Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

Ich möchte auch daran erinnern, dass am Wochenende die Wahlen waren. Es ist uns allen klar, dass die Regierungsbildung sehr schwierig werden wird. Es ist nicht klar, wie stabil dieses Land in den nächsten Jahren sein wird.

Sowohl die UNO-Menschenrechtskommissarin als auch der Menschenrechtskommissar des Europarates haben eindringlich an die Politik in Europa appelliert und gesagt: Setzt bitte die Abschiebung der Minderheiten in den Kosovo aus. – Dem sollten wir Rechnung tragen. Wir sind in Hessen allemal in der Lage, 224 Personen zu integrieren. Überwiegend werden das bestimmt ohnehin gut integrierte Jugendliche sein. Ich kenne die einzelnen Lebensschicksale nicht. Aber wir sollten in der Lage sein, in dieser vorweihnachtlichen Zeit dem entsprechenden humanitären Gebot Ausdruck zu verleihen. Wir sollten diesen Menschen das Bleiben ermöglichen.

Ich möchte kurz zum Antrag der Fraktion DIE LINKE etwas sagen. Wir GRÜNE haben appelliert, dass der Antrag dem Ausschuss überwiesen wird. Denn damit könnten wir ihn etwas ausführlicher behandeln. Die Fraktion DIE LINKE will das leider nicht. Deswegen werden wir GRÜNE uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Denn in dem Beschlusstext steht nichts von den Minderheiten. Vielmehr steht da etwas von einem allgemeinen Abschiebestopp. Das ist nicht unsere Haltung. Uns geht es ganz gezielt um die Minderheiten aus dem Kosovo.

Ich hätte es gut gefunden, wenn wir da eine Einigung gefunden hätten. Jetzt müssen wir einfach so über den Antrag abstimmen.

Ich sage trotzdem in die Reihen der CDU: Unterstützen Sie das Anliegen. Es geht hier um eine humanitäre Geste und um die Menschenwürde in Deutschland. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Das Wort hat Herr Abg. Reuscher für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe die Argumentation der Frau Öztürk nicht ganz verstanden. Sie hat die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der FDP aufgefordert, den Antrag zu unterstützen. Ihre Fraktion will ihn aber ablehnen.

(Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden uns der Stimme enthalten!)

Na gut, Sie werden sich der Stimme enthalten. Das ist so gut, wie ihn abzulehnen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann enthalten Sie sich doch auch der Stimme! Das ist in Ordnung!)

Der vorliegende Antrag fordert den Abschiebungsstopp für alle kosovarischen Staatsangehörigen. Das ist der Unterschied zu dem Antrag, den die LINKEN schon einmal gestellt haben. Ich denke, man sollte nicht für alle den Abschiebestopp beantragen.

Uns allen ist die Situation im Kosovo bewusst. Er ist in Europa einer der ärmsten Staaten. Er hat ein schwaches soziales Sicherungssystem. Auf der anderen Seite ist es aber das erklärte Ziel der Europäischen Union, dem Kosovo den Beitritt zu ermöglichen.

Zur Situation im Kosovo haben sich im Vorfeld der Innenministerkonferenz verschiedene humanitäre Organisationen geäußert – die Deutsche Bischofskonferenz, es gab eine Anhörung im Bundestag, UNICEF hat die Lage dargestellt. Die Einschätzung dieser Organisationen nehmen wir sehr ernst. Auf der anderen Seite muss ich aber auch feststellen, dass sich durch verschiedene Aktivitäten der europäischen Staatengemeinschaft die Situation im Kosovo um einiges verändert und verbessert hat. Das jüngste Beispiel ist durchaus auch die Präsidentschaftswahl, die auf demokratischer Basis unter Aufsicht der EU durchgeführt wurde. Das sind positive Signale.

Im Bundesgebiet leben ca. 11.000 ausreisepflichtige Menschen aus dem Kosovo. 450 Personen wurden im letzten Jahr abgeschoben, davon 120 Roma. Das spricht eigentlich dafür, dass eine verantwortungsvolle Rückführungspolitik gemacht wird und dabei auch die Reintegration in den Kosovo berücksichtigt wird.

(Beifall bei der FDP)

Die Zahlen aus Hessen sind genannt worden. Im Jahr 2009 waren es acht Rückführungen von Minderheitsangehörigen aus der Republik Kosovo, davon vier Roma. In diesem Jahr waren es lediglich zwei Roma, die zurückgeführt wurden. Also kann man nicht, wie es einmal angeklungen ist, von einer Vertreibung von Menschen, von Roma aus dem Kosovo wieder zurück in die Heimat sprechen. Schließlich haben wir sie in Form des Asyls aufgenommen. Ich denke, dass für die Roma die Rückkehr in den Kosovo irgendwann eine wichtige Option ist.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es einen Berichtsantrag der SPD-Fraktion betreffend Abschiebung von Roma in den Kosovo gibt. Es wäre schön gewesen – war aber zeitlich nicht möglich –, wenn uns dieser Bericht zum Antrag vorgelegen hätte. Dann würden

wir wahrscheinlich über einige Details nicht so intensiv diskutieren müssen. Ich nehme an, dass dieser Bericht unter anderem, wie angekündigt, im Petitionsausschuss besprochen wird.

