die einmal über den Tellerrand der gewohnten Sozialpolitik hinausblicken. Die Betreuungsgutscheine sind eine Sache – –
(Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist doch keine Innovation, das ist Segregation, das ist Parallelgesellschaft!)
Hören Sie doch erst einmal zu, Herr Dr. Spies, ich erkläre es Ihnen doch. – Das Projekt Betreuungsgutscheine wurde in Hamburg sehr erfolgreich umgesetzt. Mittlerweile ist es dort auch von der SPD sehr anerkannt, weil es den Mitteleinsatz in dem Wachstumsmarkt Kindertagesstätten effizienter steuert.
Herr Dr. Spies, ich habe das Mikrofon, nicht Sie. Sie können gern gleich noch einmal ans Mikrofon gehen.
Gerade in diesen Wachstumsmarkt, in dem die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt, ist es wichtig, die Mittel effizient einzusetzen. Dass Sie gerade hier etwas streichen wollen, zeigt, dass Sie von Ihren ausgetretenen Pfaden der Sozialpolitik nicht abweichen und Ihr Scheuklappendenken nicht aufgeben wollen. Insofern ist das ein Zeichen dafür, dass Sie hier nicht besonders innovativ vorgehen.
Strich drunter. Alles in allem haben die Ausführungen sowohl von Herrn Dr. Bartelt als auch von mir gezeigt: In der Sozialpolitik ist Hessen sehr gut aufgestellt. Die Untergangsszenarien, die von der Opposition gern an die Wand gemalt werden, sind ein Zerrbild. Ich denke, wir stellen auch in der Sozialpolitik die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Mick. – Nächste Rednerin ist nun für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Schulz-Asche.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In Hessen ist der Sozialhaushalt seit elf Jahren eine Wanderbaustelle in einem Dauersteinbruch. Daher werden Sie von mir einige kritische Bemerkungen zu dem zu hören bekommen, was uns hier vorgelegt wurde.
Eine Wanderbaustelle nicht zuletzt aufgrund der vielen Wechsel der Minister in diesem Bereich, und ein Dauersteinbruch, weil wir seit der „Operation düstere Zukunft“ in der gesamten sozialen Szene die Verunsicherung haben, wie weit FDP und CDU in diesem Bereich eigentlich noch einsparen wollen.
Wenn man sich diesen Haushalt anschaut und überlegt, wie in Hessen die Schuldenbremse umgesetzt werden kann, dann müssen wir die Bürgerinnen und Bürger sehr ernst nehmen, die da Angst haben, dass Sie in Bereichen sparen wollen, die im Moment für den sozialen Frieden in diesem Land noch so wichtig sind.
Sie haben es wieder versäumt, vorzulegen, in welchen Bereichen Sie tatsächlich die Haushaltskonsolidierung ansetzen wollen. Herr Kollege Mick, Sie sind der Einzige von Schwarz-Gelb, der das heute hier ernsthaft angesprochen hat. Auch zur Effizienz haben Sie Vorschläge gemacht. Aber im Haushaltsentwurf und von all Ihren Vorrednern ist dazu bisher leider nur wenig gesagt worden.
Wir müssen diese Ängste der Menschen ernst nehmen. Wir brauchen eine Sozialpolitik, die abgesichert ist und dafür sorgt, dass es tatsächlich möglich wird, den Menschen Zukunftschancen zu eröffnen.
Meine Damen und Herren, deswegen legen wir Ihnen ein neues, ein grünes Sozialbudget vor, eingebettet in ein Konsolidierungskonzept für den Gesamthaushalt bis 2020. Denn für uns steht Sozialpolitik im Moment vor drei Herausforderungen.
Das ist zunächst die Frage: Was ist die Aufgabe des Staates und seiner Bürger bei der Umsetzung von Sozialpolitik bei der Beseitigung von Diskriminierung, bei der Erleichterung von Teilhabe an der Gesellschaft, beim Aufzeigen und Ermöglichen von Wegen aus der Armut.
