Protokoll der Sitzung vom 03.03.2011

Menschen mit Behinderungen werden nach Ihrem Gesetzentwurf schutzlos gestellt, wenn sie in Einrichtungen leben, denn Ihr Gesetz gilt nur für Pflegeeinrichtungen. Einrichtungen der Behindertenhilfe sind im weiteren Umfang keine Pflegeeinrichtungen. Wohnheime für Schülerinnen und Schüler, für Studentinnen und Studenten, Wohnheime der Werkstätten für behinderte Menschen, Berufsförderungswerke, Rehabilitationseinrichtungen, heilpädagogische Einrichtungen und Internate sind alle

keine Pflegeeinrichtungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie tatsächlich darauf verzichten wollen, diese Einrichtungen nicht mehr dem Heimrecht zu unterwerfen, die Menschen dort schutzlos zu lassen und die Überprüfung durch die Behörde nicht mehr vorzusehen. Wenn Sie das aber nicht wollen, dann müssen Sie Ihren Entwurf ändern, und zwar schnell.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie schreiben in Ihrer Begründung, Sie wollten auf Legaldefinitionen verzichten und unbestimmte Rechtsbegriffe vermeiden. Tatsächlich vermeiden Sie Klarheit und Rechtssicherheit.

Sie führen z. B. in einer Definition an, bei einer Pflegeeinrichtung handele es sich um solche, in denen Wohnraum, Betreuung und Pflege geleistet werde. Sie sagen aber kein Wort dazu, was eigentlich ist, wenn der Vermieter auf der einen Seite und der Erbringer der Dienstleistung auf der anderen Seite nicht personenidentisch sind. Das ist eine sehr häufige Situation. Es wird beispielsweise geworben für ein Seniorenstift: Kommen Sie hierher, ziehen Sie ein, hier wohnen Sie gut, und wenn Sie Pflege brauchen, dann steht Ihnen der Pflegedienst XY zur Verfügung.

Ist das dann ein Pflegeheim, oder ist das kein Pflegeheim? Das ist Ihrem Gesetzentwurf nicht zu entnehmen. Wer ist Betreiber? Derjenige, der das Wohnen anbietet, oder derjenige, der die Dienstleistung anbietet? – Wenn Sie das klar regeln wollen, müssen Sie Ihren Gesetzentwurf ändern, und zwar schnell.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir zu den Pflege- und Betreuungsdiensten. Ihre Einbeziehung in den Gesetzentwurf haben Sie zu Recht gelobt. Bisher gibt es nur Hamburg, das Entsprechendes vorsieht. Sie haben allerdings übersehen, dass Sie überhaupt keine Prüfung in diesen Einrichtungen vorsehen. Das muss meines Erachtens auch geändert werden.

Neben diesen inhaltlichen Mängeln, die ich noch fortsetzen könnte, wenn ich die Zeit dazu hätte, gibt es auch groteske formale Fehler.

Schauen Sie sich einmal Ihren § 15 an. Der verweist auf sich selbst. Das ist formal unsinnig und inhaltlich wahrscheinlich falsch. Sie erwähnen in § 16 Abs. 8 verschiedene Befugnisse von Personen, die Einrichtungen prüfen. Die sollen sich mit den Einrichtungsfürsprechern in Verbindung setzen. Nur gibt es in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt keine Einrichtungsfürsprecher. Das sind nämlich in anderen Bundesländern solche, die anstelle des Heimbeirats, wenn er nicht gebildet werden kann, ernannt werden, um dessen Funktion wahrzunehmen. Das ist in Ihrem Gesetz aber gar nicht enthalten. Also sollen die prüfenden Personen mit Leuten reden, die es gar nicht gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie sich einmal Ihren § 27 an. Darin geht es um den Erlass von Rechtsverordnungen. Es wird auf § 8 Abs. 5 und 6 verwiesen. § 8 hat aber weder einen Abs. 5 noch einen Abs. 6, er hat überhaupt keine Absätze. Es wird auf § 10 Abs. 4 verwiesen. Es soll eine Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem für Allgemeines Bauwesen zuständigen Ministerium erfolgen. Nur hat § 10 Abs. 4 gar keine Ermächtigung für eine Rechtsverordnung. Außerdem geht es dort um ambulantes betreutes Wohnen.