Am 14. April ist das deutsch-kosovarische Rückübernahmeabkommen abgeschlossen worden. Das hat aber nicht dazu geführt, dass verstärkt in Hessen oder in Deutschland Roma in den Kosovo ausgewiesen, abgeschoben und zurückgeführt werden, wie man das auch immer nennen mag.

Auch wenn in der Berichterstattung in den Medien der gegenteilige Eindruck entsteht – den möchten wir ganz entschieden zurückweisen –, entscheidend ist für uns immer die Einzelfallbetrachtung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das ist immer Grundsatz in Hessen und auch in der Härtefallkommission gewesen: Einzelfallbetrachtung und nicht einfach nur die Menschen in eine Situation zurückführen, in der sie eigentlich nicht leben können.

Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo zeigt, dass die Situation von Minderheiten sehr unterschiedlich ist. Es gibt Personen, die man zurückführen kann. Es gibt Gebiete, in die man zurückführen kann. Es gibt aber auch Gebiete, in die das nicht geht. Es geht auch bei bestimmten Personen nicht.

Ich darf darauf hinweisen, es gibt inzwischen eine Übereinkunft der Innenministerkonferenz über das Bleiberecht von ausreisepflichtigen Jugendlichen, wenn sie eine Zeit lang in Deutschland verbracht haben. Die Innenministerkonferenz hat inzwischen vorbereitet – das wird noch beschlossen, die Ausländerbehörden sind schon angewiesen –, dass solche Jugendlichen nicht mehr ausgewiesen werden, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Jahren hier gelebt und sich integriert haben. Das verhindert an der Stelle, dass Menschen wie Roma in den Kosovo zurückgeführt werden, wenn Familien mit Kindern betroffen sind.

Unter diesen Umständen und mit Hinweis darauf – das ist von Frau Wallmann schon ausführlich dargestellt worden –, welche Programme die EU im Kosovo realisiert, kann ich feststellen: Hier bemüht sich die europäische Staatengemeinschaft ganz stark, um den Kosovo wieder nach Europa zurückzuführen und die Situation dort spürbar zu verbessern, indem man Geld investiert, indem man Camps baut, in die Roma zurückgeführt werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Unter den gegebenen Umständen halten wir ein generelles Abschiebeverbot, wie es die LINKE fordert, für nicht erforderlich und lehnen diesen Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort hat Herr Abg. Roth, Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach den jüngsten Berichten des Auswärtigen Amtes über die asylund abschiebungsrelevante Lage im Kosovo – das ist schon zitiert worden – sind, so vorsichtig kann und muss man das sagen, die Lebensbedingungen von Angehörigen ethnischer Minderheiten im Kosovo weiterhin schwierig. Das ist unterschiedlich – Kollege Reuscher hat es gesagt –, aber nach wie vor schwierig. Das wird durch die UN-Menschenrechtskommissarin bestätigt. Das wird durch die Deutsche Bischofskonferenz und die Diakonie bestätigt. Das wird durch UNICEF und viele Flüchtlingsorganisationen bestätigt.

Aus diesem Grund hat meine Fraktion einen Berichtsantrag eingereicht, damit wir uns sehr umfassend mit dieser Frage beschäftigen. Von daher kommen mir dieser Antrag und die Debatte um diesen Antrag eigentlich zu früh. Wir sollten eine solide Datenbasis haben, um im Ausschuss und damit auch im Landtag angemessen darüber zu sprechen. Die Menschen, um die es geht, verdienen es ebenfalls.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die für mich dramatischste Situation ist die Aussage der UN-Menschenrechtskommissarin, die sagt, dass sich gerade Romakinder, die in deutschen Schulen gut integriert waren, auf einmal in einem völlig fremden Umfeld befinden, das sie vorher nie gesehen haben, in dem auf einmal albanisch gesprochen wird und sie überhaupt nicht zurechtkommen.

Sie sind in dem Land fremd, von dem wir glauben, dass wir sie in ihr eigenes Land zurückschicken. Hier sind sie zu Hause. Das ist ein Thema, das wir sehr ernsthaft besprechen müssen, um dann zu einer im Sinne der Kinder vernünftigen Lösung zu kommen.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage nach URA 2 – von der Kollegin Öztürk genannt – ist ein Wesensbestandteil unseres Berichtsantrages. Ich verzichte jetzt darauf, darauf im Einzelnen einzugehen. Das werden wir tun, wenn wir diesen Berichtsantrag ausführlich diskutieren.