Der zweite Punkt. Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie diese Maßnahmen am besten zu erbringen sind, welche Ebene die beste ist, um diese Dienstleistungen anzubieten. Ist es der Bund? Ist es das Land? Oder sind es die Kommunen? Diese Debatte brauchen wir, um diese Maßnahmen effizient umsetzen zu können. Auch diese Diskussion wurde hier leider von den Regierungsparteien wieder versäumt. Das stärkt die Angst der Bürgerinnen und Bürger, dass Sie am Ende nur die sozialen Leistungen abbauen wollen.
Schließlich – und das ist sozusagen die Kernidee des grünen Sozialbudgets – brauchen wir in der Sozialpolitik mehr Planungssicherheit, und zwar nicht nur für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für die Träger, seien es kommunale oder frei gemeinnützige Träger. Wir brauchen mehr Planungssicherheit, um tatsächlich Maßnahmen im sozialen Bereich, die ja nicht von heute auf morgen wirken, konstruktiv und nachhaltig sicherstellen zu können.
Meine Damen und Herren, unser Sozialbudget 2011 hat diese langfristige Sicherung der Mittel zum Ziel. Wir wollen keine Sozialpolitik nach Kassenlage, sondern wir wollen eine Politik – und auch darüber wollen wir mit Ihnen gern eine konzeptionelle Debatte führen – mit klaren Zielvorgaben der Landespolitik, mit klaren Indikatoren, wie diese Ziele erreicht werden können. Damit wollen wir auch im Hinblick auf die Schuldenbremse ab dem Jahr 2020 sicherstellen, dass das friedliche Zusammenleben der Menschen vor Ort gesichert ist, unabhängig von Generation, Geschlecht, Behinderung oder kulturellem Hintergrund. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir gerade auch im Hinblick auf die Haushaltskonsolidierung bis zum Jahr 2020 stehen. Darauf wollen wir mit unserem grünen Sozialbudget eine Antwort geben.
Meine Damen und Herren, wir brauchen auch deshalb eine Neukonzeption der Sozialpolitik, weil verschiedene Bereiche nach wie vor unterfinanziert sind. Wie Sie wissen, haben wir einen enormen Mangel bei den Erzieherinnen und Erziehern, und wir müssen das Angebot und die Qualität der Kinderbetreuung verbessern. Sie haben gerade gezeigt, dass Sie die Probleme der Träger, der Menschen und auch der Kommunen nicht ernst nehmen, weil Sie mit der Umsetzung der Verordnung nach wie vor die Leute an der Nase herumführen, anstatt endlich und konsequent in die Kinderbetreuung, sowohl in den Ausbau wie auch in die Qualität, zu investieren. Dieser Landeshaushalt, den Sie vorgelegt haben, bleibt erneut eine Antwort schuldig, und zwar nicht nur für diesen Haushalt, sondern auch für die nächsten, bis hin zur notwendigen Konsolidierung des Haushalts im Jahr 2020.
Meine Damen und Herren, deswegen fordern wir auch in unserem Sozialbudget, die Qualität der Kinderbetreuung in allen Kommunen vernünftig zu unterstützen und weiter für einen schnelleren Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen zu sorgen. Wir wissen, das ist ein ganz zentraler Bereich, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, und zwar nicht nur – wie Sie es nach wie vor sehen und wie man es auch am Gleichstellungsbericht sehen kann – für die Frauen, sondern um endlich für eine Gleichberechtigung in den Betrieben zu sorgen, auch im öffentlichen Dienst, und endlich die Vereinbarkeit auch für die Väter in den Vordergrund zu stellen.
Meine Damen und Herren, eine ganze Reihe von Themen kommt bei Ihnen leider überhaupt nicht vor, die in unserem Sozialbudget aber eine relativ große Rolle spielen. Die Geschlechtergerechtigkeit habe ich schon angesprochen. Ich möchte noch einen weiteren Punkt nennen, das ist die Integration in den Arbeitsmarkt.
Herr Mick, ich glaube, da haben Sie gerade einen richtigen Punkt angesprochen. Natürlich brauchen wir effektivere Programme. Das steht ganz ohne Zweifel auf der Tagesordnung. Wir wissen, dass die Kommunen in diesem Bereich zum Teil schon ganz hervorragend vor Ort die Integration in den Arbeitsmarkt umsetzen – gerade dort, wo die GRÜNEN mit in der Verantwortung sind.
