den und auch ein Resultat der Heimbewegung der späten Sechzigerjahre sind, immer wieder neu erkämpft und errungen werden müssen. Ich glaube, das muss man festhalten, sowohl auf der Positivseite wie auf der Seite der Verpflichtung.
Es ist schon von der Debatte über den sexuellen Missbrauch gesprochen worden, die wir demnächst fortsetzen wollen. In diesem Zusammenhang muss man sagen, dass wir, bezogen auf die Gegenwart – nicht nur auf die Vergangenheit und auf die Zukunft –, hinsichtlich der Wahrung der Menschenwürde, der Wahrung der elementaren Rechte auf körperliche Unversehrtheit und auf gewaltfreie Erziehung aller Kinder und Jugendlichen noch vieles zu besorgen haben. Da gibt es noch eine Menge zu tun, sodass wir, wenn wir über das Thema Heimerziehung reden, eben nicht nur über die Vergangenheit und nicht nur über die Zukunft reden, sondern bedauerlicherweise auch über eine schreckliche Gegenwart, die schon Gegenstand von Debatten im Hessischen Landtag war.
Natürlich muss aber auch über die Vergangenheit geredet werden – das ist ja Gegenstand dieses Antrags –, weil die Kinder und Jugendlichen – heute sind sie erwachsen –, um die es hier geht, einen Anspruch auf unser Mitgefühl, unsere Solidarität und auch darauf haben, dass daraus tatsächlich Konsequenzen für sie persönlich gezogen werden, aber eben auch im Zusammenhang mit Prävention.
Ich will dem, was hier zu einzelnen Aspekten des Antrags gesagt worden ist, nicht mehr viel hinzufügen. Im Grunde ist alles gesagt. Ich werde insbesondere nicht zu der Frage reden, welcher Betrag gegebenenfalls angemessen sein könnte. Ich glaube, dass das eine angemessene Beschäftigung für den Ausschuss ist.
Zu der Frage der Anlaufstellen: In der Tat brauchen wir die genauso wie für Opfer sexuellen Missbrauchs – für die früheren wie für die künftigen Opfer.
Abschließend: Ich will mich dem Dank anschließen, der von einigen Kollegen hier schon ausgesprochen worden ist. Ich denke, dass der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine gute Grundlage ist. Ich hoffe, dass wir im Ausschuss zu einer großen Einigkeit in dieser Frage kommen.
Schönen Dank, Herr Kollege Merz. – Für die Landesregierung hat Frau Staatssekretärin Müller-Klepper das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns alle haben die Berichte von ehemaligen Heimkindern, die in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren in hessischen Heimen und in Heimen anderer Bundesländern lebten, zutiefst erschüttert.
Die bereits erwähnte, im Oktober 2009 durchgeführte öffentliche Anhörung hier im Landtag hat gezeigt, dass emotionale Verwahrlosung, aber auch Missbrauch und
körperliche Misshandlung in vielen Einrichtungen an der Tagesordnung waren. Auch wenn sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemüht haben, in schwieriger Zeit und unter schwierigen Bedingungen den ihnen Anvertrauten eine Heimat zu geben, so haben doch allzu viele ihre Macht über andere missbraucht und ihnen schwere psychische und physische Verletzungen zugefügt. Bei dieser Anhörung haben wir einen Einblick in das Leid und in das Unrecht bekommen, das es in der Heimerziehung vielfach gab, einen Einblick in die Wunden, die den Betroffenen in jungen Jahren geschlagen wurden und die unauslöschlich fortwirken. So wirkt dieses grausame Geschehen fort in nachhaltigem Schmerz. Es war in den Aussagen, in den Berichten und Schilderungen spürbar, wie die Betroffenen mit diesen Auswirkungen und mit ihrem Schicksal ringen.
Die Kindheit bestimmt das Leben. Die Tatsache, dass in jungen Jahren die Basis für die weitere Entwicklung gelegt wird, hat hier in tragischer Dimension mit teilweise traumatischen Auswirkungen ihren Niederschlag gefunden.
Meine Damen und Herren, wenn man sich der Gesamtverantwortung stellen will – und wir wollen dies tun –, dann darf es nicht bei der Information und Aufklärung über dieses menschenverachtende Verhalten bleiben. In einem ersten Schritt hat der Landtag in einem Entschließungsantrag im vergangenen Jahr Stellung bezogen, sein tiefstes Bedauern ausgedrückt und sich bei den Betroffenen für das erlittene Unrecht entschuldigt. Der Anerkennung des Unrechts und der Bitte um Verzeihung muss in einem zweiten Schritt ein konkreter Maßnahmenkatalog folgen. Der vom „Runden Tisch Heimkinder“ in seinem Schlussbericht vorgelegte Vorschlagskatalog ist ein guter Ansatzpunkt. Wir sollten hier anknüpfen, wie es der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert.
