Protokoll der Sitzung vom 13.04.2011

(Astrid Wallmann (CDU): Nichts ist okay! – Weitere lebhafte Zurufe von der CDU)

Dass man immer auf einzelne Begriffe abfährt und die hervorhebt, statt auf den Inhalt einzugehen, das ist typisch.

(Horst Klee (CDU): Sie haben es doch aufgeschrieben! Das ist doch noch schlimmer! – Holger Bellino (CDU): Unerhört ist das! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Gegebenenfalls gibt es eine sogenannte Einzelfallprüfung. – Kann ich jetzt bitte weiterreden?

(Wolfgang Greilich (FDP): Erst einmal entschuldigen! Das wäre das Richtige! – Weitere Zurufe)

Ich wollte den Begriff der Deportation nicht in Zusammenhang mit der Deportation der Juden bringen, wenn Sie das vielleicht meinen. Das wollte ich nicht.

(Holger Bellino (CDU): Das ist doch beabsichtigt! – Wolfgang Greilich (FDP): Wie denn? – Holger Bellino (CDU): Wir können auch noch einmal einen Ältestenrat machen! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Kann ich weiterreden?

Frau Kollegin Cárdenas, es ist normal, dass man eine Reaktion hat, wenn man eine relativ harte Wortwahl hatte. Sie können jetzt nicht verlangen, dass totale Stille ist. Aber ich darf trotzdem alle Beteiligten bitten, hier jetzt Ruhe zu bewahren und die Rednerin fortfahren zu lassen.

(Fritz-Wilhelm Krüger (FDP): Sie könnte sich auch einmal entschuldigen und das zurückziehen!)

Ich möchte Sie bitten, den Hintergrund des Anliegens zu sehen. Gegebenenfalls gibt es eine sogenannte Einzelfallprüfung. Meine Damen und Herren, das reicht uns nicht. Wir sind für einen Abschiebestopp.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass Deutschland mit seiner Außen- und Kriegspolitik den Zerfall Jugoslawiens mit vorangetrieben hat. Erst dadurch wurden die Roma in dieser Region in eine derart katastrophale Lage gebracht. Ihre Vertreibung aus dem Kosovo ist direkt mit der deutschen Beteiligung am NATO-Luftangriff auf Jugoslawien zu verknüpfen. Dieser Verantwortung entsprechend müssen wir handeln.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Durch uns vermittelt hatten wir kürzlich hier im Landtag die Ausstellung „Hornhaut auf der Seele“ zur zwangsweisen Deportation von Sinti und Roma aus Hessen während der Nazizeit.

(Zuruf von der CDU: Sie vergleichen das mit den Abschiebungen?)

Unsere historische Verantwortung gegenüber den Roma darf sich aber nicht in Gedenkveranstaltungen erschöpfen. Deutschland hat sich zur historischen Verantwortung für den Holocaust an den Juden bekannt und praktische Maßnahmen, wie ausländerrechtliche Sonderregelungen, in diesem Zusammenhang ergriffen – beispielsweise die gesetzliche Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge.

Auch die Roma brauchen eine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland. Deshalb fordern wir, dass sich Hessen im Bundesrat für die Übertragung des Kontingentflüchtlingsgesetzes auf die Roma einsetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Heute haben wir die Chance – und meines Erachtens auch die Verpflichtung –, den genannten Roma-Familien eine humanitäre Aufenthaltsregelung zu gewähren und ihnen

die Perspektive einer sicheren Zukunft ohne Angst zu geben.

Frau Wallmann, Sie haben quasi ein Idyll-Kosovo gezeichnet. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz in einer Pressemitteilung davor gewarnt hat, Menschen in den Kosovo „in unsichere und unwürdige Verhältnisse“ abzuschieben.

Frau Kollegin Cárdenas, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen. Gleichzeitig darf ich den Saal bitten, etwas ruhiger zu sein und die Gespräche draußen fortzusetzen.

