Protokoll der Sitzung vom 25.08.2011

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum einen sehen wir bei diesem Thema keinen Zeitdruck. Zum anderen sind wir der Meinung, dass die gelungene Plakataktion und der Länderfinanzausgleich nichts miteinander zu tun haben. Das eine ist das Ergebnis einer gelungenen Bildungspolitik: 2.500 zusätzliche Lehrer. Das andere ist der Länderfinanzausgleich: auf großem Fuß leben auf Kosten anderer.

Nichtsdestotrotz ist die Regierung, ist dieser Landtag bei diesem Thema aufgestellt. Die entsprechenden Beschlüsse sind gefasst. Dennoch sind wir bereit, diesen Antrag heute zu diskutieren, aber dann am Ende der Tagesordnung in aller Ruhe. Machen wir erst einmal unsere Arbeit und gehen dann in diese Debatte. Es gibt keinen Grund, das jetzt direkt einzuschieben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Schönen Dank, Herr Bellino. – Jetzt hat sich Herr Rudolph zur Geschäftsordnung gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir schließen uns dem Antrag der GRÜNEN-Fraktion an. Herr Kollege Bellino, Sie haben etwas nicht mitbekommen: Sie haben die Aktion ausschließlich wegen der angeblich so großen Zahlungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs an Rheinland-Pfalz gemacht. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den inhaltlich guten Vorgaben aus Rheinland-Pfalz. Daran können Sie sich abarbeiten und nicht an diesen kindlichen Aktionen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Minister Stefan Grüttner: Zum Beispiel bei der Be- darfsgewerbeverordnung! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Sie haben hier im Moment gar nichts zu reden!)

Das Wort erteilt in diesem Hause noch immer der Präsident. Das wollen wir, Herr Kollege Rudolph, auch so beibehalten.

(Günter Rudolph (SPD): Die Regierung hat trotzdem nichts zu sagen!)

Dann habe ich jetzt den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorliegen, den Dringlichen Entschließungsantrag Drucks. 18/4356 nach den Tagesordnungspunkten 24 und 31 abzuhandeln. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Dann ist dieser Antrag bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt.

Ich gehe davon aus, dass dann die Vereinbarung gilt, dass dieser Tagesordnungspunkt am Ende der Tagesordnung aufgerufen wird. – Dem wird durch Nicken zugestimmt.

Dann können wir nun mit dem Tagesordnungspunkt 24 fortfahren:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend die sofortige Rücknahme der Kürzungen bei Altenpflegeschulen durch die Landesregierung – Drucks. 18/4270 –

(Unruhe)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir wollten die Landtagssitzung eigentlich fortsetzen.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsi- denten)

Dazu wird der Tagesordnungspunkt 31 aufgerufen:

Antrag der Abg. Dr. Spies, Müller (Schwalmstadt), Decker, Merz, Roth (SPD) und Fraktion betreffend dem Fachkräftemangel in der Altenpflege begegnen – Schulgeldpauschale des Landes endlich anpassen – Drucks. 18/4307 –

Das ist der Setzpunkt der Fraktion DIE LINKE. Die Redezeit beträgt zehn Minuten. Zur Begründung hat Frau Schott das Wort. Bitte sehr, Frau Schott.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es schon bezeichnend, welche Unruhe in diesem Raum ent

steht und wie sich insbesondere auf der rechten Seite des Hauses die Plätze leeren, wenn wir nach einem zweistündigen Exkurs über die Welt und Europa im Besonderen zur konkreten hessischen Politik und insbesondere zur Tagespolitik und Sozialpolitik kommen.

(Holger Bellino (CDU): Das liegt an der Rednerin! – Frank Lortz (CDU): Na, na, na! – Unruhe)

Frau Schott, Sie haben das Wort. Alle werden Ihnen jetzt aufmerksam folgen.

Ich glaube, es ist ziemlich irrelevant, wer an dieser Stelle steht und redet. Ich weiß, dass mir die Aufmerksamkeit dieses Hauses in den seltensten Fällen zugutekommt. Das ist mir durchaus klar.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie müssen sich fragen, warum!)

