Protokoll der Sitzung vom 08.06.2011

Herr Irmer, der zentrale Punkt, nämlich der Ressourcenvorbehalt, ist die entscheidende Einschränkung.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sagen Sie einmal etwas zu den Ressourcen! Was braucht man denn?)

Das ist ganz einfach, Herr Irmer. Wir haben gesagt, die Frage der Inklusion entscheidet sich am Elternwillen. Die Ressourcen müssen dem Elternwillen folgen. Da haben wir eine ganz klare und dezidiert andere Prioritätensetzung als Sie. Wir lassen nicht zu, dass Inklusion von der Mängelverwaltung an den Schulen abhängig gemacht wird. Sie ist vielmehr abhängig davon, was die Eltern für ihre Kinder entscheiden. Das wäre ein Paradigmenwechsel – nicht das, was Herr Döweling hier formuliert hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Zweitens. Die Ganztagsschule ist weiterhin eine der zentralen Herausforderungen. Auch da werden Sie zukünftig doch nur Mängelverwaltung betreiben. Sie kommen den Ansprüchen der Schulen und der Eltern doch gar nicht hinterher, die einen Anspruch auf mehr Ganztagsbildung formulieren.

Die Probleme beim Thema G 8 ignorieren Sie vollständig. Herr Irmer könnte es ja wissen,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Er weiß es auch!)

weil Landrat Schuster nicht müde wird, darauf hinzuweisen, welche gesellschaftlichen Wirkungen G 8 hat: Rückgang des Engagements, beispielsweise bei den freiwilligen Feuerwehren, Rückgang der Zahl der Anmeldungen an Musikschulen – dramatische Rückgänge, unter anderem im Lahn-Dill-Kreis, immer wieder mit der Begründung, dass G 8 in der Form, wie Sie Schulzeitverkürzung betreiben, die Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I, in der Pubertät überfordert. Es hat niemand infrage gestellt, dass die Schüler da irgendwie durchkommen, aber sie haben eine andere Vorstellung von Bildung, eine andere Vorstellung von individueller Förderung, eine andere Vorstellung davon, Konsequenzen aus den PISA-Ergebnissen zu ziehen – dass nämlich nicht der Geldbeutel und die soziale Herkunft entscheiden, sondern dass das Talent entscheidet. Das muss Schule fördern. Dem werden Sie mit Ihrem Gesetz überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Deswegen ist es Unsinn, wenn Sie hier erklären, das sei ein „großer Tag für die Schulen“. Ich weiß nicht, mit wie vielen Schulleitungen, mit wie vielen Lehrerinnen und Lehrern Sie geredet haben. Ich mache Ihnen da gar nicht so viele Vorwürfe, Herr Döweling, denn Schule ist ein ganz schwieriges Thema. Ich sage Ihnen aber, dass die Schulleitungen, die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer und auch die Schülerinnen und Schüler die Nase gestrichen voll haben von den Plattitüden, die sie hier immer wieder hören.

(Zurufe von der FDP)

Außer Überschriften haben Sie heute nichts produziert.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben einen Schulgesetzentwurf vorgelegt, den Sie heute mit Ihrer Mehrheit durchsetzen werden. Für die Zukunftsfähigkeit der Schulen in Hessen haben Sie aber keinen Beitrag geleistet. Die sozialdemokratische Alternative ist Ihrem Schulgesetz um Längen überlegen, weil sie den Versuch macht, zu den zentralen Fragen – G 8, die individuelle Förderung, selbstständige Schule und Inklusion – durchgreifende Antworten zu geben, einschließlich der Sicherung der Bildung im ländlichen Raum, einem der großen Themen in den nächsten Jahren. Deswegen: Kom

men Sie zur Besinnung, ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück, lassen Sie uns ernsthaft über einen Bildungskonsens in Hessen reden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Nächster Redner, Kollege Döweling.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zugeben, ich war sehr gespannt, als der Kollege Schäfer-Gümbel hier zum Pult ging, denn er ist bis jetzt noch nicht als Schulpolitiker aufgefallen.

(Zurufe von der SPD: Sie auch nicht!)

Herr Schäfer-Gümbel, ich habe gehört, Sie werden jetzt von Ihrer Partei zum Spitzenkandidaten für die nächste Landtagswahl ausgerufen. Da ist es durchaus Ihr gutes Recht, sich ein wenig als Schulpolitiker zu profilieren. Das kann man so stehen lassen. Das ist okay.

