Protokoll der Sitzung vom 08.06.2011

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Oktober, aber das macht nichts!)

Im Oktober, einverstanden. Das hilft Ihnen trotzdem nicht.

(Heiterkeit bei der CDU)

Sie hatten für die nächsten fünf Jahre 2.500 Stellen minus 30 Millionen € für die verlässliche Schule avisiert. Umgerechnet ergibt das 600 Lehrerstellen. Das heißt, Sie hatten vor, in der Legislaturperiode 2008 bis 2013 netto zusätzlich 1.900 Lehrerstellen zur Verfügung zu stellen. Ob Sie es gemacht hätten, sei dahingestellt; denn als Sie zum letzten Mal die Regierungsverantwortung innehatten – 1995 bis 1999 –, haben Sie trotz steigender Schülerzahlen netto 400 Lehrerstellen abgebaut.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was von rot-grünen Versprechungen in der Bildungspolitik letzten Endes zu halten ist, kann man an der aktuellen Entwicklung in einigen Bundesländern ablesen. In Berlin haben die Roten und die Kommunisten in den letzten vier Jahren 1.300 Lehrerstellen abgebaut. In Rheinland-Pfalz haben sie vor der Wahl versprochen, es gebe mehr Lehrer. Nach der Wahl heißt es: Wir bauen 2.000 Lehrerstellen ab. – In Baden-Württemberg haben sie vor der Wahl erklärt, es gebe mehr Lehrerstellen. Dabei werden sie perspektivisch rund 4.000 Lehrerstellen abbauen.

Wir sagen: Wir geben 2.500 Lehrerstellen zusätzlich ins System. Im Gegensatz zu Rot-Grün machen wir es. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, und deshalb brauchen Sie uns nicht zu belehren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Das Wort hat Herr Kollege Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach dem kleinen emotionalen Ausbruch will ich versuchen, auf die inhaltlichen Fragen der Bildungspolitik zurückzukommen. Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, möchte ich fragen: Welche Beiträge leistet denn Ihr Gesetzentwurf zur Lösung der zentralen Probleme in unserem Bildungswesen?

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Tausende von Lehrerstellen mehr!)

Herr Kollege Wagner, auch Sie waren einmal Kultusminister. Während Ihrer Amtszeit bin ich sogar zur Schule gegangen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das können Sie jetzt schlecht kritisieren; es könnte sich gegen Sie wenden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie sind ja trotz meiner Politik etwas geworden!)

Was ist denn Ihre Antwort darauf, dass wir Jahr für Jahr etwa 20 % der Schulabgänger, also 20 % eines Jahrgangs, verlieren? Von diesen 20 % wissen wir aufgrund der PISA-Studie und anderer Studien, dass sie nicht die elementaren Voraussetzungen mitbekommen haben, um ihr Leben eigenverantwortlich gestalten und erfolgreich einen Beruf ausüben zu können. Das ist kein parteipolitisches Thema. Dieses Problem haben wir auch in anderen Bundesländern.

Aber was ist die Antwort darauf in Ihrem Gesetzentwurf? Glauben Sie, dass Sie dem mit den Regelungen zur selbstständigen Schule, die Sie dort hineingeschrieben haben, gerecht werden? Glauben Sie, dass Sie dem dadurch gerecht werden, dass Sie jetzt rund 50 Schulen – nicht alle wollen das – die Möglichkeit eröffnen, Mittelstufenschule zu werden? Glauben Sie ernsthaft, dass dies eine adäquate Antwort darauf ist, dass wir jedes Jahr 20 % eines Schülerjahrgangs verlieren? Das können Sie nicht ernsthaft meinen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Geben Sie in Ihrem Gesetzentwurf eine Antwort darauf, dass die Leute an den Schulen unter der Arbeitsbelastung leiden und deswegen stöhnen. In den Schulen heißt es: „Ja, wir wollen selbstständig arbeiten“ – das finden in diesem Haus übrigens vier Fraktionen gut, DIE LINKE nicht, doch da gibt es keinen Streit. Aber geben Sie den Schulen auch die Möglichkeit, selbstständig zu arbeiten? Geben Sie ihnen die Möglichkeit, zusätzliche Verwaltungskräfte zu holen? Geben Sie ihnen die Möglichkeit, die Lehrerinnen und Lehrer, die pädagogisch etwas Neues ausprobieren wollen, zu entlasten? Das machen Sie eben nicht, weil Sie Ihr eigenes Wahlversprechen der 105prozentigen Lehrerversorgung nicht eingelöst haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Geben Sie in Ihrem Gesetzentwurf eine Antwort auf das Akzeptanzproblem der Hauptschule. Die Eltern haben sich, was ihre Wahl einer weiterführenden Schule angeht, in diesen Tagen wieder entschieden: Herr Kollege Irmer, die Eltern akzeptieren die Hauptschule nun einmal nicht mehr. Wenn die Wirklichkeit anders aussieht als das Parteiprogramm, tut man gut daran, das Parteiprogramm anzupassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An den nachdenklichen Gesichtern der Mitglieder Ihrer Fraktion erkenne ich, dass dies außer Ihnen auch sehr viele andere in der Union verstanden haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Geben Sie in Ihrem Gesetzentwurf eine Antwort darauf, dass wir in unserem Bildungswesen auch an der Spitze nicht besonders gut sind. Auch das ist ein Problem, das es nicht nur in Hessen gibt. Auch das ist ein Problem, auf das wir dort, wo wir die Verantwortung tragen – wenn Ihnen das weiterhilft –, noch nicht die perfekten Antworten ha

ben. Wenn dieser Hinweis Ihnen irgendwie weiterhilft, sei er Ihnen, bitte sehr, zugestanden.