Sie sollten einmal über Ihr Verhältnis zur Demokratie nachdenken. Dazu gehört, zuzuhören und über die Dinge zu diskutieren, die tatsächlich im Land anstehen. Aber das ist Ihr Problem und weniger meines. Aber die Tatsache, wie Sie darauf reagieren, dass wir hier über einen Antrag der LINKEN und einen der SPD reden, in denen es darum geht, was die Regierung sozialpolitisch aktuell in diesem Land tut, das finde ich sehr bezeichnend.

Der Bedarf bei der Altenpflege und der Altenpflegearbeit wird zukünftig deutlich zunehmen. Um diesen Bedarf zu decken, muss die Attraktivität der Arbeit in der Altenpflege deutlich erhöht werden. Dazu gehört die Bekämpfung des Pflegenotstandes. Das bedeutet eine deutliche Verbesserung des Personalschlüssels sowie eine Verbesserung der Entlohnung und der Arbeitsbedingungen in der Altenpflege. Die künftigen Herausforderungen in der Altenpflege werden nur zu bewältigen sein, wenn es gelingt, die durchschnittliche Verweildauer der Altenpflegekräfte in ihrem Beruf von weniger als neun Jahren deutlich zu erhöhen.

(Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- sitz.)

Zu den Herausforderungen gehört auch die Erhöhung der Attraktivität der Altenpflegeausbildung. Angesichts dieser Herausforderungen sind die Kürzungen in der Altenpflegeausbildung, die mit der Neuregelung der Abbrecherregelung vorgenommen werden sollen, ein verheerendes Signal. Die Art und Weise, wie diese Tatsachen geschaffen worden sind, ist eine Frechheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Grüttner, Ihnen ist natürlich klar, dass die Kürzung bei der Abbrecherregelung die Schulen in finanzielle Schwierigkeiten bringen werden. Sie empfehlen den Schulen deshalb, die frei gewordenen Abbrecherplätze in der Fachkräfteausbildung zu Beginn des zweiten Lehrjahres mit Absolventen der Altenpflegehelferausbildung wieder aufzufüllen. Das waren Ihre eigenen Worte in der Ausschusssitzung. Angeblich sei der Wechsel problemlos möglich und belegt durch die Tatsache, dass im Schnitt 30 bis 40 % der Altenpflegehelferinnen und -helfer nach der einjährigen Ausbildung in die Fachkräfteausbildung wechseln.

Ich kenne die Quellen Ihrer Belege nicht. Was ich von den Altenpflegeschulen weiß, ist allerdings etwas ganz anderes.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

In der einjährigen Altenpflegehilfeausbildung liegt der Schwerpunkt auf praktischen Inhalten. Bei der dreijährigen Altenpflegeausbildung werden im ersten Jahr konzeptionelle und wissenschaftliche Grundlagen vermittelt, auf denen ab dem zweiten Jahr aufgebaut wird. Der Wechsel ist also alles andere als unproblematisch.

Diesem Problem versuchen die Altenpflegeschulen mit Stützkursen zu begegnen. Diese Stützkurse sind aber nicht finanziert. Da auch mit Stützkursen kein ganzes fehlendes Jahr ausgeglichen werden kann, liegt die Abbrecherquote bei den Aufsattlern bei ca. 20 %. Den Schulen also zu empfehlen, die Kürzung bei den Abbrechern mit einer Erhöhung der Aufsattlerquote auszugleichen, zeugt von Sachunkenntnis des zuständigen Ministers.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Stützkurse sind nicht die einzigen enormen Mehrbelastungen gewesen, die die Altenpflegeschulen und damit vor allem die Lehrkräfte in den letzten Jahren zu schultern hatten. Durch die Notenverordnung von 2009 sind die Lehrkräfte jetzt gezwungen, alle 40 Stunden einen Leistungsnachweis abzufordern, meistens in Form einer Klausur. Sehr zeitaufwendig ist auch die Anforderung von mindestens zwei Praxisbesuchen pro Jahr. Insbesondere ist der zeitliche und organisatorische Aufwand hoch, der für die Terminfindung mit den Fachprüferinnen und Fachprüfern sowie Praxisanleitern notwendig ist, mit denen die Benotung der Praxis vorgenommen werden muss.

Sehr aufwendig ist auch die Abstimmung der Schulen mit den Regierungspräsidien bei der Erstellung der Examensklausuren. Weiterhin wäre die Beteiligung der Schulen an der Lehrplanerstellung zu nennen. All das wollen die Schulen auch weiterhin tun. Aber man kann nicht davon ausgehen, dass das alles nicht mehr Arbeit bedeuten würde.

