Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Wir sehen in diesen Dingen, die ich beschrieben habe, keine Sternstunde, sondern hoffen, dass es eher eine Sternschnuppe ist – heute Stern, morgen schnuppe.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang: Ein Ihnen sicherlich bekannter Herr Trittin sagte noch im Januar 2001, dass GRÜNE gegen diese Transporte – gemeint waren die Castortransporte –, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, „in keiner Form sitzend, stehend, singend, tanzend demonstrieren sollten“. Doch in den letzten Wochen konnte man die GRÜNEN sehr wohl sitzend, stehend, singend, tanzend und demonstrierend im Wendland sehen und hören.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Rot-Grün, ich hatte bereits darauf hingewiesen, hat die Transporte in ihrer Regierungszeit selbst genehmigt. Offenbar sind für die GRÜNEN Castortransporte akzeptabel, wenn sie selbst in der Regierung sind.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn man den Ausstieg beschlossen hat!)

Wir sagen: Es gibt keine guten oder schlechten Castortransporte; es gibt notwendige Transporte. – Wer so wie die GRÜNEN agiert, offenbart eine beängstigende Doppelmoral.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Aber das kennen wir doch: Zu Lande, zu Wasser, zu Luft – die GRÜNEN stehen immer auf der falschen Seite des Bauzauns. Jetzt, ohne politische Verantwortung tragen zu müssen, mitzudemonstrieren, hat die GRÜNEN nichts gekostet, aber die Allgemeinheit: 25 Millionen € Kosten

für den Einsatz der Polizeibeamten, von den verursachten Schäden und den volkswirtschaftlichen Schäden gar nicht zu sprechen.

Schlimmer als der finanzielle Schaden ist die bewusste Inkaufnahme der Delegitimation von parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen. Dies schadet unserem Rechtsstaat.

Nur die Linkspartei ist noch schlimmer, denn in ihrem Internetaufruf – Herr Präsident, ich darf auch hier zitieren – heißt es wortwörtlich:

Castor Schottern? Wir machen mit! Damit Castor Schottern ein Erfolg wird, wollen wir viele werden. Unterstützt mit eurem... Namen die Aktion und unterzeichnet die Absichtserklärung …

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unglaublich, so etwas!)

Mindestens elf Abgeordnete haben dies getan.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist ja unglaublich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer Politik lieber auf der Straße als im Parlament macht, wer sich bewusst außerhalb des gesetzlichen Rahmens stellt,

(Allgemeine Unruhe – Glockenzeichen des Präsi- denten – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

wie Sie, Frau Wissler, schadet der parlamentarischen Demokratie.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Schlimm, dass sich GRÜNE und LINKE hier so nahe sind. Meine sehr geehrten Damen und Herren, von den LINKEN sind wir das gewohnt, von den GRÜNEN sind wir enttäuscht. – Besten Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Kollege Bellino. – Das Wort hat Abg. Dr. Jürgens, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung und Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(Zurufe von der CDU: Friedlich!)

So heißt es in Art. 8 Abs. 1 unseres Grundgesetzes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Mit dieser Versammlungsfreiheit hat sich das Bundesverfassungsgericht mehrfach beschäftigt. Ich darf nur einmal aus einer Entscheidung vom 14. Mai 1985 zitieren. Darin erläutert das Gericht:

Die Versammlungsfreiheit gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staats

ordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gericht hat in der genannten Entscheidung übrigens weiter ausgeführt, die freiheitlich-demokratische Ordnung gehe davon aus, dass die bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse verbesserungswürdig und -fähig seien und in einem nie endenden Prozess demokratischer Willensbildung Demonstrationen einen wichtigen Beitrag leisten könnten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie lägen daher, so das Gericht, letztlich auch im „wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse“.

Ich kann feststellen: Im Sinne dieser Rechtsprechung gehören die Demonstrationen bei Gorleben, an der Castorstrecke und an vielen anderen Orten zum Lebenselement der Demokratie.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber nicht die Gewalttaten!)

Über 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, um das Gemeinwohl verdient gemacht und der Demokratie einen guten Dienst erwiesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

In dieser Entscheidung des Gerichts geht es noch weiter. Dort wird zustimmend eine Literaturstelle zitiert, in der zu Demonstrationen erklärt wird: Sie enthalten ein Stück ursprünglich ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Bellino, das Demonstrationsrecht endet nicht dort, wo parlamentarische Entscheidungen getroffen worden sind – es beginnt dort erst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sagen Sie doch etwas zu den Gewalttaten!)

Das Gericht stellt dann fest:

Demonstrativer Protest kann insbesondere notwendig werden, wenn die Repräsentativorgane mögliche Missstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sagen Sie doch etwas zu den Gewalttaten!)

Diesen Ausführungen kann meine Fraktion uneingeschränkt und aus ganzem Herzen zustimmen: Demonstrationen sind ein Lebenselixier der Demokratie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das wird ignoriert!)

Übrigens stammen diese Zitate aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1985, ich habe es ge

sagt. Damals hob das Gericht ein Demonstrationsverbot gegen das in Bau befindliche Atomkraftwerk Brokdorf auf.

Das ist eine gewisse Parallelität: Die unverantwortliche Atompolitik – damals der Regierung Kohl, heute der Regierung Merkel – treibt die Menschen auf die Straße.