Protokoll der Sitzung vom 08.06.2011

Hier geht mir auch der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion nicht weit genug. Denn wir brauchen eine Schule für alle Kinder. Dem steht die erweiterte Realschule im SPD-Gesetzentwurf entgegen, die nur zu einer noch größeren Mehrgliedrigkeit des Schulwesens führen würde.

Vielen anderen Punkten stimmen wir ausdrücklich zu, wie beispielsweise der Abschaffung von G 8. G 8 ist ein weiterer gravierender Mangel im neuen Schulgesetz. Zum Wohle der Schülerinnen und Schüler muss Hessen die unsinnige Schulzeitverkürzung zurücknehmen und stattdessen G 9 mit sogenannten Enrichment-Strategien an die Möglichkeiten und Interessen aller Kinder, auch sogenannter hochbegabter Kinder, anpassen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hat Ihnen das die GEW aufgeschrieben? – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Sie ist sogar GEW-Mitglied, Herr Irmer! Sie ist stolz darauf!)

Des Weiteren lehnen wir das Konzept der selbstständigen Schule nach § 127 ab; denn Ökonomisierung und Entdemokratisierung von Schulen haben nichts, aber auch gar nichts mit Selbstständigkeit zu tun. Stattdessen hätten Sie eine weitreichende Mitbestimmung und Mitwirkung an den Schulen installieren sowie weitreichende Möglichkeiten garantieren müssen, damit das von der Schulgemeinde selbstständig entwickelte pädagogische Profil tatsächlich umgesetzt werden kann. Dann hätten unsere Schulen wirklich zu selbstständigen Schulen werden können. Aber das wollen Sie nicht.

Diesen Gesetzentwurf der Landesregierung lehnen wir aus all diesen Gründen in Gänze ab. Die Chance, Hessen auf einen modernen und gerechten Bildungsweg zu bringen, ist nicht ergriffen worden.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

„Was wir brauchen, ist ein einheitliches, bildungsgerechtes Schulsystem“. Damit habe ich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, noch einmal die schon genannte Wiesbadener Schulleiterin aus der heutigen „FR“ zitiert. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Für die Landesregierung hat Frau Kultusministerin Henzler das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit der heutigen Verabschiedung des Schulgesetzes schaffen wir die Voraussetzungen für ein zukunftsfähiges Schulsystem in Hessen. Wir beschreiten einen neuen Weg hin zu mehr Selbstständigkeit und Freiheit für alle Schulen. Dieses Gesetz ist also ein Freiheitsgesetz für die Schulen und damit einmalig in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Gestaltungsspielräume in den Bereichen Unterricht, Personaleinsatz und Budget, die die Schulen erhalten, ermöglichen es ihnen, Unterrichtsgestaltung und Schulorganisation genau auf ihre Schülerklientel und auf ihr Umfeld abzustimmen und dort bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Das macht sie unabhängiger von politischen Einflüssen. Deren negative Auswirkungen können wir uns gerade in Baden-Württemberg und Nordhein-Westfalen anschauen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dieses Schulgesetz schafft die rechtliche Basis für die Unabhängigkeit der hessischen Schulen. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kultusministeriums, die mit sehr viel Engagement, Fleiß und Fachkompetenz diesen Gesetzentwurf erarbeitet haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dieser Dank gilt auch allen externen Beratern, die ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen ganz besonders aus der Schulpraxis eingebracht haben. Sie alle haben dazu beigetragen, dass ein stimmiges Gesamtkonzept vorliegt, das den Unterricht und die intensive Förderung jedes einzelnen Kindes im Blick hat. Wir verändern dabei nicht unser bewährtes mehrgliedriges Schulsystem.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Herr Wagner, das, was Sie gerne möchten, wäre die Abschaffung von IGS und KGS, weil wir dann nur noch ein Gymnasium und eine Gemeinschaftsschule hätten. Wir drehen auch nicht G 8 zurück, das sich ebenfalls bewährt hat, wie ein erster Ergebnisvergleich gezeigt hat. Da sind natürlich die Schulnoten aller Oberstufengymnasien genommen worden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir vermeiden dadurch Maßnahmen, die nichts als Unruhe an unsere Schulen bringen würden; denn die Unruhe an den Schulen bringt dem Bildungserfolg der Kinder gar nichts. Sie ist ihm nicht förderlich. Vielmehr konzentrieren sich die Veränderungen unseres Gesetzes auf mehr Gestaltungsfreiheit für jede einzelne Schule und auf die Qualitätsentwicklung des Unterrichts. Guter Unterricht ist der entscheidende Faktor für den Bildungserfolg eines Kindes.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir nehmen die Veränderungen behutsam vor, und alle Schulen werden intensiv dabei begleitet. Alle Schulen profitieren von der Selbstständigkeit, die wir im Gesetz vorgeben. Sie haben mehr Gestaltungsfreiheit. Sie können sich zu Verbundschulen zusammenschließen. Sie können das kleine Budget führen. Sie können eigene Fortbildungskonzepte entwickeln, und sie können auch Schulverbünde schließen, um die Budgets gemeinsam zu verwenden.

Wir werden den Schulen noch weiter gehende Freiheiten einräumen. Für sie hält der Gesetzentwurf die Möglichkeit bereit, selbstständige Schule oder selbstständige berufliche Schule zu werden. Das setzt bei den Schulen das Vorliegen eines pädagogischen Konzepts voraus, und es setzt einen Beschluss der Schulkonferenz voraus. Das heißt, alle an der Schule Beteiligten müssen die Entscheidung treffen, den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen,

denn diese Selbstständigkeit bedeutet natürlich für alle Veränderungen.

