Protokoll der Sitzung vom 12.04.2011

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Die Studie geht davon aus, dass 3.400 km Leitungsnetze zu bauen sein werden. Ich streite nicht um die Frage, ob das die richtige Zahl ist. Selbst wenn es nur 2.000 km wären, wäre das eine gigantische Aufgabe.

Wenn wir dann darangehen, müssen wir die Bezahlbarkeit und die Umsetzbarkeit des Ganzen ebenfalls wieder im Blick haben. Am Ende müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern z. B. nicht nur sagen: „Wir wollen euch nicht belasten“, und dürfen nicht jedem das erzählen, was er vor Ort hören will, sondern wir müssen dann auch sagen, was der Bau einer Erdleitung im Gegensatz zu einer konventionellen überirdischen Stromtrasse für die Anwohner, für

die Verbraucher, für die Unternehmen und für die Arbeitsplätze bedeutet. Das kann man wollen. Redlicherweise darf man es nur wollen, und allemal als verantwortliche Politiker, wenn man auch die Konsequenzen darlegt. Mit Sicherheit ist der so gewonnene Strom jedenfalls teurer als bei Freileitungen. Das wird niemand ernsthaft bestreiten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Die vierte Aufgabe, die uns gestellt wird, ist das Lastmanagement und die Speichertechnik. Wenn Stromerzeugung und Stromnachfrage wie bei Wind- und Sonnenkraft auseinanderfallen, brauchen wir eine zunehmende Flexibilisierung unseres Energiesystems. Alle sind für innovative Speichersysteme. Die kann man aber nicht herbeibeschließen. Die muss man entwickeln. Das wird Zeit kosten.

Über die Nutzung neuer Technologien in Verbindung mit Smart Meter/Smart Grids und vieles andere mehr zur Systemoptimierung streiten wir nicht. Ich will nur darauf hinweisen: All das, was man bräuchte, haben wir jedenfalls in diesem Umfang heute nicht. Daraus folgt für mich wieder: Wir müssen versuchen, diesen Weg besonnen, rational, realistisch und mit der Akzeptanz der Bevölkerung zu gehen. Dabei müssen wir bedenken: Hessen ist keine Insel. Die nationalen und europäischen Rahmenvorgaben binden uns. Deshalb habe ich auch Zweifel, ob es vor diesem Hintergrund gut ist, dass man ganz stark auf Energieautonomie setzt, also autonome Energie in Hessen, wie es das Konzept einer Fraktion dieses Hauses vorsieht.

Meine Damen und Herren, in Anbetracht der Tatsache, dass wir in einer global vernetzten Welt leben, vor dem Hintergrund eines europäischen Stromverbundes, in dem Export und Import von Strom ununterbrochen eine Realität ist, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine verlässliche Grundlastversorgung immer im Kontext eines überregionalen Stromverbundes zu sehen ist, habe ich nicht nur große Zweifel, ich kann es mir nicht vorstellen, dass das sinnvoll ist, wenn wir unseren Wohlstand, unsere Arbeitsplätze hier erhalten wollen.

Deshalb ist es doch sinnvoll, dass wir daran mitwirken, dass man Energie dort gewinnt, wo man sie am sinnvollsten gewinnt: Windenergie dort, wo der Wind am meisten weht, nämlich am Meer und nicht irgendwo in Gebieten, wo er vielleicht drei, vier Stunden am Tag weht; Sonnenenergie dort, wo die Sonne am meisten scheint, z. B. in Südspanien, und nicht in einem Land wie hier, wo es so wenig Sonne gibt wie in Alaska. Daran mitzuwirken, wäre sinnvoll. Das werden wir nicht allein können.

(Petra Fuhrmann (SPD): Schon wieder Ewiggestern! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Geht das schon wieder los?)

Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern sagen, was unbestritten ist: Energie sollte so erzeugt werden, wie es möglichst effizient ist. Das, was wir zum Teil machen, ist nicht effizient. Wenn z. B. an der Nordsee bis zu 70 % der installierten Windkraftanlagen stillstehen, weil es keine Chance gibt, diese Windenergie über irgendeine Leitung in die Mitte Deutschlands zu bringen, dann ist das weder effizient noch sinnvoll, aber der beste Beweis dafür, dass wir dringend große Stromleitungstrassen brauchen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Manfred Gö- rig (SPD): Nichts verstanden!)

Meine Damen und Herren, ich warne deshalb davor, zu glauben, dass der Ausbau der dezentralen Energieversorgung die Mühen der Planung und des Baus großer Stromleitungen erspart. Wir brauchen beides. Damit dies in angemessener Zeit geschehen kann, müssen wir auch darangehen, die hoch komplizierten und langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren zu straffen und eine möglichst bundeseinheitliche Rechtsgrundlage zu schaffen. Die Hessische Landesregierung ist jedenfalls bereit, dort engagiert mitzuwirken.

Das gilt meines Erachtens gerade dann, wenn man Gaskraftwerke als eine Alternative für die nächste Zukunft sieht.

(Petra Fuhrmann (SPD): Darum geht es doch gerade!)

Wir werden auch Gaskraftwerke nur errichten können, wenn wir unser Planungs- und unser Vollzugsrecht so ändern, dass wir nicht 20 Jahre brauchen, bevor das nächste Gaskraftwerk steht.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Manfred Görig (SPD))

Nur wenn es uns gelingt, die Stromspeichertechnologien zu revolutionieren, die Netze auszubauen, können wir ernsthaft die erneuerbaren Energien langfristig zur Regelenergie aufwerten – nur dann.

Die erneuerbaren Energien eröffnen einen Markt für Technologien mit höchstem Innovationspotenzial. Dieses Innovationspotenzial wollen wir in der Forschung rund um die erneuerbaren Energien mit vielen einzelnen Punkten nutzen. Wir haben in Hessen Weltmarktführer auf diesem Gebiet. Seit vielen Jahren fördern wir Forschung und Technik gerade auch in diesem Zusammenhang und in Zusammenarbeit mit Unternehmen und Verbänden.

Lassen Sie mich dieses Kapitel mit dem notwendigen Hinweis auf den zweiten großen Block abschließen, über den wir im Großen wahrscheinlich sehr schnell einig sind: Die beste Möglichkeit, unsere Ziele zu erreichen, ist es, weniger Energie zu verbrauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Neben dem neuen Energiemix brauchen wir deshalb auch die Möglichkeit der Energieeinsparung und die Stärkung der Effizienz. Unser landesgesetzlicher Spielraum ist dort sehr, sehr überschaubar. Dort können wir vieles politisch beraten, aber nicht allzu viel beschließen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Dennoch will ich Sie abschließend einmal darauf hinweisen, was uns in der Zwischenzeit gelungen ist. Mit der Förderung der Passivhausbauweise im Gebäudebestand und in Neubaugebieten, mit der Förderung der energetischen Modernisierung von kommunalen Liegenschaften und Gebäuden, die der sozialen Infrastruktur dienen, z. B. beim Bund-Länder-Investitionspakt, oder der Förderung von Querschnittstechnologien zur effizienten Stromanwendung in der Industrie, ein besonderes hessisches Projekt, HIER genannt, haben wir erhebliche Erfolge erzielen können. Wir wollen dies fortsetzen. Aber auch hier braucht man eine Akzeptanz und ein Bewusstsein.

Deshalb schlage ich Ihnen vor: Wenn es uns gelingt, unter dem Slogan „Hessen schaltet um“ bei den Bürgerinnen und Bürgern eine große Mitmachaktion für die Energieeinsparung auszulösen, dann werden wir unsere ehrgeizigen Ziele besser erreichen als durch noch so viele bürokratische Vorschriften und viele, viele Beratungen. Was wir brauchen, um Ziele zu erreichen, ist die Zustimmung der Bürger.