Herr Dr. Jürgens, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Damit hat der Bauminister nun wirklich gar nichts zu tun. Herr Dr. Bartelt, ich kann Ihnen nur raten, machen Sie es doch einfach wie der vormalige Noch-Doktor zu Guttenberg: sich an einem ruhigen Wochenende hinsetzen und alles noch einmal genau durchlesen. Dann werden Sie dazu kommen, dass die Fehler, die ich benannt habe, noch nicht alle sind, und dass Sie darauf reagieren müssen. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Das Wort hat Frau Kollegin Müller für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun haben also auch CDU und FDP ein Betreuungs- und Pflegegesetz vorgelegt. Lassen Sie mich gleich zu Anfang sagen: Nach der bisher verstrichenen Zeit hätten wir einen hochwertigeren Entwurf erwartet.

(Beifall bei der SPD)

Das fängt schon bei der Form an. Dem Entwurf fehlt ein Vorblatt mit Problembeschreibung und Lösungsvorschlag, vor allem der zu erwartenden Kosten – das Gegenteil von handwerklich guter Arbeit und Transparenz. Inhaltlich ist der Gesetzentwurf – wir haben es eben schon von Dr. Jürgens gehört – widersprüchlich und geht an neuen Entwicklungen und fachlichen Erkenntnissen vorbei.

Ich möchte das beispielhaft an zwei Einzelregelungen verdeutlichen. Gleich zu Beginn wird als Ziel des Gesetzes definiert, dass es für alle pflegebedürftigen volljährigen Menschen gelten möge. Das entspricht mitnichten dem angestrebten Pflegerahmen. Es ist nicht sinnvoll, alle pflegebedürftigen Erwachsenen als Zielgruppe zu benennen, wenn das Gesetz nur für Einrichtungen und ambulante Betreuung gelten soll.

Des Weiteren wird als zu schützender Wert die Intimsphäre der zu pflegenden Menschen gesetzt. Eine solche Regelung bleibt aber ein Muster ohne Wert, wenn man sie nicht konkretisiert, etwa durch den Anspruch auf ein Einzelzimmer, wie es im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion enthalten ist.

(Beifall bei der SPD)

Auch im Bereich der Prüfung von Einrichtungen und Diensten hat der Gesetzentwurf von CDU und FDP Schwachstellen. Es heißt dort, dass anlassbezogene Prüfungen möglich sind. Es ist doch sehr zu hoffen, dass im Falle eines konkreten Anlasses nicht nur eine Prüfung möglich ist, sondern dass die Aufsichtsbehörden dann unverzüglich einschreiten.

Charakteristisch für den Gesetzentwurf sind auch seine Lücken. Es fehlt nicht nur der Anspruch auf ein Einzelzimmer in Pflegeeinrichtungen. Es fehlen im Bereich der Anforderungen und Leistungen auch Konzepte für tages

strukturierende Betreuung und geriatrische Rehabilitation.

Was ich als besonders schwerwiegend erachte, ist: Es fehlen auch wichtige Festlegungen zur Förderung des Zusammenlebens in Gruppen. Die Förderung des Zusammenlebens in Gruppen ist eine wesentliche Entwicklungsperspektive im Pflegebereich. Das sieht man deutlich an erfolgreichen Beispielen, etwa den Hausgemeinschaften demenzkranker Personen oder den sogenannten selbst organisierten Alten-WGs.

Hier tut es dem Gesetzentwurf insgesamt nicht gut, dass er den Bereich der ambulanten Formen gleich in weiteren Teilen mitregeln will. Das wird den differenzierten ambulanten Formen nicht gerecht, und es führt auch zu begrifflicher Unschärfe, wenn etwa von ambulanter Betreuungseinrichtung die Rede ist; wir haben es eben gehört.

Es ist gerade die Krux, dass wir es nicht mehr mit Einrichtungen im klassischen Sinne zu tun haben, sondern mit vielfältigen neuen Formen würdiger Unterstützung. Das scheint im CDU/FDP-Entwurf noch nicht angekommen zu sein. So wird wenig bis nichts darüber ausgesagt, was in einer ambulant betreuten Wohnform für ältere Menschen gilt.