Aber ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil Sie hier permanent versuchen, die Leistungen der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen schlechtzureden. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Welche Leistung? – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie nehmen dauernd die Worte „Mängelverwaltung“ und „Mangel“ in den Mund. Schauen Sie sich einmal die Haushaltsplanentwürfe an. Dann werden Sie feststellen – ich will gar nicht so weit zurückgehen –, dass seit dem Amtsantritt dieser schwarz-gelben Koalition die Haushalte des Kultusministeriums Jahr für Jahr aufgestockt wurden. Herr Schäfer-Gümbel, es wurden mehr Lehrerstellen geschaffen. Haben Sie das eigentlich zur Kenntnis genommen?

(Zuruf von der CDU: Nein!)

Offensichtlich nicht. Wenn Sie dann von einer Mängelverwaltung reden, ist das blanke Ironie. Das wollen wir hier ganz deutlich festhalten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir reden von Ganztagsangeboten. Es scheint Ihnen entgangen zu sein, dass wir jedes Jahr 115 neue Lehrerstellen für Ganztagsangebote schaffen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie verstehen es einfach nicht!)

Schauen Sie doch einmal in den Haushaltsplan.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie haben es überhaupt nicht verstanden!)

Nein, Sie reden offensichtlich von einem Thema, das Sie nicht verstanden haben – Sie sprechen von G 8 und Ähnlichem und sagen, dass die Schulen das, was wir machen, nicht wollen. Ich sage Ihnen, was die Schulen nicht wollen: Die Schulen wollen keine Unruhe durch neue, überstürzte Reformen, mit denen alles wieder aufgerollt wird. Herr

Schäfer-Gümbel, eine Anhörung im Kulturpolitischen Ausschuss hat klar gezeigt, dass die Schulen das nicht wollen.

Die Schulen wollen Verlässlichkeit, Ruhe und Freiheit. Diese Freiheit geben wir ihnen mit dem neuen Hessischen Schulgesetz.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen kann man sehr wohl mit Fug und Recht sagen: Das ist ein Freiheitsgesetz. – Wir werden ganz bestimmt nicht das machen, was Sie gern hätten: diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen. Wenn Sie mit diesem Thema als nächster Spitzenkandidat Ihrer Partei antreten wollen, ist mir um die SPD sehr bange.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Döweling. – Das Wort hat Herr Irmer für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich fürchte, ich irritiere Sie jetzt etwas, wenn ich sage, dass ich Sie zwar als Mensch schätze – gelegentlich wenigstens –, politisch aber weniger.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Darin sind wir uns wenigstens einig, Herr Irmer!)

Das haben Sie eben wieder unter Beweis gestellt. Das war der Versuch einer Kandidatenkür, der allerdings nur schlecht gelungen ist. Sie sollten sich auf Ihr Kerngeschäft beschränken. Ich weiß zwar nicht, welches Ihr Kernkompetenzthema ist, aber seis drum. Lieber Herr Kollege Schäfer-Gümbel, die Bildungspolitik ist es mit Sicherheit nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ärgert mich schon, wenn sich die Bankrotteure des Schulsystems – Sozialdemokraten und GRÜNE, die bis 1999 regiert haben – heute hierhin stellen und von uns etwas verlangen, was sie selbst nicht zu leisten imstande waren. Wir haben es geleistet – Sie nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich frage Sie noch einmal: Wer hatte in diesem Bundesland jede Woche 100.000 Stunden Unterrichtsausfall zu verantworten?

(Zurufe von der SPD)

Wer hat den Spruch „80 % gleich 100 %“ produziert? Kultusminister a. D. Hartmut Holzapfel hat 80 % der Lehrerstellen zugewiesen und gleichzeitig erklärt, diese 80 % entsprächen 100 %. Das Ergebnis war: Wenn zur Zeit Ihrer Regierungsverantwortung ein Grundschüler die Schule nach der 4. Klasse verlassen hat, hatte er netto ein Dreivierteljahr weniger Unterricht, als es heute, unter unserer Regierungsverantwortung, der Fall ist.

Sie diskutieren über G 8 und über G 9. Meine Damen und Herren, dabei haben Sie so viel Unterrichtsausfall produziert, dass ein Gymnasiast, der zu Ihrer Regierungszeit das

Abitur gemacht hat, in 13 Schuljahren netto maximal elf einhalb Jahre Unterricht hatte; denn Sie haben ihm den Rest des Unterrichts vorenthalten. Das war die Realität.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lachen bei der SPD)

Kommen wir doch einmal zu Ihrer Koalitionsvereinbarung. Sie liegt noch gar nicht so lange zurück; im November 2008 haben Sie sie verabschiedet.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Oktober, aber das macht nichts!)