Protokoll der Sitzung vom 24.06.2010

Es macht Sinn, die haushalts- und steuerrechtlichen Fragen im Haushaltsausschuss zu diskutieren und die Frage der Essensversorgung in Kindertagesstätten und in Schulen im Zusammenhang mit Ganztagsangeboten im Kulturpolitischen Ausschuss zu diskutieren. Ich freue mich auf die Diskussion in beiden Ausschüssen, weil ich in beiden Ausschüssen bin, und danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Wort hat Frau Abg. Gnadl für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will noch einmal den Fokus auf diejenigen lenken,um die es heute in dieser Debatte geht.Ich möchte Sie fragen,ob Sie schon einmal ein Kind erlebt haben, das hungrig in die Schule gegangen ist und das das Mittagessen an der Schule nicht von den Eltern bezahlt bekommen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe das schon erlebt. Ich kenne einen Jungen im 3. Schuljahr, der regelmäßig ohne Frühstück das Haus verlässt und der darauf angewiesen ist, ob das Geld für das Mittagessen von den Eltern überwiesen wurde. Das ist unabhängig davon, ob die Eltern sich das leisten können oder nicht, es trifft aber nicht immer zu, dass dieses Geld für das Mittagessen da ist. Können Sie sich vorstellen, dass es dann eine Lehrerin gibt, die ihr Brot mit dem Kind teilt, damit es nicht den ganzen Tag über hungrig bleibt? Wissen Sie, wie sehr sich dieser Junge dafür schämt?

Das, was ich erlebt habe, hat mich sehr ergriffen. Kindern muss eine solche Scham erspart bleiben. Das hat auch etwas mit der Würde eines Menschen zu tun.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Gerade in einem wohlhabenden Land wie Deutschland darf es keine hungrigen Kinder an den Schulen geben. Das ist nichts Abstraktes, über das wir hier reden. Das passiert tagtäglich hier in Deutschland und auch in Hessen. Essen und insbesondere eine warme Mahlzeit am Tag gehören zu den elementaren Voraussetzungen,damit Kinder sich gut entwickeln können, damit sie lernen können, damit sie aufmerksam den Unterricht verfolgen können. Das ist unerlässlich für das Kindeswohl.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kinder sind die Bevölkerungsgruppe mit besonders hohem Armutsrisiko. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums gelten 2,6 Millionen Kinder in Deutschland als arm. Das ist eine unvorstellbare Zahl. Das ist jedes sechste Kind, das in Armut lebt, darunter insbesondere Kinder von Arbeitslosen, von Alleinerziehenden und aus Migrantenfamilien.

Untersuchungen belegen:Arm heißt für Kinder oft, hungrig in die Schule zu kommen und sich falsch und ungesund zu ernähren, auch, weil das Geld für eine ausgewogene Ernährung fehlt. Deswegen fordern wir, dass jedes Kind einmal am Tag ein gesundes warmes Essen bekommen muss. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir vertreten die Auffassung, dass das Essen mindestens für bedürftige Kinder kostenfrei sein muss, denn Ernährung ist ein Teil der Kinderrechte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

In diesem Punkt unterscheiden wir uns von der Fraktion der GRÜNEN. Wir brauchen endlich eine ganztägig arbeitende Schule. Denn Ganztagsschule und Schulessen gehören zusammen, damit die Nachmittagsleistung der Schüler nicht davon abhängt, ob der Geldbeutel der Eltern reicht oder nicht.

Was die Partei DIE LINKE in ihrem Antrag fordert,greift schlicht zu kurz. Da kann ich meinen Vorrednern nur recht geben. Das hieße am Ende: Das, was für reiche Hoteliers und Millionspender der FDP gilt, soll auch für arme Kinder gelten, nämlich ein Mehrwertsteuersatz von 7 %. Das klingt nett und legt auch den Finger in die Wunde einer nicht mehr nachvollziehbaren Mehrwertsteuergesetzgebung.

Ja, hier gebe ich Ihnen recht: Diese Gesetzgebung ist völlig chaotisch und bedarf einer grundsätzlichen und generellen Überprüfung.Auch das haben wir mit unserem Antrag heute deutlich gemacht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber der Antrag der LINKEN geht am Problem vorbei. Es geht darum, dass jedes Kind entsprechend seinen Fähigkeiten gefördert werden muss und dafür die entsprechenden Möglichkeiten erhalten muss. Ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz löst das grundlegende Problem nicht, dass besonders Familien mit niedrigem Einkommen und vielen Kindern das Schulessen nicht bezahlen können. Das ist nämlich eine gesellschaftspolitische Frage. Die beantworten wir als SPD in unserem Antrag wie folgt: Das Land muss endlich seiner Verantwortung auch gegenüber den Kindern gerecht werden. Wir fordern deshalb die Landesregierung dazu auf, gemeinsam mit den Schulträgern und unter Bereitstellung der entsprechenden Mittel dafür zu sorgen, dass alle Kinder unabhängig von ihrem ökonomischen Hintergrund und dieser Mehrwertsteuerdebatte Zugang zu einem gesunden Mittagessen in der Schule haben.