Selbst organisierte Wohngemeinschaften älterer Menschen scheint der Entwurf nicht zu kennen oder nicht für unterstützenswert zu halten. Dann aber wird definiert, was als eine betreute Wohnform für behinderte Menschen gelten soll. Warum gerade hier Vorgaben, wie die Präsenzzeiten von Betreuungspersonal, gemacht werden, erschließt sich uns nicht. Gerade die ambulanten Wohnformen von seelisch und lernbehinderten Menschen richten sich nach individuellen Hilfebedarfen der Bewohner. Die besondere Leistung dieser ambulanten Formen ist gerade ihre Individualität und ihre Flexibilität. Und das heißt, im Bedarf auch umfassende Hilfen zur Verfügung stellen zu können.

Meine Damen und Herren, neben diese fachlichen Aspekte treten weitere Bedenken. Es erscheint uns nicht zuletzt rechtlich fragwürdig, in einem Betreuungs- und Pflegegesetz den Gegenstand der Arbeitsvermittlung mit regeln zu wollen. Genau das tut aber der Gesetzentwurf der CDU und der FDP, wenn er etwa Vermittlungsagenturen von ausländischen Pflegekräften zum Geltungsbereich zählt. Vor solchen Punkten sollten für gute Pflege wirklich wesentliche Fragen gestellt werden, z. B. Personalmindeststandards in Einrichtungen und Dienste. Es reicht nicht nur festzulegen, dass die Zahl der Beschäftigten „ausreichend“ für die Tätigkeit sein soll und den Rest in das Belieben einer Regierung zu stellen.

Wer gute Pflege will, braucht qualifiziertes und motiviertes Personal sowie förderliche Arbeitsbedingungen. Arbeitsverdichtung und Fluktuation durch Überlastung der Pflegekräfte schaden am Ende den pflegebedürftigen Menschen. Gerade bei betreuenden Tätigkeiten halten wir es für unerlässlich, im Gesetz Festlegungen über die Quote, die Ausbildung und den Mindestbeschäftigungsumfang von Fachkräften zu treffen. Nur so lässt sich bestmögliche Pflege entwickeln, die auch Vertrauensverhältnisse ermöglicht und nicht zur routinemäßigen Fließbandpflege verkommt.

Mit Blick auf diese im Vergleich zum Entwurf der SPD offensichtlichen Schwachstellen des vorliegenden Gesetzentwurfs bin ich auf die Ausschussberatungen gespannt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Müller. – Nächster Redner ist Herr Kollege Rock für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Gesetzentwurf für ein Hessisches Betreuungs- und Pflegegesetz, dem wir uns als Fraktionen zugewandt haben, um hier die Regelungen im Heimrecht in einem hessischen Gesetz zu treffen. Diese Aufgabe ist uns mit der Föderalismusreform I zugefallen. Wir haben uns im Vorfeld sehr intensiv auch mit Verbänden auseinandergesetzt.

Die Frage, was zu regeln ist, ist eine sehr grundsätzliche Frage, mit der wir uns – wie ich jetzt vernommen habe – in der Ausschussberatung intensiv auseinandersetzen werden. Wir haben manche Regelungen, die Sie vielleicht kritisieren, auch sehr bewusst so getroffen. Darüber werden wir uns in der Ausschussberatung etwas länger auseinandersetzen. Dazu reichen diese fünf Minuten sicherlich nicht aus.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch über die Fehler im Gesetz!)

