Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD))

Herr Bauer, auch Ihre Ausführungen zur Hessischen Verfassung finde ich bedenklich. Denn offensichtlich haben Sie die Regelungen in der Hessischen Verfassung zu direkt-demokratischen Beteiligungen nicht verstanden.

Es gibt dort nämlich ein Element, das in besonderer Weise die Volksgesetzgebung vorsieht – Art. 116 Abs. 1 der Hessischen Verfassung. Ein Blick in die Verfassung ist immer gut. Dort werden die Gesetzgebung des Volkes im Wege des Volksentscheids und die Gesetzgebung des Landtags gleichberechtigt nebeneinandergestellt.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist das Gesetzesinitiativrecht des Volkes – über nichts Minderes reden wir hier –, es kann nicht ausgefüllt werden. Es ist eine große Fehlentscheidung gewesen, dass man dieses Instrument nicht mit direkten Elementen ausgestaltet hat, sodass wir das heute nachholen müssen. Deswegen wäre es schon schön gewesen, wenn Sie sich anders in die Debatte über eine Verfassungsänderung eingebracht hätten und Ihre Vorstellung vorgetragen hätten, wie man das Quorum senken kann, wenn Sie es mit der Bürgerbeteiligung ernst meinen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sie wissen, die Quoren für einen Volksentscheid sind derart hoch, dass sie bisher in der Historie Hessens nicht erreicht worden sind. Den Bürgern eine solche Möglichkeit zu geben, ohne dass sie sie je erreichen können, fördert die Politikverdrossenheit.

(Holger Bellino (CDU): Sie können es wohl erreichen!)

Deswegen muss die Beteiligung gestärkt und das Quorum gesenkt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sieht der vorliegende Gesetzentwurf der GRÜNEN vor. Deswegen werden wir dem auch zustimmen, weil es ein erster Schritt in die richtige Richtung ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die GRÜNEN möchten das Quorum von einem Fünftel, wie es jetzt in Art. 124 Hessische Verfassung vorgesehen ist, auf ein Zehntel absenken. Das bedeutet, dass künftig nicht mehr 875.057 Stimmberechtigte zustimmen müssen, sondern nur noch die Hälfte, nämlich 437.529. Das begrüßen wir zwar ausdrücklich, aber wir haben einen Änderungsantrag gestellt, dieses Quorum auf ein Zwanzigstel, also auf 218.764, zu senken. Wir halten das für richtig, damit die Bürgerinnen und Bürger sich beteiligen können. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat unserem Änderungsantrag dankenswerterweise zugestimmt.

Wir bedauern sehr, dass Sie sich nicht auf die Diskussion eingelassen haben. Sie haben sich zu keinem Zeitpunkt wirklich auf die Diskussion eingelassen, indem Sie qualifiziert mit uns darüber geredet hätten, welche Quoren Sie sich vorstellen könnten. Die jetzigen Quoren sind völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wenn man es wirklich ernst meint, muss man etwas ändern. Das hat die Anhörung sehr eindrucksvoll ergeben. So hat beispielsweise Frau Prof. Dr. Sacksofsky gesagt:

Nach meiner Auffassung ist es sinnvoll, direkt-demokratische Verfahren als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie vorzusehen. Die Möglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger zur Entscheidung in konkreten Einzelfragen kann Partizipation und damit das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an politischen Fragen erhöhen. Gerade in Zeiten sinkenden politischen Engagements ist dies wichtig, denn für ein lebendiges demokratisches Gemeinwesen ist das Engagement der Bürgerinnen und Bürger unerlässlich.

Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen. Sie ist, ebenso wie Herr Prof. Dr. Heußner, der Auffas

sung, dass die Hürden für eine Bürgerbeteiligung in Hessen viel zu hoch sind. Prof. Heußner hat sogar eine sofortige und umfassende Reform des Volksentscheids verlangt. Alle Anzuhörenden waren der Meinung, dass eine Senkung des Quorums zwingend ist.

(Unruhe bei der FDP)

Meine Damen und Herren von der FDP – ach ja, es sind ja nur Herren –, es wäre schön, wenn Sie zuhören würden und die Ergebnisse der Anhörung in diesem Haus akzeptieren würden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Die mündliche Anhörung hat unsere Änderungsanträge äußerst positiv bewertet. Das hat Herr Dr. Wilken auch schon ausgeführt. Gefordert wurde von den Experten nämlich eine noch niedrigere Quote als das, was BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragt hat. Wir hatten eine Absenkung auf 5 % gefordert; das war auch das, was die Anzuhörenden als einen richtigen Wert angesehen haben.

Herr Dr. Jürgens hat es vorhin schon gesagt, wir liegen mit den 20 % mit dem Saarland an der Spitze. Das Saarland wird es ändern. Alle anderen liegen bei ungefähr 10 %, nur in den neuen Bundesländern liegen manche schon unter 10 %. Hessen könnte auch an dieser Stelle vorangehen. Hier wird eine weitere Chance verpasst. Das finden wir äußerst bedauerlich.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir möchten – ich halte das auch für zweckmäßig, wenn wir auf 5 % absenken – ein Abstimmungsquorum von 15 % einführen. Herr Bauer, dann ist auch dem Rechnung getragen, was Sie vorgetragen haben. Dann wird die repräsentative Demokratie auch geachtet. Herr Kollege Greilich, selbstverständlich geht das, das haben die Anzuhörenden auch gesagt.

(Wolfgang Greilich (FDP): Das ist viel zu niedrig!)

Das ist doch nicht zu niedrig. Das sind 656.000 Stimmen, das ist nicht zu niedrig.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die FDP wäre froh, wenn sie noch einmal 15 % hätte! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Egal ob bei Frauen oder Männern!)