Aber wir brauchen natürlich auch einen sozialen Arbeitsmarkt, weil wir wissen, dass wir es mit einer relativ großen Gruppe zu tun haben, von der dauerhaft klar ist, dass sie mit den jetzt existierenden Programmen der Arbeitsagentur aus den verschiedensten Gründen nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden kann. Auch diese Menschen dürfen wir nicht zurücklassen, sondern wir müssen sie mitnehmen im Sinne eines sozial friedlich gestalteten Zusammenlebens in den Kommunen vor Ort.
Es wurde viel angesprochen. Herr Dr. Bartelt, Sie haben die Krankenhausförderung genannt. Mein Gott, da ist Hessen nicht schlecht, aber auch nicht gerade besonders gut. Wenn Sie darüber reden, sollten Sie lieber über die Bereiche reden, wo wir schon mit Unterversorgung und Fehlversorgung zu tun haben. Ich rede vom ländlichen Raum, wo absehbar ist, dass hier eine Mangelsituation entstehen wird. Ich rede von sozialen Brennpunkten. Ich rede von der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen. All das sind Baustellen, die Sie nicht beachtet haben und wo wir der Meinung sind, dass sie über das Sozialbudget endlich vernünftig behandelt werden sollen.
Meine Damen und Herren, das grüne Sozialbudget möchte Überflüssiges einsparen, Wichtiges effizienter gestalten und Überfälliges endlich in Angriff nehmen und umsetzen. Dafür brauchen wir unter Umständen auch Mehreinnahmen. Das ist unser Konzept für eine zukunftsfähige und generationengerechte Sozialpolitik. Die Landesregierung ist hier leider wieder jede Antwort schuldig geblieben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche. – Das Wort hat Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sozialpolitik in diesem Land heißt seit vielen Jahren bestenfalls Stillstand. Meistens ist der Rückwärtsgang eingelegt. Fortschritt sucht man an dieser Stelle vergeblich.
Wenn ich mir das skandalöse Umgehen der Landesregierung mit den Kommunen in der Frage der Mindestverordnung zur Kinderbetreuung anschaue, dann spricht das
für mich Bände. Erst wird lobenswerterweise der Personalschlüssel erhöht und den Kommunen zugesagt, dass die Mehrkosten übernommen werden, und zwar für alle. Dann fallen entgegen den Versprechen alle die heraus, die bereits vor dem Stichtag Personal aufgestockt haben – und das, obwohl Minister Banzer mehrfach versichert hat, dass alle die Landesmittel bekommen.
Damit nicht genug. Erst müssen die Kommunen ein Jahr warten, bis überhaupt klar wird, wer wann was bekommt – inzwischen gehen die Kommunen in Vorkasse –, und jetzt kommt heraus, dass es für die Kommunen nur 50 % Erstattung der Mehrkosten gibt. Das ist der Stil dieser Regierung: sich in der öffentlichen Wahrnehmung als die präsentieren, die für eine bessere Betreuung der Kinder stehen. Die Kosten für diesen schillernden Auftritt zahlen dann andere.
Ministerpräsident Bouffier hat heute Morgen hier gesagt, diese Regierung ist verpflichtet gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land. Wie erfüllen Sie diese Verpflichtung gegenüber den Sozialarbeitern, die seit mehr als einem Jahrzehnt um ihre Arbeitsplätze bangen, die jedes Jahr weniger verdienen, die aufgrund reduzierter Arbeitszeiten Nebenjobs annehmen müssen, um überleben zu können, die ihre Arbeit nicht mehr ordentlich machen können, weil statt mehr Personal und besserer Ausstattung der Beratungsstellen alles jedes Jahr ein bisschen kleiner wird, nur nicht die Problemlagen der Klienten?
Herr Bouffier hat von wirtschaftlichem Aufschwung gesprochen. Wo bleibt der für die Menschen in diesem Land, die Hilfe brauchen? Wenn Sie einen Termin bei einer Schuldnerberatung brauchen, ist es völlig egal, ob Sie in Offenbach, in Kassel oder irgendwo in Mittelhessen wohnen. Sie warten vier Monate. Bis dahin war der Gerichtsvollzieher da, der Strom ist abgestellt, und Ihre Wohnung ist gegebenenfalls schon geräumt.