Wir im Sozialministerium arbeiten bereits daran, die Empfehlungen des runden Tisches umzusetzen. Im vergangenen Jahr haben wir bereits sichergestellt, dass alle im Ministerium noch vorhandenen Aufsichtsakten weitere 50 Jahre aufbewahrt werden. Nach Ablauf dieses Zeit raums wird erneut geprüft, ob eine weitere Verlängerung angezeigt ist. Gegenwärtig wird geprüft, ob Akten, die sich bei Trägern, in Heimen oder bei Jugendämtern befinden, im Hessischen Staatsarchiv aufbewahrt werden können. Den anfragenden ehemaligen Heimkindern wird problemlos und unbürokratisch Akteneinsicht gewährt. Außerdem unterstützen wir die Aufarbeitung der Akten und Dokumente zur Heimerziehung in Einrichtungen des Landeswohlfahrtsverbandes.
Meine Damen und Herren, der runde Tisch schlägt vor, regionale Anlauf- und Beratungsstellen zu schaffen, die niedrigschwellig angesiedelt sind und eine Lotsenfunktion übernehmen.
Derzeit prüfen wir, von wem und wo das Beratungsangebot vorgehalten wird und ob ein solches Angebot an bereits vorhandene Strukturen angedockt werden kann. Es wird auf diese Weise eine zusätzliche Unterstützung und Begleitung für die ehemaligen Heimkinder geben, beispielsweise bei der Einsicht in die Akten, bei der Ermittlung und Durchsetzung von Ansprüchen, bei der Suche nach therapeutischen Einrichtungen und bei der Aufnahme von Kontakten zu den Leistungsträgern.
Weiterhin stellen wir bereits jetzt einen Ansprechpartner für das Thema zur Verfügung, und wir werden uns in die Finanzierung der Geschäfts- und Infostelle des runden Tisches, die wir bereits in den vergangenen Jahren über
nommen haben, auch zukünftig einklinken, damit es hier eine Anlaufstelle für die ehemaligen Heimkinder gibt und ihre Arbeit fortgesetzt werden kann.
Der zweite Schwerpunkt der Vorschläge des runden Tisches ist die finanzielle Unterstützung, die ermöglicht werden soll, um die Folgen aufzuarbeiten oder behandeln zu lassen, individuell abzumildern oder auszugleichen.
Meine Damen und Herren, dies kann und muss gemeinsam geschultert werden: vom Bund, den Bundesländern, den Kommunen, in Hessen auch vom Landeswohlfahrtsverband sowie von den Kirchen mit den Wohlfahrtsverbänden und Ordensgemeinschaften.
Es sind ein Rentenersatzfonds als Ausgleich für geminderte Rentenansprüche sowie ein Fonds für Folgeschäden vorgeschlagen worden, um dem besonderen Hilfebedarf gerecht zu werden. Der runde Tisch hat sich darüber hinaus für die finanzielle Unterstützung einer überindividuellen Aufarbeitung ausgesprochen, also für eine verstärkte wissenschaftliche Aufarbeitung der Heimerziehung und das Erarbeiten von Ausstellungen und Dokumentationen, aber auch von Symbolen des Gedenkens. Wir planen vorbehaltlich des Haushalts eine finanzielle Beteiligung an den Kosten für die Publikation des LWV zu dem Thema wissenschaftliche Aufarbeitung der Akten.
Für all diese Maßnahmen kalkuliert der runde Tisch 120 Millionen € ein. Ich gehe davon aus, dass sich die hessischen Kommunen inklusive des Landeswohlfahrtsverbands Hessen entsprechend dem Finanzierungsmodell, das Herr Mick bereits vorgestellt hat, an den Kosten des hessischen Anteils beteiligen. Das Land würde – vorausgesetzt, diese Beteiligung der kommunalen Seite erfolgt – Mittel in Höhe von 2,2 Millionen € zur Verfügung stellen.
Frau Staatssekretärin, ich möchte darauf hinweisen, dass die Redezeit der Fraktionen abgelaufen ist.
Hinzu kommen eventuell noch Kosten für die Finanzierung der regionalen Anlauf- und Beratungsstellen.
Ich möchte zum Abschluss kommen. Ich gehe davon aus, dass wir im Sozialpolitischen Ausschuss diese wichtigen Fragen und Vorschläge im großen Konsens erörtern und auch zu einer gemeinsamen Lösung kommen werden. Wir arbeiten im Ministerium bereits parallel daran, möglichst zügig die Voraussetzungen und Strukturen zu schaffen, die für die Verwirklichung erforderlich sind. Ich gehe davon aus, die Diskussion und die Umsetzung werden in einem breiten Konsens erfolgen, wie es der Bedeutung und der Schwere des Themas angemessen ist. – Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Müller-Klepper. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit sind wir am Ende der Aussprache.
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Einführung von Islamunterricht bzw. Islamkunde an hessischen Schulen – Drucks. 18/3601 –
Dringlicher Antrag der Abg. Merz, Roth, Habermann, Faeser, Dr. Spies, Siebel (SPD) und Fraktion betreffend Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts – Drucks. 18/3684 –
Die Redezeit beträgt vereinbarungsgemäß fünf Minuten je Fraktion. Als Erste hat Frau Öztürk das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir möchten heute im Plenum gern noch einmal mit Ihnen über das Thema „Einführung von Islamunterricht bzw. Islamkunde an hessischen Schulen“ diskutieren. Wir haben nämlich das Gefühl, dass die Hessische Landesregierung wie üblich eine Unterstützung der Opposition braucht, und wir sind immer gern bereit, zu diesem Thema fraktionsübergreifend Vorschläge zu machen.