Herr Dr. Rux von der Uni Tübingen hat eine Absenkung auf 4 bis 5 % für das richtige Maß gehalten. Da liegen wir mit unseren 5 % sehr gut.

Zum Schluss möchte ich zu dem Gesetzentwurf der CDU und der FDP, der in engem Zusammenhang damit steht, kurz Folgendes aufrufen. Sie sagen, Sie gehen einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Sie senken von 3 auf 2 % und haben immer noch 87.500 Stimmberechtigte, die einen Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens unterschreiben müssen. Damit liegen Sie immer noch an einsamer Spitze.

Wir haben das bayerische Modell gefordert. Wir haben eine Absenkung auf 20.000 Stimmen gefordert, weil die Bayern, die bekanntermaßen sehr viel mehr Stimmberechtigte haben, nämlich fast 9 Millionen, 25.000 Stimmen für ausreichend halten. Sie sagen, mit 87.000 Stimmen wäre das ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. In welche Richtung denn? In die falsche.

Wir fordern Sie auf, wenigstens unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Wenn Sie es heute nicht können, wird leider eine große Chance verpasst, die Verfassung im Land Hessen so zu ändern, dass dem Volk Rechnung getragen werden kann, nämlich mit einer gleichberechtigten Gesetzgebungsinitiative, so wie sie das Parlament auch hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Faeser. – Das Wort hat Herr Kollege Dr. Blechschmidt.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der GRÜNEN in dritter Lesung. Frau Faeser hat recht, damit muss auch der Gesetzentwurf von CDU und FDP gesehen werden. Ich habe mich ein bisschen gewundert, dass gestern ein Dringlicher Entschließungsantrag von den LINKEN eingereicht worden ist und kein Gesetzentwurf. Ich habe mich zum ersten Mal sehr konstruktiv damit beschäftigt, aber wenige konstruktive Ansätze aus diesem Beschlusstext entnommen, die hier hätten einfließen können. Ich glaube, das ist auch so gewollt. Da ist die SPD, insbesondere Sie, Frau Faeser, zwischen zwei Varianten gefangen. Die Variante der CDU und der FDP sieht vor, es so zu belassen, was Sie kritisieren. Die Variante der LINKEN sieht vor, mehr zu machen, Prosa zu machen, zu diskutieren, mehr im Beschlusstext auszuformulieren, als Sie mit 5 %, 10 % oder 15 % auf den Punkt bringen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir von CDU und FDP sind der Meinung – deswegen ist es auch gut, dass der Antrag der LINKEN da ist, weil er die andere Variante bietet, nämlich die Ausuferung dessen, was SPD und GRÜNE hier nicht im Wort führen –, dass wir die in der Verfassung verankerte Voraussetzung, dass mindestens 20 % der bei der letzten Landtagswahl Stimmberechtigten das Volksbegehren unterstützen, beibehalten sollten. Wir wollen mit gutem Grund, dass eine Volksinitiative von mindestens einem Fünftel der Stimmberechtigten getragen wird; das erscheint uns als sachgerecht. Es verhindert, dass besonders aktive Interessengruppen ihr Anliegen ohne die Unterstützung einer qualifizierten Zahl von Bürgern durchsetzen. Ein Blick in den Antrag der LINKEN zeigt, was gewollt ist. Das wollen wir nicht, und deswegen wollen wir es bei der Gesetzeslage belassen und wollen auch keine Verfassungsänderung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Kollege Dr. Blechschmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jürgens?

Nein, ich habe die Zwischenfrage von Dr. Jürgens gehört. Ich sitze in seiner Nähe und weiß, dass er heute etwas brummelig ist und gerne Zwischenfragen stellt. Ich erkenne das auch an. Er hat Herrn Bauer eine Zwischenfrage gestellt, und ich habe das eine oder andere State

ment gehört. Wir können das nach dem Plenum weiterführen. Herr Dr. Jürgens, jetzt bitte nicht.

Herr Kollege Dr. Blechschmidt, jetzt gibt es noch andere Anwärter auf Zwischenfragen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wilken?

(Ernst-Ewald Roth (SPD): Er ist heute nicht brummelig!)

Nein, da bin ich jetzt in Solidarität mit den GRÜNEN und den LINKEN. Ich kann Herrn Dr. Wilken nicht anders behandeln als Herrn Dr. Jürgens. Das widerstrebt meiner liberalen Auffassung, insofern bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich die Fahne des Liberalismus hochhalte und gleichberechtigt vorgehe. Wir können nach dem Plenum in einem Dreier, Vierer- oder Fünferbund weiter diskutieren.

Kurzum: Wir meinen, dass das, was wir als CDU und FDP wollen, die bessere Teilhabe ist. Und wir meinen, dass eine Verfassungsänderung nicht notwendig ist. Wir meinen allerdings auch – das führt die LINKE in der Begründung als Kosmetik an –, dass hier schon ein Wettlauf der Oppositionsfraktionen gegeben ist, in dem man sich gegenseitig bei den Quoren unterbietet.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Frau Faeser, da steht die SPD wirklich an erster Stelle. In anderen Varianten versucht sie, die GRÜNEN noch da und dort zu unterbieten. Die LINKEN haben das mit der Bezeichnung „Kosmetik“ kritisiert. Das macht den Eindruck von einem Volksjahrmarkt.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Man versucht hier, auf jeden Fall unterpreisig zu bleiben und noch das eine oder andere zu unterbieten. Ich mache das einmal an verschiedenen Beispielen deutlich.

Wir haben den Antrag auf Zulassung. Die bisherige Rechtslage ist unbefriedigend. Das sind 3 %. Die FDP will 2 %. Die GRÜNEN wollen 1 %. Was macht die SPD? – Logisch: 0,5 % steht in ihrem Änderungsantrag.