Kürzungen oder gar die Abschaffung würde es mit uns nicht geben – zumal ein liberaler Rechtsstaat immer angreifbarer ist als andere. Die Freiheit, die er bietet, wird erst dadurch möglich, dass er nicht totalitär ist, dass er Widerspruch zulässt, dass er im extremen Fall sogar seinen ärgsten Feind an seiner eigenen Brust nährt, wie es Hans Kelsen bereits in den Dreißigerjahren sinngemäß formuliert hat. Daher muss ein demokratisches Gemeinwesen beides tun:
Meinungsfreiheit und andere Grundrechte sichern und das rechtlich Mögliche ausschöpfen, um Verfassungsfeinden das Handwerk zu legen.
Unser Land hat schon einmal bitter dafür bezahlen müssen, dass seine Verfassung nicht ausreichend geschützt war.
Auch die strukturellen Schwächen der Weimarer Verfassung haben der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft den Weg geebnet.
Aus diesen Entwicklungen haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes gelernt. Eine wehrhafte Demokratie kann eben ohne Organe zu ihrem Schutz nicht auskommen.
Weniger Verfassungsschutz bedeutet weniger innere Sicherheit, und weniger innere Sicherheit bedeutet mehr Unsicherheit.
Die historischen Erfahrungen haben schmerzhaft gezeigt, dass gerade die menschenverachtende Ideologie des Rechtsextremismus eine Bedrohung unseres Staates ist, die mit aller Kraft bekämpft werden muss. Das sozialistische Experiment der DDR und der Terror der RAF haben gezeigt, dass der Linksextremismus ebenfalls gefährlich ist.
Meine Damen und Herren, die Feinde der Verfassung müssen bekämpft werden, egal, aus welcher Richtung sie kommen, auch wenn sie – in Anführungszeichen – religiös begründet sind, wenn sie Verblendete zu menschlichen Bomben umfunktionieren. Ich denke, auf die besonderen Gefahren des radikalen Islamismus muss ich an dieser Stelle nicht gesondert eingehen.
In Hessen setzen wir die Prioritäten richtig in der Ausstattung und Aufwertung des Verfassungsschutzes in der Schwerpunktsetzung. Wir sind in diesen Tagen noch mehr als sonst auf die gute Arbeit des Landesamtes angewiesen. Die Terrorgefahr ist groß. Dies zeigt, dass auch die gesetzgeberischen Bemühungen um die innere Sicherheit größer sein müssen, als sie ohnehin schon sind. Wir werden uns deshalb dafür einsetzen, dass der Staat seine Abwehrpotenziale ausschöpft.
Prävention, Information und Unterstützung der Sanktionen bilden den Dreiklang zum Schutz unserer Verfassung. Das Frühwarnsystem für Gefahren der demokratischen Grundordnung wird deshalb auch in Zukunft gebraucht werden. Wir hoffen, dass der Alarm nicht allzu oft anschlägt, aber immer dann, wenn es erforderlich ist.
Wir danken abschließend den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Amtes für die gute Arbeit. Wir werden auch künftig dafür sorgen, dass das Frühwarnsystem zur Verhinderung von Angriffen auf Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in unserem Land und zum Schutz der Demokratie funktionsfähig bleibt. So erhalten wir Einigkeit, Recht und Freiheit. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Bellino, es ist ein wichtiges Thema, über 60 Jahre Verfassungsschutz in Hessen zu reden.
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber vier Abgeordnete der SPD sind nur da – bei diesem wichtigen Thema! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Und die Regierung ist ganz zahlreich vertreten?)
Herr Dr. Wagner, wenn man das Thema so anfasst wie Sie, so undifferenziert, dann kann ich Ihnen auch erklären, warum das Interesse an diesem Thema nicht so groß ist. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Thema hier sehr viel differenzierter aufgearbeitet wird.
Man kann nicht über 60 Jahre Historie des Verfassungsschutzes reden – dann aber nur eine Lobeshymne auf die andere häufen. Das wird dem Thema sicherlich nicht gerecht.
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ganze vier Abgeordnete – und Sie sagen, das ist ein wichtiges Thema!)
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat, der den Bürgerinnen und Bürgern ein Höchstmaß an Freiheit garantiert. Dieses unverzichtbare Grundrecht nehmen aber auch solche Personen, Vereine und Parteien in Anspruch, die den demokratischen Staat beseitigen oder gefährden wollen.
Solchen verfassungsfeindlichen Bestrebungen gilt es zu begegnen. Zu den Instrumenten der wehrhaften Demokratie gehört die im Grundgesetz verankerte Tätigkeit der Behörden für den Verfassungsschutz. Hier in Hessen ist es das Landesamt für Verfassungsschutz.
