Protokoll der Sitzung vom 03.02.2011

bereits ausgeführt hat, halten wir das von Ihnen vertretene... Modell für eine solche isolierte Sonderlösung, die zu strukturellen Ungleichgewichten in der gesamten Region führen kann, und daher nicht für zweckdienlich.

Dabei bleibe ich. Das ist aber keine Absage an Überlegungen, wie man sich dort neu organisieren kann.

Die Kollegen Lenders und Landau haben eine Reihe von Fragen gestellt. Die sind den Verantwortlichen seit Jahren bekannt. Ich habe mit dem Landrat, mit dem Oberbürgermeister und auch einigen Abgeordnetenkollegen seit Jahren darüber gesprochen und habe gesagt: Ihr müsst doch eine Vorstellung haben, was da herauskommen soll. Wird der Landkreis Kassel aufgelöst oder nicht? Je nachdem führt das zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Bleibt die Stadt Kassel kreisfreie Stadt oder nicht? Je nachdem führt das zu völlig unterschiedlichen Schlüsselzuweisungen.

Als ich das gefragt habe, haben die mir gesagt: Wir müssen natürlich weiterhin, obwohl wir irgendwie eine neue Region sind, behandelt werden wie eine kreisfreie Stadt. – Ich habe gesagt: Das finde ich prima. Glauben Sie, dass die anderen kreisfreien Städte in Hessen das auch so sehen? – Dann kam die Antwort: Das müssen wir dann einmal diskutieren.

Das ist doch eine Grundfrage. Was passiert mit den Schulden des Landkreises? – Da kam die Antwort: Da muss das Land helfen. – Ich sagte: Das finde ich auch gut. Man kann ja darüber reden, aber glauben Sie, dass all die anderen, die wir dazu fragen, es gut finden, dass wir eine isolierte Sonderlösung machen? – Ich habe gefragt: Was passiert in dieser Region? Gibt es einen hauptamtlichen Regionalvorstand? Wird der Kreisausschuss aufgelöst? Oder haben wir nur eine neue Ebene mit noch einer Verwaltung?

(Günter Rudolph (SPD): Das ist doch da!)

All dies ist nicht gelöst. – Herr Kollege Rudolph, nur damit wir einmal darüber reden: Ich habe seit drei Jahren – –

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich weiß nicht, warum Sie sich so aufregen. Das ist alles unstreitig.

(Nancy Faeser (SPD): Eben nicht!)

Ich denke, Sie müssen eines akzeptieren. Es gibt bis heute kein einziges Papier, das zu diesen Fragen eine Antwort gibt. Es gibt zwei Absichtserklärungen. Es gibt eine Absichtserklärung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel, und es gibt eine Absichtserklärung des Kreistags des Landkreises Kassel. Darin steht zu all diesen Fragen nichts.

Einmal ungeachtet, wie man das im Einzelnen entwickelt, ist es aber völlig klar, dass eine Landesregierung keine Antwort erteilen kann, ohne auf all die anderen Dinge Rücksicht zu nehmen, die darum herum sind, die alle Kommunen des Landes betreffen. Es liegt doch auf der Hand. Es gibt doch genügend SPD-Kollegen, die aus anderen Gegenden kommen. Spätestens wenn man die Frage stellt: „Seid ihr einverstanden, dass wir für diesen Bereich eine völlig eigene Lösung machen, dass wir z. B. darüber diskutieren, ob das mit dem Staatstheater so oder andersherum gemacht wird?“, ist alles zu Ende. Fragen Sie einmal die Darmstädter oder die Wiesbadener.

Meine Damen und Herren, deshalb bin ich immer bereit, über eine Weiterentwicklung der Region zu sprechen, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen. Es gibt kein Stoppschild.

Ich will auch auf eines hinweisen. Ich begrüße ausdrücklich, was in den zurückliegenden Jahren dort mithilfe des

Landes an interkommunaler Zusammenarbeit geschehen ist. Das war gut.