Auf diesen Weg wollte sich ein Landkreis in Hessen bereits machen:Hersfeld-Rotenburg.Er hat beschlossen,ein kostenfreies Schulessen einzuführen.

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ich komme gleich zum Schluss. – Das hätte eine Vorreiterposition in Hessen sein können. Das Land hat den RP angewiesen, das nicht zuzulassen. Hier wird deutlich, dass die Landesregierung, statt selbst etwas zu tun und Verantwortung zu übernehmen, auch noch diejenigen behindert, die ein kostenloses Schulessen anbieten wollen. Das ist unerträglich. Es geht hier um die Würde des Menschen. Das gilt auch für Kinder. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Blum für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube – das habe ich den Wortbeiträgen meiner Vorrednerinnen und Vorrednern entnehmen können –, wir sind uns in vielen Punkten dieser Debatte doch einig. Es ist unbestritten, dass in Zeiten, in denen Ganztagsangebote an Schulen, aber auch Ganztagsbetreuung im vorschulischen Bereich von immer stärkerer Bedeutung sind, natürlich auch eine adäquate Versorgung mit Mittagessen derjenigen, die sich in diesen Ganztagsangeboten befinden, also der Schülerinnen und Schüler oder der Hortund Kindergartenkinder, zentrale Aufgabenstellung und Herausforderung ist. Ich glaube, wir sind uns auch alle einig, dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir das organisieren können, dass dieses Angebot allen offensteht:

denjenigen, die es sich leisten können, aber auch denjenigen,die aufgrund der Stellung ihres Elternhauses oder der Verhältnisse, die dort herrschen, keine Möglichkeit haben, das aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Denn an dieser Stelle – ich glaube, da stimmen wir alle überein – darf die Frage des Geldbeutels nicht darüber entscheiden, ob man eine warme Mahlzeit in der Mittagszeit hat oder nicht.

(Beifall bei der FDP)

Diese Diskussion sollen gern die Bildungspolitiker und Fachpolitiker im Kulturpolitischen Ausschuss führen. Ich glaube, wir sind uns in den bisherigen Wortbeiträgen weitgehend einig gewesen, dass Änderungen des Umsatzsteuerrechts zur Erreichung dieses Ziels,dieses sozial- und bildungspolitischen Ziels, das denkbar ungeeignetste Mittel sind. Frau Kollegin Erfurth hat das zu Recht gesagt.

Zu der Frage der Preissteuerung könnte ich Ihnen jetzt lange erklären, was eigentlich mit der Mehrwertsteueränderung für Hotels und die Gastronomie an wirtschaftspolitischer Impulssetzung bezweckt ist und auch bezweckt worden ist.Frau Kollegin,da geht es nicht um Preise.Aber Preissteuerung über das Umsatzsteuerrecht – das haben wir an vielfältigen Beispielen erlebt – ist kein adäquates Mittel. Denn wir haben es gar nicht in der Hand – Sie haben es zu Recht ausgeführt –,ob der Anbieter das wirklich an seine Kunden weitergibt,ja oder nein,ob also der Steuerungszweck dieser Maßnahme wirklich erreicht wird. Es liegt nämlich gar nicht mehr in unserer Hand, es sei denn, wir setzen gleich kraft Gesetzes den Preis mit fest. Aber ich glaube, das ist etwas, was wir in diesem Land so nicht organisieren wollen, zumindest die breite Mehrheit derer, die hier Verantwortung tragen. Insoweit ist das Umsatzsteuerrecht nicht das geeignete Instrument.

(Beifall des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Bei vielen klang auch durch, dass wir in der Tat einmal die Frage stellen müssen – das ist durch den Antrag der LINKEN nur am Rande aufgekommen –: Was ist denn überhaupt in diesem Umsatzsteuerkatalog 7 %, was 19 %? Was bedeutet das überhaupt an sozial- oder wirtschaftspolitischer Steuerung, ja oder nein? Das müssen wir dringend diskutieren. Denn die Diskussion, die dort stattfindet über die Unterscheidung von Maultier und Maulesel, die Unterscheidung, ob ich meine Pommes bei der FastFood-Kette drinnen esse oder ob ich sie mitnehme

(Janine Wissler (DIE LINKE): Oder Hotel und Campingplatz!)

jetzt nutze ich die Gelegenheit –, ist sicherlich schwer zu verstehen.Wir haben an dieser Stelle durchaus deutlichen Nachbesserungsbedarf und müssen uns sicherlich auch die Frage stellen: Ist eine Unterscheidung zwischen zwei Mehrwertsteuersätzen vom Grundsatz her überhaupt gerechtfertigt?

