Protokoll der Sitzung vom 13.09.2011

Aber darauf wird nicht reagiert, sondern die Hochschulen müssen die Löcher stopfen. Das tun sie durch einen eigenwilligen Umgang mit QSL-Mitteln. Wir haben darüber schon einmal debattiert. Sie plündern Rücklagen, die sie eigentlich für die Berufung von qualifizierten Professoren brauchen. Die können sie jetzt nicht berufen, weil sie das Geld brauchen, um den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Das ist alles kein Vorwurf an die Hochschulen. Aber wer Autonomie der Hochschulen will, muss für den entsprechenden Rahmen sorgen, damit Autonomie auch gelebt werden kann. Diese Landesregierung macht Autonomie zum Gespött, denn sie dient nur noch der Mangelverwaltung. Das reicht nicht aus. Autonomie muss auch finanziell unterfüttert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Karin Wolff (CDU))

Wir stehen vor einem weiteren Problem, nicht nur hinsichtlich der Steigerung der Studierendenzahlen. Manchmal ist es so, wenn man kurzfristig Richtiges macht, führt das dazu, dass man lang- und mittelfristig ein Problem bekommt. Die Landesregierung hat in den Zielvereinbarungen mit den Hochschulen gesagt: „Bitte, ihr müsst dafür sorgen, dass alle Erstsemesterplätze genutzt werden, damit wir die Studienreform Bologna gut hinbekommen.“ Da das System nach Bologna aber offensichtlich teurer ist als das bisherige System, bedeutet das, dass das Geld für den breiten Übergang zum Masterstudiengang fehlt. Wir hören von fast jeder Hochschule, dass sie nicht in der Lage ist, den Masterstudiengang in der Breite bereitzustellen, wie das notwendig wäre. Das heißt im Kern, um es hart zu formulieren, dass Hessen die Grundausbildung durchfinanziert hat, aber die Qualifizierteren an andere Hochschulen abwandern müssen, weil die Ausbildungskapazitäten für die Masterstudiengänge bei den heutigen Finanzbedingungen nicht ausreichen. Damit tun wir den Hochschulen allerdings einen Tort an. Das ist für ein Land wie Hessen ein Skandal.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind in der Opposition. Jeder weiß: Die Opposition hat es leicht. Wir wollen 25 Millionen € pro Semester für ein Notprogramm. Jawohl, wir wollen, dass sich diese Landesregierung mit den Hochschulen zusammensetzt, um in den nächsten Jahren eine Steigerung der Zahl Studienplätze um 20 % umzusetzen. Wenn Sie mir vorhin zugehört haben, als ich gesagt habe, dass wir 80 % Überlast haben, dann wissen Sie, dass das realistisch ist. Dann kommt das Standardargument, der Haushalt. Ich sage relativ locker: Wenn in Hessen ein Erdbeben stattfinden würde,

hätten wir die Haushaltsmittel für ein Notprogramm zur Verfügung. An den hessischen Hochschulen findet gerade ein Erdbeben statt. Sorgen wir dafür, dass sie nicht darunter leiden müssen. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die nächste Wortmeldung ist von Herrn Abg. Dr. Müller, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Grumbach, Erdbeben kann man nicht immer verhindern, aber die Frage ist, ob die Fundamente der Gebäude dem Erdbeben standhalten oder nicht. Ich behaupte: Die Fundamente der hessischen Hochschulen werden diesem Erdbeben auf jeden Fall trotzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das ist kein Zufall, sondern im Unterschied zu Ihnen haben wir sehr engagiert – übrigens nicht nur mit finanziellen Mitteln – auf diesen Ansturm der Studenten reagiert.

Wenn man Sie so hört – Sie sind ja nicht unbedingt einer, der in seinen Reden die Lyrik in den Vordergrund stellt –, dann haben Sie eben ein Bild gezeichnet, als würden die armen hessischen Hochschulen unvorbereitet, nackt und wehrlos einem Ansturm von Studienbewerbern gegenüberstehen. Das ist zwar möglicherweise ganz schön für die Intention, auf der Sie Ihre Rede aufgebaut haben, aber das entspricht in keiner Weise der Realität in diesem Land.

