Protokoll der Sitzung vom 31.03.2009

Wenn das Fahrzeug eines Antifa-Aktivisten oder mein Auto beschädigt,demoliert,mit Eiern beworfen wird oder dessen Reifen platt gestochen werden, gehen Sie dann auch davon aus, dass es sich um linksextreme Straftaten handelt?

(Zuruf von der CDU: Das hat er nicht gesagt!)

Herr Innenminister.

Frau Abgeordnete, soweit ich die Frage akustisch verstanden habe – ich bin mir nicht ganz sicher –, gehen Sie bitte davon aus, dass jede Straftat grundsätzlich nach allen Seiten hin zu untersuchen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wenn es Selbstbezichtigungsschreiben gibt oder man im Internet die Aufrufe dazu lesen kann, oder anschließend im Chatroom die Beschreibung, wer was wie gemacht hat, dann gibt es für die Ermittlungsbehörden einen naheliegenden Zusammenhang. Eine abschließende Würdigung erfolgt in aller Regel durch das Strafgericht.

(Horst Klee (CDU): So einfach ist das!)

Ich rufe noch die Frage 33 auf, weil sie einen inhaltlichen Zusammenhang mit der vorherigen Frage hat. Herr Kollege Schaus.

Ich frage die Landesregierung:

Ist nach Ansicht des hessischen Innenministers die Aussage seines baden-württembergischen Amtskollegen, Herrn Innenminister Heribert Rech, zum Verhältnis von NPD und Verfassungsschutz für Hessen vergleichbar, wonach „die NPD in sich zusammenfallen würde, wenn ich alle meine verdeckten Ermittler aus den NPD-Gremien abziehen würde“?

Herr Minister.

Nein, Herr Abgeordneter.

Zusatzfrage, Herr Abg. Schaus.

Herr Minister, da sich Hessen in der Sache stark von Baden-Württemberg zu unterscheiden scheint: Liegt Ihre Antwort daran, dass die NPD in Hessen viel stärker ist oder der Verfassungsschutz weniger in NPD-Gremienarbeit involviert ist?

Herr Innenminister.

Herr Abgeordneter, Ihre Zusatzfrage ist für mich intellektuell außerordentlich herausfordernd, weil ich nicht genau weiß, was Sie wissen wollen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Nehmen Sie es so: Es gibt keinerlei Veranlassung, in Hessen eine solche Bemerkung zu machen. Ich kenne sie vom Kollegen auch nicht. Die NPD ist in Hessen relativ schwach. Fast überall sind Rückzugsentwicklungen zu verzeichnen. Wir haben teilweise eine Verlagerung in sogenannte Autonome. Das Stichwort ist interessant; das gibt es jetzt auch im Rechtsextremismus. Die ziehen sich genauso an wie die Linksextremen. Die arbeiten auch so, im Umfeld auch neonazistischer Bereiche. Es gibt gelegentlich Leute, die Mitglied der NPD sind, aber auch solcher Gruppierungen. Die Masse ist nicht Mitglied. Die NPD steht – ich denke, so viel kann man auch in der Öffentlichkeit sagen – vor einer Zerreißprobe, sowohl finanziell als auch inhaltlich. Sie hat in Hessen praktisch keinerlei Einfluss.

Wir werden alles tun, soweit uns die rechtlichen Möglichkeiten dazu gegeben sind, diese Arbeit sehr intensiv fort

zusetzen.Es muss unser gemeinsames Interesse sein,einer rechtsextremen Partei keine Plattform zu bieten. Das führt unter anderem dazu, dass die hessische Polizei nahezu jedes Wochenende jedem Scheunenfest hinterherrennt und schaut, ob das wirklich ein Geburtstag oder eine getarnte Veranstaltung ist.Das belastet die Behörden sehr. Ich halte es gleichwohl für richtig. Die Arbeit der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass wir dort sehr erfolgreich waren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, damit schließe ich die heutige Fragestunde.