Frau Kollegin Wissler, die letzte Minute, die ich habe, verwende ich gerne darauf, auf Ihren Zwischenruf einzugehen. Sie haben es bisher versäumt, sich bei Ihrem mecklenburg-vorpommerischen Kollegen nach den Zielsetzungen einer Mehrwertsteuerreduzierung für Hotels zu erkundigen. Er hat das auch schon einmal gefordert. Hier geht es nicht um eine Preissenkung in der Fläche,nicht darum, ob Hoteliers diese Entlastung weitergeben. Hier geht es um die wirtschaftspolitische Impulssetzung in einer Branche. Es geht darum, Handlungsspielräume zu eröffnen, zum einen in Gebieten, wo durch die Nachbar

schaft zum europäischen Ausland durchgängig ein niedrigerer Umsatzsteuersatz existiert.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann machen Sie das auch für Campingplätze!)

Frau Kollegin, hören Sie mir doch einmal zu. Dann können Sie wirtschaftspolitisch noch etwas lernen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD)

Es geht darum, den Spielraum zu geben, der notwendig ist, um im Wettbewerb mit den anderen Anbietern bestehen zu können.

(Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und Manfred Görig (SPD))

In Räumen, wo das nicht notwendig ist – dazu mag z. B. das Rhein-Main-Gebiet als nicht an das benachbarte Ausland grenzend zählen –, sollen Spielräume gegeben werden, Investitionsstaus abzubauen oder aber in Neueinstellung von Personal zu investieren. Sie kennen doch die Zahlen, die wir in Hessen seit der Einführung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes haben.

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Herr Präsident, diese beiden Fakten noch am Ende. Es wurden weit über drei Dutzend neuer Ausbildungsplätze im Hotel- und Gaststättengewerbe zusätzlich geschaffen und durch die Auflösung des bestehenden Investitionsstaus weit über 50 Millionen c an Investitionsimpulsen in die regionale Volkswirtschaft gegeben.

(Zurufe der Abg. Nancy Faeser und Petra Fuhr- mann (SPD))

Es ist eine wirtschaftpolitische und keine preisbildende Maßnahme. Deswegen war und ist sie sinnvoll, so wie die Bundesregierung sie vorgenommen hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Nancy Faeser (SPD): Mitnichten!)

Es spricht Herr Staatsminister Weimar.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu der Umsatzsteuerproblematik. Frau Erfurth hat das hier schon einmal ein bisschen angesprochen. Da haben wir ein Problem. Der Bundesfinanzhof hat dazu Rechtsprechung in filigranster Form gemacht und das jetzt auch dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Es geht um Fragen zu diesem Themenkomplex. Die Antworten sind noch nicht da. Ob es dann einfacher wird, weiß ich nicht.

Jedenfalls kann man eines festhalten: Wer heute 19 % Umsatzsteuer zahlt, wenn er Schulessen ausgibt, der ist irgendwie schlecht beraten. Es geht nur darum, ob man 7 % oder gar nichts bezahlt. Denn es gibt Modelle, sich als Mitglied eines Wohlfahrtsverbandes zu integrieren. Dann kann ich das sogar umsatzsteuersatzfrei machen. Das ist nicht das Problem.

Das Problem ist die Umsatzsteuer per se. Sie haben eben McDonald’s genannt. Noch schlimmer wird es, wenn Sie eine Pommesbude haben und draußen einen Stehtisch mit zwei Sesseln hinstellen. Die Leute, die ihre Currywurst da essen, zahlen 19 %. Wenn die Leute aber im Stehen vor der Bude essen, weil keine Stühle da sind, und sich unterhalten, zahlen sie nur 7 %.

Ich glaube, es sind sich alle darüber im Klaren, dass diese Umsatzsteuerregelungen eigentlich einmal durchforstet werden müssten.Aber wenn man ganz ehrlich in die eigenen Reihen schaut – das geht wahrscheinlich fast allen so –, dann wird die ganze Sache ziemlich heikel.

Weil jetzt so viele Interessengruppen drin sind, wird das ganz schwierig. Ich befürchte, dass die ganze Sache nur machbar ist, wenn man z. B. sagt, die Umsatzsteuer wird von 19 auf 18 % gesenkt, und zwar auf alles, oder jedenfalls irgendetwas in diese Richtung; sonst werden Sie sich in dieser Frage verlieren.

(Clemens Reif (CDU): Genau!)

Zweiter Punkt. Frau Abg. Gnadl, was Sie sich hier geleistet haben, war schon ein starkes Stück.Wenn man hier an das Pult geht, muss man wenigstens wissen, wovon man redet.