Wir fordern heute die Landesregierung noch einmal auf, ihren Worten Taten folgen zu lassen und endlich erkennbare Schritte zu gehen; denn in anderen Bundesländern, etwa in NRW oder in Niedersachsen, passieren interessante Dinge, auf die ich gleich eingehen möchte. Wir im Lande Hessen warten vergeblich darauf.
Wir haben die Arbeit des runden Tisches zum Anlass genommen, den es im Lande Hessen seit 2009 gibt. Alle haben sich natürlich gefragt, ob der runde Tisch die Anerkennung des Ansprechpartners unterstützt, damit wir da einen Schritt weiterkommen. Im Januar 2011 haben wir vernommen, dass es zwei Anträge von Mitgliedern des runden Tisches gibt: Der Landesverband der DITIB und die Ahmadiyya haben Anträge gestellt. Diese Anträge werden jetzt sehr sorgfältig geprüft. Das finden wir gut.
Wir möchten aber auch an Folgendes erinnern. Wenn diese beiden Anträge positiv beschieden werden sollten, haben wir kein Problem und fangen hoffentlich ganz schnell mit islamischem Religionsunterricht an. Sollten die Anträge aber nicht positiv beschieden werden, brauchen wir einen Plan B. Dieser Plan B kann nicht in der Einführung eines Ethikunterrichts bestehen, wie es schon vor zehn Jahren möglich gewesen wäre, sondern aus grüner Sicht kann das nur – im Sinne eines Zwischenschritts – Islamkunde sein. Dafür möchten wir hier heute noch einmal werben.
Heute war Bundespräsident Wulff hier im Landtag, der, mit Unterstützung des Staatssekretärs Brockmann, in Niedersachsen bereits sehr früh einen islamischen Religionsunterricht als Modellversuch eingeführt hat. Er hat auch heute noch einmal unterstrichen, wie wichtig es ist, die Anerkennung des Islams voranzubringen und zu unterstützen.
Wir möchten daran erinnern, dass sich die Deutsche Islamkonferenz seit 2006 mit dieser Fragestellung befasst. Sie hat unter der Federführung des damaligen Bundesinnenministers Schäuble einen Vorschlag gemacht, wie man den Zeitraum, in dem es noch keinen Ansprechpartner gibt, überbrücken kann. Dieser Vorschlag sieht eine Beiratslösung vor: eine Kooperation mit den lokalen musli
mischen Verbänden vor Ort für einen befristeten Zeit raum. Das entspricht dem, was gerade in Nordrhein-Westfalen umgesetzt wird und was auch das Land Niedersachsen mittlerweile praktiziert.
Ich muss mich natürlich fragen: Warum können andere Bundesländer in dieser Frage erhebliche Erfolge erzielen, und warum diskutiert das Land Hessen seit zehn Jahren nur immer wieder über diese Frage und kann keinen Erfolg vorweisen? Fehlt hier der politische Wille?
Ich möchte klarstellen, dass wir, wenn der politische Wille vorhanden wäre – mittlerweile fangen wir GRÜNE an, daran zu zweifeln –, viel weiter sein könnten.
Deswegen ist es uns wichtig – wir haben eine Kleine Anfrage eingereicht –, dass einfach einmal erläutert wird, wie das Prüfungsverfahren aussieht und, vor allen Dingen, wie man mit einer negativen Entscheidung umgehen wird. In Nordrhein-Westfalen hat es, zunächst unter einer SPD-geführten rot-grünen Regierung und später unter Integrationsminister Armin Laschet im Rahmen einer schwarzgelben Regierung, seit Jahren Islamkunde gegeben. Jetzt, mithilfe eines Beirats, nähert man sich dem islamischen Religionsunterricht. Die Beispiele aus Niedersachsen haben wir schon aufgezählt.
Wir GRÜNE haben letztes Jahr in Hessen gemeinsam mit Experten eine Veranstaltung durchgeführt, auf der wir Ihnen vorgeschlagen haben, entweder als ersten Zwischenschritt Islamkunde einzuführen oder jetzt endlich einmal loszulegen und zu überprüfen, ob eine Beiratslösung auch in Hessen möglich wäre. Der runde Tisch ist vorhanden. Der runde Tisch ist gewillt, in diese Richtung zu gehen. Wichtig ist nur, dass entweder das Land Hessen eine klare Aussage trifft oder dass sich die FDP endlich gegenüber dem Koalitionspartner CDU durchsetzt.
Nur eines muss Ihnen klar sein: Hopp oder Top hat bisher noch in keinem Bundesland funktioniert. Von null auf 100 ist man in keinem Bundesland gekommen. In Hessen wird das ebenfalls nicht funktionieren. Wir brauchen Zwischenschritte.