Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

Die Begriffe der Demokratie, des Sozialismus und des Gemeinwohls sind so oft missbraucht worden, dass wir in der Wortwahl sehr darauf achten sollten, dass wir klarmachen, was wir meinen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Der Godesberger Parteitag der SPD war der Weg zur Sozialdemokratie. Ich wüsste gerne, ob das noch gilt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich will mit Ihnen nicht darüber streiten, ob das eine Utopie ist, die man vertreten darf oder nicht. Selbstverständlich darf man es. Aber ich will hier deutlich festhalten: In der Realität ist diese Utopie immer gescheitert.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, hinzu tritt: „Terror der Ökonomie“. Das insinuiert doch, dass diejenigen, allemal diejenigen, die jetzt Verantwortung tragen, unsensibel für die Bedürfnisse der Menschen sind, dass sie einem System huldigen, das unmenschlich ist, und dass sie nicht in der Lage wären, Empathie für die zu empfinden, die uns besonders angelegen sind. Deshalb will ich für die Landesregierung einmal deutlich Folgendes sagen. Wir stehen ausdrücklich in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft war das erfolgreichste Modell, das es bisher jemals gegeben hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Schon Ludwig Erhard hat geschrieben: „Soziale Marktwirtschaft bedeutet nicht, dass sich jeder rücksichtslos seiner Interessen bedient ohne Rücksicht auf andere.“

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Es ist ein Ordnungsmodell, in dem der Staat Rahmen setzt und für Wettbewerb sorgt, und dann, wenn dieser Wettbewerb nicht mehr funktioniert, auch eingreifen muss. Aber es unterscheidet sich grundlegend von jedem, jedenfalls mir bekannten, sozialistischen Modell, das auf Planwirtschaft und auf bürokratischen Vorgaben für Handlungsmöglichkeiten der Menschen aufbaut. Wir wollen den Menschen ihre Freiheit nicht bürokratisch zuteilen, sondern wir bauen darauf, dass die Menschen zunächst einmal selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Wir unterstützen die Leistungsfähigen. Wir unterstützen diejenigen, die sich in diesem Staat besonders engagieren.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Michael Siebel (SPD): Für Verteilungsgerechtigkeit!)

Meine Damen und Herren, das ist die Grundlage dafür, dass wir denen, die es nicht aus eigener Kraft können, in Solidarität helfen. Das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft heißt das Bekenntnis zu Leistungsbereitschaft und gelebter Solidarität.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Genau das unterscheidet uns von sämtlichen bisher bekannten und geübten sozialistischen Gesellschaftsmodellen in aller Welt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Deshalb bitte ich um Verständnis, dass wir erhebliche Zweifel haben, ob die Wegweisungen, die aus der Sozialdemokratie kommen – für die ich nicht einmal alle Sozialdemokraten in Anspruch nehme; so weit gehe ich gar nicht –, für das 21. Jahrhundert richtig sind.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist die richtige Frage!)

Darauf hätten wir gerne eine Antwort. Ich lasse es auch nicht durchgehen, dass es hier einen Alleinvertretungsanspruch für sozialpolitische Fragen gibt. Wir fühlen uns besonders für diejenigen verantwortlich, die unsere Solidarität brauchen. Ich habe diesen Punkt seinerzeit in meiner Regierungserklärung ausdrücklich sehr deutlich gemacht. Wir wären weiter, auch im politischen Diskurs, wenn Sie für sich nicht immer grundsätzlich moralinsauer in Anspruch nähmen, dass Sie für die Menschen und dieser Teil des Hauses für irgendein finsteres System zuständig wären. Das ist nicht nur platt, sondern es ist falsch und höchst unanständig gegenüber denen, die sich tagtäglich in ihrer Arbeit für diese Menschen engagieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Kollege Greilich hat darauf hingewiesen, worum es hier eigentlich gehen muss. Es geht nicht um die gegenseitigen Beleidigungen, sondern um eine klare Grenzziehung, nach dem Motto: „Was bedeutet das?“ – Herr SchäferGümbel, ich möchte Ihnen noch einmal die Gelegenheit geben, zu sagen, was das heißt: „Überwindung der Verhältnisse“.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Was heißt das: „Terror der Ökonomie“? Soll das heißen: die Missachtung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten? Das haben wir schon oft erlebt. Das Ergebnis der Missachtung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten war in aller Regel die Verelendung aller. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit eint uns wahrscheinlich alle. Aber wir sollten dabei wenigstens die Erfahrungen berücksichtigen, die dieses Land gemacht hat. Es ist nicht nur eine Missachtung der Opfer, sondern es ist auch eine falsche Wegweisung für die Zukunft,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

wer uns heute noch empfiehlt, neben der Abseitigkeit des Kommunismus, dass wir dem Sozialismus nachzueifern verpflichtet sind. Diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen – ich denke, das darf ich sagen – bauen auf dem Fundament auf, das diese Bundesrepublik Deutschland in kürzester Zeit zu größtem Wohlstand geführt hat, und zwar für alle. Das war der Ausdruck von Ludwig Erhard.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Große Freiheit!)

