Zweitens. Wir haben ein strukturelles Defizit an der unteren Grenze von etwa 1,8 Milliarden €, im oberen Bereich von 2,3 Milliarden €, je nachdem, wie man rechnet. Ich will das einmal übersetzen: Der Versuch, diese 1,8 Milliarden € nur auf der Ausgabenseite einzusparen, bedeutet, dass wir von den 47.000 Lehrerinnen und Lehrern – Planstellen – und den etwa 34.500 Erzieherinnen und Erziehern jeweils die Hälfte rausschmeißen müssten. Ich glaube, das will niemand.
Deswegen geht es bei der Balance in der Haushaltspolitik darum, auf der einen Seite eine Schuldenpolitik zu betreiben, die Schulden eingrenzt, aber auf der anderen Seite die Handlungsfähigkeit des Staats für politisch notwendige Projekte z. B. in der Bildungspolitik und bei der frühkindlichen Bildung, sicherzustellen. Genau das war das Motiv für die gemeinsamen Verhandlungen.
Deswegen will ich namens meiner Fraktion sagen, weil wir wissen, dass wir zusätzliche Anstrengungen heben werden müssen: Wir haben uns im nationalen Kontext verpflichtet, 10 % des BSP für Bildung auszugeben. Davon sind wir noch weit entfernt. Wir wissen, dass wir für jedes Prozent Wirtschaftswachstum etwa 150 Millionen € zusätzliche Einnahmen für den Haushalt generieren können. Daher haben wir ein Riesenproblem, und deswegen muss es eine Balance geben, und das haben wir im Verfassungstext wiederzugeben versucht.
Ich sage: Wir haben am Ende einen vernünftigen Kompromiss gefunden. Zu den Bemerkungen, die Sie eben gebracht haben, wann Sie wozu geredet haben, könnte ich die Geschichte im Februar letzten Jahres beginnen lassen, mit den persönlichen Gesprächen mit Roland Koch.
Aber wissen Sie, das interessiert mich im Moment nicht. Der Punkt ist, wir haben ein Ergebnis erzielt, das vor allem eines erreicht hat: dass wir Ihren Versuch, den Sie mit Ihrem Ursprungstext unternommen hatten, wo Sie sofort versucht haben, in der Parlamentsdebatte – insofern sind Ihre Aussagen zu Ihrer Parlamentsrede völlig richtig – die Schuldenbremse einseitig zulasten von Städten und Gemeinden und Bürgerinnen und Bürgern durch Ausgabenkürzung vorzunehmen, dass wir diese Interpretation durch einen klugen Kompromiss beim Verfassungstext verhindert haben, den wir gemeinsam gefunden haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beuth (CDU): Sie haben gar nichts verhindert!)
Genau das werden wir auch weiter sagen; denn es geht um einen Dreiklang. Wir werden in dieser Debatte auch nicht müde, das zu sagen. Es geht um Einnahmensteigerungen, es geht um Effizienzsteigerungen, und es geht um Einsparungen.
Wer angesichts dieser Ausgangslage hier etwas anderes erzählt, der streut den Menschen Sand in die Augen. Es ist verantwortungslos. Kein Mensch glaubt ernsthaft, dass wir das strukturelle Defizit über Mehreinnahmen im Umfang von 1,8 Milliarden € dauerhaft sichern können. Genauso wenig wird es möglich sein, diese 1,8 Milliarden € durch Ausgabenkürzungen zu erwirtschaften. Deswegen ist die Anstrengung ein bisschen komplizierter als Ihr kleines parteipolitisches Karo, das Sie gerade wieder einmal hier zu spielen versucht haben.
Im Übrigen bin ich nicht ganz alleine. Es gibt ein paar kritische Debatten bei uns. Dazu werde ich gleich noch einmal kommen. Aber ich fühle mich im Bündnis mit Leuten, die ich in den letzten Wochen nicht immer an meiner Seite erwartet habe, die mich überrascht haben. Peter Müller, Ministerpräsident, CDU, hat am vergangenen Samstag ausdrücklich in einer dpa-Meldung gesagt: Vor dem Hintergrund der Schuldenbremse in den Länderhaushalten werden wir um eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes nicht umhinkommen, weil es nicht ohne Einnahmenverbesserungen geht.