Ich erwarte auch nicht, dass Sie die Ministerin, an deren Stelle Sie gerne gestanden hätten, loben. Aber ich meine, wir sollten wenigstens einmal dazu kommen, bestimmte Realitäten anzuerkennen. Deswegen: Wir brauchen kein Notprogramm für die hessischen Hochschulen, wie Sie es dramatisch gefordert haben; denn bereits seit Langem haben wir einen intelligenten Pakt der Verlässlichkeit mit den Hochschulen geschmiedet. Deswegen gibt es keinen Grund für ein jetzt in Erwartung eines Erdbebens aus dem Boden gestampftes Notprogramm.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben die Daten genannt: Wir haben sehr frühzeitig auf den zu erwartenden, immer noch nicht ganz zu quantifizierenden Ansturm von Erstsemestern an die Hochschulen reagiert.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Mit Ruth Wagner wäre das nicht passiert!)

Natürlich – da haben Sie völlig recht, Sie haben ja einige Beispiele genannt – gibt es diese stark gestiegenen Bewerberzahlen. Dabei muss ich sagen: Nicht jeder Bewerber ist auch schon jemand, der in Hessen einen Studienplatz besetzt. Diese stark gestiegenen Bewerberzahlen lassen sich in der Tat mit den bisherigen Mitteln und wegen der Vergangenheit nicht auffangen.

Sie haben das Beispiel von der Magerkur gebracht. In der Tat ist es wie im richtigen Leben: Wenn jemand stark an Gewicht zunimmt – ich weiß, wovon ich rede –, muss er

neue Kleidung kaufen, und unter Umständen muss er seine Ernährungsweise umstellen.

Nichts anderes geschieht jetzt bei den Hochschulen, die eine rekordverdächtige Zunahme an Erstsemestern zu bewältigen haben. Das bestreitet niemand. Aber da auch Sie schon ein bisschen älter sind – nicht so wie ich, das ist schwer –, können Sie sich daran erinnern, dass beispielsweise in den Jahren 2003 und 2004 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität die Zahlen, die wir heute erwarten, auch schon einmal Realität waren. Es ist also nicht so, dass jetzt irgendetwas auf uns zukommt, was es bisher noch nie gegeben hat.

Neben finanziellen Mitteln, auf die ich gleich komme, sind noch andere Wege notwendig. Wir brauchen mehr Flexibilität. Dazu gehört in der Tat, dass man auch einmal eine Auferstehungskirche mietet, um Vorlesungen abhalten zu können. Wir brauchen Flexibilität, und wir brauchen innovative Energien.

Herr Kollege Grumbach, ich habe sehr gut zugehört: Aus gutem Grund haben Sie nicht großartig Zahlen genannt.

(Dr. Matthias Büger (FDP): Warum wohl?)

Deswegen will ich uns der Ehrlichkeit halber das eine oder andere ins Gedächtnis rufen.

Bis 2015 werden die hessischen Hochschulen das zweithöchste Budget in der Geschichte des Landes zur Verfügung haben – immerhin 1,4 Milliarden € –,

(Beifall bei der CDU und der FDP)

und das ohne das von Ihnen geforderte Notprogramm. Die Vereinbarung, dass bei steigenden Steuereinnahmen ein Teil an die Hochschulen fließt, wird mit 20 Millionen € eingelöst – auch das ohne Notprogramm.

Auf der Basis des Hochschulpaktes von Bund und Ländern werden die Hochschulen noch einmal zusätzliche 49 Millionen € erhalten – auch das ohne Notprogramm.

Rechnet man alles zusammen, dann stehen den Hochschulen in den kommenden Jahren und im laufenden Jahr rund 560 Millionen € zusätzlich zur Verfügung – und auch das, Sie werden es sich schon fast denken können, ohne ein Notprogramm.

Dazu kommen – auch das muss man im Leben der Hochschulen sehen – noch andere gewaltige Mittel. Wir haben HEUREKA für die Baumaßnahmen:

Wir finanzieren rund 250 Millionen €. Das LOEWE-Programm, die Forschungsförderung haben wir mit 419 Millionen € ausgestattet – das alles zusammen gesehen: ohne ein Notprogramm. Hier also ein Bild zu zeichnen, als wären die Hochschulen arm, wehrlos und nackt, ist wirklich weit an der Realität vorbei.

Sie haben auch das angesprochen – auch Kleinvieh macht Mist –: Zu guter Letzt kommen noch die sogenannten QSL-Mittel, die als Ausgleich für die nicht mehr erhobenen Studienbeiträge an die Hochschulen fließen; und auch das, Sie merken auf: jeweils ohne Notprogramm.