(Die Fragen 34, 35, 37 bis 40 und die Antworten der Landesregierung sind als Anlage beigefügt. Die Fragen 36 und 41 bis 44 sollen auf Wunsch der Fra- gestellerin und der Fragesteller in der nächsten Fra- gestunde beantwortet werden.)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Wahl des Hessischen Datenschutzbeauftragten

Meine Damen und Herren,hierzu liegt mit Drucks. 18/242 ein Vorschlag vor. Nach § 21 Abs. 1 des Hessischen Datenschutzgesetzes schlägt die Landesregierung dem Hessischen Landtag den Datenschutzbeauftragten für die Dauer der 18. Wahlperiode zur Wahl vor. Eine Wiederwahl ist nach § 21 Abs. 4 des Hessischen Datenschutzgesetzes zulässig. Mit vorliegendem Wahlvorschlag, Drucks. 18/242, wird Herr Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch zum Hessischen Datenschutzbeauftragten für die Dauer der 18.Wahlperiode nominiert.

Meine Damen und Herren, wenn sich kein Widerspruch erhebt, schlage ich Ihnen vor, über diesen Wahlvorschlag durch Handzeichen abzustimmen. – Kein Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Dann frage ich Sie: Wer dem Wahlvorschlag Drucks. 18/242 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass Herr Prof. Dr. Ronellenfitsch für die Dauer der 18. Wahlperiode einstimmig zum Hessischen Datenschutzbeauftragen wiedergewählt ist.

(Allgemeiner Beifall – Der Präsident und der Ge- wählte treten in die Mitte des Plenarsaals.– Die An- wesenden erheben sich von den Plätzen.)

Es gibt keine Vereidigung, sondern nur eine Feststellung. Aber zu Ehren des Datenschutzbeauftragten geht das in Ordnung.

Nach § 21 Abs.2 des Hessischen Datenschutzgesetzes verpflichte ich Sie vor dem Landtag, Ihr Amt gerecht zu verwalten und die Verfassung des Landes Hessen und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland getreulich zu wahren. Ich verpflichte Sie hiermit mit Handschlag und gratuliere Ihnen gleichzeitig zu Ihrer einstimmigen Wiederwahl.

(Allgemeiner Beifall – Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren! Wenn man zum dritten Mal hintereinander gewählt wird, kommt man ins Grübeln. Man fragt sich: Was haben die sich, wenn überhaupt, dabei gedacht, als sie mich in das Amt wählten? Kam durch die Wahl die hessische Neigung zum Ausdruck, mehrmals gegen die gleiche Wand zu laufen?

(Heiterkeit)

Sollte möglicherweise der Vereinsamung des Alterspräsidenten entgegengewirkt werden, indem ihm jemand zur Seite gestellt wurde, der in der gleichen Epoche sozialisiert wurde, nämlich in den Fünfzigerjahren?

Prägend für unsere Generation war im Übrigen der zweite James-Dean-Film; streng genommen, das Filmplakat – vielleicht erinnern sich einige von Ihnen – „Rebel without a Cause“, im deutschen Titel verfremdet zum biblischen „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Ich nehme an, einige kennen das noch.

Ich habe mich mein Leben lang am Originaltitel orientiert, also an dem „Rebellischen“, nicht an der deutschen Übersetzung. Da muss ich in Parenthese anmerken: Rebelliert habe ich insbesondere gegen das Fach Mathematik in der Schule. Ich wäre nicht hier, wenn nicht bei meinem Abitur die Abituraufgabe falsch bestimmt gewesen wäre und wenn es mir nicht geglückt wäre, ein fünfseitiges Quadrat zu definieren. Deswegen sollte man die Dinge nicht überdramatisieren. Es geht mich als Nichthesse nichts an, aber ich muss sagen, es gibt nichts Härteres, als ein Abitur noch einmal nachschreiben zu müssen.

(Heiterkeit und Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch Sie können sich nicht auf das „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ berufen, etwa nach der Eisenbahner-Mentalität: „Wir haben von nichts gewusst“, sondern Sie sind an die deutsche Übersetzung gebunden. Sie wussten, was Sie taten, was Sie sich antaten, als Sie einen deutschen Professor in verschärfter Funktion gewählt haben, nämlich einen Professor des öffentlichen Rechts.Wer das tut, muss bereit sein, gelegentlich allgemeine verfassungsrechtliche Ausführungen zu ertragen – Ausführungen, die den Datenschutz nicht isoliert sehen, sondern als Baustein des Gesamtgebäudes der Verfassung.

Gestatten Sie mir in diesem Sinn einige Bemerkungen. Erschrecken Sie jetzt nicht. Ich gebe mir Mühe, nicht in gebührenfreien Vorlesungsstil zu verfallen.