Deswegen ist es gut, dass wir einen Kompromiss gefunden haben, auch in Verantwortung der Opposition, weil wir gesagt haben, dass wir nicht dulden können, dass die Verfassung Verfügungstext einer Regierungsmehrheit wird, und zwar egal welcher. Deshalb haben wir, auch als die Verhandlungen in der Sackgasse zu landen schienen, als es schwierig wurde, nicht aufgegeben und den einfachen Weg gesucht, nach dem Motto: Sie sind einfach nur die neoliberalen Kampftruppen. – Vielmehr haben wir uns der
Verantwortung weiterhin gestellt, genau eine Lösung zu finden, die dieser unendlich schwierigen Aufgabe in der Verantwortung für die jetzige Generation und die nachfolgenden gerecht wird. Deswegen tragen wir diesen Kompromiss ausdrücklich mit, Herr Wagner.
Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich die Sorgen ernst nehme, die beispielsweise vom Deutschen Gewerkschaftsbund formuliert werden, die von vielen Sozialinitiativen formuliert werden, weil sie natürlich eine Sorge davor haben, dass die Schuldenbremse missbraucht wird, einseitig Ausgabenpolitik zu begrenzen.
Wir haben mit der „Operation düstere Zukunft“ ein präzises Beispiel dafür, wie Sie das gemacht hätten, wenn wir Sie hätten durchlaufen lassen. Sie haben in Zukunft – das ist der Vorteil dieses Textes – nicht die Interpretationshoheit, dass das auf dieser Seite ausgelöst und abgelöst wird. Die haben Sie nicht.
Drittletzte Bemerkung. Die Bemerkung hat etwas mit dem Vorschlag zu tun, den ich gemacht habe. Ich sage Ihnen: Die Themen Wachstum und Verteilungsgerechtigkeit sind, anders als das in den vergangenen 20 Jahren in der Republik diskutiert wurde, keine Gegensätze, sondern sie sind zwei Seiten einer Medaille. Sie bedingen einander.
Die wachsenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten bei der Vermögens- und Einkommensverteilung, unter anderem durch die massive Deregulierung der Arbeitsmärkte, sind ein wesentliches Problem. Wir werden breite Bevölkerungsschichten an den Einkommens- und Vermögensentwicklungen beteiligen müssen, damit wir nicht in diese Schere laufen, die sich momentan abzeichnet. Deswegen werde ich auch nicht müde, das weiter zu sagen.
Deswegen sage ich vorletztens das, was ich auf meinem Landesparteitag ausdrücklich gesagt habe. Das werde ich in den nächsten Wochen immer wieder sagen, weil das Problem so kompliziert ist, wie ich es hier beschrieben habe. Die faktische Ausgangslage – das Grundproblem unserer schwierigen Verhandlungen – ist, dass Schulden nicht die Lösung des Problems sind, weil sie das Problem verschärfen werden. Deswegen ist die Schuldenbremse an einer Stelle eine wichtige Chance. Denn in Zukunft kann sich in diesem Hause niemand mehr, und zwar egal, wo er sitzt, bei den notwendigen politischen Debatten in die Büsche machen, wenn er darum geht, wo die Einnahmen für von uns gemeinsam beschriebene Notwendigkeiten bei öffentlichen Ausgaben herkommen sollen.
Ich will Ihnen auch sehr präzise beschreiben, woran ich das festmache. Letzte Woche sind uns die PISA-Ergebnisse vorgestellt worden. Die gesamten Kultusminister der B-Länder sind anschließend herausgegangen und haben gefordert: Wir brauchen jetzt mehr Geld für die Lehrerbildung. – Ich teile diese Auffassung ausdrücklich. Aber wenn man das fordert, wird man anschließend auch sagen müssen, wo es herkommen soll.
Die Zeiten, als Sie sich verdrücken konnten, sind definitiv vorbei, wenn dieser Gesetzentwurf Gesetzeskraft erhält.
