten.

In den Achtzigerjahren beschloss der Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung vielfältige Aktionen gegen die Aufrüstungspolitik, besonders gegen die atomaren Ambitionen Westdeutschlands. Eine zentrale Aktion war das Friedenscamp 1984 in Hettenhausen.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Wir waren dort eine Woche zusammen und demonstrierten mit Tausenden gegen die bereits in einem Kinderspiel verarbeiteten atomaren Strategien im Fulda-Gap. – Das kann man übrigens besichtigen. Die Amerikaner haben ein solches Kinderspiel dagelassen. Sie können einmal spielen, was da passiert wäre, wenn diese Atomraketen zum Einsatz gekommen wären.

Wir haben gegen das Air-Land-Battle-Konzept von Bundeswehr und NATO protestiert, das später in den Bundeswehr-Weißbüchern weiterentwickelt wurde.

Wir haben auch gegen den damals amerikanischen Truppenübungsplatz und Schießplatz Wildflecken demonstriert.

(Zuruf des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

Als ich in den Sechziger- und Achtzigerjahren Ostermärsche organisierte, war ich niemals auf den Gedanken gekommen, eines Tages auch gegen eine direkte deutsche Kriegsbeteiligung, gegen deutschen Völkerrechtsbruch, gegen deutsche Kriegsverbrechen und ihre direkte und indirekte Unterstützung durch Politik und Medien demonstrieren zu müssen.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Welche Kriegsverbrechen?)

Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Nach der Auflösung des sogenannten Warschauer Paktes demonstrierten wir für entsprechende Auflösungen von Bundeswehr und NATO.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Und der Roten Armee auch, wahrscheinlich?)

Stattdessen kam 1992 der neue Auftrag an die Bundeswehr: Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt –

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Was ist das denn?)

eine Vokabel, die jetzt zum Rücktritt des Bundespräsidenten geführt haben soll; zumindest wurde das öffentlich so dargestellt.

Bereits 1996 hatte die Bundeswehr keine Scham, im Truppenmagazin „Truppenpraxis“ den damaligen Generalstabsoffizier Herden die neuen Aufgaben etwas volkstümlicher, aber ehrlicher formulieren zu lassen. Ich zitiere:

Das 21. Jahrhundert wird die Ära eines neuen Kolonialismus sein. [...] die Kolonien der Zukunft werden vor allem Ressourcenlieferanten und Absatzmärkte für die Kolonialmächte sein.

So wurde aus dem „Nie wieder Krieg“ der Hessischen Verfassung unter rot-grüner Regierung und den folgenden Regierungen ein „Nie wieder Krieg ohne uns“.

Entsprechend wird die Bundeswehr zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen umgerüstet und eingesetzt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Jetzt geht es aber wieder arg ab!)

Seit Jahrzehnten ist die hessische Friedensbewegung gegen Aufrüstung, besonders atomare Rüstung, und die Militarisierung der Gesellschaft mit vielfältigen Aktionen und aufklärerischen Veranstaltungen öffentlich aufgetreten.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Mich ermahnte in den letzten Tagen eine Mitstreiterin aus der damaligen Zeit, diesen Zielen treu zu bleiben und mich nicht – wie ihre damalige Partei, für die sie hier im Landtag und im Bundestag saß – zu verbiegen.

Herr Kollege van Ooyen, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich habe Gertrud Schilling versprochen, unsere gemeinsame Sache aktiv weiterzumachen.

Ich gehe davon aus,dass wir weiterhin Abrüstung statt Sozialabbau brauchen. In die aktuelle Debatte jetzt gehört hinein:Spart endlich an der Rüstung.– Dafür waren wir in Point Alpha.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Quanz, SPDFraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem Thema dieser Aktuellen Stunde haben wir es mit zwei Ritualen zugleich zu tun, nämlich einmal, dass DIE LINKE kein Fettnäpfchen auslässt, um darin ausgiebig zu baden,

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

und zweitens, dass der CDU in der politischen Auseinandersetzung nichts Besseres einfällt, als daraus eine Aktuelle Stunde zu machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, da treffen sich ein paar Geschichtsvergessene, Ewiggestrige, die nennen das dann Demonstration,

(Beifall bei der SPD)

und veranstalten eine Nostalgiefeier – ich weiß nicht, ob auch die Schalmeien ausgepackt wurden –, um einige nostalgische Klänge zu intonieren.

(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das alles ist schlechter Politikersatz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Jetzt allerdings daraus eine Aktuelle Stunde, eine kritische Auseinandersetzung zu machen, um das, was damals – und das gilt bis heute – Altbundeskanzler Schmidts Verdienst war, ist unangemessen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn Sie eine Aktuelle Stunde beantragt hätten, um Abbitte für Ihre fehlerhafte Verweigerungspolitik der Siebzigerjahre zu leisten,

(Lebhafter Beifall und Zurufe von der SPD – Bei- fall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

so wäre das angemessen gewesen, um tatsächlich die Verdienste von Helmut Schmidt in angemessener Form zu würdigen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag greift im letzten Abschnitt auch noch einmal den Gedanken auf, dass der Opfer des 17. Juni zu gedenken ist. Das ist sehr eindrucksvoll in der ersten Aktuellen Stunde geschehen. Deshalb von mir nur noch wenige Worte dazu.

Der 17. Juni ist und bleibt ein ganz wichtiger historischer Gedenktag. Er erinnert an den Unrechtsstaat DDR. Er macht zugleich deutlich, dass das Opfer derjenigen, die um ihr Leben kamen, nicht vergessen werden darf. Das ist geschichtlicher Auftrag, der gilt bis heute. Deshalb ist der 17. Juni ein wichtiger Tag der gemeinsamen deutschen Geschichte, Teil einer richtigen Erinnerungskultur. Deshalb muss der Opfer immer in würdiger Form gedacht werden. Sie waren letztlich auch Vorbilder für die Bürgerrechtsbewegung, für Solidarnosc, für Václav Havel und viele andere.

Ich glaube, des 17. Juni ist in der ersten Aktuellen Stunde zu Recht entsprechend gedacht worden.Aber hier geht es jetzt um Helmut Schmidt. Ich möchte dem Komitee von Point Alpha ausdrücklich danken,dass Helmut Schmidt in dieser Weise gewürdigt wurde.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt seiner Person, seiner großartigen Persönlichkeit. Das gilt auch seiner Politik. Meine Damen und Herren, er nennt eines seiner wichtigsten Bücher „Außer Dienst“ – das ist er, aber gleichwohl gleichbleibend eine Instanz, eine Autorität, eine wertgeschätzte Persönlichkeit und ein kompetenter Ratgeber, nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die Europäer; ja, ich sage, er ist weltweit als Ratgeber gefragt, als ein Mensch, der offensichtlich in der

Lage ist, ganz viele für sich zu gewinnen: durch seine Kompetenz und Überzeugungskraft.

Der Preis wurde ihm aber insbesondere für das gewährt, was er durch die KSZE-Entwicklung entscheidend vorangetrieben hat.