Herr Kollege Rudolph, wenn Sie sagen, man will eine gemeinsame Verantwortung tragen für Kultur, man will eine gemeinsame Verantwortung tragen für die Wirtschaftsförderung usw. – wer hindert die Beteiligten, das zu tun? Das können sie in allen möglichen Organisationsformen tun. Sie können eine GmbH gründen, einen Verein gründen, sie können alles machen. Wir unterstützen so etwas sogar.

Deshalb unter dem Strich: Ich glaube, es gibt Zeiten, wo man über solch schwierige Fragen reden kann. Das tun wir seit Jahren, und alle Beteiligten wissen es. Es gibt auch Zeiten, da hat man den Eindruck, das dient eher der Beflügelung einer Wahlkampfkampagne. Ich sage Ihnen eines: Wir sind hoch interessiert, dass diese Region sich weiterhin großartig entwickelt. Das tut sie zurzeit. Wenn es Vorschläge gibt, die sowohl dieser Region nützen, als auch andere nicht in schwierige Situationen bringen, die deren Interesse nicht berücksichtigen, dann können wir gerne wieder über die Sache reden.

Ich bin zuversichtlich, wenn einmal die Kommunalwahl herum ist und sich alle wieder etwas entspannt haben, werden wir vielleicht auch gemeinsam weiterkommen. Es gibt kein Stoppschild, es gilt das, was in der Koalitionsvereinbarung steht. Im Übrigen freuen wir uns – das will ich ausdrücklich noch einmal sagen –: Diese Region ist eine Boomregion. Darauf sind wir stolz, und dafür tragen wir die politische Verantwortung.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Es gibt keine weitere Wortmeldung. Damit ist die Aussprache beendet.

Wir kommen zur Abstimmung über den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 18/3673. Wer ihm seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dagegen? – CDU und FDP. Enthaltungen? – DIE LINKE. Damit ist dieser Dringliche Entschließungsantrag abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 52 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Hessen verhindert Missbrauch der Leihar- beit und sagt „Ja“ zum Mindestlohn) – Drucks. 18/3663 –

Das Wort hat der Kollege Willi van Ooyen, der Fraktionsvorsitzende der LINKEN.

Herr Präsident, guten Morgen, meine Damen und Herren!

(Zurufe: Guten Morgen!)

Der Bundestag wird noch im Februar über den aktuellen Entwurf des Gesetzes zur Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung entscheiden. Mit diesem Gesetz werden Rahmenbedingungen gesetzt, wie Arbeitsverhältnisse in Zukunft gestaltet werden sollen, dies auch vor dem Hintergrund, dass zum 1. Mai 2011, also im kommenden Mai, europaweit die Arbeitnehmerfreizügigkeit für einige osteuropäische Länder in Kraft tritt.

Der bisherige Vorschlag ist arbeitnehmerfeindlich und zeigt keinen Respekt vor der Arbeit der Menschen.

(Beifall bei der LINKEN)

Er gefährdet nicht nur Zukunft und Perspektiven der Betroffenen, sondern auch die Grundlagen unseres Sozialsystems. Nur faire, angemessene Löhne und sichere Arbeitsbedingungen können unser Sozialsystem erhalten und binnenkonjunkturell die beginnende wirtschaftliche Erholung absichern. Wer Leiharbeit, Werksverträge, Billigjobs und befristete Beschäftigung zulässt oder fördert, zerstört qualifizierte, sichere und tariflich entlohnte Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Er zerstört massenhaft Lebens- und Zukunftsperspektiven, vor allem junger Menschen. Wir, die LINKE fordern sichere und faire Arbeit statt Befristung und Leiharbeit, Einstellungen in die Betriebe statt Werk- und Dienstleistungsverträge sowie die Übernahme der Ausgebildeten in eine feste Beschäftigung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Arbeitgeber setzen aggressiv auf Leiharbeit, auf unsichere und schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse. Nur noch 15 % der Betriebe decken ihren Arbeitskräftebedarf überwiegend über normale und unbefristete Arbeitsverhältnisse. In über 43 % der Betriebe werden überwiegend Leiharbeiter eingestellt, und in weiteren 42 % der Betriebe finden Neueinstellungen überwiegend befristet statt.