Letzter Punkt. Wir haben es uns als Sozialdemokraten wirklich nicht leicht gemacht, wie wir mit dem Thema umgehen. Wir haben einen eigenen Text gemacht. Wir haben an verschiedenen Stellen nachgegeben, z. B. bei der Frage der Regelungen mit dem „bösen Bund“. Am Ende haben wir einen Kompromiss bei der Beschreibung der Einnahmen- und Ausgabenverantwortung und dem Schutzschirm für die Kommunen gefunden. Wir haben nicht nur bei uns auf der Interpretationsseite deutliche Öffnungen erreicht, weil klar wird, dass man es sich nicht so einfach machen kann. Aber das Thema hat vor allem auch in der juristischen Fachwelt viel Aufmerksamkeit erfahren, weil dort gesehen wird, dass die Einnahmenverantwortung der Landesregierung bei Entscheidungen im Bundesrat ein wesentliches verfassungspolitisches – ich sage nicht: „strafrechtliches“, damit Herr Hahn nicht gleich kommt – Argument ist. Das bedeutet, dass man in Zukunft weniger Klientelpolitik macht. Man muss vielmehr die Gesamtverantwortung übernehmen und darf aus meiner Sicht in Zukunft bestimmten Maßnahmen aus verfassungspolitischen Gründen nicht mehr zustimmen. Dieser Verantwortung werden auch Sie sich stellen müssen. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist heute ein guter Abend für unser Bundesland. Es ist neben dem vielen Parteienstreit, den wir hier täglich üben, aus meiner Sicht ein Zeitpunkt, zu dem wir einen Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik in unserem Bundesland einleiten. Wir legen unserem Bundesland finanzpolitisch selbst Fesseln an. Ich bin mir sicher, dass im Rückblick der von uns erarbeitete Kompromiss auch von nachfolgenden Generationen – hoffentlich – als Wendepunkt hin zu einer schuldenfreien Politik gesehen wird. Ja, es ist ein Stück weit auch ein wirklicher Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich bedanken. Ich glaube, dass das Aushandeln des Kompromisses in diesem Landtag im Großen und Ganzen bei den unterschiedlichen Positionen, die die Fraktionen naturgemäß zu diesem Thema haben, gut funktioniert hat. Ich glaube auch, dass es richtig war, dass die Regierungsfraktionen sich in der Pflicht gesehen haben, bei einer Verfassungsänderung mit den demokratischen Fraktionen aus der Opposition zu sprechen und gemeinsam einen Weg zu definieren. Kollege Wagner hat es am Zeitplan klar nachvollziehen können. Man war beeindruckt, wie sauber wir das gemacht haben; denn es ist immer der Eindruck entstanden, wir hätten nicht den Versuch unternommen, mit der Opposition zu reden. Das haben wir getan. Ich glaube, dass das auch ein guter Weg war.
Drittens. Kollege Schäfer-Gümbel, ich will das auch persönlich sagen: Ich bedauere es, dass Sie sich nach diesen doch sehr intensiven Verhandlungen als Sieger geriert haben, wo wir doch alle versucht haben, auch zu geben, damit wir einen gemeinsamen Kompromiss finden. Sie selbst haben in den letzten Monaten immer wieder klargemacht, wie schwierig es war, die Sozialdemokraten auf diesen Weg zu bringen: das Junktim des Parteitags, etc. pp. Ich finde es nicht in Ordnung und bedauere es, dass Sie sich nach diesen Verhandlungen, die für alle schwer waren, als Sieger geriert haben. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, das macht man einfach nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man macht es vor allem dann nicht, wenn man immer wieder stereotyp von den Regierungsfraktionen verlangt, sich menschlich ordentlich zu benehmen und ein besseres Verhalten an den Tag zu legen. Wer es selbst nicht leistet, kann es auch von anderen nicht erwarten.
Herr Kollege Schäfer-Gümbel, deswegen sage ich: Wir haben an dieser Stelle nachvollziehbar bewiesen, dass wir bei großen Fragen auch auf die Opposition zugehen. Ich würde mir wünschen, sollte es noch einmal eine solche Situation geben, dass Sie diesen Fehler nicht wiederholen.
Wer den Gesetzentwurf zur Einführung der Schuldenbremse von CDU und FDP neben die Änderungsanträge von Rot und Grün legt, der kann relativ einfach optisch und inhaltlich nachvollziehen, dass Sie sich unseren guten Argumenten nicht ganz verwehren konnten. Ich finde das nicht schlimm und freue mich auch darüber. Ich glaube auch, dass wir mit dem Kompromiss gut leben können, und will auf die Position eingehen, die Sie, Herr Kollege Schäfer-Gümbel, gerade genannt haben.
Ja, der neue Verfassungstext weist neben der sogenannten Ausgabenverantwortung, die für uns wesentlich ist, weil sie das Ziel unserer Politik sein wird, die Einnahmenverantwortung auf. Dieser deklaratorische Hinweis ist kein neuer Tatbestand, sondern er stellt klar, was es schon immer gegeben hat.
Natürlich hat es schon immer eine Ausgaben- und Einnahmenverantwortung gegeben. Aber es wird immer der jeweiligen politischen Mehrheit obliegen, wie sie diese Bereiche auslegt, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. Deshalb, ja, es ist reine Verfassungsprosa.
Wenn Sie der Auffassung sind – deshalb bin ich bei dem Thema auch relativ entspannt –, dass Sie daraus materielle Rechte ableiten können, dann bin ich relativ sicher, dass das eigentlich nur Herr Prof. Wieland der SPD bestätigen wird, der in fast jedem Gutachten der SPD das bestätigt, was die SPD vorher politisch gesagt hat.