Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

Drittens. Im Saarland hat die SPD den Vorschlag der Koa lition abgelehnt.

Zu diesen drei Punkten würde ich gerne etwas sagen. Dann wird es umso erstaunlicher, dass die hessischen GRÜNEN offenbar gerade diesen Prozess und dieses Ergebnis als Vorbild für eigene schulpolitische Weichenstellungen begreifen.

Erstens zu Kultusminister Kessler. Kultusminister Kessler hat 2009 schon einmal bildungspolitisches Aufsehen mit der bemerkenswerten Aussage erregt, fünf Jahre Grundschule sind besser als vier. – Das war das, was den saarländischen GRÜNEN von ihrer Forderung nach längerem gemeinsamem Lernen übrig geblieben ist. Das war ein Kuhhandel, den die SPD Gott sei Dank abgelehnt hat, denn es ist bildungspolitischer Unfug, und es gab keine Begründung dafür – außer dem Wunsch, das Parteiprogramm der GRÜNEN, in dem „zehn Jahre“ stand, wenigs tens so umzusetzen, dass aus vier Jahren fünf Jahre wurden. Das ist für mich aber nicht der große bildungspolitische Wurf.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Umsetzung der Gemeinschaftsschule hat dieser Kultusminister jetzt aber endgültig Abschied von einer Konzeption genommen, die nicht nur ein neues Türschild trägt, sondern auch in der Lage ist, Kinder besser und individueller zu fördern. Die Liberalen im Saarland rühmen sich, dass der Bildungshaushalt nicht aufgestockt wird: Gemeinschaftsschule zum Nulltarif. Ministerpräsident Müller erklärt, es gebe keine Privilegien für die Gemeinschaftsschule, und meint damit, dass die neue Schulform für ihre Aufgabe nicht adäquat ausgestattet wird. Aber, Herr Irmer: Gleich ist nicht gleich. Eine Schule, die heterogen unterrichtet, in Vielfalt unterrichtet, braucht andere Ressourcen als eine Schule, die der Ansicht ist, dass man homogene Lerngruppen bilden und die Schüler so fördern kann.

(Beifall bei der SPD)

Bildungsminister Kessler redet auch nicht mehr über kleinere Klassen für ein individuelles Arbeiten. Der Klassenteiler von 29 Schülern bleibt im Saarland für die Gymnasien ebenso bestehen, wie er für die Gemeinschaftsschulen gelten soll. Was sagt DIE LINKE dazu? Fraktionschef Oskar Lafontaine bringt es in der „Saarbrücker Zeitung“ auf den Punkt:

Wir wollen, dass der Unterrichtsausfall deutlich reduziert wird. Dabei ist jetzt nicht entscheidend, ob 28 oder 30 Schüler in einer Klasse sitzen.

So lautet die bildungspolitische Kernthese der LINKEN in Saarbrücken.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was sagt Frau Cárdenas dazu? Das wäre interessant!)

Mathias, wenn es die saarländische LINKE nicht versteht, wenn es die saarländischen GRÜNEN offenbar auch nicht verstehen, du weißt doch, dass eine Gemeinschaftsschule, die bei euch „Neue Schule“ heißt, scheitern muss, wenn die notwendigen Ressourcen nicht bereitgestellt und keine Lerngruppen eingerichtet werden, in denen Binnendifferenzierung und individuelle Förderung von Kindern mit ganz vielfältigen Begabungen umgesetzt werden können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, dass Hessen genug Beispiele dafür vorzuweisen hat – da muss ich gar nicht weit aus der eigenen Partei hinausgehen –, was aus guten Konzepten wird, wenn man sie den Schulen aufbürdet, ohne diese dafür entsprechend auszustatten. Es war deshalb für die saarländische SPD folgerichtig, diesem Flickenteppich die Zustimmung zu versagen. Heiko Maas hat es auf den Punkt gebracht:

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wir sind hier in Hessen!)

Uns geht es nicht um den kleinsten parteipolitischen Nenner, sondern um den größtmöglichen bildungspolitischen Fortschritt.

Ich glaube, den kann man im Saarland nicht unbedingt erkennen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sehen wir aber anders!)

Das sehen Sie jetzt wieder anders. Das freut mich aber, Herr Irmer. Das Schema muss ja wieder passen.

Immerhin entwickelt die Jamaikakoalition in Saarbrücken den Mut zu notwendigen schulstrukturellen Entscheidungen – ich spreche ausdrücklich von Mut und nicht von Hochmut, Mathias –, der einer weiteren Zersplitterung des Schulsystems entgegenwirken soll und bildungspolitische und demografische Erkenntnisse aufgreift. Eine Hauptschule gab es im Saarland längst nicht mehr. Jetzt werden die erweiterte Realschule – ich empfehle einen Blick in den Schulgesetzentwurf der hessischen SPD – und die Gesamtschule durch eine neue Gemeinschaftsschule ersetzt.