Mein letzter Satz: Ich bitte insbesondere die große Fraktion mit dem C im Namen, sich dieser Position der Bischofskonferenz anzuschließen und einem sofortigen Abschiebestopp zuzustimmen. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Reuscher für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Cárdenas, ganz am Anfang möchte ich die Wortwahl, die Sie in diese Debatte eingebracht haben, ganz bewusst zurückweisen, in meinem Namen und im Namen meiner Fraktion, ich denke, auch im Namen der Koalition. Solche Begriffe sind hier nicht angemessen, sie sind falsch. Dafür sollten Sie sich entschuldigen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist uns allen bewusst: Die Verhältnisse im Kosovo sind nicht die besten. Das ist eines der ärmsten Länder in Europa, aber auch ein Land, das sich auf den Beitritt zur Europäischen Union vorbereitet und sich dabei sehr große Mühe gibt.

Im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes heißt es, dass die Lebensbedingungen im Kosovo für alle Volksgruppen gleich schwierig sind. Die Roma werden aber vonseiten des Staates nicht verfolgt. Es gibt interethnische Auseinandersetzungen, aber sie sind rückläufig.

Das ist auch ein Erfolg der europäischen Politik. Durch die verschiedenen Aktivitäten der europäischen Staatengemeinschaft hat sich die Lage im Kosovo zunehmend verbessert. Zu den jüngsten Erfolgen zählt auch die gelungene Präsidentenwahl.

Aus Hessen wurden im Jahr 2010 insgesamt neun Roma zurückgeführt – von 224 Roma, die im Besitz einer Duldung sind. Diese Zahlen zeigen eindeutig, dass hier eine verantwortungsvolle Rückführungspolitik vonseiten der Bundesrepublik gemacht wird. In der Praxis wird jeder Einzelfall genau geprüft, und die Reintegrationsmöglichkeiten in der Republik Kosovo werden ganz genau abgewogen.

Eine maßvolle Rückführung von Minderheiten, insbesondere die der Roma, ist unter Berücksichtigung der ört

lichen Bedingungen im Kosovo durchaus möglich und zumutbar. Nach dem Rückführungsabkommen mit dem Kosovo erfolgt eine Rückführung nur mit Zustimmung der Republik Kosovo. Die Befürchtungen, dadurch werde das Land destabilisiert, sind überhaupt nicht nachvollziehbar. Frau Wallmann hat darauf hingewiesen, in welchen Punkten hier schon Verbesserungen erreicht wurden: Wohnungen, medizinische Versorgung, Schulen, Reintegration.

(Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist eben nichts erreicht worden!)

Die Bemühungen der Europäischen Union, durch eine geordnete Rückführung eine Verbesserung der Situation zu erreichen, werden konterkariert, wenn man hier einen Abschiebestopp verlangt. Eigentlich sollte man froh sein, dass es hier so viele Bemühungen gibt, um die Situation zu verbessern. Die Lage für Minderheitsangehörige ist in den verschiedenen Gebieten des Kosovo bestimmt sehr unterschiedlich. Es gibt durchaus Gebiete, in die man zurückführen kann, und in andere Gebiete – das verbietet sich auch – wird nicht zurückgeführt. Alles erfolgt in Abstimmung mit der Republik Kosovo.

In Hessen wollen wir am bewährten Prinzip der Einzelfallprüfung weiterhin festhalten. Ich möchte hier nochmals den Petitionsausschuss ansprechen: Wir beschließen dort keine Abschiebungen. Wir bekommen diese Petitionen, weil wir ein neues Härtefallgesetz haben. Das bedeutet, jeder Härtefall muss zuerst über den Petitionsausschuss laufen. Das führt dazu, dass wir im Petitionsausschuss vermehrt auch solche Petitionen von Roma bekommen.

Ich kann eigentlich versichern – das ist mein Eindruck im Petitionsausschuss allemal –, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, um festzustellen, wie wir diesen Menschen helfen können. Ich denke, darin sind wir uns über alle Fraktionen hinweg einig.