Der Sozialarbeiter, der dem verzweifelten Ratsuchenden sagen muss, dass er keinen Termin hat, leidet unter seinen Arbeitsbedingungen. Immer mehr Menschen, nicht nur die in helfenden Berufen, erkranken an diesen Arbeitsbedingungen. Wir haben noch nie so viele Menschen gehabt, die unter psychischen Erkrankungen leiden, wie zurzeit.
Auf eine Frage hat mir die Regierung geantwortet, dass Opfer von Verbrechen in diesem Land flächendeckend betreut werden. Auf der Seite des Ministeriums finden wir dann sieben Opferhilfevereine. Wenn Sie aus irgendeinem kleinen Ort im Vogelsberg mit dem öffentlichen Personennahverkehr nach Gießen fahren und dann zur Beratungsstelle laufen, dann brauchen Sie mindestens zwei Stunden, und Sie brauchen noch einmal zwei Stunden, um wieder nach Hause zu kommen. Nennen Sie das flächendeckend?
Für die Beratung von Opfern sexueller Gewalt steht z. B. im gesamten Werra-Meißner-Kreis eine halbe Beratungsstelle zur Verfügung. Nennen Sie das Kinderschutz? Bei der Stadt Wiesbaden wurde von 43 Ein-Euro-Jobbern einer in ein festes Arbeitsverhältnis vermittelt. Ist das Ihr Fördern von Erwerbslosen?
Herr Bouffier hat heute Morgen behauptet, hier würden Hartz-IV-Bezieher aufgehetzt, und Herr Schäfer-Gümbel habe vergessen, was Hartz-IV-Bezieher außer den 5 € noch bekommen. Aber der Ministerpräsident hat vergessen, was Hartz-IV-Beziehern alles gestrichen worden ist. Da meine ich nicht in erster Linie das Bier und die Zigaretten.
(Dr. Thomas Spies (SPD): Obwohl die FDP das zum Kulturgut erklärt hat! Kneipen und Kippen sind bei denen Kulturgut!)
Im Mittelpunkt stehen hier die Beiträge zur Rentenversicherung, das Elterngeld und die Kürzung der Eingliederungsmaßnahmen. Nicht, dass ich den Ein-Euro-Jobs eine Träne hinterherweinen würde, wenn es sie endlich einmal nicht mehr gäbe. Der Bundesrechnungshof hat die Vergabepraxis von Ein-Euro-Jobs kritisiert. Bemängelt wurde unter anderem, dass die Betroffenen zu wenig oder gar nicht beraten werden. In der Hälfte der untersuchten Fälle haben die Voraussetzungen für eine staatliche Förderung sogar gänzlich gefehlt, weil entweder ungeförderten Unternehmen Konkurrenz gemacht wurde oder keine Tätigkeit im Interesse der Allgemeinheit vorlag.
Das ist wenig überraschend; denn Ähnliches hatte der Bundesrechungshof bereits in seiner Prüfung 2006 angemahnt. Der Rechnungshof beweist damit, was die LINKE seit Jahren sagt:
Erstens. Die geförderten Arbeitsgelegenheiten sind in ihrer Mehrzahl nicht geeignet, die Chancen von Langzeitarbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.
Zweitens. Bei den Arbeiten handelt es sich zumeist nicht, wie vorgeschrieben, um eine zusätzliche Tätigkeit im Interesse der Allgemeinheit, und häufig wird nicht geförderten Unternehmen Konkurrenz gemacht.
Auch das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung kam am 04.11. nach einer Untersuchung von 160.000 Empfängern von Arbeitslosengeld II zu einer Einschätzung, die über unsere Kritik noch weit hinausgeht:
Hartz-IV-Empfänger, die einen sogenannten EinEuro-Job annehmen, erreichen nach einem Jahr seltener eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als vergleichbare Langzeitarbeitslose ohne Ein-Euro-Job.