Sichere und faire Arbeit ist für einen großen Teil der jungen Menschen nach einer beruflichen oder akademischen Ausbildung eine Illusion. Unsichere Beschäftigung ist fast zur Normalität geworden. Schon mit der fehlenden Übernahme nach der Ausbildung beginnt oft der Kreislauf unsicherer Beschäftigung. 36 % der 20- bis 24-Jährigen hangelt sich ausschließlich von Job zu Job – ohne Perspektive auf einen festen Arbeitsplatz.

Immer mehr Menschen können von ihrer Arbeit nicht mehr leben. Sie sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Für diese Lohnsubventionierung werden vom Staat pro Jahr 11 Milliarden € aufgewandt. Auch wenn die Beschäftigtenzahl und die vermeintlich sinkende Arbeitslosenzahl darüber hinwegtäuschen: Das Arbeitsvolumen ist stetig gesunken. Seit 1991 bis zum Jahr 2004, also in der Zeit vor der Krise, sank das Arbeitsvolumen um 9,1 %, von 51,785 Milliarden auf 47,051 Milliarden Stunden. Diese Tendenz besteht fort, weshalb wir uns generell mit Arbeitszeitverkürzungen, natürlich bei vollem Lohnausgleich, beschäftigen müssen, wenn wir keine weitere Massenverarmung hinnehmen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Anteil der Beschäftigten mit Billigjobs steigt kontinuierlich. Schon 2009 mussten sich 6,7 Millionen Menschen mit nicht ausreichend bezahlter Arbeit durchschlagen – mit steigender Tendenz. Für junge Menschen ist hier das Risiko besonders hoch. Mehr als 50 % der unter 25Jährigen drohen in den Billiglohnsektor abzurutschen.

Die Politik der Bundesregierung schafft einen gesetzlichen Rahmen, der den Abbau von regulären Beschäftigungsverhältnissen fördert. Die Unternehmen nutzen diese Möglichkeit aus – durch Leiharbeit, Werkverträge, Befristungen und andere unsichere und schlecht bezahlte Beschäftigungsformen.

Am 1. Mai 2011 wird der deutsche Arbeitsmarkt in Richtung Osteuropa weitgehend geöffnet. Die Bundesregierung hat die Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch vor zwei Jahren verlängert mit der Begründung, dass schwerwiegende Störungen des Arbeitsmarktes zu befürchten seien. Seitdem ist aber nichts geschehen, um alle Arbeitnehmer, egal woher sie stammen, vor einer brutalen Konkurrenz um die niedrigsten Löhne und prekärs ten Arbeitsbedingungen zu schützen. Deshalb brauchen wir in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn. Das ist der einzige Weg, um zuverlässig eine neue Lohndumpingwelle zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege van Ooyen, Sie müssen zum Schluss kommen.

Es gibt eine breite gesellschaftliche Mehrheit für einen gesetzlichen Mindestlohn. Diese Mehrheit muss gehört werden. Die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn ist Anlass für die betrieblichen Aktionstage der Gewerkschaften am Donnerstag, dem 24. Februar, an denen wir uns selbstverständlich beteiligen, und wir rufen Sie zum Mitmachen auf.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, es gibt keine Verpflichtung, dass sich jemand zu den Punkten, die in diesem Hause behandelt werden, zu Wort meldet. Es gibt keine weitere Wortmeldung, daher ist die Aussprache geschlossen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann bleibt es eben so stehen! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist auch eine Aussage, Herr Präsident!)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 53 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Hilferuf der Hochschulen – Landesregierung schaltet auf Durchzug statt auf Pro- blemlösung) – Drucks. 18/3664 –