Vielen Dank, Herr Wagner. – Wie vorhin schon angekündigt: Nächster Redner ist Herr Kollege Döweling für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Wagner, diese Lesart des Schulgesetzes zeigt mir ganz klar eines: erstens, dass Sie es nicht gelesen haben, oder, zweitens, dass Sie es möglicherweise nicht verstanden haben. Das ist für mich ganz deutlich geworden.
Wenn ich mir die Punkte anschaue, die Sie in den fünf Minuten Redezeit – zugegebenermaßen ist das nicht allzu viel – gebracht haben, dann zeigt das wiederum eines: Die GRÜNEN machen eine reine Klientelpolitik. Herr Wagner, Sie haben sich nur immer und immer wieder an dem Thema Inklusion abgearbeitet.
Beim letzten Mal habe ich Ihnen gesagt, ich möchte von Ihnen einmal etwas zu einer weiteren, zu der zentralen Aussage des Gesetzes hören. Daran wird sich die Kultusministerin sehr wohl messen lassen können; denn das ist etwas, worum uns in ganz Deutschland die anderen Bundesländer beneiden: Das ist die Einführung der selbstständigen Schule hier in Hessen. Das gibt es in keinem anderen Bundesland in diesem Maße, wie wir das mit dem heutigen Tage beschließen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann dazu nur sagen: Das war ein hartes Stück Arbeit. Aber es hat sich gelohnt. Vom heutigen Tage an werden Schulen die Möglichkeit haben, selbstständiger, freier zu agieren. Zunächst einmal wird es für alle Schulen einige Verbesserungen geben. Und den Schulen, die noch weiter in die Selbstständigkeit gehen wollen – ich weiß, viele Schulen wollen das, die warten darauf –, werden wir diese Tür ein großes Stück weit aufmachen, und wir werden ihnen die Möglichkeit geben, durch diese Tür zu gehen: personellorganisatorische Entscheidungen zu treffen und ein eigenes pädagogisches Profil zu entwickeln.
Das ist ein großer Tag für Hessens Schulen, und ich denke, das ist auch ein guter Tag für die Kultusministerin.
Frau Kollegin Habermann, ich muss zugeben, Sie haben dieses Thema hier immerhin gewürdigt. Aber Sie sagten, die selbstständige Schule, die wir wollen, sei nicht demokratisch. Dann frage ich Sie: Was ist demokratischer, als es den Schulen freizustellen, in die Selbstständigkeit zu gehen – nach den Beschlüssen aller Gremien in der Schule, in denen Schüler, Eltern, Lehrer und die Schulleitung einbezogen sind und mit entscheiden können? Was ist demokratischer als ein solches Verfahren zu einer selbstständigen Schule? Das ist doch die Frage, die sich mir bei Ihren Ausführungen stellt.
Das fängt bei den personellen und den organisatorischen Freiheiten an, bei der Rechtsfähigkeit für die beruflichen Schulen, die sie im Rahmen des Hessencampus erwerben können – ein ganz wichtiger Punkt. Daran werden sich noch einige andere Bundesländer ein Beispiel nehmen. Das ist eine außerordentlich gute Sache, die wir hier auf den Weg bringen.
Einen Punkt möchte ich noch hervorheben, der für uns ganz besonders wichtig ist: Wir als FDP-Fraktion – und auch die Kollegen von der CDU – stehen für die Schulvielfalt.
Wir wollen Schulvielfalt, wie wir sie in Hessen haben: mit der Hauptschule, der Realschule, dem Gymnasium, den Gesamtschulen in den beiden Formen, die es gibt, den Oberstufengymnasien, auch den Förderschulen.
Und wir bieten einen neuen Weg an: die Mittelstufenschule, um eine Antwort auf die demografischen Probleme zu geben, aber auch, um ein neues pädagogisches Konzept für Haupt- und Realschulbildungsgänge anzubieten.
Wahlfreiheit und Schulvielfalt sind die beiden Leitlinien, die diesem Schulgesetzentwurf zugrunde liegen. Das ist ein absolut positiver Aspekt, und Sie haben ihn nicht ausreichend gewürdigt. Oder Sie haben es, wie gesagt, nicht richtig gelesen, Frau Habermann.
Ich möchte auch auf das große Thema der Inklusion zu sprechen kommen, auch wenn die Zeit sehr knapp ist. Ich denke, es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, den wir in Hessen vollziehen. Die inklusive Beschulung wird mit diesem Schulgesetz von der Ausnahme zur Regel werden.
Das ist, was die UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt, Herr Kollege Wagner, auch wenn Sie jetzt „Quatsch“ sagen.
Es ist richtig angesprochen worden: Wir waren mit dem Schulausschuss in Kanada und haben es uns dort angeschaut. Die machen es seit 25 Jahren. Aber auch da ist noch längst nicht alles gelöst. Auch da sind noch längst nicht alle Ressourcen, wie sie sein müssten. Jeder sagte uns dort, es ist ein weiter Weg, und wir begeben uns mit dem heutigen Tag in Hessen auf diesen Weg.