(Zurufe von der CDU)

Ich denke, davon könnten die hessischen GRÜNEN in der Tat etwas lernen. Sie kritisieren zwar zu Recht die Mittelstufenschule der Koalition, wollen sie aber lediglich durch ihre neue Schule ersetzen, die konzeptionell zwar gut ist – es ist ja unsere Konzeption der Gemeinschaftsschule –, die aber, wie Sie selbst sagen, neben die anderen

Schulformen im Hessischen Schulgesetz gestellt werden soll. Die Zahl der Schulformen wird nicht kleiner. Wie Sie das mit der wohlfeilen Forderung eines Zwei-Säulen-Modells, das Sie suggerieren, umsetzen wollen, ist mir bis jetzt nicht begreiflich geworden.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hans-Jürgen Ir- mer (CDU))

Gemeinsam ist der Koalition und den GRÜNEN das Prinzip Hoffnung. So, wie die GRÜNEN hoffen, dass ihre neue Schule ganz von selbst den Siegeszug in Hessen antreten wird und die anderen Schulformen sich dadurch vereinen, hofft die Koalition nun darauf, dass die Mittelstufenschule der Hauptschule neues Leben einhauchen kann. Beides sind nicht die Wege, die Schulen Hessens zukunftsfähig zu machen. Wir brauchen zwar Wege, die freiwillig beschritten werden können, aber wir brauchen auch strukturelle Entscheidungen in diesem Land, damit die richtigen Wege eingeschlagen werden.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Habermann, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Ich will mit Goethe schließen. Warum denn in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah. – Statt Saarbrücker Verhältnisse zu analysieren, hätten wir uns eine sachliche und offene Diskussion über den besten Weg in Hessen gewünscht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben doch über das Saarland gesprochen!)

Mit unserem Gesetzentwurf haben wir dazu eine Grundlage geliefert. Die ist vom Saarland völlig unabhängig.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Das Wort hat Frau Kollegin Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Was im Saarland geschehen ist, ist unseres Erachtens ein Schritt in die richtige Richtung. Auch dort hat ein Umdenkprozess begonnen. Denn: Was brauche wir, um ein gutes und gerechtes Bildungssystem zu schaffen? Den Abbau sozialer Diskriminierungen. Keine Schnellstraße hin zum Abitur, sondern Rückkehr zu G 9. Wir brauchen wohnortnahe Schulen, kleinere Klassen und regelmäßig stattfindenden Unterricht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das mit den kleineren Klassen müssen Sie Herrn Lafontaine erzählen!)

Herr Irmer, lassen Sie mich bitte ausreden. – Wir brauchen gut bezahlte Lehrer und Lehrerinnen mit einer ausgezeichneten Ausbildung. Und wir brauchen das gemeinsame Lernen aller Schülerinnen und Schüler, seien sie aus einkommensschwachen Familien, seien sie körperlich beeinträchtigt, lernschwach, hochbegabt oder mit Flüchtlingsgeschichte – und dieses gemeinsame Lernen brau

chen wir so lange wie möglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Saarland hat sich auf den Weg in eine gerechtere und bessere Bildungslandschaft gemacht. Mit diesem Beschluss, bei dem Die LINKE quasi in die Bresche gesprungen ist, weil sich die SPD verabschiedet hatte

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

danke schön –, hat sie ermöglicht, dass es demnächst Gemeinschaftsschulen geben kann.

Wir von der LINKEN dachten, die Chance, die Gemeinschaftsschule in die Verfassung zu schreiben, sollte unbedingt ergriffen werden. Eine Garantie, dass das Saarland den Weg so weitergeht, wie wir uns das wünschen, gibt es allerdings nicht. Die Saarländer Genossinnen und Genossen haben abgewogen und sind das Risiko eingegangen.

Denn eines muss klar sein: Das Zwei-Säulen-Konzept – oder sind es gar noch mehr Säulen – kann und darf nicht die Perspektive oder gar das Ende der Entwicklung sein. Wir wollen kein Gymnasium, das unangetastet bleibt, das wie bisher seine Muskeln spielen lassen darf und mit Sitzenbleiben und Abschulen in andere Schulformen seine Machtposition ausbaut, das womöglich die Gemeinschaftsschule zwingt, die vom Gymnasium ausgespuckten Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, um ihnen die Chancen zu geben, die ihnen berechtigterweise zustehen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Es ist unglaublich, was Sie für einen Blödsinn erzählen! Das ist eine Diffamierung aller Gymnasialschüler!)

Wir wollen keine Schüler erster und zweiter Klasse. Das heißt, viele Fragen sind noch offen und müssen politisch ausgefochten und unseres Erachtens im ausgeführten Sinne beantwortet werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie wollen eine sozialistische Schule à la Ostzone! Okay, gehen Sie wieder rüber! – Weitere Zurufe von der CDU)

Mit einem Zwei-Säulen-Modell selektiert man noch immer und zementiert die Schulform Gymnasium, auf die alle Selektion doch hinzielt. Unsere Vorstellung von einer Gemeinschaftsschule ist, dass sie als Regelschule inklusiv arbeitet und damit alle anderen Sekundarstufenschulformen, also auch das Gymnasium, ersetzt.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sozialistische Einheitsschule, das sage ich doch! „Freiheit oder Sozialismus!“, das ist die Botschaft! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Ewiggestrig! – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die Ewiggestrigen sitzen da drüben!)

Herr Wagner, das bedeutet natürlich auch, dass wir Punkt 1 nicht zustimmen können, in dem das Zwei-Säulen-Modell begrüßt wird.

Weiter spricht für die Gemeinschaftsschule, dass es dort keinen G-8-Zweig gibt. Schule im Schnelldurchlauf ist nicht nur sinnlos, sondern – –

(Unruhe)

Würden Sie bitte einmal?

Meine Damen und Herren, es spricht zwar nichts gegen eine muntere Debatte, aber man sollte die Rednerin noch