Protokoll der Sitzung vom 28.09.2010

Dort wird in extrem kleinen Gruppen unterrichtet. Je nachdem, um welche Form der Behinderung es sich handelt, sind es sechs, acht oder zehn Schüler.

Auf der anderen Seite haben Sie eine Klasse mit 20 bis 22 Kindern mit wenig Förderstunden. Das ist nicht das, was wir unter Inklusion verstehen.Deshalb sage ich sehr deutlich: Wir sind grundsätzlich für Inklusion, aber es gibt Grenzen. Deshalb müssen wir jeden Einzelfall prüfen. Entscheidend ist, was für die Kinder dabei herauskommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die selbstständige Schule wurde von unserer Ministerin zu Recht angesprochen. Da sind wir mit unserem Koalitionspartner einer Meinung. Wir werden beim Thema selbstständige Schule zu prüfen haben, ob das, was wir in Reinkultur haben wollen, nämlich eine große Lösung für große Schulen, für alle Schulen gelten muss.

Erstens gilt, dass wir das als Angebot machen. Das halte ich für richtig. Niemand wird von uns gezwungen, dieses Angebot anzunehmen. Jeder kann es aber. Das kann das Modell 1 oder das Modell 2 in abgestufter Form sein. Ich muss da differenzieren. Eine große Berufsschule und ein großes Gymnasium haben andere Bedürfnisse als eine kleine Grundschule. Ergo muss ich mich, was die Frage der Selbstständigkeit angeht, darauf auch einstellen.

Selbstverantwortung plus wurde angesprochen. Herr Kollege Klein ist bei uns der Spezialist dafür.Auch hier Dank und Anerkennung für die Schulen, die das gemacht haben. Das war eine tolle Arbeit.

Man kann darüber streiten, ob das alles viel schneller hätte gehen müssen. Das kann sein. Aber in letzter Konsequenz ist wichtig, was hinten herauskommt. Das ist das Entscheidende.

Die Personaleinstellungskompetenzen wurden angesprochen.Auch das hat alles mit selbstständiger Schule zu tun. Es gibt damit mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung.

Die Mittelstufenschule wurde von Frau Kollegin Habermann kritisch hinterfragt. Das wundert mich überhaupt nicht. Denn die Sozialdemokraten haben gerade zu den Schülern, die eine besondere Förderung nötig haben, ein gespaltenes Verhältnis. Meine Damen und Herren, was haben Sie eigentlich während Ihrer politischen Verantwortung für die Förderung der Hauptschüler gemacht? Diese Frage zu stellen muss doch erlaubt sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Sie stellen sich hierhin und erklären, die Auflösung der Hauptschule sei überfällig. Haben Sie sich eigentlich einmal Gedanken darüber gemacht, was die Hauptschüler, die sich genau in dieser Hauptschule befinden, und deren Eltern empfinden müssen, wenn Sie sich hierhin stellen und sagen, diese Art der Schule sei überflüssig, die bräuchten wir nicht, und sie würde nichts taugen? Das ist

nicht sehr pädagogisch. Ich habe das jetzt sehr zurückhaltend formuliert.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Habermann, während der Regierungszeit Ihrer Partei haben 24 % der Hauptschüler keinen Schulabschluss gehabt. Sie haben nichts gemacht, um das Problem zu beheben. Heute liegen wir bei etwa 10 bis 12 %. Das ist eine Halbierung, die zwingend notwendig war.

Gleichzeitig sage ich: 10 % sind immer noch 10 % zu viel. Das wollen wir auch noch ändern. Dazu werden wir die Mittelstufenschule einführen, bei der es darum geht, Kinder, die besondere Fähigkeiten haben, zu unterstützen. In aller Regel haben sie eher manuelle Fähigkeiten.Die wollen wir mit berufsorientierenden Elementen unterstützen. Das soll in Kooperation mit den Berufsschulen und der Wirtschaft geschehen.

Die SchuB-Klassen wurden von Karin Wolff eingeführt. Das ist ein Erfolgsmodell.Wir wollen das ausbauen. Denn uns ist daran gelegen,diejenigen besonders zu fördern,die ansonsten durch den schulpolitischen Rost durchfallen würden. Das ist unser Verständnis von Bildungsgerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Bildungsstandards ist das nächste Stichwort. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Kultusministerkonferenz einstimmig gesagt hat:Jawohl,wir wollen in diesem Lande Bildungsstandards implementieren. Wir wollen, dass Schüler, Eltern und Lehrer am Ende der Klasse 4, am Ende der Klasse 9 und am Ende der Klasse 10 wissen, was ein Kind der jeweiligen Altersstufe an Fähigkeiten und Kompetenzen erworben haben muss.