(Beifall bei der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang sehe ich es mit Zuversicht, dass die Bundesregierung jetzt die Absicht hat, z. B. über das KfW-Kreditprogramm die Mittel für verbesserte Gebäudesanierung drastisch zu erhöhen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Das werden wir am Freitag beim Gipfel der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten miteinander zu besprechen haben.

Herr Schäfer-Gümbel, ich möchte Sie nur an eines erinnern: Ganz zu Beginn meiner Ausführungen habe ich gesagt, es geht heute nicht um Rechthaben oder Rechtbehalten, sondern um die Frage,

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

wie wir einen Weg gemeinsam gehen können, von dem die Menschen erwarten, dass Politik ihn geht, anstatt sich wechselweise die Vergangenheit vorzuhalten.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, nach den Ereignissen in Japan steht die deutsche und auch die hessische Politik vor besonderen Herausforderungen. Wie immer wir sie lösen – wir werden Entscheidungen zu treffen haben, die für sehr viele Jahre Bedeutung haben. Ich will niemandem zu nahe treten, aber die wenigsten werden dem Hessischen Landtag noch angehören, wenn die Entscheidungen, die wir jetzt treffen oder unterlassen, Auswirkungen für unser Land haben werden. Es handelt sich um eine Weichenstellung, die weit über diese Legislaturperiode hinausgeht.

Deshalb habe ich zu diesem Energiegipfel eingeladen. Denn ich glaube, es muss möglich sein, dass wir Grundentscheidungen nicht immer wieder von Wahl zu Wahl neu zur Diskussion stellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Hessische Energiegipfel ist eine große Chance. Wir können zeigen, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Wir können zeigen, dass wir in Hessen gemeinsam die Weichen zu einer Energiepolitik mit Augenmaß für eine gute Zukunft unseres Landes stellen. Wir können zeigen, dass der so häufig zu hörende Vorwurf, die Politik rede nur, handele aber nicht, zumindest in Hessen widerlegt werden kann.

Nutzen wir die Chance. Wir haben viel Arbeit vor uns. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Bouffier.

Ich eröffne die Aussprache zur Regierungserklärung und erteile zunächst dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Schäfer-Gümbel, das Wort.

(Günter Rudolph (SPD): Die Redezeit wurde geringfügig überschritten!)

Die Redezeit wurde leicht überschritten. Das heißt, Sie haben jetzt 47 Minuten Redezeit zur Verfügung, Herr Schäfer-Gümbel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben eben nochmals darauf hingewiesen, dass es in der heutigen Debatte nicht um Rechthaben geht, sondern dass es darum geht, die Energiewende zu gestalten. Das kann ich aus Ihrer Sicht verstehen – dass es nicht um Rechthaben geht. Aber in dieser ersten energiepolitischen Debatte nach den Ereignissen in Fukushima werden Sie es ertragen müssen, dass wir natürlich auch den Blick zurückwerfen: auf die letzten vier Wochen, die letzten acht Monate und auch auf die letzten zwölf Monate.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

An den Anfang will ich stellen, dass es bei der Energiewende um einen Dreiklang aus Energieeinsparung, Energieeffizienz und der Produktion von erneuerbarer Energie geht.

Das ist keine neue Erkenntnis. Diese Erkenntnis ist nicht in den letzten vier Wochen gereift, sondern die diskutieren wir in diesem Parlament schon seit sehr vielen Jahren, ausgehend von den energiepolitischen Vorstellungen der hessischen Sozialdemokratie 2006 unter der Führung von Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer und im Jahr 2007 unter Führung von Tarek Al-Wazir und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. In dieser Frage bewegen müssen sich nur Union und FDP – weil bisher nur die Opposition Konzeptionen geliefert hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, meine Erwartung war, dass Sie heute eine klare Botschaft zum endgültigen Aus von Biblis A und Biblis B geben – so, wie das die FDP am Wochenende auf ihrem Parteitag gegeben hat. Leider Fehlanzeige.

(Beifall bei der FDP)

Meine Erwartung war, dass Sie heute eine klare Perspektive zu Ihren eigenen Vorstellungen einer Energiepolitik formulieren. Leider Fehlanzeige.