Aber geben Sie in Ihrem Gesetzentwurf irgendeine Antwort darauf, wie wir uns tatsächlich verbessern können. Was soll das für eine Antwort sein? Die Mittelstufenschule, die unzureichende Umsetzung der Inklusion in Ihrem Gesetzentwurf, die Regelungen zur selbstständigen Schule ohne die notwendigen Mittel – soll das die Antwort darauf sein, wie wir auch in der Spitze besser werden? Das glauben Sie doch selbst nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein letzter Punkt. Wenn sich Herr Kollege Döweling und Herr Kollege Irmer hierhin stellen und von den angeblich so großartigen Wohltaten für die Schulen reden

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): 2.500 Lehrer!)

Herr Kollege Wagner, lassen Sie mich ausreden, üben Sie sich in der bürgerlichen Tugend des Einander-Zuhörens, wenn ich Sie daran von einer bürgerlichen Partei zur anderen erinnern darf –,

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sagt der Richtige!)

dann frage ich Sie: Glauben Sie, dass das ausreichend ist? – Ja, Sie machen etwas im Ganztagsschulbereich. Ja, Sie machen etwas in der Lehrerversorgung. Aber jetzt wird es ganz spannend – ich weiß, dass man in der Regierung leicht diesem Trugschluss unterliegt, aber Sie sollten ihm nicht unterliegen, Sie sollten nicht das, was Sie derzeit für möglich halten, auch noch für das Wünschenswerte erklären, und das ist genau der Unterschied –: Sie haben nach zwölf Jahren Regierungsverantwortung keine Vision, kein Bild mehr, wohin Sie mit den Schulen wollen. Sie erklären das tagespolitisch Mögliche zu dem politisch Wünschenswerten, und deshalb haben Sie keine Vorstellung mehr, wohin Sie unsere Schulen in diesem Land führen wollen. Das genau ist das Problem, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Wagner, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Wer keine Idee mehr hat, wohin er unsere Schulen führen will, wird auch nicht die richtigen Schritte dahin finden. Weil Sie keine Vorstellungen mehr haben, wie Sie dieses Land weiterentwickeln sollen, müssen wir es jetzt noch zweieinhalb Jahre lang ertragen, aber dann wird es hoffentlich besser. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Wagner. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE.

Nur ganz kurz. Herr Irmer und Herr Döweling haben eben die Bildungspolitik unter Rot-Grün kritisiert. Auch wir gehen davon aus, dass SPD und GRÜNE dieses Mal eine bessere Bildungspolitik machen würden; denn Gemeinschaftsschule, wirkliche Inklusion und gebundene Ganztagsschule, all das wäre mit der Anzahl der Lehrer von damals nicht zu machen und vermutlich auch nicht mit der, die Sie hier so toll loben. Eines ist klar: Wenn das SPD-Gesetz angenommen würde, wäre das ein sehr großer Fortschritt gegenüber der jetzigen Novellierung,

(Leif Blum (FDP): Das könnte knapp werden!)

wenn daran auch noch einiges zu ändern wäre, damit wir ein wirklich gutes Bildungssystem bekommen. Und wir sind im Jahr 2013 gern zur Nachhilfe bereit. Jedenfalls ist dieses Schulgesetz, das Sie jetzt vorlegen, nicht des Papiers wert. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Mir liegen nun für die Debatte keine weiteren Wortmeldungen vor.

Herr Kollege Schaus hat sich nach § 81 unserer Geschäftsordnung für eine persönliche Bemerkung zu Wort gemeldet.

(Zuruf von der CDU: Darauf bin ich gespannt!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abg. Irmer hat unsere Fraktion und mich in der Rede mehrmals als „die Kommunisten“ bezeichnet, die Berliner Fraktion im Übrigen auch. Das ist schlechter politischer Stil, den wir von Ihnen, Herr Irmer, kennen.

(Lachen bei der CDU – Dr. Norbert Herr (CDU): Sagen Sie doch etwas zu Ihrem Verhältnis zum Kommunismus!)

Ich lege Wert darauf, dass wir als Fraktion DIE LINKE auch von Herrn Abg. Irmer mit unserem Namen bezeichnet werden.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst über die in dritter Lesung vorgelegte Fassung des Gesetzentwurfs der SPD für ein Gesetz für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in Hessen ab, Drucks. 18/4142 zu Drucks. 18/ 4049 zu Drucks. 18/2864.

Wer diesem Gesetzentwurf in der jetzt vorgelegten Fassung die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD-Fraktion. Wer ist dagegen? – CDU und FDP. Wer enthält sich? – GRÜNE und LINKE. Damit ist dieser Gesetzentwurf abgelehnt.