Dr. Joachim Gauck – den wir auch in einer besonderen Form unterstützt haben – hat anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Bundesamtes für Verfassungsschutz von der wehrhaften Demokratie und dem Erfordernis, diese auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu verteidigen, gesprochen. Er sprach die veränderten Bedrohungen im Bereich des Verfassungsschutzes an, und ich darf ihn hier zitieren:
Wir sind gut beraten, wenn wir das, was wir heute wissen, als für die Zukunft nicht ausreichend ansehen. Wir müssen immer weiter lernen – das sehen wir an den immer neuen Bedrohungen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Ich glaube, das zeigt auch die differenzierte Arbeit dieser Behörde. In den letzten 60 Jahren hat der Verfassungsschutz in Hessen einen sehr wichtigen Beitrag zur Festigung und für den Schutz der Demokratie in Hessen geleistet. Ja, das stimmt.
Deshalb möchten auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre Arbeit sehr herzlich danken. Herr Desch, ich hoffe, Sie nehmen das mit.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben eine hohe Verantwortung. Deshalb gilt es auch, die gesellschaftlichen Zusammenhänge, das große Ganze, nicht aus dem Auge zu verlieren und die Demokratie auch mit ihren Werten, unseren freiheitlichen Lebensweisen, immerfort mit Herz und Kopf zu verteidigen. Das gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Die Ausgestaltung des Landesamtes für den Verfassungsschutz wurde aufgrund der Erfahrungen des Dritten Rei
ches unter der Regierung von Dr. Georg August Zinn so organisiert, dass nur verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende Bestrebungen beobachtet und im Sinne einer wehrhaften Demokratie relevante Stellen informiert wurden. Ziel war und ist es bis heute, die Demokratie handlungsfähig zu machen.
Am 28.02.1951 wurde vom damaligen Innenminister Zinnkann ein Gesetzentwurf mit nur fünf Paragrafen hier in den Hessischen Landtag eingebracht. In § 1 beinhaltete er zunächst die Anbindung des Verfassungsschutzes an den Ministerpräsidenten und dann eine Zuordnung zum Innenminister. Ich empfehle einen Blick in das Protokoll. Das kann historisch ganz interessant sein: Das geschah ohne jegliche Aussprache.
(Lachen des Abg. Timon Gremmels (SPD) – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Weil sie sich einig waren!)
Es gab keinerlei Beteiligung des Parlaments. Es bestand eine hohe Einigkeit – Herr Dr. Wagner, da haben Sie recht. Historisch ist das sicherlich sehr interessant.
Bereits damals war es in § 2 vorgesehen, dem Landesamt für Verfassungsschutz bewusst – und in Abgrenzung zur Polizei – keine polizeilichen Befugnisse zu übertragen.
An diesen beiden grundsätzlichen Entscheidungen hat sich von damals bis heute nichts geändert. Allerdings wissen Sie auch: Die Zahl der Vorschriften in diesem Gesetz hat sich verfünffacht. Ebenso vervielfacht haben sich die Aufgaben dieses Landesamtes. Damit ist auch der Verfassungsschutz in Hessen einem stetigen Wandel unterworfen. Das gilt insbesondere für die Aufgaben des Verfassungsschutzes – das hat der Kollege Bellino gesagt –, die stets demokratisch legitimiert sein müssen, das vorgenannte Trennungsgebot zu beachten haben und insbesondere im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle regelmäßig hinterfragt werden dürfen.
Wenn man sieht, welche Themenbreite in den letzten 60 Jahren Bestandteil der Arbeit des Verfassungsschutzes war, sieht man, wie komplex diese Arbeit ist und wie viel Fingerspitzengefühl gerade in diesem Bereich erforderlich ist.
Das bedeutet aber auch, dass ein zukunftsorientierter Verfassungsschutz die Nachrichtengewinnung ständig verbessern muss. Nach wie vor wird ein erheblicher Teil der Informationen aus öffentlichen Quellen bezogen. Dabei spielt – das wissen auch wir als Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission, wir waren ja schon im Landesamt – das Internet eine immer wichtigere Rolle.
Dazu gehört – das spreche ich auch gerade vor dem Hintergrund Ihres Lobantrags an – möglicherweise auch eine personelle Verstärkung in diesem Bereich, um auf die neueren technischen Entwicklungen reagieren zu können, zumal sich zunehmend auch die kriminellen Vereinigungen dieser Mittel bedienen.
Erwähnen möchte ich insbesondere die erfolgreiche präventive Arbeit des Verfassungsschutzes. Auch darauf ist Herr Bellino kurz eingegangen. KOREX wurde als eines der Programme genannt. Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil. Den hätten wir auch gerne in Ihrem Antrag gesehen.