(Heiterkeit und Beifall)

Nun zum Datenschutz. Der Datenschutz ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt. Trotzdem ist er grundrechtlich verankert. Wie kommt das? Das kommt davon, dass unsere Grundrechte ein System bilden. Bei den Deutschen bildet alles ein System. Das System dient dem Ausgleich zwischen privaten Freiheitspositionen und staatlichen Eingriffsbefugnissen.Der Ausgleich findet seinen Niederschlag in der Konkretisierung des grundrechtlichen Schutzbereichs und der Formulierung von Schranken, die der Gesetzgeber in Bund und Land, also Sie, meine Damen und Herren,unter Kontrolle durch die Verfassungsgerichtsbarkeit vorzunehmen hat. – Ich mache es nicht lange so abstrakt.

In diesem System gibt es benannte und unbenannte, starke und schwache, schwer und leicht beschränkbare

Grundrechte. Eckpunkte sind die unbeschränkbare Menschenwürde auf der einen und die mit plausibler Begründung beschränkbare allgemeine Handlungsfreiheit auf der anderen Seite. Das heißt, es gibt eine Skala mit bestimmten Eckpunkten. Der Datenschutz fügt sich in dieses System ein. Er wurde keineswegs vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil aus dem Nichts heraus geschaffen oder gar erfunden. Schon vorher hatte das Bundesverfassungsgericht ein Grundrecht auf Privatheit anerkannt.Auf dieses Recht stützte es letztlich die viel berufene informationelle Selbstbestimmung, die die Datenschützer wie einen Popanz vor sich hertragen, die trotzdem in ihrer Bedeutung nicht abgemildert werden sollte.

Die informationelle Selbstbestimmung ist nicht auf einen Standort zwischen den beiden Fixpunkten festgeschrieben, sondern bewegt sich zwischen ihnen. Vorgaben für die Positionierung sind von Ihnen, meine Damen und Herren, und von niemandem sonst zu treffen.Tun Sie sich dabei einen Gefallen, und bewahren Sie sich Ihren Gestaltungsspielraum. Erlauben Sie einen dynamischen und flexiblen Datenschutz, meiden Sie Festlegungen auf Verfassungsebene, und verzichten Sie darauf, ein Grundrecht auf Datenschutz oder gar Integrität technischer Systeme oder auf Zugang zum Internet auszuformulieren. Das Gewicht des Grundrechts würde sich erst durch seine Schranken erschließen. Der Perfektionismus drückt sich bei Verfassungsbestimmungen darin aus, dass man Schranken formuliert, nicht darin, dass man den Schutzbereich möglichst weit ausdehnt.

Ich erwähne nur die aktuelle Diskussion um die Kinderpornografie, bei der wir alle emotional berührt sind. Jeder hat natürlich die Neigung, den Fieslingen eins überzubraten. Es besteht die Gefahr, dass man dann das Kind mit dem Bade ausschüttet und Schranken einzieht, die eigentlich gar nicht so gedacht waren.

Auf einfachgesetzlicher Ebene darf man nicht alle Eventualitäten regeln wollen,also keine Vorschrift etwa des Inhalts, die HZD müsse auch einer 120 m hohen Flutwelle des Rheins oder der Privatisierung standhalten.

(Heiterkeit)

Gleichwohl besteht für den Datenschutz Regelungsbedarf. Seine volle Tragweite erschließt sich erst, wenn man den privaten und den öffentlichen Bereich als Einheit sieht. Doch heute ist nicht der Tag für rechtspolitische Forderungen.

Das war jetzt alles sehr abstrakt, und ich habe Sie lange genug gelangweilt. Deswegen gebe ich Ihnen einige Beispiele, wie die Abwägung der Informationsinteressen und der Datenschutzbelange aussehen könnte, und streife einige aktuelle Fälle, wo die Abwägung schiefgelaufen ist.

Machen Sie sich den Spaß einer Selbstbefragung, und tragen Sie auf einer Skala Ihre personenbezogenen Daten nach Geheimhaltungsbedürftigkeit und Informationsinteresse Dritter ein. Sie werden ganz schnell merken, wie verblödet die Formeln: „Ich habe nichts zu verbergen“ oder „Sicherheit vor Freiheit“ und dergleichen sind.