Wenn eine besondere Maßgabe beschlossen wird, dann lautet die oftmals: Empfehlung Härtefallkommission. In dieser Härtefallkommission erst kann dann wirklich entschieden werden. Denn wir leben in einem Land, in dem Recht und Gesetz herrschen. Wir haben ein Asylrecht. Erst wenn alle möglichen gerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Instrumente ausgeschöpft sind, bleibt die Möglichkeit, diese Menschen aufgrund humanitärer Fakten hier im Lande zu behalten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Dass die Bemühungen der Europäischen Union noch weiter gehen, zeigt sich darin, dass die ungarische Ratspräsidentschaft die Absicht verkündet hat, die Integration der Roma zu einer gemeinsamen Sache Europas zu machen, also nicht nur für den Kosovo, sondern auch für Rumänien, Ungarn usw.

Als ersten Schritt hat man auf der 5. Sitzung der Europäischen Roma-Plattform die Mitteilung der Europäischen Kommission über die Rahmenstrategie vorgestellt. Die will man jetzt in breiter Öffentlichkeit diskutieren.

Ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg. Seitens der Einrichtungen des Landes, seitens der Härtefallkommission und seitens des Petitionsausschusses gibt es keinen Grund, hier einen Abschiebestopp vom Bund zu fordern. Wir hier im Land können das sowieso nur für sechs Monate beschließen. Darüber können wir nicht hinausgehen. Das ist gerade in Nordrhein-Westfalen so geschehen und läuft dort jetzt aus. Würden wir jetzt einen Abschiebestopp für sechs Monate beschließen, dann würden die

Menschen im Winter wieder abgeschoben. Das kann aber doch nicht sein.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Unter den gegebenen Umständen halten wir einen generellen Abschiebestopp und die Aussetzung des Rückführungsabkommens für nicht erforderlich. Die Praxis, die wir hier haben, ist ausreichend gut und wird den Menschen gerecht. – Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Reuscher. – Das Wort hat Herr Kollege Roth für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Bereits am 16. Dezember haben wir an dieser Stelle über einen Antrag bezüglich Abschiebung in den Kosovo debattiert. Bei diesem Antrag hat sich meine Fraktion enthalten. Das geschah aus zwei Gründen. Der erste: Es ging um eine generelle Abschiebung in den Kosovo. Der zweite: Unsere Fraktion hatte einen Berichtsantrag gestellt, der am 27. Januar im Petitionsausschuss beraten und entsprechend gewürdigt wurde.

In diesem Zusammenhang ist auf die Anzahl der Rückführungen zu verweisen. Das ist zum Teil geschehen. Der Vollständigkeit halber aber nenne ich das auch hier: In den Jahren 2005 und 2007 gab es keine Rückführungen, im Jahr 2006 zwei, im Jahr 2008 neun, im Jahr 2009 vier und im Jahr 2010 neun.

In der letzten Sitzung des Petitionsausschusses in der vergangenen Woche hatten wir sieben auf der Tagesordnung. Zumindest müssen wir die Zahl im Blick haben. Wenn ich die weitere Tagesordnung anschaue, sehe ich noch eine ganze Reihe. Der Minister hat in der letzten Debatte deutlich gemacht, dass wir sehr darauf achten, die Zahl derer, die zurückgeführt werden, klein zu halten. Mir kam die Zahl sieben in der letzten Sitzung ausgesprochen hoch vor.

Ein weiterer Punkt zur heutigen Debatte. Ich lege Wert darauf, dass wir die konkreten Petitionen unterscheiden, die wir in der Sitzung des Petitionsausschusses der vergangenen Woche entschieden haben, wo wir Einzelfälle aufgrund der jetzt bestehenden Rechtslage beraten haben, wie es andere schon gesagt haben. Etwas anderes konnten und können wir im Petitionsausschuss nicht tun. Ich will auch darauf hinweisen, dass wir Petitionen zu kosovarischen Staatsangehörigen auf der Tagesordnung hatten, wo wir einstimmige Beschlüsse zur Sach- und Rechtslage gefasst haben, die auch heute völlig unstrittig sind. Ich denke, damit einen Beitrag zu leisten, um das Thema an dieser Stelle zu versachlichen.