Ich will einen weiteren Punkt nennen. Das ist der Fluchtgrund. Für die meisten, die aus dem Land bei uns sind, ist das ein Bürgerkrieg. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich nur an die Härtefallkommission denke, wo wir über Menschen gesprochen haben, die einen Härtefallantrag gestellt haben. Die Frage der Traumatisierung – ich muss das hier im Einzelnen nicht ausführen – ist so erschreckend, dass wir im Einzelfall natürlich immer zu einer positiven Entscheidung gekommen sind. Aber die Frage ist für mich so grundsätzlich, dass wir das in der weiteren Beratung erneut thematisieren müssen.

Dennoch werden wir uns, auch das will ich an der Stelle so deutlich sagen, bei der Abstimmung über diesen Antrag enthalten. Zum Teil sind die Gründe von der Kollegin Öztürk benannt worden. Aber ich will deutlich hinzufügen: nicht wegen der Sache, die dort thematisiert ist, sondern weil wir nicht kurzfristig und sozusagen aus der hohlen Hand darüber abstimmen. Wir würden das gern noch mit berücksichtigen, was wir angefragt haben, was zum Berichtsantrag noch aussteht, damit wir dann zu einer wirklich soliden Diskussion kommen.

(Beifall bei der SPD)

Zum guten Schluss: Wenn ich sage, wir enthalten uns, ist hoffentlich deutlich geworden, dass uns an dem Thema und an den Menschen sehr viel gelegen ist. Deshalb die dringende Bitte an den Innenminister, jetzt im Winter auf die besondere Situation zu achten, in dieser Zeit besonders sorgfältig und sensibel damit umzugehen – auch andere Redner habe es schon angesprochen. Herr Innenminister Rhein, ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir die Ausländerbehörden in einem gesonderten Schreiben noch einmal auf die besondere Situation aufmerksam machen. Das sollten Sie jedenfalls als einen Wunsch aus dieser Debatte mitnehmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Bevor der Herr Minister das Wort ergreift, möchte ich darauf hinweisen: Es liegt hier ein Irrtum vor. Es gibt keinen Antrag auf Sofortentscheid, sondern einen Antrag auf Überweisung an den Ausschuss. – Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will es gleich vorwegnehmen: Nach meiner Sicht der Dinge besteht für eine Aussetzung des Rückübernahmeabkommens oder auch für einen Abschiebestopp keinerlei Anlass. Herr van Ooyen, ich empfinde mich dennoch nicht als Rassist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich empfinde mich deswegen nicht als Rassist, weil – wenn Sie der Innenministerkonferenz in den vergangenen Wochen und Monaten gefolgt sind – sehr klar geworden ist, dass wir uns mit der Lage insbesondere von hier geduldeten Jugendlichen sehr human, sehr intensiv und sehr an der Sache orientiert auseinandergesetzt haben. Das hat es so noch nie gegeben, dass die Bundesländer eine solche Entscheidung getroffen haben. Das ist auch das, was wir tun können und tun sollten. Das geht auch in die Richtung, was Herr Roth angemahnt hat, sich in Einzelfällen die Dinge anzuschauen und entsprechend zu entscheiden.

Wir werden eine generelle Regelung noch treffen. Das kommt noch zustande. In dem Zusammenhang, in dem Sie diese Debatte führen, besteht für einen Abschiebestopp für Kosovaren kein Anlass. Es besteht deswegen kein Anlass, weil nach den Erkenntnissen, die uns vorliegen, die Situation der Minderheitsangehörigen, insbesondere auch die der Roma, in der Republik Kosovo längst nicht so kritisch ist, wie Sie sie hier skizzieren. Ich finde, Sie haben eine Art Zerrbild gezeichnet. Die Situation ist nicht gut, sie ist nicht so, wie sie in Wiesbaden ist. Das ist keine Frage, darüber müssen wir nicht diskutieren. Sie haben aber ein Zerrbild gezeichnet, das so nicht zutrifft.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

So sieht es auch der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo. Es gibt auch keine Berichte, die uns vorliegen, die eine solche Maßnahme, wie Sie sie fordern, rechtfertigen würden. Es gibt im Moment keine Veranlassung, anders zu handeln, als ich es dargestellt habe. Es mag sein, dass durch den einen oder anderen Medienbericht,

der bildhaft aufgemacht worden ist, ein anderer Eindruck entstanden ist. Mit der Realität hat das nicht viel zu tun. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen.