Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

Zweitens: räumliche Ausstattung. Ich war neulich in Frankfurt in einer Schule, die in der Inklusion sehr weit fortgeschritten ist. Da sagte mir die Förderschullehrerin ganz klar: Ich brauche einen zweiten Klassenraum; ich muss mich mit den Kindern zurückziehen können, sowohl mit den Kindern mit Behinderungen als auch mit den anderen Kindern, um sie fördern zu können.

Drittens: personelle Ausstattung. Die Schulen brauchen für die Inklusion zum Teil doppelt besetzte Stellen.

Viertens: pädagogische Ausstattung. Ich muss die Lehrerinnen und Lehrer weiterbilden, die Lehrerausbildung in die Richtung verändern, dass deutlich mehr Förderpäda

gogik – auch für die Lehrer an allgemeinbildenden Schulen – gelehrt wird.

Es ist ein weiter Weg, bis diese vier Voraussetzungen erfüllt sind. Ich denke, wir gehen diesen Weg in Ruhe, mit Gelassenheit, und wir gehen ihn sehr am Wohl des einzelnen Kindes interessiert.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Zur Selbstständigkeit von Schulen. Ich habe in einem ausführlichen Konzept die Grundlagen bereits vorgestellt, auch die Grundlagen einer erweiterten Selbstständigkeit. Mit Blick auf die Uhr werde ich dazu jetzt nichts mehr sagen.

Eines möchte ich aber doch noch erwähnen. Wir haben als einziges Land in der Bundesrepublik Deutschland die rechtliche Selbstständigkeit von Schulen ermöglicht. Die beruflichen Schulen, die im Rahmen der Initiative Hessencampus arbeiten, können als Anstalten des öffentlichen Rechts anerkannt werden. Das gibt es in keinem anderen Bundesland.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Rückmeldungen von den beruflichen Schulen und auch von den SV-plus-Schulen sind durchweg positiv. Sie sind sehr erfreut, dass wir diesen wirklich großen Schritt gehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Stichwort: Verbundschulen und Schulverbünde. Im Hinblick auf den demografischen Wandel erlauben wir zukünftig den Schulen, Verbundschulen zu werden. Das heißt, eine Schule hat mehrere Standorte. Das ist im Schulentwicklungsplan von Waldeck-Frankenberg und im Schulentwicklungsplan von Limburg-Weilburg bereits abgebildet. Die Schulträger sind uns äußerst dankbar dafür, dass wir so gehandelt haben, damit auch kleine Schulstandorte, Schulen vor Ort erhalten bleiben können.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Stichwort: Personaldienstleistungsfirmen. Das neue Schulgesetz ermöglicht es den Schulen, nicht nur für die verlässliche Schule Personen über Personaldienstleister zu beschäftigen, sondern auch in den Fällen, in denen eine vollständige Unterrichtsabdeckung sonst nicht gewährleistet werden kann.

Frau Ministerin, gestatten Sie mir den freundlichen Hinweis, dass die für die Fraktionen vereinbarte Redezeit bereits abgelaufen ist.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich werde mich beeilen. – Wir geben den Schulen die Möglichkeit, Mangelfächer abzudecken und in Sondersituationen zu reagieren. Personaldienstleister können aber nur eingesetzt werden, wenn auf dem regulären Lehrermarkt, nämlich über die Rangliste und über schulscharfe Ausschreibungen, wirklich keine Lehrer für bestimmte Fächer gefunden werden. Das ist in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet gerade in den

Fächern Chemie und Physik schon sehr erfolgreich praktiziert worden.

Die Neuausrichtung der Schulaufsicht habe ich ebenfalls schon des Öfteren erläutert. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sich im Hinblick auf eine Veränderung der Schulen, hin zu mehr Selbstständigkeit, auch die flankierenden Behörden verändern müssen. Ich finde, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass auch im Hinblick auf die Schuldenbremse eine Aufgabenkritik im Ministerium selbst und in den nachgeordneten Behörden erfolgt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ein letztes Thema will ich noch kurz anschneiden. Auf Wunsch von Schülern und Eltern sind die Mitbestimmungsrechte geändert worden. Auf Wunsch des Landeselternbeirats wird es ein Anschlussmandat in Form einer Geschwisterkindregelung geben, und die Schülerinnen und Schüler können künftig entscheiden, ob sie den Schulsprecher direkt wählen wollen oder ob er weiterhin von den Klassensprechern gewählt werden soll.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung legt Ihnen ein modernes und schlankes Schulgesetz für Hessen vor, das den Bedürfnissen der Schulen und aller an ihr Beteiligten Rechnung trägt und die Vielfalt des hessischen Schulsystems für die Zukunft sichert. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hessischen Kultusministeriums für das große Engagement und die viele Arbeit, die sie alle in diesen Gesetzentwurf gesteckt haben, sehr herzlich bedanken.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die erste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Habermann für die SPD-Fraktion.

(Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Wir haben den Antrag gestellt! Wir müssen eigentlich als Erste drankommen!)

Darüber müssen Sie miteinander verhandeln. Ich kann die Wortmeldungen nur in der Reihenfolge berücksichtigen, wie sie eingegangen sind. Ansonsten, wenn Sie etwas anderes wollen, sollten Sie es mir mitteilen. Sie müssen sich jetzt mit Frau Habermann einigen. Mir persönlich ist das ziemlich egal.

(Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Normalerweise ist das so!)

„Normalerweise“ gibt es hier nicht. Es gibt so oder so.

(Heiterkeit)

Frau Kollegin Habermann hat das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Barbara, ich denke, der Antrag der LINKEN wird in der Diskussion gar keine solch große Rolle spielen können; denn man hat uns nur eine Redezeit von siebeneinhalb Minuten zugestanden. Ich will kurz daran erinnern, worüber wir hier reden. Wir reden über das Kernthema dieser Landesregierung,

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

über den großen Wurf, den der Herr Ministerpräsident in der vorigen Woche zusammen mit der Kultusministerin angekündigt hat. Darüber reden wir, während die meisten Kolleginnen und Kollegen dieser Koalitionsfraktionen bereits auf dem Weg in die Mittagspause sind und statt dieser Diskussion die unsägliche Debatte bevorzugt haben, die wir gerade geführt haben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Frau Kultusministerin, ich denke, das, was hier passiert, ist der Bedeutung dieses Gesetzentwurfs angemessen; denn dieser Gesetzentwurf ist mutlos, ideenlos und perspektivlos.

(Beifall bei der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das stimmt allerdings!)

Aber er ist nicht alternativlos. Das ist das Einzige, was er nicht ist. Eine Alternative hat die SPD-Fraktion mit ihrem Gesetzentwurf für Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit bereits im September des vergangenen Jahres vorgelegt.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Zurück in die Vergangenheit, Frau Kollegin, das ist Ihre Al- ternative!)

Ich denke, die Aussage des Herrn Ministerpräsidenten, dieser Gesetzentwurf sei ein großer Wurf, ist Hochstapelei. Er verwechselt dabei Behutsamkeit mit Stillstand. Die Frage, warum Ministerpräsident Bouffier seine Kultusministerin nicht allein zur Pressekonferenz gehen ließ, erzeugte fast mehr Spannung als der Gesetzentwurf selbst. Es war wohl weder Ritterlichkeit noch erhöhte Sachkenntnis. Vielmehr sollte wohl visuell verdeutlicht werden, wer in der Schulpolitik in Hessen weiterhin das Sagen hat. Wenn Herr Irmer schon nicht dabei sein durfte, musste wenigstens Herr Bouffier die Flagge der bildungspolitischen Dinosaurier in der CDU hochhalten.

(Beifall bei der SPD)

So bleibt nach dem langen und im Ergebnis völlig unbefriedigenden Weg bis zur Vorlage dieses Gesetzentwurfs die eigentlich spannende Frage unbeantwortet: Was hätte die Kultusministerin anderes in diesen Gesetzentwurf schreiben wollen, wenn sie wollen gedurft hätte? Den großen Wurf hätten wir auch von ihr nicht erwartet. Aber für ein paar kräftig geschleuderte Wattebällchen wäre die Kultusministerin sicherlich gut gewesen, wenn sie nicht die bildungspolitische Notbremse der CDU im Rücken gehabt hätte.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Da Herr Beuth mich ständig an die Inhalte erinnert – ich denke, das gehört dazu –,

(Peter Beuth (CDU): Ja, prima! Sagen Sie doch mal, was Sie wollen! Das hilft uns! Einheitsschule!)

will ich auf insgesamt fünf Punkte eingehen, zu denen Sie keine oder falsche Antworten gegeben haben. Herr Beuth, hören Sie gut zu.

Erster Punkt. Die Stärkung der frühen Bildung in der Grundschule findet nicht statt. Hessen war 1998 mit dem Modellversuch der flexiblen Eingangsstufe noch Vorreiter. Inzwischen haben die meisten Bundesländer einen entzerrten Schuleingang mit individueller Förderung flächendeckend umgesetzt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nur nicht Hessen!)

In Hessen scheitert die Schuleingangsstufe weiterhin daran, dass Frau Henzler sie zwar lobt, sie aber nicht fördern will. Fehlanzeige im Hessischen Schulgesetz, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Punkt: die Verkürzung der Gymnasialzeit in der Mittelstufe. Auch hier hat sich diese Landesregierung geweigert, endlich die Bilanz einer verkorksten Reform zu ziehen und die verkürzte Mittelstufe zugunsten individueller Schulzeitverkürzungen in der Oberstufe zurückzunehmen. Während andere Bundesländer langsam schlau werden – die CDU-Landesregierung von Schleswig-Holstein hat in ihrem neuen Schulgesetz auch den Gymnasien die Rückkehr zu G 9 eröffnet –,

(Zuruf von der FDP: Fragen Sie doch mal in den Schulen nach, was die dazu meinen!)

halten Sie, Frau Henzler, an den Fehlentscheidungen Ihrer Vorgängerin fest.