Und nie, zu keiner Zeit und in keinem wirtschaftlichen System, hat gerade der kleine Mann, haben einkommenschwache Menschen so viel Wohlstand erzielen können wie in diesem System.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das bedeutet für uns: Wenn die Menschen uns zu Recht fragen: „Wo wollt ihr hin?“, dann sagen wir: Wir wollen dieses Land weiterentwickeln. Wir sind sensibel für die Fragen. Es hat viele Verwerfungen gegeben. Wir haben Empathie; die lassen wir uns von niemandem absprechen. Aber wir sind nicht im Wolkenkuckucksheim und umgekehrt auch nicht ignorant gegenüber dem, was dieses Land erlebt hat. Das heißt konkret: Die Verhältnisse grundstürzend zu überwinden, ist der falsche Weg.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

Das, was bisher im Gewande des Sozialismus und allemal des Kommunismus in Deutschland vorgetragen wurde, war immer ein Irrweg. Er machte die Menschen nicht glücklich. Er machte sie nicht wohlhabend. Er nahm ihnen Stück für Stück die Freiheit und gelegentlich auch das Leben.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Redezeit für die Fraktionen ist neu eröffnet. Das Wort hat Frau Abg. Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie sich zu diesem Tagesordnungspunkt, zu diesem inszenierten Theater überhaupt zu Wort gemeldet haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, auch Sie konnten es nicht retten, diesen Tagesordnungspunkt haben Sie vollkommen versenkt. Sehen Sie es ein, Sie haben hier ein billiges Theater gespielt und konnten niemanden davon überzeugen, dass es Ihnen um irgendetwas anderes gegangen wäre als um parteipolitische Spielchen und Wahlkampf. Darum geht es Ihnen, und das haben Sie heute unter Beweis gestellt.

Herr Ministerpräsident, wenn ausgerechnet Sie über Stilfragen reden, finde ich es schon hanebüchen. Meine Fraktion und ich persönlich verbitten uns von der hessischen CDU jegliche Belehrung über Stilfragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Ankündigung, im Landtag einen neuen Stil mit der Opposition zu pflegen, ist spätestens heute zur Farce geworden. Es gibt nur einen Unterschied zwischen Herrn Koch und Ihnen: Herr Koch hätte das politische Gespür dafür gehabt und sich in dieser versenkten Debatte nicht mehr zu Wort gemeldet.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Wir reden im Plenum über Leiharbeit, wir reden über Biblis, wir reden über die Kürzungen beim Schulsport – Sie

haben sich immer als der Sportminister aufgespielt –, bei all diesen Themen sieht der Ministerpräsident keine Notwendigkeit, etwas dazu zu sagen. Zu Themen, die die Menschen im Land wirklich bewegen, hört man kein Wort von Ihnen. Die zahlreichen Skandale und Affären – zu all dem schweigen Sie.

Herr Ministerpräsident, es ist nicht Ihre Aufgabe, Aufsätze von Politikern zu bewerten. Es ist auch nicht Ihre Aufgabe, Abgeordnete zu maßregeln. Ihre Aufgabe ist es, reale Politik zu machen und das Leben der Menschen zu verbessern. Das ist Ihre Aufgabe, und der sollten Sie nachkommen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ju- dith Lannert (CDU))

Es ist ein Ablenkungsmanöver, um von Ihren eigenen Versäumnissen abzulenken. Sie thematisieren hier Fragen, die für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung überhaupt keine zentrale Rolle spielen, die überhaupt keine Bedeutung für das Leben der Menschen haben.

(Peter Beuth (CDU): Sie sind der Kern dessen, was uns trennt! Sie gehören nicht dazu!)

Herr Kollege Beuth, Sie können nach vorne kommen und etwas dazu sagen, wenn Sie etwas zu sagen haben.