Bei dieser Selbstständigkeit spielt die Person des Schulleiters eine besondere Rolle. Deshalb wird die Rolle des Schulleiters mit diesem Gesetz gestärkt. Ich finde es sehr merkwürdig, dass man das als einen Mangel oder als ein Weniger an Demokratie an den Schulen interpretiert. Wenn die Schulen unabhängiger von den Kultusbehörden arbeiten, ist es doch erforderlich, dass der Schulleiter zum zentralen Gestalter, sowohl in Personal- als auch in Sachund Budgetfragen, wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Es ist selbstverständlich, dass er mit seinem Kollegium eng zusammenarbeiten muss. Das ist die Rolle eines jeden guten Vorgesetzten. Ich bin mir sehr sicher, dass die Schulleiter das erfolgreich tun werden.

Die schulische Bildung muss auch die Berufsorientierung im Blick haben. Wir haben das gerade auf dem Bildungsgipfel des hessischen Handwerks wieder gehört. Das war die klare Forderung der Betriebe und der Ausbilder. Deshalb stärken wir diese Berufsorientierung, zum einen im Gesetzestext und zum anderen mit der Mittelstufenschule. Der Übergang in die Berufswelt wird für die Jugendlichen in der Mittelstufenschule besser gestaltet, der Weg zum mittleren Abschluss und zum Abitur bleibt offen.

Das Thema Inklusion wird sehr aufgeregt diskutiert. Das Thema Inklusion überlagert alle anderen Neuregelungen in diesem Schulgesetz komplett. Das hat man auch hier bei den Debattenbeiträgen wieder gesehen. Man stürzt sich ausschließlich auf das Thema Inklusion, und viele andere Bestimmungen werden einfach nicht wahrgenommen.

Wir nehmen die Umsetzung der UN-Konvention sehr, sehr ernst. Das ist aber ein komplexes gesamtgesellschaftliches Verfahren. Dieses Verfahren braucht Zeit und muss sehr behutsam angegangen werden.

Frau Staatsministerin, gestatten Sie mir den Hinweis, dass die für die Fraktionen vereinbarte Redezeit abgelaufen ist.

Ich komme gleich zum Ende. – Vor allen Dingen geht beim Thema Inklusion Sorgfalt vor Schnelligkeit. Ich glaube, das haben wir auch in Kanada gesehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Leitschnur über allem ist für uns das Wohl des einzelnen Kindes. Das hat bei allen Entscheidungen Vorrang. Deshalb werden wir auch weiterhin eine Einschulung in die Förderschule auf Wunsch der Eltern ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, dieses Schulgesetz ist eine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Gesetz die Qualität von Schule und Unterricht und die individuelle Förderung des einzelnen Kindes voranbringt. Deshalb ist heute ein guter Tag für die Schulen in Hessen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Das Wort hat Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Vorsitzender der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil wir am heutigen Tag natürlich akzeptieren müssen, dass Sie mit Ihrer schwarz-gelben Regierungsmehrheit dieses Schulgesetz durchsetzen. So sind in der parlamentarischen Demokratie die Spielregeln. Wir lassen allerdings nicht unkommentiert stehen, dass Sie hier zum Ende Ihrer Rede versucht haben, Begrifflichkeiten zu setzen, die mit dem Gesetz überhaupt nichts zu tun haben.

Sie haben eben erklärt, dieses Gesetz werde „die Zukunftsfähigkeit sichern“, es sei ein „Freiheitsgesetz“. Frau Henzler, Sie wissen, dass ich Sie schätze.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Das wird sich grundsätzlich auch nicht ändern.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Minister Michael Boddenberg: Müssen wir da was wissen?)

Sie müssen gar nichts wissen, Herr Boddenberg. Es ist sowieso eine Ausnahme, dass Sie etwas wissen.

(Große Heiterkeit bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das Einzige, was unter diesem Gesetz stehen könnte, ist, dass es ein Gesetz über die Freiheit des Mangels ist. Im Prinzip ist das Einzige, was Sie pädagogisch versuchen, das Einzige, was Sie inhaltlich ändern, Ihr Spiel mit der selbstständigen Schule. Dagegen ist im Grundsatz nichts zu sagen; auch wir sind für die selbstständige Schule. Sie schaffen mit diesem Gesetz aber Regelungen, die im Kern nur dazu führen werden, dass die Schulen in Zukunft die Verantwortung für die Mängelverwaltung tragen und Sie als Ministerin und die Kultusbürokratie sich zurückziehen können. Das haben wir schon bei den Hochschulen erlebt, und das versuchen Sie jetzt auch an den Schulen durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Auf die eigentlichen Herausforderungen der Schule geben Sie in diesem Gesetz keine Antwort.

Es verwundert auch nicht, dass Sie am Ende mit zwei Sätzen versuchen, die Inklusion abzuwurschteln – nach dem Motto, das sei das alles überragende Thema der Opposition, das dieses immer vor sich hertrage. Ich sage Ihnen: Das tragen wir deswegen immer wieder vor, weil die Inklusion eine riesige Herausforderung für die Schulen ist. Nichts in Ihrem Gesetzentwurf wird dieser Herausforderung gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Herr Irmer, der zentrale Punkt, nämlich der Ressourcenvorbehalt, ist die entscheidende Einschränkung.