Uns ist es wichtig – das will ich an der Stelle sagen –, dass eine Qualitätssteigerung der Pflege dadurch erreicht werden kann, dass die Menschen, die dort tätig sind, wieder mehr Zeit dafür haben, sich um die Menschen zu kümmern, die sie pflegen sollen, und sie eben nicht mit unnötiger Bürokratie überzogen werden. Darüber haben wir uns sehr intensiv in dem Gesetzentwurf auseinandergesetzt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist nun einmal so: 186.000 Pflegebedürftige in Hessen, 140.000 Menschen werden zu Hause versorgt, 40.000 davon – das sind gerundete Zahlen – werden durch ambulante Pflegedienste betreut, 100.000 Menschen im Umfeld durch familiäre Pflege mit punktueller Hilfe. Das ist ein Bereich, um den wir uns kümmern, der wirklich wichtig ist und wo wir alle gemeinsam das Ziel verfolgen, dass Menschen so lange wie möglich im familiären Umfeld gepflegt werden. Dort soll die Möglichkeit bestehen, kreativ und konstruktiv solche Dinge umzusetzen. Wir wollen Menschen helfen und sie nicht mit Regeln überziehen und womöglich flexible Systeme nicht mehr möglich machen.

Mit dem Gesetzentwurf haben wir dem Rechnung getragen. Darum glauben wir, dass wir einen maßgeblichen Beitrag geleistet haben, dass Pflege in Hessen weiterhin im familiären Bereich eine Priorität hat und auch haben muss, wenn man sich die Zahlen ansieht.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir auch die Rechte der Angehörigen und der Betreuerbeiräte stärken wollen. Wir wollen sicherstellen, dass diese in Einrichtungen eingerichtet werden, weil wir glauben, dass auch das ein Bereich ist, in dem wir für Transparenz sorgen können. Herr Dr. Jürgens hat auch darauf hingewiesen, in welch besonderer Weise wir Menschen, die in Einrichtungen leben, davor schützen müssen, ein Teil der Einrichtungen zu werden, damit sie weiterhin, soweit es geht, selbstbestimmt leben können, und damit sie dort, auch wenn sie nicht täg

lich von Angehörigen besucht werden, noch immer menschenwürdig und angemessen betreut werden. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben auch vorgesehen, dass wir eine Behördennummer einführen, sodass die Heimaufsicht von diesen Beiräten und dem interessierten Umfeld sofort und unbürokratisch über die Qualität informiert werden kann, um sich um die Probleme zu kümmern. Wir haben dazu im Gesetzentwurf eine Regelung getroffen, sodass hier auch durchgegriffen werden kann. Wir werden uns künftig mindestens einmal jährlich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen, weil wir mit diesem Gesetz auch dafür sorgen wollen, dass wir im Hessischen Landtag einen jährlichen Bericht über die Situation der Pflege bekommen, über den wir dann, hoffentlich im Sinne der Menschen, die in diesem Bericht aufgeführt werden, konstruktiv beraten.

Ich will zu den einzelnen Punkten, die angesprochen worden sind, auf Folgendes hinweisen. Sie haben gesagt, Sie können nicht erkennen, dass man, wenn ein Missstand aufgetreten sei, diesem dann auch nachgehe. Dazu kann ich nur einen kleinen Hinweis geben. In § 4 „Anregungen, Hinweise und Beschwerden“ können Sie nachlesen, dass die Behörde verpflichtet ist, den Beschwerden „unverzüglich nachzugehen“.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist in diesem Gesetzentwurf sehr wohl geregelt. Auch in § 16 gibt es dazu ergänzende Regelungen. Ich glaube, wir werden uns im Ausschuss – das habe ich schon festgestellt – sehr kleinteilig über diese Themen unterhalten, und das ist auch gut so. Wir haben einen vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt. Das werden wir auch in der Ausschussberatung weiter begründen, und wir sind natürlich immer offen für konstruktive Verbesserungen. Herr Dr. Jürgens, das wissen Sie. Wir werden diesen Gesetzentwurf im Sozialpolitischen Ausschuss konstruktiv beraten. Wir haben für die Menschen, die von Pflege betroffen sind, einen guten Gesetzentwurf eingebracht. Wir hoffen auf konstruktive Beratungen und glauben, dass er hier am Ende eine breite Zustimmung erhalten wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Nächste Rednerin ist nun Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben ziemlich lange auf diesen Entwurf gewartet, und ich dachte eine Zeit lang: Was lange währt, wird endlich gut. Aber um bei Sprichwörtern zu bleiben, es war wohl eher so: Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Das, was wir hier geliefert bekommen haben, ist sehr weit entfernt von gut. Ich finde es ziemlich traurig, denn eigentlich fängt es gut an.