Die Umsetzung ist mit Arbeit verbunden. Das braucht Zeit. Deshalb war es richtig, die Einführung um ein Jahr zu verschieben.

Sehr persönlich füge ich hinzu: Auch wenn wir noch ein Jahr mehr brauchen würden, würde die Welt nicht untergehen. Wir müssen die Kollegien bei dieser schwierigen Aufgabe mitnehmen. Das ist entscheidend, wenn wir Erfolg haben wollen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir können darüber streiten. Das geschieht auch gelegentlich. Es gibt Stellungnahmen. Es gab Rohentwürfe der Bildungsstandards. Diese Rohentwürfe sind von den Verbänden partiell kritisiert worden, weil sie zu wenig Inhalt vermitteln, weil zu viel über Kompetenzen gesprochen wird – eine Kritik, die man teilen kann, die wir, was die Rohentwürfe angeht, auch teilen; ich sage das ausdrücklich.

Mittlerweile gibt es Überarbeitungen. Das Ganze sieht wieder ganz anders aus. Die Inhalte sind wichtig. Es gibt keine Bildung ohne Inhalte. Schüler so qua Methodentraining nur im Gebrauch des Textmarkers zu schulen reicht nicht ganz aus. Das heißt, wir brauchen einen Primat der Inhalte vor den Methoden. Die blanke Forderung nach einer bloßen inhaltsleeren Vermittlung von Kompetenzen wäre wie der Vorschlag,ohne Wolle stricken lernen zu wollen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: vernetztes Denken, fächerübergreifendes Lernen – alles in Ordnung, muss alles sein. Nur müssen wir Grundlagen schaffen. Wenn wir keine Grundlagen haben, wäre das sonst eine

Vernetzung von sogenannten Nullmengen. Das heißt, wir brauchen eine Renaissance des konkreten Wissens.

Wer nichts weiß, muss logischerweise alles glauben. Wer aber alles glauben muss, ist kein mündiger Bürger. Der ist manipulierbar. Und deshalb brauchen wir die Inhalte.Wir brauchen die Kompetenzen in einem ordentlichen, vernünftigen Gesamtzusammenhang.

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt, den ich ansprechen will, ist die Lehrerausbildung. Um all das, was wir wollen, umzusetzen, brauchen wir gut ausgebildete Lehrer. Ich möchte an dieser Stelle sehr bewusst an die Adresse der hessischen Lehrerschaft einen Dank und die Anerkennung ausrichten, weil das, was heutzutage Lehrer leisten müssen – das wird leicht verkannt –, alles andere als einfach ist. Ich glaube, wir sollten an dieser Stelle auch durchaus parteiübergreifend – das hoffe ich zumindest – unserer hessischen Lehrerschaft Dank und Anerkennung für geleistete Arbeit zeigen.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir verlangen von den Pädagogen sehr viel.Wir haben in der Vergangenheit viel von ihnen verlangt. Aber das, was in der Zukunft intendiert ist, bedeutet noch mehr. Sie sollen nicht nur Wissen vermitteln – das ist das eine. Sie sollen erziehen, und ich füge ausdrücklich hinzu: ohne dass wir die Eltern aus ihrer Erziehungsverantwortung entlassen. Beides gehört zusammen.

Sie sollten Vorbilder sein. Sie sollen Halt und Orientierung geben. Sie sind partiell, ob man das will oder nicht, für manche Schüler Elternersatz. Sie sind, ob man das will oder nicht,partiell Sozialarbeiter.Sie sind Berater.Sie sollen jungen Leuten helfen,Wege zu finden, auch in der Berufsorientierung, in der Frage der Studienorientierung und, und, und. Sie sollen im Bereich der Schulcurricula, der Kerncurricula mitarbeiten, mehr individuelle Förderung, Berufsbegleitung usw.usf.

All das sind gewaltige Herausforderungen, die auf Schule, aber auch auf Kollegen zukommen.Das heißt im Klartext, wir werden perspektivisch – ich füge hinzu:das stand auch nicht in der Koalitionsvereinbarung von SPD und GRÜNEN – aus meiner Sicht über Stundenentlastungen im Bereich der Lehrerschaft, im Bereich der Schulleitungen zu diskutieren haben; denn all das, was wir wollen, bedeutet deutlich mehr Aufwand und Mehrarbeit. Mit den vorhandenen Bordmitteln geht das nicht.

Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass wir in der Koalitionsvereinbarung festgehalten haben, dass die demografische Rendite im System bleibt. Das ist ein Meilenstein. Das wird uns am Ende der Legislaturperiode auch die Chance geben, das eine oder andere Entlastungsmoment in die Tat umzusetzen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir, insgesamt gesehen in Deutschland durchaus auch einmal stolz auf unser gesamtes Schulsystem sein können. Wir alle neigen dazu, Schule in Deutschland immer schlechtzureden. Ich teile diese Auffassung nicht.

(Florian Rentsch (FDP):Wir auch nicht!)

Schule in Deutschland ist um Klassen besser als ihr Ruf, oder als wir sie gelegentlich machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir haben in Deutschland weltweit mit die niedrigste Arbeitslosenquote. Wir haben in Deutschland weltweit mit

die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Deutsche Technik hat Weltruf, Weltgeltung, und „Made in Germany“ hat nach wie vor einen hervorragenden Ruf.Wir sind Exportweltmeister. Wir haben in Deutschland eine hervorragende Infrastruktur und – bei aller Kritik – auch ein gutes Gesundheitssystem.

Meine Damen und Herren, glaubt denn allen Ernstes jemand, das alles wäre möglich gewesen, wenn wir in dieser Republik ausschließlich marode Schulsysteme gehabt hätten? – Nein. Die Grundlage für all das, was wir gemeinsam geschaffen haben, war eine gute Bildung, die in Deutschland im Vergleich zu allen anderen Staaten dieser Welt hervorragend ist. Egal, ob das auf Platz 5, 8 oder 12 bei welcher Studie auch immer ist,unter dem Strich haben wir eine sehr positive Bilanz deutschlandweit hervorzuheben. Das möchte ich sehr bewusst machen.

An dieser Stelle appelliere ich deshalb: Lassen Sie uns nicht immer nur das Schlechte sehen.Wir müssen auf Kritikpunkte aufmerksam machen. Es gibt Schwächen. Es gibt etwas zu verbessern – völlig unstreitig. Aber gelegentlich wäre es schön, wenn wir uns der eigenen Stärken besinnen und auch die ideologischen Grabenkriege lassen würden. Lasst uns die Strukturdebatten weglassen und vielleicht einmal versuchen, von dem, was wir haben, auszugehen, was wir von innen heraus weiterentwickeln. Ich glaube, wenn wir das gemeinsam machen, wären wir auch in Hessen auf einem insgesamt sehr guten Weg.Wir laden Sie jedenfalls herzlich dazu ein.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Ich darf Herrn Wagner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Irmer hat als Vertreter einer Regierungsfraktion in seiner Rede sehr viel über die Opposition geredet. Er hat sehr viel über die Vergangenheit geredet, und er hat sehr viel über andere Bundesländer geredet. Wenn das ein Vertreter einer Regierungsfraktion macht, dann liegt der Verdacht sehr nahe, dass es ein Problem gibt, über das eigene Bundesland zu reden,über die eigene Arbeit zu reden und über die Gegenwart zu reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP: Oh Mann!)

Genau das ist das Problem mit dieser Kultusministerin. Herr Kollege Irmer, es ist doch völlig unbestritten, dass die Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land jeden Tag einen wunderbaren Job machen – jedenfalls die allermeisten. Es ist unbestritten, dass sich die allermeisten Eltern für den Bildungserfolg ihrer Kinder interessieren und engagieren. Es ist auch völlig unbestritten, dass die allermeisten Schülerinnen und Schüler versuchen, für sich aus der Schule das Beste mitzunehmen, viel zu lernen für ihr Leben.

Herr Kollege Irmer,aber wie gut könnten wir diese Arbeit unterstützen, wenn auch die Rahmenbedingungen stimmen würden? Genau darum geht es in dieser Debatte.Die Rahmenbedingungen, unter denen unsere Schulen arbeiten müssen, stimmen eben nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Regierungserklärung der Kultusministerin hat mich, ehrlich gesagt, an die Neujahrsansprachen von Helmut Kohl erinnert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Kultusministerin, es wäre überhaupt nicht aufgefallen, wenn Sie einfach die Rede vom letzten Jahr gesendet hätten, weil Sie heute überhaupt nichts Neues hier gesagt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Kahl (SPD) – Widerspruch bei der FDP)