Meine Damen und Herren, um diese Summe zu addieren – es sind mehr als 2 Milliarden € –,

(Dr. Matthias Büger (FDP): Genau!)

brauchen Sie schon eine gut funktionierende Rechenmaschine. Aus meiner Sicht ist diese Summe – ich sage es einmal aus meiner Sicht des Sports – ein Zeichen für die Hochschulpolitik der Champions League dieser Landes

regierung. Ich sage: Ihr Notprogramm ist dagegen eher ein lustloses Spiel in der Bezirksliga. Aber auch das ist schön.

Meine Damen und Herren, natürlich ist in dieser Situation, in der wir uns in der Tat befinden, Geld nicht alles. Besondere Situationen erfordern besondere Antworten. Nur an einem Beispiel – Sie haben darauf hingewiesen: Manche Hochschulen haben bereits Arbeitsgruppen gebildet und Szenarien entworfen, wie sie in ihrer Autonomie auf diese Herausforderung reagieren.

Ich muss sagen – Frau Wissler, Sie als Noch-Studentin können das sicher nachvollziehen –: Da muss sich vielleicht der eine oder andere Student auch einmal ein bisschen umstellen. Es soll in manchen Unternehmen Schichtbetrieb geben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ich habe einen sehr aufwendigen studentischen Nebenjob!)

Das kann ich mir vorstellen. Darauf könnte man auch verzichten – aber das will ich jetzt gar nicht sagen.

Wenn es in Unternehmen, von Arbeitnehmern gefordert, Schichtbetrieb gibt, dann will es mir nicht einleuchten, warum nicht Hochschulen in dieser Situation auch einmal beispielsweise an Abenden oder Samstagen Vorlesungen halten sollen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Als Frankfurter sagt man: Des will mer auch net in de Kopp enein. Warum werden nicht neue Mitarbeiter eingestellt und vor allem auch Senioren-Professoren aus ihrem vielleicht sogar unruhigen Ruhestand wieder an die Universität geholt? Was ist daran so schlimm?

Zusätzliche Räume müssen angemietet werden. Das Beispiel Kassel mit der Auferstehungskirche finde ich besonders schön, denn dann weht der Geist, wo er will. Es könnte sogar sein – es ist sicher so, dass erst in den kommenden Jahren, wenn auch die hessischen Schüler der G-8-Jahrgänge an die Universitäten drängen, vielleicht in drei Jahren, der Berg erreicht ist. Das alles will ich nicht bestreiten.

Aus meiner Sicht steht hinter alledem die gesellschaftliche Entwicklung. Das sollte uns alle beschäftigen. Natürlich spielt bei diesen gestiegenen Zahlen die Abschaffung der Wehrpflicht eine Rolle; ebenso die Bewerber, die aus anderen Ländern an die Hochschulen in Hessen drängen, in denen G 8 schon Wirklichkeit ist. All das ist natürlich ein wesentlicher Grund für die Zunahme der Studentenzahlen.

Aber ich glaube – und womöglich gibt es darüber keinen Dissens –, wir sind in einer gesellschaftlichen Situation, in der Höherqualifizierung und das Bewusstsein der Bedeutung der akademischen Bildung in dieser Gesellschaft zugenommen haben. Auch zukünftig wird es da notwendig sein, dass wir dieses Problem mit Kreativität, Flexibilität und innovativen Ideen aller Beteiligten lösen.

Hessen ist auch ohne Notprogramm bestens vorbereitet. Wir wollen keine Notprogramme, wir wollen planvolles Handeln. Das haben wir bewiesen.

Die Hochschulen in Hessen wissen, dass sie mit den Zielvereinbarungen, die sie mit dem Ministerium abgeschlossen haben, auf einem guten Weg sind. Die hessischen Hochschulen können sich auf CDU und FDP immer verlassen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das Wort hat Frau Abg. Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Aufgrund der Verkürzung der Schulzeit durch die Umstellung auf G 8 werden in den nächsten Jahren die doppelten Abiturjahrgänge an die Hochschulen kommen. Zudem haben wir den Wegfall der Wehrpflicht. Das führt dazu, dass die Hochschulen in Deutschland einem derartigen Andrang von Bewerbern gegenüberstehen. Das ist natürlich eine enorme Herausforderung.