Last, but not least zum Thema Mehrbelastung. Dass sich inzwischen mehr junge Menschen für die Altenpflege interessieren, ist nicht zuletzt der Beteiligung der Schulen und der Lehrkräfte an der entsprechenden Imagekampagne zu verdanken. Das allerdings hat im Schnitt mehrere Stunden Arbeit für jeden zusätzlichen Auszubildenden gekostet.

Schließlich müssen mittlerweile in jeder Schule enorme Anstrengungen zur Krisenintervention unternommen werden. Vonseiten der Altenpflegeschulen wird berichtet, dass viele Auszubildende aufgrund des immensen Personalmangels in der Praxis schlechte Erfahrungen machen. Das bedeutet beispielsweise, dass sie in der Praxis mit Aufgaben und Belastungen konfrontiert werden, auf die sie noch nicht vorbereitet sind, z. B. auch, dass sie vor oder nach der Schule eine Schicht absolvieren müssen. Das führt zu einer zunehmenden psychischen Belastung der Auszubildenden.

Herr Minister, es ist auch unqualifiziert, den Altenpflegeschulen ihre Personalauswahl vorzuwerfen. Etwa 60 % der Auszubildenden sind junge Frauen. Aber seit Menschen bestehen, ist es nun einmal so, dass junge Frauen schwanger werden können. Erwarten Sie wirklich von den Altenpflegeschulen, dass sie, um die Abbrecherquote zu senken, junge Frauen von der Ausbildung ausschließen? „Zurück an den Herd“ passt schon zur CDU-Politik.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Es passt aber auch, dass Ihnen keiner zuhört: weil Sie einen solchen Blödsinn erzählen! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Herr Irmer, das ist Ihre Theorie, oder?)

Wenn Sie meinen, dass ich Blödsinn rede, dann werde ich mir demnächst auch erlauben, Ihre Äußerungen hier mit ähnlich unqualifizierten Kommentaren zu bedenken. Herr Irmer, bei dem, was Sie hier manchmal von sich geben, dürfte das relativ leicht fallen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir uns als Parlamentarier hier gegenseitig des Blödsinns bezichtigen, wird die Debatte davon auch nicht qualifizierter.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Dann fangen Sie einmal an!)

Dumm nur, dass dann das Personalproblem nicht zu lösen sein wird. Herr Minister, Sie sollten sich schon einmal entscheiden, was Sie eigentlich wollen.

Herr Minister Grüttner, dann leiden Sie an einer schweren Politikerkrankheit, der offenbar viele anheimfallen, die zu lange im Geschäft sind. Sie führen Zahlen an, die Ihnen nützlich erscheinen, und verschweigen die, die nicht in Ihr Bild passen. Sie schmücken sich mit 3.500 Altenpflegeschülerinnen und den 500, um die Sie sie aufstocken, und Sie behaupten, das Schulgeld sei in Hessen im Mittel der Bundesrepublik – niemand sonst habe eine solche Abbrecherregelung.

Sie verschweigen allerdings, dass in diesen 3.500 ca. 900 Altenpflegehelferinnen enthalten sind. Sie verschweigen auch, dass die Helferinnen nur 267 € statt der 320 € der Altenpflegeschülerinnen erhalten. Sie verschweigen auch, dass es dies in anderen Bundesländern so nicht gibt. Schließlich verschweigen Sie gern, dass die 509 Schülerinnen nur zur Hälfte durch das Land finanziert werden.

Sich mit fremden Federn schmücken, Zahlen schönen, und weglassen, was nicht ins Bild passt: Das ist Ihre Selbstdarstellung.

Herr Minister, in der letzten Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses haben Sie zugesichert, alle Kurse könnten starten. Jetzt aber werden die Altenpflegeschulen vom zuständigen Regierungspräsidium um die Vorlage von Brandschutzbescheinigungen angehalten. Das verhindert den Beginn der Kurse. Es möge doch bitte nicht so getan werden, als ob die Schulen in der Vergangenheit nicht um die Einhaltung aller erforderlichen Brandschutzbestimmungen bemüht gewesen wären und sich nicht darum gekümmert hätten. Plötzlich sollen Bescheinigungen her – ganz unüblich.