Wenn man den Menschen dann sagt, mit Ihrem Schulgesetz wäre es ab dem nächsten Schuljahr gut und umgesetzt, dann kann ich nur sagen: Das ist unredlich, denn es ist ein weiter Weg. Im Sinne der Betroffenen müssen wir diesen Weg gemeinsam und einvernehmlich gehen und dürfen den Leuten nicht Sand in die Augen streuen und sagen: Nehmt unser Schulgesetz, dann ist ab dem nächsten Schuljahr alles gut. – Das ist unredlich. Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
Für uns gilt der Leitsatz: so viel gemeinsames Lernen wie möglich, aber auch so viel getrennte Förderung wie nötig, auch im Sinne des Kindeswohls.
Das ist nicht falsch, Herr Kollege. – Das ist ein vernünftiger Leitsatz, an den wir uns halten werden. Wir werden uns auf diesen Weg in Hessen begeben. Wir werden die in
Vielen Dank, Herr Kollege Döweling. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Cárdenas für die Fraktion die LINKE.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! „Das Bildungssystem gehört abgeschafft“, so titelt heute die „FR“ und zitiert damit aus einem Interview mit der Leiterin einer Wiesbadener Haupt- und Realschule, die z. B. die Umwandlung in eine Mittelstufenschule ablehnt und stattdessen seit Langem aus für uns gut nachvollziehbaren Gründen integrierte Gesamtschule und Ganztagsschule werden will – bisher vergebens. Das ist wieder einmal ein Beispiel dafür, dass das Konstrukt „Selbstständige Schule“ lediglich ein Euphemismus ist.
Selbstständig dürfen Schulen nur werden und handeln, wenn sie die Bildungspolitik der schwarz-gelben Regierung umsetzen.
Wir lesen heute zum dritten Mal, also abschließend, den Gesetzentwurf zur Änderung des Hessischen Schulgesetzes. Lesen kann man hier durchaus wörtlich nehmen, mitwirken haben Sie uns und die vielen, die seit Monaten Vorschläge für eine wirkliche Novellierung gemacht haben, nicht lassen. Weder Vertreterinnen und Vertreter von Behindertenorganisationen, weder eine der drei Oppositionsfraktionen hier, weder Gewerkschaften noch betroffene Eltern und Schülerinnen und Schüler, nicht einmal die UN-Behindertenrechtskonvention selbst in Wort und Geist konnten der Hessischen Landesregierung ausreichend nahebringen, was Inklusion wirklich bedeutet und welchen eindeutigen Auftrag die Landesregierung durch die UN-Behindertenrechtskonvention erteilt bekommen hat.
Nun waren die Obleute des Kulturpolitischen Ausschusses vor knapp zwei Wochen in Kanada. Wir haben dort die Provinz New Brunswick besucht. Ziel unserer Reise war, einen Eindruck von einem Schulsystem zu gewinnen, dass seit 25 Jahren Inklusion erfolgreich umsetzt.
Vor dem Hintergrund der anstehenden Gesetzesnovellierung und vor dem Hintergrund der bisher deutlich gewordenen Ignoranz des Kultusministeriums beim Thema Inklusion habe ich persönlich große Hoffnungen in die Reise gesetzt. Doch Sie, Frau Ministerin, schaffen es nicht nur, Ihre Ohren auf Durchzug zu stellen, wenn zum Thema Inklusion in der Anhörung klare Forderungen an eine Novellierung gestellt werden. Nein, Sie schaffen es sogar, so zu tun, als hätten Sie nicht mit eigenen Augen gesehen, dass Inklusion wirklich stattfinden kann und wie man das macht.
Sie versuchen dagegen, das marode, diskriminierende Schulsystem schönzureden. „Gründlichkeit statt Schnelligkeit“, sagen Sie. Dieser Spruch läuft doch auf Folgendes hinaus: Für Generationen von Kindern wird weiter kein gemeinsames Lernen stattfinden, außer Sie werden von der Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die die Umsetzung der UN-Konvention kon
trolliert, dazu gezwungen, die §§ 49 bis 55 entsprechend zu überarbeiten. Und das wird kommen, seien Sie gewiss.
Sie können sich sogar vor dem Europäischen Gerichtshof wiederfinden, wer weiß, Frau Ministerin. Bis dahin werden Sie die Probleme, die sich durch dieses marode Schulsystem zunehmend anhäufen werden, wie üblich aussitzen.
Hier geht mir auch der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion nicht weit genug. Denn wir brauchen eine Schule für alle Kinder. Dem steht die erweiterte Realschule im SPD-Gesetzentwurf entgegen, die nur zu einer noch größeren Mehrgliedrigkeit des Schulwesens führen würde.